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04.02. – Weltkrebstag (onkologische Notfälle)

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab es 2020 weltweit mehr als 19.000.000 krebsneuerkrankte Personen. Die Krebserkrankungen waren weltweit für 10.000.000 Tote verantwortlich, was in Deutschland etwa 1/4 aller Todesfälle ausmacht. Im Jahr 2020 gab es fast 500.000 neue Krebsfälle in Deutschland (231.400 Frauen; 261.800 Männer) und etwa 230.223 Menschen starben aufgrund einer Krebserkrankung (104.949 Frauen; 125274 Männer), was eine Sterberate von ca. 337,4 Frauen bzw. 406,1 Männer pro 100.000 Einwohner ergibt. Würde man eine Top 10 der häufigsten letalen Krebsarten geben, so würde diese laut den Zahlen des Statistischen Bundesamtes so aussehen:

  1. Bronchial- und Lungenkrebs (45.209 Todesfälle in BRD; 1.700.000 Todesfälle weltweit)
  2. Pankreaskarzinom (19.204 Todesfälle)
  3. Brustkrebs (19.104 Todesfälle)
  4. Prostatakrebs (15.590 Todesfälle)
  5. Dickdarmkrebs (14.945 Todesfälle)
  6. bösartige Neubildung ohne Angabe der Lokalisation (10.947 Todesfälle)
  7. Leberkrebs sowie Karzinome der intrahepatischen Gallengänge (8.175 Todesfälle)
  8. Magenkrebs (7.990 Todesfälle)
  9. Mastdarm- oder Enddarmkarzinom (7.327 Todesfälle)
  10. Hirnkarzinom (6.213 Todesfälle)

Der Ausgangspunkt, von dem aus sich die meisten Krebserkrankungen verteilen, sind die Epithelien. Ca. 70 % der Karzinome entstehen im Drüsen­gewebe, sog. Adeno­karzinome, und weitere 15 % gehen vom Plattenepithel, Über­gangs­epithel aus oder sind klein­zellige Karzinome (z.B. Lungengewebe).

Laut der WHO könnten weltweit 30 – 50 % der Krebsfälle durch sinnvolle und gut ausgebaute Prävention verhindert werden. Laut dem DKFZ gehen min 37 % Krebs­neu­erkran­kungs­fälle in Deutschland auf vermeid­bare oder zumindest beein­fluss­bare Risiko­faktoren zurück. So sind ca. 19 % aller jährlichen Krebs­erkran­kungen in Deutschland durch das Rauchen bedingt. Weitere Risikofaktoren wären z.B. Suchtmittelkonsum, Über­gewicht, Be­we­gungs­mangel, Blut­hoch­druck, hohe Blut­fett- & Blut­zucker­werte sowie chronische Infektionen. Beim letzten Punkt, den chronischen Infektionen, ist Impfen einer der wichtigsten Ansatzpunkte, so wie z.B. bei Gebärmutterhalskrebs & der HPV-Impfung oder der Hepatitis-B-Impfung und dem Leberkrebs.

Schaut man sich die Altersstruktur genauer an, so stellt man fest, dass 1/4 der Todesfälle bei den 1- bis 14-Jährigen (23 %) und 1/3 der 45- bis 65-Jährigen (39 %) krebsbedingt sind. Auf der anderen Seite lässt sich aber auch konstatieren, dass z.B. im Jahr 2018 etwa 1.520.000 Krebserkrankte, davon 55 % Männer & 45 % Frauen, wegen Krebserkrankungen imn Krankenhäusern therapiert worden, oftmals mit Erfolg (zum Vergleich: Im selben Zeitraum wurden nur 456.000 Menschen mit einer Herzinsuffizienz im Krankenhaus versorgt).

Weltkrebstag

Um genau auf diese Probleme und Zahlen aufmerksam zu machen findet jährlich am 04. Februar der von der Internationalen Vereinigung gegen Krebs (UICC) organisierte Weltkrebstag statt. Das diesjährige Motto des Weltkrebstags ist „Close the care gap: Together, we challenge those in power“, also „Schließen Sie die Versorgungslücke: Gemeinsam fordern wir die Machthaber heraus“. Betrachtet man den wahrscheinlichen Verlauf der Krebszahlen bis zum Jahr 2023, so gehen Expert*innen davon aus, dass die Zahl der Krebsneuerkrankungen in Deutschland jährlich um etwa 20 % auf ca. 600.000 steigen wird und auf noch längere Sicht betrachtet gibt es Schätzung, die einen Anstieg um > 50 % bis 2040 prognostizieren.

