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26.06. – Internationaler Tag gegen Drogenmissbrauch und unerlaubten Suchtstoffverkehr

Seit der Verabschiedung der UN-Resolution 42/112 am 7. Dezember 1987 findet jedes Jahr am 26. Juni der „International Day against Drug Abuse and Illicit Trafficking“, also der „Internationale Tag gegen Drogenmissbrauch und unerlaubten Suchtstoffverkehr“, statt. Verantwortlich für die Organisation von selbigem ist seit 1997 das United Nations Office on Drug and Crime (UNODC).

Da Intoxikationen durch Suchtstoffe, v.a. durch Alkohol, zum Tagesgeschäft gehören, dreht sich heute bei FOAMio auch alles um Drogen und Suchtstoffe. Zahlen und Fakten sowie Therapiemaßnahmen, je nach Intoxikationsursache – zu all diesen Themen gibt es in diesem Beitrag viele Informationen.

Klassifikationsmodelle für Drogen

Suchtstoffe jeglicher Art und Weise sind meist schwer zu klassifizieren, da es viele Möglichkeiten gibt Drogen o.Ä. zu sortieren bzw. gruppieren. Nachfolgend deswegen einige der typischen Klassifikationsmodelle.

  • Klassifikation gemäß UN-Einheits-Übereinkommen über Suchtstoffe (1961) aufgrund Abhängigkeitspotenzial, Missbrauchsrisiko und therapeutischen Nutzen
      • Kategorie I: Substanzen mit einem hohen Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial sowie Ausgangsstoffe, die auf einfache Weise in Drogen mit ähnlichem Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial umgewandelt werden könnten (z.B. Cannabis, Opium, Heroin, Methadon, Kokain, Kokablatt, Oxycodon)
      • Kategorie II: Substanzen mit tieferem Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial als jene in Kategorie I (z. B. Codein, Dextropropoxyphen)
      • Kategorie III: Präparate von Substanzen der Kategorien I und II, die für die legitime medizinische Verwendung vorgesehen sind (z.B. unter 2,5 % Codein, unter 0,1 % Kokain)
      • Kategorie IV: Substanzen, die auch in Kategorie I gelistet sind, aber besonders gefährliche Eigenschaften und einen sehr begrenzten therapeutischen Nutzen aufzeigen (z. B. Cannabis, Heroin)
    • Klassifikation gemäß UN-Konvention über psychotrope Stoffe (1971)
      • Kategorie I: Substanzen mit hohem Missbrauchspotenzial, die besonders große Bedrohung für öffentliche Gesundheit darstellen und geringen oder keinen therapeutischen Nutzen aufweisen (z.B. LSD, MDMA, Cathin)
      • Kategorie II: Substanzen mit Missbrauchspotenzial, die große Bedrohung für öffentliche Gesundheit bedeuten und die geringen oder moderaten therapeutischen Nutzen haben (z. B. Dronabinol, Amphetamine)
      • Kategorie III: Substanzen mit Missbrauchspotenzial, die ebenfalls eine große Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen und einen moderaten oder hohen therapeutischen Nutzen aufweisen (z.B. Barbiturate, Buprenorphin)
