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„Organ Donation after Out-of-Hospital Cardiac Arrest“ des ILCOR

veröffentlichende Fachgesellschaft: International Liaison Committee on Resuscitation
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 07.08.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1016/j.resuscitation.2023.109864

Grundsätzliches

  • 60.000 Patient*innen in der EU auf der Warteliste für eine Niere, Leber, Herz oder Lunge bei nur 25.000 Transplantationen fester Organe (2008)
  • ca. 18 Patient*innen pro Tag in der EU, welche starben während sie auf ein Organ warteten (2019)
  • Anteil der Organe verstorbener Spender*innen entscheidend für Deckung des Bedarfs
  • nur 46 % der Nierentransplantationen und 14,6 % der Lebertransplantationen stammen von lebenden Spendern
  • Lebendspende bei Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Dünndarm nicht möglich
  • ca. 4 Millionen Patient*innen mit plötzlichem OHCA weltweit pro Jahr
  • Zahl der für Organspende in Betracht kommenden Patient*innen nach plötzlichem OHCA liegt nur bei 39 %, davon stimmten nur 68 % einer Organspende zu und nur bei 25 % erfolgte tatsächlich eine Organspende (im Durchschnitt 1,9 Organe pro Patient*in
  • ca. 50 % aller Herzstillstände werden präklinisch behandelt und 55 % davon sind beobachtet, wodurch die Patient*innen bei suffizienter Ersthelfer-CPR ggf. Kandidat*innen für eine Organspende nach Feststellung des Hirn-/Kreislauftodes nach Transport in Klinik wären

Definitionen

  • Donation after Neurological Determination of Death (DNDD; Organspende nach dem Hirntod bzw. Spende bei noch schlagendem Herz)
    • Hirntod ist gemäß World Brain Death Project der WHO definiert als die Diagnose und Bestätigung des Todes auf der Grundlage der irreversiblen Einstellung der Funktionen des gesamten Gehirns, einschließlich des Hirnstamms (Hirntod kann bei intaktem und funktionierendem Herz-Kreislauf-System eintreten)
    • DNDD ist der häufigste Weg für eine Organspende
  • Donation after Circulatory Death (DCD; Organspende nach Tod durch Kreislaufstillstand)
    • Organspende bei nicht mehr schlagendem Herzen und Todesfeststellung auf Grundlage kardiozirkulatorischer Kriterien
    • Praxis stark länderspezifisch, i.d.R. kann Diagnose des Herztods nach 5 bis 10 Minuten ohne Puls, Blutdruck oder Beatmung gestellt werden
    • Unterteilung in kontrollierte (cDCD) und unkontrollierte/ungeplante (uDCD) Spende nach dem Tod
  • controlled Donation after Circulatory Death (cDCD; kontrollierte Organspende nach Tod durch Kreislaufstillstand)
    • Todesfeststellung auf Grundlage kardiozirkulatorischer Kriterien im klinischen Setting bei geplantem Abbruch lebenserhaltender Therapie (z.B. mechanische Beatmung oder ECLS)
  • uncontrolled Donation after Circulatory Death (uDCD; unkontrollierte/ungeplante Organspende nach Tod durch Kreislaufstillstand)
    • Aktivierung des Organspendeverfahrens bei Patient*innen, die unerwarteten Herzstillstand, meist im präklinischen Setting, erleiden
    • andauernde Maßnahmen zum Organerhalt (z.B. kontinuierliche Herzdruckmassage, ECLS, Temperaturkontrolle, medikamentöse Therapie) bis zur Entnahme der Organe nach Zustimmung und Transport in geeingnete Zielklinik
    • uDCD-Verfahren weltweit sehr selten aufgrund erheblicher logistischer, ethischer, rechtlicher, verfahrenstechnischer und ressourcenbezogener Herausforderungen

