veröffentlichende Fachgesellschaft: European Association for Palliative Care
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 31.01.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1177/02692163231220225
Grundsätzliches
- trotz umfassender Palliativversorgung haben einige Patient*innen mit lebensbegrenzenden Krankheiten am Lebensende schwere körperliche, psychische oder existenzielle Leiden, bei denen herkömmliche Behandlungsmöglichkeiten versagen
- palliative Sedierung geht in 10 – 18 % der Todesfälle von Palliativpatient*innen dem Tod voraus
- Ziel der palliativen Sedierung: therapieresistente Leiden durch den kontrollierten und verhältnismäßigen Einsatz von Medikamenten zu lindern, die zusätzlich das Bewusstsein der Patient*innen herabsetzt (CAVE: Ziel ist nicht die Verkürzung des Lebens)
- Symptome oder Zustand gelten/gilt als therapierefraktär, wenn es keine Maßnahmen gibt, die innerhalb eines akzeptablen Zeitraums und ohne unannehmbare Nebenwirkungen eine angemessene Linderung herbeiführen können
Empfehlungen
- Indikation der palliativen Sedierung
- Behandlung therapierefraktärer Leiden
- in Notfallsituationen, wenn Tod unmittelbar bevorsteht
- bei Entwöhnung von lebenserhaltenden Maßnahmen am Lebensende, wenn das Auftreten therapierefraktärer Leiden vorhersehbar ist
- als vorübergehende Atempause, wenn andere Maßnahmen keine ausreichende Linderung in einem akzeptablen Zeitrahmen erreichen
- sorgfältige Abwägung der palliativen Sedierung wegen des wahrscheinlichen Verlusts der Interaktionsfähigkeit/-möglichkeiten der Patient*innen und weiterer möglicher Risiken
- kein unüberlegter, unzureichender oder unüberlegt zurückhaltender Einsatz der palliativen Sedierung
- sofern möglich, potenzielle Rolle der palliativen Sedierung bei Versorgung am Lebensende und die Notfallplanung im Vorfeld erörtern (in Notfallsituationen i.d.R. nicht ausreichend möglich)
- wenn Notfallsituationen wie massiven Blutungen o.Ä. möglich, im Vorfeld Notfallpläne für Umgang mit diesen Ereignissen mit den Patient*innen, Bezugspersonen/gesetzlichen Vertreter*innen und beteiligten professionellen Pflegekräften besprechen
- Dokumentation der Notfallpläne und Sicherung zusammen mit der Patientenverfügung, damit beides leicht zugänglich ist
- falls möglich sollte palliativmedizinische Behandlung interdisziplinär und multiprofessionell erfolgen
- bei Unklarheiten/Unsicherheiten bei der Patient*innenbeurteilung, v.a. bzgl. der Ausschöpfung aller möglichen Optionen zur Linderung des Leidens, hinzuziehen von Palliativversorgungsteam o.Ä.
- Einstufung psychischer Symptomen sollte nur nach umfassender Beurteilung durch palliativmedizinische Fachkraft unter Berücksichtigung der psychologischen, sozialen und spirituellen Komponenten des Leidens erfolgen
- wann immer möglich Patient*innen und Bezugspersonen (CAVE: Zustimmung der Betroffenen vorher einholen) in Entscheidungsprozesse mit einbeziehen
- Ansätze, Entscheidungsprozesse, Ziele und geplante Dauer der palliativen Sedierung in einem leicht zugänglichen Dokument nachträglich dokumentieren, unabhängig von der jeweiligen Betreuungseinrichtung
- abgesehen von unvorhergesehenen Notfallsituationen sollten Ziele, Methoden, Vorteile und Risiken der vorgeschlagenen palliativen Sedierung mit entscheidungsfähigen Patient*innen besprochen/aufgeklärt werden und es sollte die Einwilligung eingeholt werden (Gespräch dem Zustand der Patient*innen anpassen)
- sofern keine Patientenverfügung/Vorsorgeplanung vorliegt, zuvor geäußerte Präferenzen der Patient*innen berücksichtigen und/oder mutmaßliche Behandlungspräferenzen bei gesetzlichen Vertreter*innen und/oder wichtigen Bezugspersonen erfragt werden
- sofern keine Patientenverfügung/Vorsorgeplanung vorliegt und keine gesetzliche Vertretung besteht, sollte die Standardstrategie darin bestehen, Komfortmaßnahmen im besten Interesse des Patienten zu ergreifen (inkl., falls erforderlich, palliativer Sedierung)
- kultursensiblen Ansatz wählen und Einfluss von Kultur, Religion und Weltanschauung berücksichtigen
- außer in Notfallsituationen am Lebensende i.d.R. zunächst Versuch einer leichten Sedierung