      • Kategorie IV: Substanzen mit Missbrauchspotenzial, die geringe Bedrohung für öffentliche Gesundheit darstellen und gleichzeitig hohen therapeutischen Nutzen haben (z.B. Beruhigungsmittel, inkl. Diazepam)
    • Klassifikation gemäß UN-Übereinkommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (1988)
      • Liste I: Ausgangsstoffe von psychotropen Substanzen wie Ephedrin, Piperonal, Safrol, phenylacetische Säure, Lysergsäure und einige Hauptreagenzien wie Essigsäureanhydrid, das für die Umwandlung von Morphin in Heroin verwendet wird, und Kaliumpermanganat, das für die Extraktion von Kokain gebraucht wird
      • Liste II: Reagenzien und Lösungen, die für die illegale Produktion von Betäubungsmitteln und psychotropen Substanzen verwendet werden können, aber auch in der legalen Industrie weit verbreitet sind, inkl. Aceton, Diethylether, Toluol und Schwefelsäure
    • Klassifikation nach dem Ursprung
      • natürliche Drogen (biogene pflanzliche Drogen wieAlkohol, Koffein, Nikotin, Cannabis, Kokain, LSA oder biogene Drogen aus Pilzen wie Muscimol, Psilocybin oder biogene tierische Drogen wie Bufotenin)
      • halbsynthetische Drogen (z.B. LSD oder Heroin)
      • synthetische Drogen (z.B. Amphetamin, Metamphetamin, Opioide)
    • Klassifikation nach der Wirkungsweise
      • Stimulantien (erregende und stimmungsaufhellende Wirkung; führt zu Euphorie, gesteigertem Aktivitätsbedürfnis, Erhöhung des Selbstwertgefühls, Beschleunigung des Denkens sowie gesteigertem Sexualbedürfnis; z.B. Ecstasy, Amphetamine, Kokain, Crack)
      • Sedativa (entspannende und beruhigend Wirkung; z.B. Benzodiazepine, Heroin, Cannabis)
      • Halluzination (starke Veränderung des Bewusstseins, Halluzinationen sowie ein verändertes Wahrnehmen von Zeit und Raum; z.B. LSD, PCP, Halluzinogene Pilze, Engelstrompete)
    • Klassifikation nach Schadenspotenzial
      • körperlicher, gesundheitlicher Schaden für das Individuum (Gesundheitsgefahr)
      • potentielles Ausmaß der Abhängigkeit von der Droge (Suchtgefahr)
      • möglichen Auswirkungen des Drogengebrauchs auf Familie und Gesellschaft (soziale Folgen)
    • Klassifikation nach Stoffklassen (Unterscheidung aufgrund chemischen Strukturen)
      • β-Phenylalkylamine (Amphetamine)
      • Tryptamine (Indolderivate) wie die Pilzgifte Bufotenin, Psilocin und Psilocybin sowie pflanzliche Substanzen wie DMT, Tryptophan und Ibogain oder körpereigene Substanzen wie das Serotonin
      • Alkaloide (stickstoffhaltige organische Verbindungen) wie Opioidalkaloide sowie Muscarin, Muscimol, Myristicin oder Nikotin
      • Cannabinoide wie Cannabidiol (CBD), Tetrahydrocannabinol (THC) oder Dronabinol
      • Tropane wie Kokain
      • natürliche, halbsynthetische und synthetische Opioide wie Morphin und Heroin