Maastricht-Klassifikation für den DCD

  • 1995 entwickelt worden, um die verschiedenen klinischen Szenarien, die zu DCD führen können, besser abzugrenzen
  • Studien zeigen, Patient*innen, die nach Reanimation hirntot sind, sind trotz der Schwere der globalen hypoxisch-ischämischen Schädigung, die zum Hirntod führte, als Organspender*innen geeignet sind
  • Untersuchungen zeigten, Patient*innen der Kategorien Maastricht IIIA und IIIB sind hauptsächlich aufgrund von Komorbiditäten als mögliche Spender*innen ausgeschlossen worden
KategorieDefinitionÖrtlichkeitÄnderungsvorschläge der ILCOR für Maastricht-Klassifikationpotentielles Outcome
uDCD- Maastricht Iunbeobachteter KreislaufstillstandOHCA oder IHCA– IA: unbeobachteter Herzstillstand ohne Wiederbelebungsversuche, da Patient*in sichere Todeszeichen erfüllte oder bestätigte Patientenverfügung vorlag, und bei dem der Herztod festgestellt wurde ()
– IB: unbeobachteter Herzstillstand, bei dem Wiederbelebungsversuche unternommen und abgebrochen wurden, da Patient*in sichere Todeszeichen erfüllte oder bestätigte Patientenverfügung vorlag, die eine Wiederbelebung untersagt, und bei dem der Herztod festgestellt wurde ()
– IC: unbeobachteter Herzstillstand, bei dem die Wiederbelebung versucht, vollständig ausgereizt und auf Grundlage klinischer Entscheidungsregeln () oder medizinischer Anweisungen, die die Aussichtslosigkeit definieren, beendet wurde und der Herztod festgestellt wurde ()
IA: kein ROSC; nur Gewebespende
IB: kein ROSC; nur Gewebespende
IC: kein ROSC; Gewebespende, Multiorganspende durch uDCD und nichtperfundierende Lungenspende
uDCD- Maastricht IIbeobachteter KreislaufstillstandOHCA oder IHCA– IIA: beobachteter Herzstillstand, bei dem eine Wiederbelebung nicht unternommen wurde, da eine bestätigte Patientenverfügung vorlag, die eine Wiederbelebung untersagt, und der Herztod festgestellt wurde ()
– IIB: beobachteter Herzstillstand, bei dem ein Wiederbelebungsversuch unternommen und abgebrochen wurde, weil eine bestätigte Patientenverfügung vorlag, die eine Wiederbelebung untersagt, und der Herztod festgestellt wurde ()
– IIC: beobachteter, unerwarteter Herzstillstand in einer beliebigen Umgebung, bei dem eine Wiederbelebung versucht und auf der Grundlage klinischer Entscheidungsregeln () oder medizinischer Anweisungen, die die Aussichtslosigkeit definieren, abgebrochen wurde und der Kreislauftod festgestellt wurde ()
IIA: Keine ROSC-Gewebespende
IIB: Keine ROSC-Gewebespende
IIC: Keine ROSC-Gewebespende, Multiorganspende durch uDCD und nichtperfundierende Lungenspende
uDCD- Maastricht IIIKreislaufstillstand nach Abbruch lebenserhaltender TherapienIHCA– IIIA: Kreislauf ist physiologisch nicht mehr aufrechtzuerhalten und Situation wird als aussichtslos betrachtet, lebenserhaltende Maßnahmen findet an einem beliebigen Ort statt und der Herzstillstand tritt vor der Einleitung eines geplanten Organbeschaffungsverfahrens ein
– IIIB: wiederbelebte*r Patient*in mit Herzstillstand und ROSC sowie schlechter neurologischer Prognose nach Herzstillstand, der/die nicht die Kriterien für den Hirntod erfüllt, aber der Kreislauf ist aufgrund lebenserhaltender Maßnahmen aufrechterhalten, und Herz-Kreislauf-Tod () wird innerhalb eines akzeptablen Zeitintervalls festgestellt (§)
IIIA: Gewebe- und Multiorganspende durch uDCD und nicht-perfundierende Lungenspende
IIIB: Gewebe-, Multiorganspende durch cDCD
uDCD- Maastricht IVHerzstillstand nach Feststellung des Hirntods, aber vor der geplanten OrganbeschaffungIHCAunerwarteter Herzstillstand tritt nach Diagnose des Hirntods, aber vor Einleitung der geplanten Organbeschaffung ein und der Herz-Kreislauf-Tod wird festgestellt ()Gewebe- und Multiorganspende durch uDCD und nicht-perfundierende Lungenspende
uDCD- Maastricht Vgeplante Organbeschaffung nach medizinisch assistiertem TodOHCA oder IHCAHerz-Kreislauf-Tod () wird nach dem medizinisch assistierten Tod festgestelltGewebe- und Multiorganspende durch cDCD und nicht-perfundierende Lungenspende
Quelle: https://www.resuscitationjournal.com/article/S0300-9572(23)00177-6/fulltext
– WHO-Definition zur Feststellung des Kreislauftods = Fehlen jeglicher Kreislauffunktion nach Hands-off-Zeitintervall von 2 – 5 min ohne vorangegangene Wiederbelebung oder 7 min, wenn Wiederbelebung vorangegangen ist
– es gibt keine veröffentlichten validierten klinischen Entscheidungsregeln für die Beendigung der Reanimation bei pädiatrischen Herzstillständen, erwachsenen IHCA jeglicher Genese, erwachsenen OHCA, bei denen die Ursache bekannt ist (z.B. Trauma, Ertrinken, Drogenüberdosis, Inhalationsasphyxie)
§ – alle Patient*innen können wiederbelebt werden und der Ort sowie Zeitpunkt der Wiederbelebung sowie der Ort, an dem die Wiederbelebung beendet wird, können sich letztendlich auf ihre Einstufung als Spender auswirken; Maastricht-IIIB-Typ wird i.d.R. als Kreislauftod innerhalb von 120 min nach Absetzen der lebenserhaltenden Therapie definiert; i.d.R. beträgt das maximale Zeitintervall 2 h, dieses Zeitintervall variiert je nach Art des Organs, der Organerhaltung und der lokalen Implantationsstrategie