Den Weltkrebstag gibt es seit dem Jahr 2000 und wird in Deutschland durch die Stiftung Deutsche Krebshilfe initiiert und hat das große Ziel, die Bevölkerung für die Krebsprävention und -früherkennung zu sensibilisieren und dabei auf die aktuellen Entwicklungen der Krebszahlen, Forschungen etc. hinzuweisen. Aus diesem Grund geht es heute bei FOAMio auch um das Thema Krebs gehen, mit einem kleinen Einblick in die Welt der onkologischen Notfälle.

onkologische Notfälle

Onkologische Notfälle sind nicht der Alltag in der präklinischen Notfallmedizin. Bei der Diagnostik und symptomorientierten Therapie muss man zwischen Komplikationen durch die Erkrankung und Komplikationen durch die Therapie unterscheiden.

  • Was ist ein Onkologischer Notfall? Patienten mit Tumorerkrankungen sind einem erhöhten Risiko lebensbedrohlicher Ereignisse ausgesetzt. Onkologische Notfälle treten einerseits wegen der Tumorerkrankung als solche auf, andererseits wegen toxischer Effekte der gegen die Tumorerkrankung gerichteten Therapie. Zusätzlich können natürlich sämtliche medizinische Notfälle auftreten, die Sie von Patienten ohne Tumorerkrankung her kennen. Alle drei Quellen solcher Notfälle sollten bei der Beurteilung onkologischer Patienten berücksichtigt werden, bevor eine Notfalltherapie eingeleitet wird. Im Folgenden werden die wichtigsten onkologischen Notfälle kurz besprochen. Gewisse dieser Notfallsituationen sind Onkologie-spezifisch. Andere, darunter insbesondere pneumologische und gastroenterologische Notfälle unterscheiden sich bei Tumorpatienten kaum von anderen Patienten und werden deshalb nur kurz angesprochen. Hingegen ist das Fieber in Neutropenie eine der häufigsten Komplikationen nach Chemotherapien. Dabei handelt es sich um einen Onkologie-typischen Notfall und wegen der Häufigkeit wird Fieber in Neutropenie genauer behandelt.

Hyperleukozytose und Leukostase

  • Definition „Hyperleukozytose“: leukämiebedingte, ausgeprägte Leukozytose mit Leukozytenwerten > 100.000/μL
  • Definition „Leukostase“: Notfallsituation mit verminderter Gewebeperfusion durch extrem erhöhten Leukozyten-Anteil im Blut und daraus resultierender Hyperviskosität, also herabgesetztes Fliessvermögen des Blutes, v.a. bei akuter myeloischer Leukämie (AML), chron. myeloischer Leukämie (CML) und akuter lymphatischer Leukämie (ALL)
  • Inzidenz: 10 – 20 % bei neudiagnostizierter AML, 10 – 30 % bei neudiagnostizierter ALL
  • Frühmortalität bei symptomatischer Hyperleukozytose: 20 – 40 %
  • präsentiert sich v.a. durch neurol. Symptome wie Cephalgien, akute Visusänderung, Parästhesien, Schwindelgefühl, Tinnitus, Verwirrtheit & Vigilanzminderung (ca. 40 %) oder resp. Symptome wie Dyspnoe, Zyanose, Oxygenierungsstörung & interstitielle/alveoläre Infiltrate (ca. 30 %) sowie bei ca. 80 % Fieber, aber auch Myokardischämien möglich
  • seltene Symptome: Rechtsherzbelastungs-/ACS-Zeichen im EKG, Nierenfunktion↓, Priapismus, akute Extremitätenischämien  oder Mesenterialinfarkt
  • Therapie: empirische antiinfektive Therapie, Hyperhydratation, zytoreduktive Maßnahmen (Chemotherapie, Plasmapherese & Leukapherese) sowie strenge Transfusionsindikation