    Wortbestimmungen

    Wenn über Drogen oder Süchte gesprochen wird, fallen schnell Begriffe wie „schädliches Gebrauch“, „schädliches Verhaltensmuster“, „Intox“ oder „Abhängigkeit. Die Definition dieser Begriffe ist von Quelle zu Quelle unterschiedlich. Ich habe mich aus diesem Grund, wie auch schon in anderen Beiträgen, für die Worte der ICD-11 Klassifikation der WHO entschieden.

    • bestimmungsgemäßer Konsum: Konsum von Substanzen gemäß den ärztlichen Empfehlungen und/oder den Vorgaben der Arzneimittelinformation, mit Einsatz der Substanz im Rahmen der zugelassenen Indikation und Dosierung
    • nicht-bestimmungsgemäßer Konsum
      • „off-label use“: Einsatz eines Medikamentes außerhalb der zugelassenen Indikation nach Aufklärung und Verordnung durch einen Arzt bzw. ärztlich verordneter Dosisanpassungen unabhängig der zugelassenen Dosierung aufgrund individueller Gegebenheiten
      • „Medikationsfehler“: Abweichen vom vorgegebenen Anwendungsschema mit dem Risiko eines Schadens für den Patienten
      • „Fehlgebrauch“: Einsetzen eines Medikamentes anders als verordnet, egal ob unabsichtlich oder absichtlich
    • risikoarmer Konsum: Konsum von Substanzen in einer Menge und Häufigkeit, die kein Risiko gravierender gesundheitlicher und/oder psychosozialer Konsequenzen mit sich bringt
    • riskanter Konsum: Konsum mit dem Risiko gesundheitlicher und/oder psychosozialer Konsequenzen
    • Missbrauch: übermäßiger, exzessiver, nicht bestimmungsgemäßer Konsum von Substanzen mit Gesundheitsschäden in klinisch bedeutsamer Weise, mit dem Ziel der Provokation psychotroper Effekte oder der Beseitigung von Entzugssymptomen
    • Episode des/durch schädlichen Gebrauch: Episode, die zu einer Schädigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit einer Person oder zu einem Verhalten geführt hat, das die Gesundheit anderer schädigt (Schädigung der Gesundheit der Person ist auf einen oder mehrere der folgenden Punkte zurückzuführen: 1. Verhalten im Zusammenhang mit Intoxikation, 2. direkte oder sekundäre toxische Wirkungen auf Körperorgane und -systeme oder 3. eine schädliche Art der Verabreichung)
    • schädliches Verhaltensmuster: Verhaltensmuster, das die körperliche oder geistige Gesundheit einer Person geschädigt hat oder zu einem Verhalten geführt hat, das die Gesundheit anderer schädigt (Muster des Alkoholgebrauchs erstreckt sich über Zeitraum von min. 12 Monaten, wenn der Gebrauch episodisch ist, oder von min. 1 Monat, wenn Gebrauch kontinuierlich ist)
    • Abhängigkeit: Störung der Steuerung des Substanzgebrauchs, die durch wiederholten oder kontinuierlichen Gebrauch entsteht, und gekennzeichnet ist durch… (Merkmale zeigen sich i.d.R. über Zeitraum von min. 12 Monaten, Diagnose kann jedoch gestellt werden, wenn Gebrauch über Zeitraum von min. 3 Monaten kontinuierlich, also täglich oder fast täglich, erfolgt)
      • starken inneren Drang, Substanz zu konsumieren
      • eingeschränkte Fähigkeit zur Kontrolle des Gebrauchs
      • zunehmende Priorität des Gebrauchs ggü. anderen Aktivitäten
      • Fortführung des Gebrauchs trotz Schäden oder negativer Folgen
    • Intoxikation: klinisch bedeutsamer vorübergehender Zustand (zeitlich begrenzt und abklingend), der sich während oder kurz nach Gebrauch entwickelt und durch Störungen des Bewusstseins, der Kognition, der Wahrnehmung, des Affekts, des Verhaltens oder der Koordination gekennzeichnet ist (Störungen werden durch bekannte pharmakologischen Wirkungen der Substanz verursacht, und Intensität hängt eng mit der konsumierten Menge zusammen)
    • Entzug: klinisch bedeutsame Gruppe von Symptomen, Verhaltensweisen und/oder physiologischen Merkmalen, die in Schweregrad und Dauer variieren und nach Beendigung oder Reduzierung des Gebrauchs bei Personen auftreten, die Abhängigkeit entwickelt haben oder über längeren Zeitraum oder in großen Mengen Suchtstoff konsumiert haben (Symptome abhängig vom jeweiligen Suchtstoff)
    • Sucht: Synonym für Abhängigkeit mit der Konsequenz der periodischen oder chronischen Intoxikation
    • Toleranz (Gewöhnung): Nachlassen der Drogenwirkung nach Phasen längeren Konsums
    • körperliche Abhängigkeit: Zustand, der das Auftreten eines Entzugssyndroms beim Absetzen oder Reduktion des Substanzkonsums zur Folge hat
    • psychische Abhängigkeit: Ausdruck des Kontrollverlustes, des zwanghaften Konsums und eines starken Cravings (Abhängigkeitssyndrom außerhalb der Dimensionen, die mit dem körperlichen Abhängigkeitssyndrom verbunden sind)
    • körperliche Entgiftung: Behandlung der Intoxikation mit körperlich-neurologischen Ausfallerscheinungen und/oder von Entzugssymptomen mit dem Ziel der Sicherstellung der Vitalfunktionen und die Vermeidung von Komplikationen sowie die Reduktion/Linderung von Entzugserscheinungen
    • Abstinenz: Einstellen jeglichen Konsums aus eigenem Entschluss ohne eine konkrete Zeitdauer, ggf. mit Reduktion in Zwischenschritt hin zur Abstinenz

    Zahlen und Fakten

    Laut dem World Drug Report (Welt-Drogen-Bericht) 2022 der UN konsumierten 345 Millionen Menschen (jede 30. Person) weltweit Cannabis, Opioide, Amphetamine, Kokain oder Ecstasy. Etwa 35.600.000 der 15- bis 64-Jährigen haben ein problematisches Konsumverhalten.