Einschlusskriterien uDCD

  • untere Altersgrenze (variiert je nach Land)
  • obere Altersgrenze: 60 Jahre
  • jeder Herzstillstand, bei dem es unwahrscheinlich ist, dass die Todesursache auf eine offensichtliche Ursache auf der Ausschlussliste zurückzuführen ist (auf Basis der Informationen zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung)
  • Zeit vom Notruf oder dem beobachteten Herzstillstand bis zur vom Rettungsdienst eingeleiteten HLW <15 min
  • Transportzeit ins Krankenhaus <90 min ab Beginn der vom Rettungsdienst eingeleiteten HLW
  • Registrierung als Organspender (falls zutreffend)

Ausschlusskriterien uDCD

  • Ursache für Herzstillstand ist Trauma oder anhaltende tiefe Umgebungshypothermie
  • nachgewiesener Verzicht auf Organspende (falls zutreffend)
  • jede aktuelle Bluterkrankung
  • jede Krebserkrankung mit Anzeichen einer Metastasierung über das betroffene Organ hinweg innerhalb von 3 Jahren
  • Melanom oder Choriokarzinom in der Vorgeschichte
  • aktive Infektionserkrankungen (z.B. TBC, HIV, Hepatitis, COVID-19)
  • neurodegenerative Erkrankung in Verbindung mit Infektionserregern (z.B. Prionenkrankheit)
  • Lebererkrankungen (z.B. Zirrhose und Pfortaderthrombose)
  • Nierenerkrankungen
  • Empfänger einer früheren Transplantation