Tumorlysesyndrom

  • Definition „Tumorlysesyndrom“: Notfallsituation mit metabolischer Entgleisung durch Freisetzung großer Mengen an Kalium, Phosphat sowie Nukleinsäuren im Systemkreislauf im Rahmen massiven Tumorzellzerfalls, bedingt durch Chemotherapie
  • Abbau freier Nukleinsäuren zu Harnsäure –> Hyperurikämie –> Ausfällung von Harnsäure im Tubulussystem der Niere –> Uratnephropathie (Ablagerung von Harnsäure in den Nieren) –> Nierenversagen (auch durch Ablagerung von Kalzium-Phosphatverbindungen in den renalen Tubuli)
  • entsteht spontan, aber auch nach Einleitung einer zytotoxischen Chemotherapie (v.a. bei hoch aggressiven lymphoproliferativen Erkrankungen wie aggressiven Lymphomen), raschem Tumorwachstum, großer Tumormasse oder Sensitivität ggü. zytotox. Chemotherapie
  • laborchemisch erhöhte Harnsäure, Kalium- , Phosphat- & LDH-Werte sowie sekundär erniedrigte Kalziumwerte
  • Symptomatik: metab. Azidose bei Uratnephropathie/akutem Nierenversagen oder akute Niereninsuffizienz mit zerebralen oder Muskelkrämpfen und lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen durch ausgeprägte Elektrolytstörung, Übelkeit, Anurie bis Oligurie, Müdigkeit sowie Bauchschmerzen
  • Therapie: augedehnte Flüssigkeitstherapie i.v. (2 – 3 L/m2 Flüssigkeit i.v./d) mit Ziel-Urinausscheidung von 80 – 100 mL/m2/d, 20 – 100 mg Furosemid i.v. für forcierte Diurese & Senkung des Kaliumspiegels, Bikarbonat zur Harnalkalisierung, Allopurinol oder Rasburicase zur Reduktion der Harnsäurebildung sowie Dialyse bei Niereninsuffizienz oder ausgeprägten Elektrolytstörungen

Hyperkalzämie

  • Definition „tumorbedingte Hyperkalzämie“: Serum-Kalziumwert von 2,6 mmol/L
  • v.a. bei Mamma-, Bronchial-/Lungen-, Nierenzellkarzinom sowie beim multiplen Myelom (in ca. 25 – 30 % der Fälle)
  • entsteht in ca. 75 % der Fälle durch Überproduktion von PTHrP (Parathormon-related Peptid) und seltener durch ossäre Metastasen (Osteoklastenaktivierung)
  • Symptomatik: Desorientiertheit/Verwirrung, Somnolenz, Adynamie, ängstlich depressiver Zustand, Muskelschwäche, Durstgefühl, Appetitverlust, Übelkeit, Erbrechen & Obstipationen sowie Polyurie und Polydipsie (seltener peptische Ulzera, akute Pankreatitis und ggf. EKG-Veränderungen wie STEMI-Mimic, verkürztes QT-Intervall, AV-Block & Ventrikeldysfunktion)
  • Therapie: kausale Tumortherapie, balancierte Volumensubstitution (200 – 500 mL/h), 20 – 80 mg Furosemid i.v. zur Kalziumausscheidung, Bisphosphonate & forcierte Diurese bei Kalziumwerten von 3 – 4,5 mmol/L, Gabe von Aminobisphosphonaten (60 – 90 mg Pamidronsäure i.v. als Infusion mit 0,5 – 1 mg/min, 4 mg Zoledronat i.v. über 15 min oder 2 – 6 mg Ibandronat i.v. über 1 h), Glukokortikoide oder Calcitonin sowie Dialyse bei Kalziumwerten > 4,5 mmol/L und an- oder oligurischem Nierenversagen

