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Exkurs zu Suchtproblemen bei medizinischem Personal zum Internationalen Tag gegen Drogenmissbrauch und unerlaubten Suchtstoffverkehr

Drogenabhängigkeit im medizinischen Sektor ist leider immer noch ein großes Tabuthema und es gibt nur wenig Literatur und Zahlen zum Substanzkonsum von Ärzten, Pflegepersonal etc. Internationale Untersuchungen gehen davon aus, dass 5 – 10 % der Ärzt*innen problematischen Suchtmittelkonsum betreiben (Prävalenz 2 – 5 %; Lebenszeitprävalenz von 8 %). Genauso wie in der Normalbevölkerung ist Alkohol die am häufigsten konsumierte Substanz, gefolgt von Nikotin und Benzodiazepinen. Laut Schätzungen der Bundesärztekammer haben ca. 25.000 Mediziner*innen mindestens eine suchtkranke Episode in ihrem Leben, also fast doppelt so viel wie in der Allgemeinbevölkerung (60 % Alkohol, 23 % Medikamentenmissbrauch, 17 % illegale Drogen, 20 % gleichzeitiger Konsum mehrerer Substanzen). Andere Erhebungen gehen nur von ca. 20.000 betroffenen Mediziner*innen aus. Laut Zahlen der Hamburger Ärztekammer hatten unter den Ärzt*innen im Praktikum 23 % der Frauen und 15 % der Männer einen riskanten Medikamenten-Konsum. Des Weiteren wurde festgestellt, dass 11 % der Männer und 4 % der Frauen einen riskanten Konsum illegaler Drogen wie z.B. Cannabis, aber auch anderer Substanzen.

Betrachtet man den Bereich der Meldungen bzw. des Hilfesuchens, so stellt man fest, dass sich im Schnitt weniger als 15 % der Betroffenen freiwillig bei ihren Landesärztekammern melden und 60 – 70 % werden von Staatsanwaltschaften und Gerichten gemeldet.

Internationale Zahlen der APN aus den Vereinigten Staaten aus dem letzten Jahr zeigten, dass 1/7 Mediziner*innen in den letzten 3 Monaten wegen psychischer Krisen Alkohol oder andere Substanzen während der Arbeit konsumierten. Darüber hinaus bejahte ein Fünftel der Ärzt*innen täglich mehrfach Alkohol oder Betäubungsmittel getrunken bzw. genommen zu haben. Männer waren häufiger betroffen als Frauen. Zusätzlich wird in den USA bzgl. des Gesundheitswesens geschätzt, dass ca. 200.000 Menschen aus der Gruppe des Pflegepersonals tablettenabhängig seien.

Alkohol

Nach Schätzungen sind ca. 70 % der bekanntgewordenen Suchterkrankungen bei Ärzt*innen durch Alkohol verursacht.

Größere epidemiologische Daten gibt es im angloamerikanischen Bereich. Die American Medical Association fand 1992 in einer größeren Befragung heraus, dass 1,6 % Missbrauch von Alkohol im zurückliegenden Jahr bejahten und ca. 6 % gaben an, Alkoholmissbrauch mindestens einmal im Leben betrieben zu haben. Ähnliche Zahlen gibt es aus Kanada mit einer Prävalenz von 6 % bzgl. Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit.

Nikotin bzw. Rauchen

Zum Rauchverhalten in der Ärzt*innenschaft gibt es wenig belastbare Daten. Es gibt aber Hinweise, dass Prävalenz bei Mediziner*innen geringer ist als in der allgemeinen Bevölkerung. Nikotin ist aber trotzdem nach Alkohol der zweitwichtigste Suchtstoff – egal ob in den USA oder bei uns in Deutschland. Prävalenzraten von US-Medizinern sprechen von 3,9 % für das regelmäßige Rauchen (1/2 Packung und mehr pro Tag).

Medikamente

Was klar bewiesen ist, ist, dass Ärzt*innen häufiger medikamentenabhängig als nicht-medizinisch tätige Bürger*innen. Aus US-Studien weiß man, dass ca. 13,6 % der Mediziner*innen Benzodiazepine im vergangenen Jahr einnahmen, größtenteils als Selbstmedikation. Dies sind 50 % mehr als in der Normalbevölkerung. Die Reihenfolge der präferierten Medikamente waren…

  • Platz 1: Abhängigkeit vom Opiat Meperidine (22,4 %)
  • Platz 2: Diazepamabhängigkeit (16,5 %)
  • Platz 3: Abhängigkeit von Pethidin (7,1 %)

Schweizer Untersuchungen ergaben bzgl. des regelmäßigen Konsums, dass 11,1 % der Ärzt*innen mindestens einmal pro Woche stimmungsverändernde Medikamente einnahmen und dass z.B. 20 Prozent von 315 Ärzt*innen einer psychosomatischen Klinik benzodiazepinabhängig sind.

Sonderfall „Anästhesie & Intensivmedizin“

Schaut man genauer in die einzelnen Bereiche, so stellt man fest, dass Anästhesist*innen bzw. Intensivmediziner*innen deutlich mehr von Suchterkrankungen betroffen sind. Ursachen hierfür sind v.a., dass Medikamente leicht verfügbar sind und zusätzlich noch pharmakologische Kenntnisse bzgl. der einzelnen Substanzen vorhanden sind.

Eine Untersuchung aus den USA (1987) ergab, dass nur bei 21 von 1.000 befragten Mediziner*innen kein Drogenmissbrauch vorliege und für die restlichen 92 % primär ein Missbrauch zu verzeichnen war. In dieser Arbeit waren Anästhesist*innen und Allgemeinmediziner*innen klar überrepräsentiert.