    In Deutschland geht man nach Schätzungen davon aus, dass ca. 17,8 Millionen Erwachsene (18 – 64 Jahre) und 481.000 Jugendliche (12 – 17 Jahre) mindestens einmal im Leben irgendeine illegale Droge konsumiert haben. Bei den 18- bis 25-Jährigen hat sogar jede*r Zweite schon Erfahrung mit illegalen Drogen gesammelt.

    Auf Platz 1 der illegalen Suchtstoffe liegt in Deutschland Cannabis, egal ob bei Jugendlichen oder Erwachsenen. Von den ca. 481.000 Jugendlichen haben etwa 344.000 der 12- bis 17-Jährigen innerhalb der letzten 12 Monate Cannabis konsumiert.

    Laut Zahlen des RKI starben im Jahr 2021 1.826 Menschen drogenbedingt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um 15,5 %. Bzgl. der Geschlechterverteilung stehen 1.520 Männer 306 Frauen gegenüber und der Altersdurchschnitt lag bei 40,8 Jahren. Die meisten der Verstorbenen starben durch den Konsum von Opioiden/Opiaten. Bei Heroin-bedingten Todesfällen gab es einen Anstieg um 50 % zum Vorjahr mit 195 Verstorbenen. Auch bzgl. des Konsums von Opioidsubstitutionsmitteln sind 88 Todesfälle zu verzeichnen, was 167 % mehr als im Vorjahr sind. Amphetamin-bedingte Todesfälle stiegen um 149 % auf 92 Todesfälle. Auch bei Methamphetamin, Kokain und Crack gibt es eine Zunahme der Todesfälle. Nachfolgend zeigen die Zahlen des UNODC World Drug Report 2022 ein verhehrendes Bild bei den Opiat-/Opioid-bedingten Todesfällen, unabhängig von einer Mortalitätsrate von 40 Personen je 1.000.000 Millionen Einwohner (ca. 200.000 Todesfälle pro Jahr weltweit).

    Betrachtet auf die Vorstellung bei der Suchthilfe sind alkoholbedingte Störungen in Deutschland der häufigste Vorstellungsgrund (stationäre Aufenthalte Suchthilfe: 63 %; ambulante Aufenthalte Suchthilfe: 50 %). Die weltweiten Zahlen bzgl. der stationären Vorstellung aufgrund illegaler Drogen sind nachfolgend dem UNODC World Drug Report 2022 entnommen.

    Ca. 11.200.000 Konsument*innen injizieren sich ihre Suchtstoffe, wovon ca. 5.500.000 mit Hepatis C, 1.400.000 mit HIV und 1.200.000 mit Hepatitis C & HIV infiziert sind.

    legaler „Sonderfall“ Alkohol

    Alkohol hat, wie Nikotin (siehe „Weltnichtraucher-Tag„), das „besondere Privileg“ in Deutschland nur für bestimmte Altersgruppen illegal zu sein und nimmt damit eine Sonderstellung ein, v.a. aufgrund der freien Verfügbarkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz.

    Aus deutschen Repräsentativbefragungen ist ersichtlich, dass 70,5 % der Bundesbürger*innen in den letzten 30 Tagen Alkohol konsumiert haben und 33,3 % der Befragten hatten min. eine Episode des Rauschtrinkens, also min. 5 alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit, in den vergangenen 30 Tagen. Bzgl. des Rauschtrinkens lag die Prävalenz bei fast 42 % bei Männern und ca. 23,3 % bei Frauen. Etwa 22 % gaben an riskante Alkoholmengen (durchschnittlicher täglicher Konsum von 12 g Reinalkohol bei Frauen bzw. 24 g Reinalkohol bei Männern) bei einer Prävalenz von 21, % bei Männern und 22,9 % bei Frauen. Daraus resultiert bei ca. 19,1 % der befragten Bundesbürger*innen ein problematischer Alkoholkonsum, bei 2,8 % der Erwachsenen ein schädlicher Alkoholkonsum und bei 3,1 % eine Alkoholabhähgigkeit. 4,0 % aller Todesfälle unter Frauen und 9,9 % aller Todesfälle unter Männern sind auf Alkohol zurückzuführen, ausgedrückt in Zahlen sind im Jahr 2016 19.000 Frauen und 43.000 Männer aufgrund von Alkoholkonsum gestorben.