Vena-cava-superior-Syndrom & obere Einflussstauung

  • Definition „VCS-Syndrom“: partielle oder vollständige Einengung des Blutflusses durch die obere Hohlvene zum rechten Vorhof
  • 90 % bedingt durch malignen Tumor (> 80 % durch Lungenkrebs, 2 – 4 % durch Non-Hodgkin-Lymphom)
  • Ursachen für VCS: äußere Kompression, direktes Einwachsen des Tumors oder Thrombose
  • Folge ist starker venöser Rückstau an Kopf, Nacken und den oberen Extremitäten
  • i.d.R. progressive Entwicklung über mehrere Wochen (deshalb oft keine akute Lebensgefahr)
  • oft bildet sich Kollateralkreislauf (V. azygos, V. mammaria interna, lateral-thorakale, paraspinale oder ösophagealen Venen)
  • schnellere Entwicklung je akuter der Venenverschluss und damit ein fehlender Kollateralkreislauf, v.a. bei zusätzlicher Thrombose (in 30 – 50 % der Fälle)
  • nur selten nichtonkologische Ursachen wie Infektionen bei fibrosierender Mediastinitis
  • Symptomatik: Dyspnoe durch Larynx-, Tracheal-, Gesichts- o. Nackenödem, Husten, Heiserkeit, Dysphagie, Druckgefühl im Kopf, Kopfschmerzen, Schwindel, verstopfte Nase, Epistaxis, Hämoptyse und Synkopen sowie ödematöse Konjunktivitiden, Papillenödeme, gestaute Nacken-/Thoraxwandvenen, Armödeme, Stridor, Zyanose und neuropsychische Veränderungen (Verschlimmerung beim nach vorne Beugen o. Hinlegen)
  • Therapie: präklinisch rein symptomatisch mit O2-Gabe (+ ggf. Morphin i.v./s.c.), Diuretika & Oberkörper-Hochlagerung; weitere Therapie besteht aus CT-/MRT-Diagnostik, nachfolgend meist ursachenspezifische Behandlung in Form von Mediastinumbestrahlung oder Chemotherapie, Perikardiozentese mit Pigtail-Einlage bei Perikardtamponade (nachfolgend Zytostatika-Gabe über Pigtail-Katheter) sowie Vena-cava-Stent-Einlage und Gabe von Heparin oder niedrig dosierte Vitamin K-Antagonisten

Hirndruckerhöhung

  • Hirndruckerhöhung z.B. durch Metastasen oder Hirntumoren (z.B. Astrozytom, Glioblastom) im Gehirn selbst, meist mit Ödembildung darum
  • Symptome: Kopfschmerzen, Übelkeit & Erbrechen, Schwindel, Merk-, Seh-, Hör- oder Sprachstörungen, Bradykardie, Atem- & Bewusstseinsstörungen von Somnolenz bis Koma, Krampfanfälle, Wesensveränderungen bei Frontalhirnbefall und Gleichgewichts und Koordinationsstörungen bei Kleinhirnbefall sowie Einklemmungszeichen
  • Therapie: CT/MRT zur Unterscheidung zw. Blutung & Raumforderung, O2-Gabe (+ ggf. Morphin i.v./s.c.), Oberkörperhochlagerung, Steuerung von RR und BZ im Normbereich, Gabe von Mannitol, Diuretika & hochdosierten Glukokortikosteroide wie Dexamethason sowie Dekompressionskraniotomie als Ultima ratio

Rückenmarkskompression

  • Definition „Rückenmarkkompression“ (Myelonkompression): Beeinträchtigung oder Unterbrechung der spinalen Nervenleitung mit konsekutiver Querschnittläsion/-lähmung
  • bei ca. 5% aller Tumorpatienten mit medianen Überleben von 2 – 6 Monaten
  • Ursachen: tumorbedingte Einbrüche der knöchernen Wirbelsäulenstrukturen oder direkter Druck durch Tumor im Spinalkanal/Rückenmark
  • Symptomatik: initial Rückenschmerzen (Zunahme in Rückenlage & bei Bewegung), Sensibilitätsverlust und Schwäche
  • beim Cauda-Equina-Syndrom neurologische Ausfallsstörungen wie Reithosenanästhesie, Stuhl- & Harninkontinenz und Impotenz sowie therapierefraktäre Schmerzen und motorischen & sensorischen Ausfällen
  • Therapie: Gabe hochdosierter Glukokortikosteroide, chirurgische Resektion betroffener Wirbelkörper und/oder von Tumoranteilen im Spinalkanal mit nachfolgender Radiotherapie sowie alternativ Chemotherapie bei chemosensiblen Tumoren wie z.B. Lymphomen

