veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 01.06.2022
Ablaufdatum: 31.05.2027
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/002-045.html
Definitionen & Allgemeines
- Kältebelastung verringert Durchblutung der Peripherie und die Wärmeabgabe an die Umgebung; bei noch größerer Abkühlung des Körpers setzt Muskelzittern ein, wodurch erhebliche Wärmeerzeugung stattfindet
- Physiologie der Wärmebelastung
- gesteigerte Durchblutung der Peripherie durch Vasodilatation –> Erleichterung der Wärmeabgabe bei erhöhten Umgebungstemperaturen –> Tachykardie
- Einsetzen Schweißbildung zur evaporativen Wärmeabgabe bei erhöhten Haut- und Körperkerntemperaturen
Symptomatik
Hyperthermie
hypertherme Krankheitsbilder
Krankheitsbild | Ursache | Symptome |
---|---|---|
Hitzekrampf | Elektrolytstörung und Wassermangel infolge übermäßigen Schwitzens bei Personen, die nicht hitzeadaptiert sind (bei hitzeadaptierten Personen kommt es zu einer Elektrolytreduktion im Schweiß) | – schmerzhafte Muskelkrämpfe in der beanspruchten Muskulatur -Körpertemperatur normal – zusätzliche Symptome deuten auf zusätzliche Hitzeschäden hin |
Sonnenstich-Insolation | entsteht durch lokale Überhitzung des Kopfes und Nackens | – Kopfschmerzen – Schwindel – Übelkeit und Erbrechen – Benommenheit – Meningismus bis hin zu Bewusstseinsstörungen – sehr selten auch Tod – Körpertemperatur meist normal |
Hitzesynkope bzw. Hitzekollaps | orthostatische Hypotonie durch hitzebedingte Erweiterung der peripheren Blutgefäße | – Bewusstlosigkeit bei evtl. vorangehendem Schwindel und Übelkeit – Körperkerntemperatur normal |
Hitzeerschöpfung | – durch massiven Flüssigkeitsverlust infolge Schwitzens entsteht ein echter Volumenmangel – bei ca. 20 % Volumenverlust Zentralisation mit manifestem Schock – Gefahr des Überganges in Hitzschlag, wenn nicht rechtzeitig erkannt und therapiert | – Schwindel – Bewusstseinsstörungen – Haut ist feucht und heiß – Bewusstseinsverlust – Körperkerntemperatur ist auch hier zunächst normal |
„Klassischer“ Hitzschlag (heat stroke) | durch extremen Wärmestau (und Dehydratation) Versagen der Thermoregulation (Unterschied zu den vorab geschilderten Krankheitsbildern) und Anstieg der Körperkerntemperatur >40 °C | – direkte zelluläre Funktionseinschränkung mit ZNS-Dysfunktion – Herzkreislaufversagen oder/und Multiorganversagen (Rhabdomyolyse, Nierenversagen, Leberversagen, ZNS –Schäden, DIC) – Temperatur > 40 °C – starke Kopfschmerzen – Tachykardie – Hypotension – Übelkeit – Desorientierung – Bewusstseinsverlust – Koma – trockene, gerötete Haut (rote Hyperpyrexie) |
anstrengungsbedingter Hitzschlag (exertional heat stroke) | Folge aktiver metabolischer Wärmeproduktion durch schwere körperliche Arbeit. (häufig betroffen Soldaten, Sportler etc.) | wie „klassischer“ Hitzschlag, ggf. feuchte, blasse Haut |
Hypothermie
Stadien der Hypothermie
Stadium | Symptome |
---|---|
Stadium 1 Körperkerntemperatur: 35 – 34 °C Abwehrstadium | – erhöhter Sympathikotonus – periphere Vasokonstriktion – Tachykardie – Tachypnoe – Hypertonie – Muskelzittern |
Stadium 2 Körperkerntemperatur: 33 – 31 °C Erschöpfungsstadium | – reduzierter Sympathikotonus – reduzierter Stoffwechsel – Bradyarrhythmie – Hypotonie – Muskelstarre – Vigilanzstörung |
Stadium 3 Körperkerntemperatur: 30 – 27 °C Lähmungsstadium (Paralyse) | – Bewusstlosigkeit – Areflexie – schwerste Bradyarrhythmie – Bradypnoe – Gefahr des Kammerflimmerns |
Stadium 4 Körperkerntemperatur: < 27 °C Scheintod (Vita minima) | – Asystolie – Apnoe – schlaffem Muskeltonus – weite, lichtstarre Pupillen – bis zu Stunden erhaltene Reanimationsfähigkeit! |
Stadium 5 Körperkerntemperatur: < 15 °C | Tod |
hypotherme Körperkerntemperaturen und klinische Schweregrade
Körperkerntemperatur* [°C] | klinischer Schweregrad der Hypothermie |
---|---|
32 – 35 °C (Stadium I) | milde Hypothermie |
28 – 32 °C (Stadium II) | moderate Hypothermie |
24 – 28 °C (Stadium III) | schwere Hypothermie |
24 – 22 °C (Stadium IV) | reversibler hypothermer Kreislaufstillstand |
< 22 °C (Stadium V) | irreversibler hypothermer Kreislaufstillstand |