    Schaut man sich die problematischen Konsummuster in Bezug auf ihre Verbreitung in der Gesellschaft an, so erkennt man bedenklich Zahlen. Ca. 1.600.000 aller Menschen in Deutschland sind AKUT alkoholabhängig. Wenn es um den Missbrauch von Alkohol geht, geht man aktuell von ca. 1.400.000 Bürger*innen, mit einer Prävalenz für Männer von 4,0 % und für Frauen von 1,5 %, aus. Die Abhängigkeit entwickelt sich im Normalfall über einen längeren Zeitraum und je stärker die Sucht sich entwickelt, desto erheblicher sind die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Folgen. Die Entzugserscheinungen nehmen sukzessiv Auswirkungen auf das gesamte Leben, mit merkbaren Problemen wie Schlafstörungen, Schweißausbrüchen, Gereiztheit, Angstsymptomen, depressiven Episoden und morgendliches Zittern bis hin zum Alkoholentzugsdelir, dem „Delirium tremens“, wenn der Alkohol abrupt nicht mehr zugeführt wird. Weitere eher unbeachtete Folgen sind z.B. auch höhere Raten von Suiziden bei alkoholabhängigen Personen. Bei mehr als 30 % aller Suizide waren die betroffenen Personen unter Alkoholeinfluss. Suchtkranke Personen haben eine bis zu 22-fach höhere Suizidhäufigkeit und bei Alkoholabhängigen ist diese sogar 60 – 120-fach höher. Etwa 1/10 der Alkoholiker*innen verstirbt durch Suizid und mehr als 40 % haben mindestens einen Suizidversuch.

    Auch bei den Minderjährigen sind problematische Muster zu identifizieren. Etwa 8,7 % aller 12- bis 17-Jährigen trinken laut BZgA einmal wöchentlich. In der Gruppe der 12- bis 17-jährigen Mädchen gaben 8,4 % an min. an einem Tag im Monat mehr als fünf Gläser Alkohol bei einer Gelegenheit zu trinken und bei den gleichaltrigen Jungen sind es ca. 10,4 %. Dies zeigt einen Rückgang des episodisches Rauschtrinken in dieser Altersgruppe betrachtet auf die letzten Jahre.

    Mehr als jedes Vierte Getränk, welches in Deutschland konsumiert wird, enthält Alkohol. Geht man von Schätzungen der DHS aus, so konsumiert jede*r Deutsche*r jedes Jahr um die 10 Liter reinen Alkohol.

    Das beliebteste alkoholische Getränk in Deutschland ist das Bier, von dem jede*r jährlich ca. 92 Liter Bier. Danach folgen fast 21 Liter Wein, um die 3 Liter Sekt und 5,2 Liter Spirituosen. Für all die konsumierten, alkoholhaltigen Getränke gaben alle deutschen Privatpersonen mehr als 25.000.000.000 € im Jahr 2021 aus, was einen Jahresumsatz der Alkoholindustrie von ca. 15.000.000.000 € sowie jährliche Steuereinnahmen von etwa 3.000.000.000 € ergibt. Die alkoholverarbeitende Industrie investiert jedes Jahr zwischen 500 und 600 Millionen € für klassische Werbung, was ähnlich den Ausgaben der Alkoholwirtschaft für Event- und Sportsponsoring ist.

    Spannende Modellrechnungen zeigen, dass die Preisverdopplung alkoholischer Getränke über einen Zeitraum von 30 Jahren die Zahl von risikokonsumierenden Männer und Frauen um 5,9 % bzw. 2,7 % reduzieren könnte. Dies wäre dringend notwendig und richtig, da der volkswirtschaftliche Schaden alkoholbezogener Krankheiten/Sterblichkeit, egal ob direkt oder indirekt, jedes Jahr 57.000.000.000 € ausmacht.

    Alkohol

    Im chemischen Kontext sind Alkohole organische Verbindungen mit einer Hydroxygruppe (OH-Gruppe). Der Begriff „Alkohol“, auch Ethanol, Äthylalkohol oder Äthanol, ist der umgangssprachliche Ausdruck für den berauschenden Bestandteil alkoholischer Getränke. Wenn die Normalbevölkerung von Alkohol spricht, meint sie also die Flüssigkeit „Ethanol“, welche als Summenformel C2H6O bzw. C2H5OH heißt, was auch für den landläufigen Namen „C2-Intox“ für stark alkoholisierte Patient*innen erklärt.