febrile Neutropenie

  • Definition „febrile Neutropenie“: Fieber mit > 38,3 °C oder > 38,0°C über 1 – 2 h und absolute Neutrophilenzahl < 1500/µL (Neutropenie) oder < 500/µL (schwere Neutropenie)
  • eine der häufigsten und schwersten Nebenwirkungen der Chemotherapie (bis zu 40 % mit soliden Tumoren und bis zu 80 % bei hämatologischen Erkrankungen)
  • Symptome: klinische Infektionszeichen wie Fieber (s.o.), Eiterbildung etc.
  • Therapie: empirisch kalkulierte, antiinfektive Breitband-Kombinationstherapie (innerhalb < 1 h; z.B. Monotherapie mit 2- bis 3-mal 2 g/d Cefepim i.v. oder bei gastrointestinalem Fokus 3-mal 4,5 g/d Piperacillin/Tazobactam i.v.), Rehydratation i.v., O2-Gabe (+ ggf. Morphin i.v./s.c.), ggf. Gabe von Granulozyten stimulierender Wachtumsfaktor (G-CSF) bei schwerer Infektion oder längerer Neutropenie

Blutungen

  • Tumore eher selten selbst Quelle einer Blutung, Blutungen aber durch Einwachsen in Gefässe (tumorbedingte Gefässarrosion) oder durch Einblutungen in Tumore oder Metastasen möglich
  • Begünstigung durch Chemotherapie-induzierte Thrombopenie, welche Blutungsneigung steigert
  • Therapie: gleich wie bei gesunden Patient*innen mit akuter Blutung, ggf. Nutzung von Adrenalin oder TXA topisch

Gerinnungsstörungen & Disseminierte intravasale Koagulation (DIC)

  • Definition „disseminierte intravasale Koagulation (DIC, Verbrauchskoagulopathie)“: zu hoher Verbrauch von Gerinnungsfaktoren durch übermässig stark ablaufende Blutgerinnung im Blutgefässsystem mit daraus resultierender erhöhter Blutungsneigung
  • Ausschüttung tumorbedingte proinflammatorische Zytokine –> Thrombinerhöhung –> Unterdrückung physiologischer Antikoagulation & ungenügende Fibrinolyse –> Bildung von Mikrothromben im Bereich von Blutkapillaren, kleinen Venen und Arterien –> Gefäßembolien, v.a. in Lunge, Nieren, Nebennieren, Leber & Herz
  • Symptomatik: rasche Zustandsverschlechterung mit typische Einblutungen am ganzen Körper und schwerwiegenden Organfunktionsstörungen wie Nierenversagen mit Anurie sowie Dyspnoe bei akuter Form; bei Tumorerkrankungen i.d.R. eher chronische Form über Wochen und Monate ohne Blutungen, aber mit Gerinnselbildung und dazu passenden Symptomen (z.B. Darmvenenthrombose, Beinvenenthrombose, Lungenembolie etc.)
  • Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, balancierte Flüssigkeitstherapie, O2-Gabe und Atemhilfe, Dialyse bei Nierenversagen sowie Heparin und Ersatz der verbrauchten Gerinnungsfaktoren zur Verbesserung der Blutverdünnung

Syndrom der inadäquaten Sekretion von antidiuretischem Hormon (SIADH)

  • Ursache: Hormonstörung mit erhöhter ADH-Freisetzung, ausgeslöst durch Tumorerkrankung selbst, durch Medikamente (Chemotherapeutika, Psychopharmaka), aber auch durch Infektionen des Gehirns oder der Lunge
  • erhöhte ADH-Abgabe in den Blutkreislauf –> Wasserüberschuss im Körper –> Verdünnung der Natriumkonzentration (Hyponatriämie)
  • Symptome: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Halluzinationen, Muskelschmerzen, Krämpfe, Bewusstseinsstörung wie Verwirrung, Halluzinationen bis hin zum Koma & Tod
  • Therapie: ursächliche Behandlung der Hormonstörung, Wiederherstellung des normalen Wasser-Natrium-Verhältnis durch Beschränkung der Wasseraufnahme oder zusätzliche Gabe von Natrium (CAVE: langsam i.v., sonst Gefahr von Hirnschädigung)