Symptome in Folge einer Unterkühlung
betroffene Systeme | Symptome |
---|---|
neurologisches System | vermindertes Bewusstseinsniveau Ataxie verringertes Schmerzempfinden Amnesie initiale Hyperreflexie Anästhesie Hyporeflexie |
kardiovaskuläres System | Tachykardie Dysrythmie verminderte Herztöne jugularvenöse Distension Hypotonie |
respiratorisches System | Tachypnoe adventive Geräusche Bronchorrhagie zunehmende Hypoventilation Apnoe |
gastrointestinales System | Ileus Constipation Unterleibsdistension Magendilatation |
Urogenitalsystem | Anurie Polyurie |
psychatrische Zeichen | beeinträchtigtes Urteilsvermögen Stimmungswandel geänderter mentaler Status paradoxes Ablegen der Kleidung Neurosen Psychosen |
muskuloskeletales System | gesteigerter Muskeltonus Zittern Rigidität Kompartmentsyndrom |
dermatologische Bedingungen | Erythem Blässe Zyanose Frostbeule Sclerema Kälteurtikaria Nekrose Ödem |
Kopf, Auge, Ohr, Nase und Kehle | verminderter Lidschlussreflex warme, rötliche Haut Gesichtsödem Rhinorrhoe |
Schweregrade der lokalen Erfrierungen und deren Auswirkungen
Erfrierungen 1. Grades | Erfrierungen 2. Grades | Erfrierungen 3. Grades | Erfrierungen 4. Grades |
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epidermale Schädi gung | Schädigung der Epidermis (gesamter Querschnitt; kann auch die superfizielle Dermis betreffen) | Dermis und das subkutane Gewebe betroffen | alle Schichten der Haut, des darunter liegenden Gewebes und sogar der Knochen betroffen |
– auf exponierte Hautareale begrenzt – erfrorene Haut initial weiß oder gelblich fleckig – Haut taut schnell auf, bildet „Quaddeln“, wird rot und schmerzhaft – Beweglichkeit bleibt erhalten – Schwellung betroffener Bereiche, jedoch keine Blasenbildung – Haut löst sich 7 bis 10 Tage nach der Exposition, heilt anschließend klinisch vollständig aus – neurologische Residualsymptome können zurückbleiben | – frühe Bewegungseinschränkungen – betroffenes Areal taut rasch auf, Beweglichkeit kehrt zurück, Schmerzen – Blasenbildung mit klarer Flüssigkeit mehrere Stunden nach Auftauen – obere Schichten bleiben erhalten, kein permanenter Gewebsverlust – vollständiges Ausheilen innerhalb von 3 bis 4 Wochen – neurologische Residualsymptome können zurückbleiben | – anfangs „unauffälliges“ Gewebe, jedoch Beweglickeitsbeeinträchtigung – nach Auftauen kehrt Beweglich keit vorübergehend zurück – betroffene Haut schwillt schnell an und durch – Bildung hämorrhagischer Blasen – langsames Ablösen mit bedeutendem Hautverlust – Heilung erfolgt langsam; ggf. dauerhafte Gewebsverluste | – erfrorenes Gewebe initial unbeweglich – Auftauen stellt passive Beweglichkeit wieder her, intrinsische Muskelfunktion kehrt nicht zurück – Reperfusion nach Auftauen gering keine Blasen- und Ödembildung – frühe nekrotische Veränderungen des betroffene Areale – Vollbild der Schädigung entwickelt sich langsam; ggf. sogar Autoamputation – bedeutender, dauerhafter anatomischer und funktioneller Verlust |
Auswirkungen unterschiedlicher Hautoberflächentemperaturen
Hautoberflächentemperatur [°C] | Auswirkungen der Temperatur auf den betroffenen Bereich |
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32 – 36 °C | optimaler Temperaturbereich |
< 32 °C | Verschlechterung bei der Oberflächenwahrnehmung |
< 28 °C | Verminderung der Muskelkraft |
20 – 27 °C | Verminderung von Genauigkeit und Ausdauer |
12 – 16 °C | Verminderung der manuellen Geschicklichkeit |
< 16 °C | Schmerzen (bei Abkühlung großer Bereiche, bspw. ganze Hand) |
< 10 °C | Schmerzen (bei Abkühlung kleiner Bereiche) |
< 8 °C | Verlust der Sensitivität |
< 6 °C | Nervenblockade |
6 – 7 °C | Gefühlsverlust |
Empfehlungen
- allgemein Einteilung in drei Bereiche „Behaglichkeitsbereich“, „wärmebelasteter Arbeitsbereich“ und „kältebelasteter Arbeitsbereich“
- klimabedingte gesundheitliche Gefährdungen können insbesondere in wärme- und kältebelasteten Arbeitsbereichen auftreten, wenn
- ein thermoregulatorischer Gleichgewichtszustand nicht mehr möglich ist, der Körper also sich zu stark erwärmt oder auskühlt.