    Um den Alkoholgehalt einer alkoholischen Flüssigkeit zu berechnen, wird die nachfolgende Formel genutzt:

    Der Abbau des Alkohols erfolgt in mehreren Schritten zu Wasser und CO2 in der Leber. Nur ca. 3 % werden direkt über Atem, Haut, Urin oder Stuhl ausgeschieden. Bei Männern sinkt der Blutalkoholgehalt durchschnittlich um 0,15 Promille/h und bei Frauen um 0,13 Promille/h.

    Noch wenig Beachtung findet, dass die Alkoholabhängigkeit sich auch auf das Umfeld der Betroffenen auswirkt. Laut Schätzungen sind bundesweit in etwa 5.000.000 Menschen von der Sucht von Angehörigen mitbetroffen.

    Eine andere Kombination lässt Alkoholkonsum in einen besorgniserregenden Fokus geraten: Alkohol und Straftaten bilden eine beängstigende Verbindung, wenn es um Straftaten geht, denn schaut man sich den Anteil von Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss an, ergibt sich folgendes Bild:

    • Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf die Staatsgewalt (51,7 % unter Alkoholeinfluss)
    • Totschlag und Tötung auf Verlangen (29,2 % unter Alkoholeinfluss)
    • Gefährliche / schwere Körperverletzung (24,1 % unter Alkoholeinfluss)
    • Vergewaltigung / sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall (22,7 % unter Alkoholeinfluss)
    • Sachbeschädigung (19,9 % unter Alkoholeinfluss)
    • Mord (15,6 % unter Alkoholeinfluss)
    • Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrende (13,9 % unter Alkoholeinfluss)

    Begriffsdefinitionen

    • risikoarmer Alkoholkonsum: Vorgaben der WHO liegen bei bis zu 24 g Reinalkohol pro Tag für Männer und bis zu 12 g Reinalkohol für Frauen sowie min. 2 abstinenten Tagen pro Woche
    • riskanter Alkoholkonsum: über 24 g Reinalkohol für Männer und mehr als 12 g Reinalkohol für Frauen; gilt ausschließlich für gesunde Erwachsene, nicht für Kinder und Jugendliche, schwangere Frauen, ältere Menschen (>65 Jahre) oder Personen mit körperlicher Erkrankung
    • Rauschtrinken („binge drinking“): Einnahme von großen Alkoholmengen innerhalb von kurzer Zeit; bei Männern: fünf oder mehr Getränke bei einer Gelegenheit, bei Frauen: vier oder mehr Getränken bei einer Gelegenheit
    • akuter Alkoholkonsum: Alkoholkonsum während der letzten Stunden und Tage
    • chronischer Alkoholkonsum: Alkoholkonsum während der letzten Wochen und Monate
    • pathologischer Rausch: Auftreten schon nach geringen Mengen Alkohols, v.a. bei Patient*innen mit vorbestehender Hirnschädigung (z.B. SHT, Enzephalitis, Krampfleiden), in Form von starker Bewusstseinsstörung verbunden mit Verhaltensauffälligkeiten, paranoiden Symptomen, Halluzinationen sowie Erregungszuständen, ggf. auch mit Gewalttätigkeit; endet häufig in Terminalschlaf mit nachfolgender partieller/vollständiger retrograder Amnesie
    • Alkoholhalluzinose: akustische Halluzinationen, Angst und ggf. Verfolgungswahn ohne Bewusstseins- & Orientierungsstörung (CAVE: ggf. Eigen- und Fremdgefährdung)
    • Korsakow-Syndrom: Krankheitsbild, bedingt durch Thiamin-Mangel, mit wesentlichem Verlust des Altzeitgedächtnisses, ausgeprägten Merkfähigkeitsstörungen, verschlechterter Auffassungsgabe, Konzentrations- & Antriebsstörung, Störung bei der Speicherung neuer Gedächtnisinhalte sowie Sprach- und Artikulationsstörungen

    (gesundheitliche) Folgen des Alkoholskonsums

    Alkoholkonsum stellt laut WHO einen der sieben führenden Mortalitäts-Risikofaktoren dar, in der Gruppe der 15- bis 49-Jährigen ist Alkohol sogar der führende Risikofaktor. In Deutschland nimmt der Alkoholkonsum bei Männern den fünften Platz bei den Hauptrisiken für die Entstehung von Krankheiten ein und Alkohol- und Tabakkonsum bedingen hierzulande 20 % des Risikos für die Gesamtheit aller Erkrankungen. Mit 392.000 verlorenen Lebensjahren durch Alkoholmissbrauch bzw. 557.000 verlorenen Lebensjahren durch Alkoholabhängigkeit ist der Mortalitäts- und Morbiditätsfaktor durch Alkohol in Deutschland immens.