Paravasate

  • Definition „Paravasat“: Austreten eines in die Vene verabreichten Medikamentes in das umgebende Gewebe
  • Unterscheidung der Chemotherapeutika (Zytostatika): nekrotisierende Zytostatika (Vesicans), gewebe-reizende Zytostatika (Irritans) oder nicht-gewebe-reizende Zytostatika (Non-Vesicans)
  • Symptomatik: unspezifische Beschwerden, ggf. auch mit zeitlich verzögertem Verlauf; Brennen, Druck- & Spannungsgefühl, Rötung, Schwellung, Blasenbildung, Schmerzen an der Punktionsstelle sowie im Verlauf Gewebeverhärtung oder Vernarbung
  • bei ZVK ist Paravasat oft schwer zu erkennen, Zeichen sind Schwellung im Bereich von Hals, Gesicht, Schulter, Dekolleté & Brust sowie Fieber, Leukozytose, Reizungen von Lungenhäuten, Herzbeutel & Brusthöhle sowie erhebliche Funktionseinschränkungen bei Schädigung von Nerven, Muskeln & Gefäßen
  • Therapie: sofortiges Stoppen der Infusion, Absaugen des Paravasat über den noch liegenden Zugang, betroffene Gebiet markieren, Extremität ruhigstellen & hochlagern sowie abhängig vom Zytostatikum Applikation von Wärme bzw. Kälte

Exkurs: Immun-Checkpoint-Inhibitoren

Was sind Immun-Checkpoint-Inhibitoren?

Grundprinzip der Immuntherapien ist, dass das Immunsystem reaktiviert wird, um gegen entartete Zellen anzukämpfen, die es zuvor geschafft haben sich vor den körpereigenen Abwehrmechanismen zu „verstecken“. Einer der Wegbereiter der Immuntherapie ist William Coley, der diese Idee schon im 19. Jahrhundert hatte und Krebspatient*innen mit Erfolg mit inaktivierten Streptococcus pyogenes- & Serratia marcescens-Extrakten zu behandeln. Spätestens seitdem 2018 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin an den US-Amerikaner James P. Allison und den Japaner Tasuku Honjo für die Entdeckung der Krebstherapie durch Hemmung der Immunregulation ging, sind die Immun-Checkpoint-Inhibitoren in aller Munde.

Um zu verstehen wie die Immun-Checkpoint-Inhibitoren arbeiten, muss man zuvor verstehen wie die Checkpointrezeptoren funktionieren. Unsere körpereigene Zellen sog. Checkpoints auf ihrer Oberfläche haben, die dafür sorgen, dass unser Immunsystem die eigenen Zellen nicht angreift. Und hier kommt es zum eigentlichen Problem, denn auch Krebszellen sind körpereigene, aber entartete, Zellen, die Checkpoints besitzen und so vom Immunsystem nicht angegriffen werden. Kurz gesagt verhindern die Checkpoints die Hyperaktivierung der Immunreaktion im Rahmen der T‑Zell-Aktivierung und damit die Zerstörung der Krebszellen. Die Checkpoint-Inhibitoren (monoklonale Antikörper) blockieren die Checkpoint/Checkpoint-Rezeptoren und damit wird die Zerstörung der Krebszellen möglich. Zu den wichtigsten Rezeptoren gehören die Rezeptoren CTLA-4 (Ipilimumab), PD-1 (Nivolumab) oder PD-L1 (Pembrolizumab) mit folgenden Wirkungen und Nebenwirkungen:

  • CTLA-4: Aktivierung von T-Zellen in lymphatischen Geweben (Unterstützung der Immunantwort in der Frühphase)
  • PD1: Unterbrechung immunsuppressiver Mechanismen im Tumormikromilieu und damit bessere Effektorantwort im Tumorgewebe
  • PD-L1: Unterbrechung immunsuppressiver Mechanismen im Tumormikromilieu und damit bessere Effektorantwort im Tumorgewebe

Zusätzlich sind weitere Immun-Checkpoint-Inhibitoren in der Erforschung, unter anderem gegen CCR4, TIM-3, LAG3 und TGF-β.