Andere Daten zeigen, dass 2 – 13 % des ärztlich-anästhesistischen Personals regelmäßig Drogen einnahmen. Schon kurz nach dem Studium besteht, vergleichend zu anderen Fachrichtungen, eine bis zu 7,4-fach erhöhte Prävalenz einer Drogenabhängigkeit. Einige Studien konnte solch klare Ergebnisse aber nicht reproduzieren.

Auch andere Zahlen aus Frankreich sind sehr besorgniserregend, denn…

  • … 22,7 % der Anästhesist*innen rauchten regelmäßig
  • 59,0 % der Anästhesist*innen tranken regelmäßig Alkohol
  • 41,0 % der Anästhesist*innen nahmen regelmäßig Benzodiazepine ein
  • 5,5 % der Anästhesist*innen missbrauchten reglmäßig Opioide
  • 10,9 % der Anästhesist*innen konsumierten mehr als eine dieser Substanzen regelmäßig

Aber auch andere Fachrichtungen sind nicht gänzlich unbetroffen. Auch Kolleg*innen operativer Fachgebiete sind nicht selten suchterkrankt. Die Fachabteilungen der suchterkrankten Mediziner*innen gliederten sich wie folgt: 20,0 % Chirurgen, 13,3 % Allgemeinmediziner, 12,2 % Zahnärzte, 8,5 % Gynäkologen sowie 7,8 % Anästhesisten.

Was unter Anästhesist*innen wohl kein Einzelfall ist, ist die Propofolabhängigkeit. 18 % von 126 deutschen Chefärzte gaben in einer Befragung an, dass es in ihrer Klinik in den letzten 12 Monaten mindestens einen Fall von Propofolabhängigkeit im eigenen Personalpool gab. Sieben dieser 25 Fälle verstarben aufgrund ihres Konsums. Im Rahmen einer Untersuchung des Universitätsklinikums der Ruhr-Universität Bochum wurden 48 rechtsmedizinische Institute bzgl. Todesfällen in Zusammenhang mit Propofol befragt und es wurden 39 Fälle identifiziert, darunter befanden sich 22 Ärzte sowie 13 Pflegende und in 33 Fällen war das Propofol die Haupttodesursache.

Auch bei anästhesiespezifischen Medikamenten wie inhalativen Anästhetika konnte eine Abhängigkeitsprävalenz von 1,4 bis 2,3 % (Lachgas: 47 %; Isoflurane: 24 %; Sevofluran: 19 %).

Auch die Zahlen zu letalen Verläufen sind erschreckend. Eine Untersuchung über einen Zeitraum von 1979 bis 1995 zeigte, dass während den fünf Jahren der Anästhesie-Weiterbildung die Drogenabhängigkeit eine der häufigsten Todesursache bei Studierenden war und bei 18 % konnte es durch den Tod oder fast tödlich verlaufenen Vorfällen die Abhängigkeit identifiziert werden. Hier gilt auch nochmals zu erwähnen, dass unter Ärzt*innen grundsätzlich suizidale Symptome doppelt so häufig sind wie in der Allgemeinbevölkerung (Prävalenz für Deutschland: 2 – 6 %) und Psychiater*innen sowie Anästhesist*innen in anderen Studien die höchste Prävalenz haben.

Risikofaktoren für den Missbrauch bei medizinischem Personal

In Bezug auf die Risikofaktoren für Süchte und Medikamentenmissbrauch lassen sich vor allem die nachfolgenden Faktoren identifizieren.

  • herabgesetzte Hemmschwelle durch
    • leichtere Zugänglichkeit zu Medikamenten und BtM
    • alltägliche vertraute Anwendung von Medikamenten bei Missbefindlichkeiten
      und Beschwerden
    • hohe Akzeptanz gegenüber psychoaktiven Medikamenten,
      „pharmakologischer Optimismus“
    • leichtere Handhabung und geringere Auffälligkeit im Vergleich zu Alkoholkonsum
      (kein Flaschengut, kein Geruch)
  • besondere Belastungsfaktoren
    • Schicht-, Nacht- und Wochenenddienst
    • hohes Stressniveau durch wachsende Anforderungen und Komplexität der Arbeit
    • zu wenig Zeit für Patienten
    • Umgang mit schwerkranken und sterbenden Patienten
    • Doppelbelastung von Familie und Beruf (hoher Frauenanteil in der Krankenpflege)
    • hohe Ich-Ideale in medizinischen Berufen
    • mangelnde Anerkennung in der Pflege

rechtliche Konsequenzen

Am 20.11.2020 urteilte das Verwaltungsgericht Mainz im Verfahren zwischen einem Arzt und dem rheinland-pfälzischen Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV), welches für die Approbation der Ärzt*innen zuständig ist, dass die Entscheidung des LSJV, die Approbation des Arztes ruhen zu lassen, rechtens war. In diesem Fall hatte ein Arzt Drogen und Medikamente missbraucht und ein Gutachter stellte fest, dass der Mediziner aufgrund der nahezu ständigen Vergiftung mit Drogen, Schlaf- und Beruhigungsmitteln sowie morphinhaltigen Schmerzmitteln nicht für den Arztberuf geeignet sei. Darauf ordnete das LSJV das sofortige Ruhen der Approbation an. Der eingelegte Widerspruch des Arztes wurde mit Beschluss vom o.g. Datum abgelehnt und das Gericht begründete dies damit, dass die Sicherheit und der Schutz von Patient*innen Vorrang habe vor dem Recht auf Berufsfreiheit  (Az.: 4 L 789/20.MZ).

Quellen

Published inWelttag...

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