    Zu betonen ist, dass die Annahme, dass nur eine Alkoholabhängigkeit schwere gesundheitliche Schäden zur Folge hat, klar zu verneinen ist. Auch jede Art von gewohnheitsmäßigem Konsum hat Risiken und nachteilige Folgen und erhöht das Risiko für ca. 200 Erkrankungen wie Leberschädigung, wie Leberschwellung, Leberverfettung und schließlich Leberzirrhose; Hirnschädigung bzgl. Gedächtnis, Konzentrationsvermögen, Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie Intelligenz bis hin zu völligem geistigem Abbau; Entzündung von Bauchspeicheldrüse, Magen und Darm; Risiko von Krebserkrankungen der Leber, des Darms, im Bereich von Mund- und Rachenhöhle, des Kehlkopfes und der Speiseröhre sowie bei Frauen Brustkrebs steigt; Potenzstörung; Depressionen etc.. Und auch die einmalige orale Aufnahme von mehr als 6 g Alkohol/kgKG bzw. mehr als 3 Promille Blutalkohol können im Rahmen der schweren, akuten Alkoholvergiftung zum Tod durch Atemstillstand führen.

    Wie beachtlich die Auswirkung des Alkoholkonsums in Deutschland auf die Belegung in Krankenhäuser sowie bzgl. der Kosten für das Gesundheitssystem ist, zeigt die Zahl von 330.000 stationären Behandlungen im Jahr 2015, bedingt durch alkoholbedingte Störungen, was effektiv die zweithäufigste Diagnose gemäß ICD-10 bei allen in deutschen Krankenhäusern behandelten Patient*innen darstellt.

    Grade der Alkohol-Intoxikation

    GradBlutalkoholgehalt (mg/100 mL)Symptome
    I – verminderte Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Sehschärfe10 – 100– gesteigertes Selbstvertrauen
    – verkürzte Aufmerksamkeitsspanne
    – schlechtes Urteilsvermögen
    – Impulsivität
    II – verminderte Muskelkoordination100 – 180– schlechtes Urteilsvermögen
    – verzögerte Reaktionszeit
    – Deskoordination
    – Konzentrationsschwäche, Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses
    – verschwommenes Sehen
    – Beeinträchtigung der Sinneswahrnehmung (Hören, Schmecken, Fühlen, Sehen)
    III – Verwirrung180 – 250– unkoordinierte oder schwankende Gangart
    – undeutliche Sprache
    – Verwirrung, Desorientierung in Bezug auf Zeit und Ort
    – emotionale Labilität
    – Sedierung
    IV – Stupor250 – 350– Schwierigkeiten, sich zu bewegen
    – schwache Reaktion auf Reize
    – Übelkeit, Erbrechen
    – ggf. Bewusstseinsstörungen
    V – Koma350 – 450– Bewusstlosigkeit
    – unterdrückte Reflexe
    – starre Pupillen
    – Unterkühlung
    – langsame und flache Atmung
    – Bradykardie
    – Herzrhythmusstörungen
    – Tod
    siehe Leitlinie „Assessment and Management of Patients with Substance Intoxication Presenting to the Emergency Department“ des AIIMS & NDDTC

    Wichtig ist zu betonen, dass diese Zahlen für erwachsene Personen gelten. Betrachtet man die Altersgruppe von Kindern (< 12 Jahre), so muss man feststellen, dass z.B. 2 Esslöffel eines hochprozentigen Schnapses stärkste Vergiftungssymptome auslösen können und kleine Kinder bei 0,5 Promille komatös werden und dies ohne die sonst in älteren Altersgruppen typischen euphorischen Anfangsphasen. Ab spätestens 3 g/kgKG Alkohol kann es bei Kindern zur Atemlähmung kommen, welche ggf. tödlich endet. (zum Vergleich liegt die letale Dosis bei Erwachsenen bei ca. 6 g/kgKG.