Nebenwirkungen durch Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICPi)

Bei der Behandlung mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren, v.a. bei Ipilimumab, kommt es in 95 % der Fälle zu folgenden typischen Nebenwirkungen bzw. „immune-related adverse events“ (IREA):

  • Hautreaktion
  • Kolitis/Diarrhoe
  • Hepatitis
  • Pneumonitis
  • Endokrinopathien
  • renale Ereignisse (Nierenversagen)
  • rheumatologische Ereignisse (Arthalgien, Myositis)
  • neurologische Ereignisse (Guillain-Barré-Syndrom)
  • kardinale Ereignisse (Myokarditis)

Betrachtet man die Verteilung der Nebenwirkungen, so ergibt sich folgendes Bild:

  • CTLA-4: Leberwertveränderungen (35 %), Nebenniereninsuffizienz (24 %), Durchfall (24 %), außerdem makulopapulöse Exantheme (18 %), Hypothyreose/Hyperthyreose (18 %), Kolitis (12 %), Bilirubinanstieg (12 %), Lipaseanstieg (12 %) und Pruritus (12 %) beschrieben.
  • PD1: Fatigue (ca. 30  %), Hautausschläge und Pruritus (bis zu 30  %), Diarrhöen/Kolitis (20  %), Funktionsstörungen der Schilddrüse (15  %), Arthralgien (> 10  %), Anämie (3 %), Pneumonitis (3 %), Hepatitis (3 – 6 %), Fieber (ca. 7 %), Nebenniereninsuffizienz (ca. 2,5 %) und Hypophysitis (1 – 2 %)
  • PD-L1: Hautreaktionen (Rush; 12 – 34 %), Funktionsstörungen der Schilddrüse (9,5 – 23 %), Pneumonitis (4 %), Hepatitis (2 – 6 %), Kolitis/Diarrhoe (1 – 8 %) und Nebenniereninsuffizienz (< 1 %)

Die Einteilung der Nebenwirkungen durch Immun-Checkpoint-Inhibitoren erfolgt anhand der Common Terminology Criteria for Adverse Events Skala (CTCAE v5.0):

  • Grad 1: milde Nebenwirkungen, asymptomatisch oder milde Symptome, Befunde aufgrund klinischer Untersuchung oder Diagnostik (z. B. Labor oder Bildgebung); kein Therapiebedarf
  • Grad 2: moderate Nebenwirkungen; minimale, lokale oder nichtinvasive Intervention indiziert, Nebenwirkungen begrenzen die altersgemäßen Aktivitäten des täglichen Lebens (Einkaufen, Nutzung des Telefons, Geldgeschäfte)
  • Grad 3: schwere oder medizinisch relevante, aber nicht unmittelbar lebensbedrohende Nebenwirkungen, Hospitalisierung oder Verlängerung eines Krankhausaufenthaltes notwendig, körperlich belastend („disabling“), Nebenwirkungen begrenzen die tägliche Selbstfürsorge (Nahrungsaufnahme, Toilette, Anziehen, Körperpflege, nicht bettlägerig)
  • Grad 4: lebensbedrohliche Konsequenzen, dringende Behandlungsnotwendigkeit
  • Grad 5: Tod mit Bezug zum unerwünschten Ereignis

Wie schon erwähnt treten IRAE vor allem bei Ipilimumab auf und zwar mit zunehmender Frequenz und Ausprägung bei steigender Ipilimumab-Dosierung. Bei Ipilimumab kam es in bis zu 72 % der Fälle zu leichten Nebenwirkungen (CTCAE Grad 1 – 2) und in 24 % der Fälle zu schweren Nebenwirkungen (CTCAE Grad 3 – 4). Die Letalitätsrate, also CTCAE Grad 5, schlägt mit < 1 % zu Buche. Im Vergleich hierzu treten bei Nivolumab und Pembrolizumab schwere Nebenwirkungen nur in 5 – 10 % der Fälle auf.

