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Was ist eigentlich… eine postpartale bzw. Wochenbett-Psychose?

Nachdem es gestern schon um psychische Störungen oder Verhaltensstörungen in Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt oder Wochenbett ohne psychotische Symptome, also v.a. die Wochenbett-Depression bzw. postpartale Depression, ging, wenden wir uns heute der zweiten großen Gruppe zu – nämlich der postpartalen bzw. Wochenbett-Psychose.

Wie gestern schon erwähnt, beschreibt der Begriff „Wochenbett“ die ersten 6 – 8 Wochen nach Geburt, in denen der mütterliche Körper von der Geburt regeneriert. In diesem Zeitraum ist vieles auf die Ausheilung der Geburtsnachwirkungen ausgelegt, aber auch präventive Maßnahmen, z.B. bzgl. einer Inkontinenz, stehen im Mittelpunkt. Während der Wochenbett-Phase kommt auch zur Gebärmutter-Rückbildung auf schlussendlich ca. 60 – 100 g nach etwa sechs Wochen sowie zum Schließen des inneren Muttermundes nach etwa 2 Wochen. Zusätzlich kommt es in der Wochenbett-Zeit auch zum Wochenfluss, also der Absonderung von Wundgewebe, Schleimhaut und Blut als Reste der Rückbildung der Gebärmutter. Zu guter Letzt fällt in die Zeit des Wochenbetts noch der wichtige Beginn der Bildung der Muttermilch.

Die postpartale bzw. Wochenbett-Psychose oder auch puerperale Psychose (PPP) ist die schwerwiegendste und gefährlichste psychiatrische Erkrankung während der Wochenbett-Phase. Hierbei kommt zu einer akuten Verschlechterung des psychiatrischen Zustands mit einer hohen Eigen- & Fremdgefährdung, v.a. für das Neugeborene, durch die psychotischen Symptome. Hinsichtlich der Epidemiologie gibt es nur begrenzt Daten zur PPP. Laut Schätzungen tritt die PPP bei ca. 1 – 2 von 1.000 Frauen nach Entbindung auf und dies i.d.R. in den ersten 4 Wochen nach Geburt. Im Vergleich zur postpartalen Depression, waren bzgl. der Wochenbett-Psychose keine Daten hinsichtlich des Auftretens bei Männern zu finden. Sofern es schon einmal zu einer PPP kam, so kommt es in etwa 1/3 der Fälle zum nochmaligen Auftreten einer solchen. Auch in der Gesamtheit sind Psychosen im Zeitraum der Schwangerschaft und des Wochenbetts 10- bis 18-mal häufiger.

Ätiologie

Hinsichtlich der Ätiologie lässt sich konstatieren, dass die genauen Ursächlichkeiten weitestgehend unklar sind. Genauso wie bei der Wochenbett-Depression sind auch hier vermutlich die raschen, hormonellen Verschiebungen (z.B. Östrogen- & Progesteron-Abfall) ursächlich, aber auch weitere externe, soziale und/oder psychische Faktoren haben als Risikofaktoren einen Anteil bei der Ausbildung einer puerperalen Psychose (s. nachfolgend). Als größter Risikofaktor sei aber eine schon vorliegende bipolare Störung, v.a. eine bipolare Störung Typ 1, erwähnt, denn bei ca. 25 – 50 % aller Frauen mit einer bipolaren Erkrankung kommt es zu einer Wochenbett-Psychose. Darüberhinaus können Schlafentzug während der Wehen und nach der Geburt sowie postpartale Komplikationen wie Infektionen und Stillprobleme das Risiko für eine PPP relevant erhöhen.