grundlegendes Vorgehen/Protokoll für uDCD Maastricht I- und II-Patient*innen

Grafik 4 – grundlegendes Vorgehen/Protokoll für uDCD Maastricht I- & II-Patient*innen (Quelle: https://www.resuscitationjournal.com/cms/attachment/e23677fe-95d4-44f2-892c-98692e8d0617/gr7_lrg.jpg)
  • Schritt 1 – Festlegung der Bedingungen für die Einstellung der Wiederbelebung oder den Abbruch der Wiederbelebung bei refraktärem Herzstillstand
    • Wiederbelebungsmaßnahmen werden als aussichtslos angesehen (gemäß lokaler rechtlicher Regelungen) oder keine Wiederbelebungsmaßnahmen bei sicheren Todeszeichen
    • Möglichkeiten für Sprung zu nachfolgenden Schritten
      • Weg 1: Wiederbelebung, Todesfeststellung und Maßnahmen zum Organerhalt sowie schnellstmöglicher Transport in geeignete Klinik durch Rettungsdienst (bevorzugte Variante)
      • Weg 2: Wiederbelebung und Nachforderung mobiles Organspende-Team durch Rettungsdienst; Todesfeststellung und Maßnahmen zum Organerhalt, schnellstmöglicher Transport in geeignete Klinik sowie Organentnahme durch mobiles Organspende-Team
      • Weg 3: Fortsetzen prähospitaler Wiederbelebungsmaßnahmen und Transport in Notaufnahme zur Entscheidungsfindung und Einbeziehung des Organspendeteams
  • Schritt 2 – Vorab-Screening bzgl. Spendenbereitschaft & -eignung
    • erstes Screening anhand Status-Quo, Beobachtung von Ersthelfenden, medizinischen Unterlagen etc. im präklinischen Bereich
    • Dokumentation von Zeitpunkt der Einstellung von Wiederbelebungsmaßnahmen, Hand-Offs-Zeit, Beginn des Organerhalts sowie Transportzeit (< 90 min)
    • ggf. Einrichtung einer rund um die Uhr erreichbaren Organspendekoordinationsstelle, sofern zentrale Register bzgl. der Spendenbereitschaft vorliegen
    • ggf. zweites Screening anhand Status-Quo, Beobachtung von Ersthelfenden, medizinischen Unterlagen etc. bei Eintreffen in Zielklinik und bei Erfüllung der Kriterien Einleitung des lokalen Organspendeprotokolls
  • Schritt 3 – Hands off-Zeiten & Todesfeststellung
    • Hands-Off-Zeit-Intervalle zur Sicherstellung der sicheren Todesfeststellung
      • 2 – 5 min bei Abbruch lebenserhaltender Therapien oder geplantem Unterlassung der Wiederbelebung bei vorliegender Patientenverfügung
      • 7 min bei vorher durchgeführter Laien-/Ersthelferreanimation (Grund für längere Hands-Off-Phase ist erhöhtes Risiko einer spontan auftretenden Herztätigkeit nach Abbruch der Wiederbelebung)
    • Todesfeststellung
      • „Hirntod“ = Ende aller neurologischen Funktionen
      • „Herz-Kreislauf-Tod“ = Ende jeglicher Kreislauffunktionen (Überprüfung eines fehlenden tastbaren Pulses, fehlender Atemgeräusche, fehlender Herztöne, fehlender Atemanstregung oder Thoraxbewegungen, kein nicht-invasiver oder invasiver arterieller Blutdruck messbar, Koma & starr geweitete Pupillen sowie pEA akzeptabel (Asystolie nicht erforderlich)
  • Schritt 4 – Organerhalt (schneller Transport, Beginn der Kanülierung und Organerhaltung)
    • Prüfung ethischer Kriterien vor Einholung der Zustimmung der nächsten Angehörigen
    • organerhaltende Maßnahmen sind manuelle oder mechanische CPR, Intubation & Sauerstoffgabe, ggf. Bauchlagerung bei potentiellen Lungentransplantationsspender*innen, ECMO/ECLS
    • CAVE: Möglichkeit des ROSC immer berücksichtigen (selten, aber möglich)
  • Schritt 5 – Einverständnis und Zuständigkeitsfragen (Eignung bestätigt, Zustimmung eingeholt, Organerhalt fortgesetzt, Organentnahme)
    • bei Widerspruchslösung und bzw. oder 24/7 zugänglichem Organspenderegister Prüfung nach lokalen gesetzlichen Regelungen
    • bei Zustimmungslösung Abklärung des Vorliegens von Patientverfügung/Organspendeausweis oder Einholung des Einverständnisses der nächsten Verwandten, im besten Fall vor und während der „Hands-off“-Phase

Grafiken

Grafik 1 – Ablaufschema für Organspende nach OHCA/IHCA (Quelle: https://www.resuscitationjournal.com/cms/attachment/cde25de8-9d5d-45cb-b791-b79df5f7c5e8/gr1_lrg.jpg)
Grafik 2 – WHO-Kriterien für Organspende nach DCD oder DBD (Quelle: https://www.resuscitationjournal.com/cms/attachment/4bed9566-2f42-4de6-88fc-6e031cae9cbb/gr2_lrg.jpg)
Grafik 3 – Klinisches Vorgehen zur Feststellung des Hirntods und zur Organspende nach Herzstillstand gemäß ERC 2021 (Quelle: https://cprguidelines.eu/assets/posters/7.7-Post-Resus-Algorithms-4.pdf)
Published inLeitlinien kompakt

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