Zur Standardtherapie bei IREA bei Immun-Checkpoint-Inhibitoren zählt in erster Linie die hochdosierte Kortikosteroid-Therapie i.v. zur Unterdrückung der Immunantwort (nachfolgend langsames Ausschleichen über 28 Tage) und ggf. das Pausieren oder Absetzen der Immun-Checkpoint-Inhibitoren sowie die symptomorientierte Therapie in abhängig der jeweiligen Nebenwirkungen. Falls das Ansprechen auf die Kortikosteroide ausbleibt, ist ggf. eine ergänzende Immunsuppressiva-Therapie (z.B. mit Mycophenolat-Mofetil, Azathioprin) oder die Gabe von primär antiinflammatorisch wirksame Substanzen wie z.B. Infliximab empfohlen. Entsprechen der CTCAE-Klassifikation ergibt so folgendes Therapieschema:

  • Grad 1: engmaschige Kontrollen, Ausschluss von Infektionnen, supportive Therapie, Fortsetzen der ICPi-Therapie und ggf. Paracetamol und Antihistaminikum als Prämedikation erwägen
  • Grad 2: wie Grad 1, aber Therapiepause bis Nebenwirkungen auf Grad 1 zurückgegangen sind; ggf. niedrig dosiert Steroide (z. B. Methylprednisolon 0,5 – 1 mg/kgKG p.o.)
  • Grad 3: Steroide i.v. (z. B. Methylprednisolon 1 – 2 mg/kgKG i.v.); Therapiepause mit jeweiligem Immun-Checkpoint-Inhibitor, sofern nach < 48 h keine Besserung ggf. andere Immunsuppresion sowie weitere organspezifische Diagnostik & Therapie
  • Grad 4: wie Grad 3, aber dauerhafte Therapiebeendigung mit jeweiligem Immun-Checkpoint-Inhibitor

Zusätzlich sind ggf. weitere intensivmedizinische Maßnahmen wie O2-Gabe etc., so wie bei Patient*innen mit Medikamentennebenwirkungen ohne IREA. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass schwere Nebenwirkungen nach ICPi-Therapie i.d.R. gut reversibel sind und daher eine relativ niedrige ITS-Mortalität von 17 – 28  % haben. Hinsichtlich der Abwägung des Fortsetzens der ICPi-Therapie kann man konstatieren, dass laut Daten aus Frankreich bei Patient*innen mit IRAE-Grad 2-Reaktion und initialer Beendigung der ICPi-Therapie bei Wiederaufnahme der Therapie in 60 % der Fälle keine erneuten IRAE auftraten. In Abhängigkeit der jeweiligen Nebenwirkungen eignet sich das folgende Dosierungsschema von Buchtele et al. für die spezifische Steroidtherapie:

OrgansystemDiagnoseGrad III
Haut (> 25 %)Dermatitis1 mg/kgKG Prednisolon p.o.
HautBullöse Dermatose1 – 2 mg/kgKG Methyprednisolon i.v.
GastrointestinaltraktKolitis (ca. 20 %)1 – 2 mg/kgKG Methyprednisolon p.o.
GastrointestinaltraktHepatitis (ca. 20 %)1 – 2 mg/kgKG Methyprednisolon i.v.
LungePneumonitis (ca. 3 %)1 – 2 mg/kgKG Methyprednisolon i.v.
Endokrine OrganeNebenniereninsuffizienzStressdosis Steroide: 50 – 100  mg Hydrokortison alle 6 – 8 h
Endokrine OrganeHypophysitisStressdosis Steroide: 50 – 100 mg Hydrokortison alle 6 – 8 h
MuskuloskelettalArthritis0,5 – 1 mg/kgKG Prednisolon p.o.
MuskuloskelettalMyositis1 mg/kgKG Prednisolon p.o oder 1 – 2 mg/kgKG Methyprednisolon i.v.
MuskuloskelettalPolymyalgie40 mg Prednisolon p.o.
ZNSMyasthenia gravis0,5 mg/kgKG Prednisolon
ZNSGuillain-Barré-Syndrom und periphere Neuropathie2–4 mg/kgKG Methyprednisolon i.v.
HerzMyokarditis und Perikarditis1–2 mg/kgKG Prednisolon p.o. oder i.v.
Quelle: Buchtele, N., Knaus, H. & Schellongowski, P. Nebenwirkungen nach Immuncheckpointinhibitortherapie. Med Klin Intensivmed Notfmed (2023). https://doi.org/10.1007/s00063-023-01057-0

Quellen

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