Risikofaktoren

  • medizinisch-psychiatrische Vorgeschichte
    • frühere bipolare/psychotische Episoden
    • prämenstruelle dysphorische Störung (PMDS)
    • Angststörung
    • Substanzmissbrauch
    • allgemein psychiatrische Störungen
    • Familienanamnese bzgl. Depressionen/Psychosen
    • chronische körperliche Erkrankung
  • soziale Risikofaktoren
    • kaum soziale Unterstützung
    • Beziehungs-/Paarkonflikte
    • häusliche Gewalt
    • Migration
    • belastende Lebensereignisse (z.B. Verlusterfahrungen, Arbeitsplatzverlust)
    • Missbrauchserfahrungen
    • Probleme in der früheren Kindheit
    • gestörte Sozialbeziehungen
    • schlechte/unsichere Wohnverhältnisse (z.B. Wohnungsverlust, beengter Wohnraum)
    • unzureichende finanzielle Absicherung
  • Risikofaktoren bzgl. Persönlichkeit
    • Probleme bei der Emotions-/Impulskontrolle
    • hoher Selbstanspruch
    • unsichere Bindungsmuster
    • negative Einstellung zur Schwangerschaft
  • soziodemografische Risikofaktoren
    • höheres Lebensalter der Mutter (wenn Depression in der Vorgeschichte)
    • junges Lebensalter (wenn keine Depression in der Vorgeschichte)
    • alleinlebende/-erziehende Mütter
  • schwangerschaftsbezogene Risikofaktoren
    • ungeplante/ungewollte Schwangerschaft
    • Gestationsdiabetes
    • Präemklampsie
    • pränatale Klinikaufenthalte
  • geburtsbezogene Risikofaktoren
    • Notkaiserschnitt oder vaginal-operative Entbindung
    • vorzeitige Geburt
    • geburtshilfebezogene Stressoren (z.B. traumatische Geburt)
    • etwaige andere perinatale Komplikationen
  • kindsbezogene Risikofaktoren
    • anspruchsvoll-temperamentvolles Kind (z.B. „Schreikind“)
    • fehlendes Bonding zw. Mutter & Kind
    • gesundheitliche Beeinträchtigungen

Symptomatik

In 2/3 der Fälle ist eine puerperale Psychose den schizoaffektiven Psychosen zu zuordnen, aber es kommt auch zu depressiven, manischen, gemischten, schizophrenen oder organisch-deliranten Psychosen. Die Wochenbett-Psychose beginnt meist abrupt in den ersten 2 Wochen nach Geburt mit einem schnellen, ausgeprägten Verlauf sowie stark fluktu­ie­renden Symptomen und kann Wochen bis Monate andauern.

Initial ähneln die Symptome oft denen einer Wochenbettdepression, aber in ausgeprägterer Form. Die Prodromalsymptome sind v.a. Schlafstörungen/-mangel, Irritabilität, Angstsymptome, Konzentrationsprobleme, depressive Symptome, Anhedonie, Desorganisation, Interessenverlust, Verwirrung und Rastlosigkeit. Es gilt aber zu betonen, dass eine postpartale Psychose auch ohne zuvor genannten Vorwarnsymptome auftritt.

Zu den typischen Symptomen einer PPP zählen:

  • Verworrenheit, Desorientierung, Verwirrtheitszustände
  • extreme Stimmungsschwankungen
  • stärkste Angstzustände
  • motorische Unruhe, Erregungszustände, Antriebssteigerung (manische Phase)
  • Antriebs-, Bewegungs- & Teilnahmslosigkeit (depressive Phase)
  • Halluzinationen (v.a. visueller & auditiver Natur; z.B. Kind erscheint wie ein Dämon)
  • Wahnvorstellungen (v.a. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn; z.B. Capgras-Syndrom, also Kind durch Doppelgänger vertauscht)
  • Gedankenlautwerden/-entzug, Denkstörungen
  • katatone Zustände (z.B. Stupor)
  • gestörter Schlaf (Ein- & Durchschlafstörung)
  • hochgradige Suizidalität (in ca. 5 % der Fälle)
  • Fremdgefährdung ggü. dem Neugeborenen (in ca. 1 – 4 % Kindstötung)
  • ggf. Ausprägung bis hin zum Delir

Anamnese & Diagnostik

An vorderster Stelle der Anamnestik & Diagnostik steht die Abklärung der Fremd- & Eigengefährdung, denn wie zuvor erwähnt besteht nicht selten eine ausgeprägte Suizidalität, auch mit aktiven Handlungen, sowie eine große Gefahr für andere, v.a. das Neugeborene.

Grundsätzlich entspricht die Diagnostik der Wochenbett-Psychose der Diagnostik anderer psychotischer Erkrankungen. D.h. es hat eine körperliche Untersuchung, eine Labor-Diagnostik (Blutbild, Ent­zün­dungs­parameter, Schild­drüsen­-, Nieren- & Leberwerte, Elektrolyte, Harnsäure, BZ, Vitamin B12, Folsäure, Kortisol, TPHA, Borrelien sowie Drogenscreening) sowie ggf. eine cerebrale Bild­gebung (cCT, bes­ser MRT), eine Liquorpunktion bei V.a. Infektion oder Demenz und ein EEG bei V.a. Epilepsie zum Ausschluss organischer Ursachen zu erfolgen. Wie gerade beschrieben ist die Differentialdiagnostik wichtiger Bestandteil von Anamnese & Diagnostik. Hier ist v.a. der sog. „Baby-Blues“, also einem nicht behandlungsbedürftigen Stimmungstief nach Entbindung, von dem etwa 30 – 75 % der Mütter meist über wenige Stunden bis einige Tage betroffen sind, zu nennen. Der „Baby-Blues“ ist gekennzeichnet durch Anzeichen wie Traurigkeit, viel Weinen, Stimmungsschwankungen, Ermüdung, Reizbarkeit, Angstsymptome, Erschöpfung/Schlaflosigkeit und Konzentrationsprobleme. Hier helfen i.d.R. Unterstützung und Gespräche mit Verwandten & Freund*innen. Eine therapeutische Behandlung ist nicht notwendig. Weitere Differentialdiagnosen sind z.B.:

  • organischen Ursachen (z.B. Entzündungen/Infektionen, maligne Erkrankungen etc.)
  • vorbestehende schizophrene Krankheitsbilder
  • vorbestehende Persönlichkeitsstörungen
  • vorbestehende Zwangs- & Angststörungen
  • bestehender Drogenkonsum/-entzug

Weitere anamnestisch zu klärende Punkte wären v.a.:

  • Entbindung vor höchs­tens 8 Wo­chen
  • Abklärung der o.g. Risikofaktoren
  • Erfassung des Funktionsniveaus
  • Fremdanamnese bzgl. Symptomausprägung, Auswirkung auf Familie etc.

Therapie

Genauso wie bei der Diagnostik erfolgt auch die Therapie der puerperalen Psychose wie bei anderen psychotischen bzw. affektiven Erkrankungen. In Abhängigkeit der Krankheitsausprägung ist ein sofortiger oder rascher klinischer Aufenthalt, ggf. auch im Rahmen von Zwangsmaßnahmen, sowie die schnellstmögliche medikamentöse Therapie notwendig. In diesen Fällen ist i.d.R. auch das Abstillen unumgänglich (v.a. aufgrund der negativen Einflüsse des Stillens auf Schlaf & medikamentöse Therapie/Prophylaxe). Dieses sollte ggf. unter Zuhilfenahme von Medikamenten wie Dostinex erfolgen. Sofern bzw. sobald möglich ist die Unterbringung von Mutter und Kind auf einer Mutter-Kind-Station zu ermöglichen, verbunden mit frühstmöglicher Psychoedukation, jedoch steht im Zusammenhang mit einer Fremdgefährdung für das Neugeborene das Wohl des selbigen im Vordergrund.

Das medikamentöse Vorgehen schließt vor allem die Medikamentengruppen Beruhigungs- Schlafmittel, Antidepressiva, Psychopharmaka/Antipsychotika (z.B. Risperidon, Olanzapin, Quetiapin, Aripiprazol, Haloperidol) sowie ggf. im Einzelfall Östrogen-Behandlung mit ein. In der Akutphase ist die Kombinationstherapie aus einem Antipsychotikum und Lithium geeignet, eventuell auch in Verbindung mit der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) für ein schnelleres Ansprechen. Lithium ist auch hier das wirksamste und am raschsten seine Wirkung entfaltende Medikament und es gibt nur wenige Berichte über nachteilige Effekte auf Mutter und Kind, auch bei gestillten Kindern. Bis zum Einsetzen der antipsychotischen Wirkung sollte unter Berücksichtigung der Anspannungs- & Erregungszustände die zusätzliche Gabe von Lorazepam bedacht werden (CAVE: nach Ansprechen schrittweises Ausschleichen).

Lithium sollte ebenfalls für die Rückfallprävention und Prophylaxe anzuraten, unter Umständen zusammen mit Olanzapin. Des Weiteren sollten, falls notwendig, Hypnotika und Benzodiazepine erwogen werden, um den Schlaf der Patientinnen zu verbessern, da Schlafstörungen einen relevanten Risikofaktor für ein Rezidiv darstellen.

Hinsichtlich der medikamentösen Therapie sei das Portal „Embryotox“ zur Abklärung von Indikation, Kontraindikationen sowie Neben- & Wechselwirkungen. Zusätzlich sollten Mutter und Kind regelmäßig bzgl. Nebenwirkungen gescreent werden.

Insgesamt lässt sich aber konstatieren, dass auch die Wochenbett-Psychose eine ingesamt günstige bzw. gute Prognose hat. Die Gefahr redizivierender Psychose, auch außerhalb der Wochenbett-Phase, besteht jedoch.

Für weitere Informationen zu den peripartalen psychischen Erkrankungen empfiehlt sich auf jeden Fall auch der Besuch der Homepage des Vereins „Schatten und Licht e.V.„.

Zu diesem Beitrag gibt es natürlich auch wieder ein dazugehöriges PsychFacts.

Quellen

Published inIm Notfall Psychiatrie

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