veröffentlichende Fachgesellschaft: Wilderness Medical Society
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 30.04.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1016/j.wem.2023.02.006
Kälte-Nässe-Schäden von Händen/Füßen
- Kälte-Nässe-Schaden der Hände oder Füße, also nicht-frostbedingte Kälteverletzungen (nonfreezing cold injury, NFCI; Immersionsfuß) treten auf, nachdem die Extremitäten über längere Zeit kalten, oft nassen Bedingungen mit Wassertemperaturen <15°C ausgesetzt waren
- am häufigsten betroffen sind die Füße, es können aber alle peripheren Körperteile, v.a. Beine und Hände, betroffen sein
- andere, eher ältere Bezeichnungen wie „Schützengrabenfuß“ beschreiben ein ähnliches Phänomen, welches vor allem bei Soldat*innen im 2. Weltkrieg auftraten und eher durch Kompression der Füße/Beine und nicht durch Feuchtigkeit hervorgerufen wurden
Gradeinteilung der Kälte-Nässe-Schäden von Händen/Füßen
- Grad 1 (während Kälteexposition)
- Verlust der Empfindung mit Taubheitsgefühl (Füße fühlen sich wie „Holzklötze“ an)
- betroffenen Extremitäten i.d.R. schmerzfrei
- initial ggf. Rotfärbung, im Verlauf blass oder weiß
- verminderte periphere Pulse als spätes Zeichen
- Grad 2 (nach Kälteexposition)
- Auftreten nach Verbringen in warme Umgebung
- Stadium dauert i.d.R. einige Stunden, kann aber auch mehrere Tage andauern
- Extremitäten verfärben sich aufgrund des leicht erhöhten Blutflusses blassblau
- peripheren Pulse sind anfangs vermindert, später aber wieder kräftig (Rekap noch verzögert)
- ggf. Anschwellung der betroffenen Extremitäten
- Extremitäten bleiben kalt und gefühllos
- Grad 3 (Hyperämie)
- Stadium beginnt i.d.R. abrupt und dauert Tage bis Wochen (in schweren Fällen bis zu 6 – 10 Wochen)
- gekennzeichnet durch hellrote, ödematöse Extremitäten mit Druckpuls und verzögerter Rekap-Zeit
- betroffenen Extremitäten sind extrem schmerzhaft (hyperalgestisch), i.d.R. einige distale Bereiche weiter gefühllos
- i.d.R. keine Gewebeschäden (in von Druck betroffenen Bereichen ggf. Blasenbildung oder Verfärbung)
- Grad 4 (nach Hyperämie)
- Stadium kann einige Wochen bis zu Jahren andauern (in schweren Fällen dauerhaft)
- sofern kein Gewebeverlust, erscheinen betroffene Extremitäten normal
- häufig erhöhte Empfindlichkeit ggü. Kälteeinwirkung
- oft chronische Schmerzen, die sich bei Kälteexposition oft noch verstärken
- oftmals Hyperhidrose als Folgeerscheinung bei schweren Fällen
- ggf. Amputation notwendig, wenn Bereiche offen nekrotisch werden
- Erfrierungsverletzung ist kein progressiver Zustand (schlimmste Symptome treten i.d.R. in den ersten Tagen auf)
Differentialdiagnosen
- bei Asymptomatik mit normalem körperlichen Befund ohne anhaltende neurologische Defizite nach Wiedererwärmung besteht keine NFCI
- wenn neurologische Defizite mehr als eine Woche nach Kälteexposition anhalten und andere Ursachen für eine periphere Neuropathie ausgeschlossen sind, ist NFCI sehr wahrscheinlich
- Erfrierungen treten im Gegensatz zu NFCI nur bei Lufttemperaturen weit unter dem Gefrierpunkt auf und nicht in kaltem Wasser (Erfrierungen erscheinen blassblau, gelb oder weiß und gefrorenes, nicht aufgetautes Gewebe ist fest oder hart und sieht wachsartig aus
- Druckverletzungen können in Verbindung mit einer NFCI auftreten, v.a. bei enger Kleidung und Schuhen (ggf. auch Ischämie mit lokalem Gewebeverlust, also Gangrän; in schweren Fällen auch Kompartmentsyndrom mit distalem Gewebeverlust; CAVE: Gewebsnekrose nach Exposition ggü. Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt i.d.R. durch Erfrierungen verursacht)
- Infektionen zeigen sich meist durch Rötung und Schwellung der Haut mit anschließender Nekrose (Infektionen betreffen selten nur distale Teile der Extremitäten)
- Raynaud-Phänomen (schwere Gefäßverengung als Reaktion auf Kälte) ist i.d.R. beidseitig und die Weißfärbung erfolgt rasch und ist gut abgrenzbar
- CAVE: Erfrierungen, Drucknekrosen, Infektionen und Raynaud-Phänomen können alle in Verbindung mit NFCI auftreten
Empfehlungen
- weitere Auskühlung vermeiden
- eine auf eine NFCI zurückzuführende Symptomverschlimmerung nach den ersten 2 – 3 d nach Verletzung sollte Anlass sein, auch nach anderen Ursachen zu suchen
- Patient*innen mit geschwollenen Füßen nicht gehen lassen (wenn Gehen notwendig nur mit Polsterung der betroffenen Extremitäten
- Begleiterkrankungen, inkl. Unterkühlung und Erfrierungen, vor NFCI behandeln
- Extremitäten mit NFCI passiv bei Raumtemperatur im Rahmen von Bettruhe, Hochlagerung und Lufttrocknung aufwärmen (CAVE: Schutz vor Ab-/Einschnürungen)
- keine Wiedererwärmung mit warmem Wasser, Heizkissen o.Ä.