- intermittierende palliative Sedierung kann zu frühen Zeitpunkt im Krankheitsverlauf indiziert sein, um den Behandlungserfolg anderer Maßnahmen abzuwarten oder den Patient*innen kleine kurze „Atempause“ zu verschaffen
- bei psychischen Symptomen als Hauptindikation für palliative Sedierung sollte diese zunächst intermittierend erfolgen, mit nachfolgendem Versuch einer geplanten Herabtitrieren nach vorher vereinbartem Intervall
- tiefere palliative Sedierung in Betracht ziehen, wenn leichte Sedierung frustran war oder wenn klar ist, dass leichte Sedierung nicht rechtzeitig oder in Notfallsituation keine angemessene Linderung bringt (z. B. massive Blutungen oder Asphyxie)
- kontinuierliche tiefe Sedierung erwägen, wenn intermittierende Sedierung oder kontinuierliche leichte Sedierung nicht ausreicht, um Leiden angemessen zu lindern
- medikamentöses Eskalationsschema (siehe Medikamente)
- Schritt 1: Midazolam als gut kontrollierbares Benzodiazepin stellt First-Line-Therapie dar (alternativ Lorazepam)
- Schritt 2: niedrigpotentes Neuroleptikum in Kombination mit Benzodiazepin
- Schritt 3: Propofol (CAVE: Anwendung nur durch Anästhesist*innen oder Personen mit ausreichender Erfahrung in der Anwendung)
- keine Verwendung von Opioiden und Haloperidol zur Sedierung
- palliative Sedierung überwachen bis gewünschter Grad an Komfort/Erleichterung erreicht ist (initial Untersuchung min. alle 20 min bis angemessen Sedierung erreicht; danach min. drei tgl., am besten mit Rücksprache mit Hausarzt oder Palliativteam)
- bei wiederkehrenden oder komplexen Problemen mit palliativer Sedierung, Konsultation durch Palliativpflegeteams
- Entscheidung über künstliche Flüssigkeitszufuhr/Ernährung sollte unabhängig von Entscheidung über kontinuierliche palliative Sedierung selbst erfolgen
- Fortsetzen von weiteren pharmakologische und nicht-pharmakologischen Maßnahmen zur Symptomlinderung, wie z.B. Mundpflege, die bereits vor Beginn der palliativen Sedierung erfolgten (Ausnahme: Unwirksamkeit oder belastende Nebenwirkungen)
- Zurückhaltung bei pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Maßnahmen, die entweder nicht mit Ziel des Patientenkomforts vereinbar oder für dieses irrelevant sind
- Lebenspartnern Möglichkeit geben, bei Patient*innen zu sein und sich zu verabschieden
- nach Tod der Patient*innen Lebenspartner*innen Möglichkeit geben, sich zu verabschieden, und ggf. Geistliche, Trauerbegleitung oder PSNV/KIT hinzuziehen
Medikamente
- Schritt 1 – Midazolam
- initialer Bolus
- leichte palliative Sedierung: 2,5 mg s.c. oder 1,25 mg i.v.
- tiefe palliative Sedierung: 5 – 10 mg s.c. oder 2,5 – 5 mg i.v.
- bei Bedarf Boluswiederholung mit Hälfte der anfänglichen Bolusdosis nach 20 min s.c. oder 5 Minuten i.v.
- CAVE: nicht ungewöhnlich/untypisch, dass während der ersten Stunden 2 – 3 Boli nötig sind
- Erhaltungsdosis
- 1 mg/h s.c./i.v. und bei Bedarf anpassen (Dosierung je nach Wirkung titrieren, je nach Bedarf Dosisanpassung alle 1 – 2 h)
- bei Risikofaktoren wie Alter > 60 Jahre, Gewicht < 60 kg, schwerer Nieren- oder Leberfunktionsstörung, sehr niedrigem Serumalbumin und/oder Begleitmedikation, die die Wirkung der Sedierung verstärken könnte) Hälfte der Anfangsdosis und längeres Intervall (6 – 8 h) vor Erhöhung der Erhaltungsdosis (CAVE: bei Dosis > 10 mg/h Ergänzung oder Umstellung der Medikation erwägen)
- alternativ zu Midazolam Gabe von 1 – 3 mg Lorazepam s.c./i.v. erwägen (Erhaltungsdosis: intermittierende Boli mit 1 – 3 mg s.c./i.v. alle 2 – 4 h oder 1 – 5 mg/h s.c./i.v. als Dauerinfusion)
- initialer Bolus
- Schritt 2 – niedrigpotentes Neuroleptikum in Kombination mit Midazolam
- 12,5 – 25 mg Levomepromazin s.c./i.v. als intermittierende Boli alle 6 – 8 h oder 0,5 – 8 mg/h Levomepromazin s.c./i.v. als kontinuierliche Infusion (Dosisreduktion nach 3 d um 50 %)
- bei frustraner Wirkung Chlorpromazine als Alternative: 12,5 mg als Infusion langsam i.v. über 30 – 60 min oder 12,5 mg i.m. alle 4 – 12 h oder 3 – 5 mg/h i.v. oder 25 – 100 mg rektal alle 4 – 12 h (Erhaltungsdosis: 37,5 – 150 mg/d parenteral oder 75 – 300 mg/d rektal)
- Schritt 3 – Propofol (am besten Gabe durch Anästhesist*innen)
- initial 1 mg/kg/h Propofol i.v., dann Erhöhung um 0,5 mg/kg/h alle 30 min
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