- es zu lokaler Erwärmung oder Auskühlung kommt, so dass Verbrennungen oder Erfrierungen insbesondere der Extremitäten (Finger, Zehen, Ohren …) auftreten, auch wenn die Körperkerntemperatur konstant bleibt.
- klimabedingte gesundheitliche Gefährdungen können insbesondere in wärme- und kältebelasteten Arbeitsbereichen auftreten, wenn
- Raumklima wird über vier physikalische Grundparameter Lufttemperatur,
Luftfeuchtigkeit und Luftgeschwindigkeit (sowie ggfs. Wärmestrahlung, wenn sich die umgebenden Flächen hinsichtlich ihrer mittleren Strahlungstemperatur deutlich von der Lufttemperatur unterscheiden) definiert- für Beurteilung der Klimabelastung sind zusätzlich arbeitssystembezogene Größen wie Expositionszeit, Arbeitsschwere, Bekleidungsisolation, und individuelle Eigenschaften wie Grad der Akklimatisation und Gesundheitszustand zu beachten
- Hautoberflächentemperaturen unter +32 °C gehen mit Verschlechterung der Oberflächenwahrnehmung einher
- Absinken der Hautoberflächentemperatur unter +8 °C kann zu Nervenblockaden führen, die dafür sorgen, dass die Gefahr einer bevorstehenden Erfrierung nicht mehr wahrgenommen wird
- Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei Wärmebelastung sind nicht allein durch einzelne Gestaltungsmaßnahmen zu gewährleisten, sondern erfordern übergreifende Festlegung und Durchführung von Präventionsmaßnahmen wie arbeitsmedizinische Prävention, Akklimatisation
- Tragen von Schutzbekleidung häufig mit vermehrter Muskelarbeit und in Folge mit erhöhter metabolischer Wärmebildung verbunden und damit zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und zur gesundheitlichen Gefährdung durch anstrengungsbedingte Überhitzungen bis hin zum Hitzschlag kommen; gleichzeitig Beeinträchtigung der Schweißverdunstung
- Tragezeitbegrenzung zu Prävention einer Hyperthermie, sofern Schutzbekleidung Wärmeaustausch zwischen dem/der Träger*in und Umgebung erheblich beeinträchtigt
- regelmäßiges einsatznahes Training für Einsatzkräfte in ihren Schutzanzügen, um sich auf Einschränkungen der Schutzbekleidung einzustellen
Therapie
Hyperthermie
- Hitzekrampf
- Elektrolytgabe, z.B. stark gewürzte Brühe
- Sonnenstich-Insolation
- aus der Sonne bringen
- Kühlung
- Flüssigkeitszufuhr
- Hitzesynkope bzw. Hitzekollaps
- Stabile Seitenlage
- Autotransfusion
- evtl. Volumengabe
- Hitzeerschöpfung
- NaCl und Flüssigkeitsgabe unter ärztlicher Überwachung
- „Klassischer“ Hitzschlag (heat stroke) & anstrengungsbedingter Hitzschlag (exertional heat stroke)
- sofortige Kühlung, optimal mittels Ganzkörperimmersion
- hilfsweise feuchte Tücher, Kühlpackungen
- Volumengabe
- O2-Gabe
- evtl. Beatmung
- nach erfolgreicher initialer Kühlung ra scher Transport in intensivmedizinische Betreuung
- sofortige Kühlung, optimal mittels Ganzkörperimmersion
Hypothermie
- Stadium 1
- passive Wiedererwärmung
- Lagerung auf Trage/Matten etc.
- Bewegungen vermeiden!
- Wärmeisolation durch Wolldecken, Alufolie, warme Umgebung
- Entfernen nasser Kleidung
- Gabe warmer, süßer Getränke
- Stadium 2
- aktive Wiedererwärmung
- Applikation von Wärmepackungen (z. B. Hibler Packung, immer zunächst am Körperstamm!)
- warme Infusionslösungen (nicht präklinisch!)
- zügiger Transport in die Klinik; nicht durch Maßnahmen der Aufwärmung verzögern
- Stadium 3
- bei kardialer Instabilität Transport in ein Zentrum mit ECLS-Möglichkeit
- Stadium 4
- längere Reanimation als bei normothermen Patienten („Nobody’s dead until he’s warm and dead!“)
- gesteigerte Hypoxietoleranz der Gewebe bei Hypothermie
- Stadium 5
- Tod
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