- bei Bedarf Analgetika-Gabe (wenn NSAR und Opioide frustran, Gabe von Amitriptylin oder nachfolgend mit Gabapentin)
- Tetanusprophylaxe, falls indiziert
- keine Empfehlung für Iloprost-Gabe
- Antibiotika-Gabe nur bei Anzeichen einer Infektion (CAVE: isoliertes leichtes Fieber mit 38 – 38,5 °C in den ersten 12 – 36 h ist normal und keine Indikation zur Antibiotika-Gabe)
- betroffene Extremitäten offen halten oder leicht mit losen Verbänden bedecken
- bei V.a. Gewebenekrosen chirurgisches Konzil anfordern
- Röntgen-Diagnostik der betroffenen Extremitäten bei (V.a.) Trauma
Verletzungen durch Eintauchen in warmes Wasser (Warm water Immersion Foot; WWIF)
- Verletzung durch längere Exposition in warmem Wasser, eingeteilt in
- „Warmwasser-Tauchfuß“
- entsteht, wenn Füße < 3 d warmen Wasser (15 – 32 °C) ausgesetzt sind
- gekennzeichnet durch weiße, faltige, schmerzhaft, leicht geschwollene Fußsohlen
- Belastung verursacht Schmerzen und Parästhesien der Füße mit Kribbeln und „Gefühl, auf einem Seil zu laufen“
- verschwindet innerhalb von 1 – 3 d nach Trocknung und Hochlagerung wieder
- Phänomen verursacht keine Folgeerkrankungen
- „tropischer Immersionsfuß“
- schwerer hinsichtlich der Symptomatik als „Warmwasser-Tauchfuß“
- entsteht bei einer Exposition ggü. warmem Wasser (22 – 32 °C) für > 3 d
- initial brennende Schmerzen (meist Fußrücken; zunehmende Schmerzen beim Gehen)
- Haut anfangs kühl, aber innerhalb von 12 h wieder warm
- Plantarflächen sind hyperhydriert und faltig
- gekennzeichnet durch symmetrischen Rötungen, Schwellungen und Empfindlichkeit der Haut an den Knöcheln und der Fußrücken
- Füße normalerweise stark geschwollen, leuchtend rot und narbige Ödeme
- in schweren Fällen Fieber und inguinale Lymphadenopathie ohne Lymphangitis
- zusätzlich Abschürfungen durch nasse Socken und Geschwüre an Füßen oder Knöcheln
- Genesung erfolgt ebenfalls nach Trocknung und Hochlagerung (Dauer: ca. 4 – 12 d)
- Abklingen von Fieber, Adenopathie, Schmerzen und Empfindlichkeit innerhalb von 2 – 3 d
- Rückbildung der Ödeme innerhalb von 4 – 7 d
- final Abschuppung der Haut mit anschließender Normalisierung ohne schwere Folgen
- Phänomen verursacht keine Folgeerkrankungen
- „Warmwasser-Tauchfuß“
- differentialdiagnostisch sind NFCI & Erfrierungen sowie Drucknekrosen, Geschwüre, Erytheme durch Weichteilinfektionen sowie bakterielle Infektionen (inkl. Streptokokken und Pilze) zu berücksichtigen
Therapie
- Abtrocknen der Füße sowie trocken halten für 2 – 3 d und Hochlagerung der Extremität
- Tetanusprophylaxe, falls indiziert
- Analgesie (ggf. auch Amitryptilin oder Gabapentin erwägen)
- keine prophylaktischen Antibiotika/Antimykotika-Gabe
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