    Anamnese & Diagnostik

    • Einzelheiten über aktuelle Episode: Menge, Zubereitung, Zeitraum, Mischung mit anderen Substanzen usw.
    • Abklärung ähnlicher Details über frühere Trinkepisoden
    • Erfragen von Ereignissen mit risikoreichem Verhalten unter Alkoholeinfluss (Autofahren, Bedienen schwerer Maschinen, Selbstverletzung oder Gewalt gegen andere)
    • Alkoholabhängigkeit oder ein schädliches Konsummuster, wenn möglich, ermitteln
    • Beurteilung Bewusstseinszustand (GCS), kardialer und respiratorischer Parameter (HF, RR, EKG, AF) und Urinausscheidung
    • Kopfverletzungen ausschließen (Zeichen für erhöhten Hirndruck)
    • Methylalkoholvergiftung ausschließen
    • Diplopie ausschließen sowie Beurteilung Augenbewegungen in alle Himmelsrichtungen, Muskelschwäche und sensorische Defizite
    • Untersuchung bzgl. Sprach- und Verhaltensauffälligkeiten (CAVE: Aggressivität)
    • Beurteilung von Denk- und Wahrnehmungsstörungen
    • Beurteilung der zeitlichen und örtlichen Orientierung sowie von Sofort-, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis, Einsicht und Realitätsprüfung

    Therapie

    • ABCDE
      • oberste Priorität: Sicherung Atemwege und Aufrechterhaltung der Atmung
      • Volumentherapie i.v., v.a. bei Anzeichen von Dehydrierung (trockene Lippen/Schleimhäute und geringe Urinausscheidung)
      • Kontrolle BZ, bei Bedarf Gabe von Glucose 5%ig i.v. oder, wenn möglich, Glucose 5% oder 10 % oral
      • Temperaturmanagement
    • ruhiges Setting schaffen und angepasste Kommunikationsformen
    • bei EKG-Diagnostik auf „Holiday Heart Syndrom“ achten (neu aufgetretene Herzrhythmusstörungen bzw. Vorhofflimmern nach Alkoholkonsum)
    • ruhiges Setting schaffen und angepasste Kommunikationsformen
    • bei EKG-Diagnostik auf „Holiday Heart Syndrom“ achten (neu aufgetretene Herzrhythmusstörungen bzw. Vorhofflimmern nach Alkoholkonsum)
    • Gabe von 250 mg Thiamin i.m. täglich über 3 – 5 Tage bei V.a. Wernicke-Enzephalopathie (längerer Alkoholkonsum, schlechter Ernährungszustand, verwirrter Geisteszustand, Gangstörungen etc.)
    • Beruhigungsmittel nur mit Bedacht einsetzen; bei Unruhe oder Aggressivität Antipsychotika erwägen (5 mg Haloperidol mit 50 mg Promethazin)
    • ggf. Gabe von 300 – 600 mg Metadoxin i.v./i.m. zur Beschleunigung der Alkoholausscheidung
    • bei schwerer Alkoholvergiftung, medizinischen Komplikationen wie Wernicke-Enzephalopathie, alkoholischer Hepatitis, Herzrhythmusstörungen oder Krämpfen, anhaltender Desorientierung sowie anhaltendem aggressiven Verhalten oder Wahrnehmungsstörungen Transport auf Intensivstation

    Sonderfall „Alkoholentzugsdelir/-syndrom“ („Delirium tremens“)

    Das Wort „Delir“ stammt aus dem Lateinischen, von „de lira ire“ also „aus der Spur geraten“. Beim Krankheitsbild „Delir“ muss man das Alkoholentzugsdelir von den anderen Delirformen abzugrenzen. Grundsätzlich ist das Delir charakterisiert als Störung mit einem akuten Beginn und einem fluktuierenden Verlauf sowie gleichzeitig bestehender Störungen des Bewusstseins und mindestens 2 der nachfolgend genannten Symptome/Syndrome wie Aufmerksamkeits-, Wahrnehmungs-, Denk- & Gedächtnisstörungen und Auffälligkeiten bzgl. der Psychomotorik, der Emotionalität oder des Schlaf-Wach-Rhythmus.

    Das Alkoholentzugsdelir ist eine potenziell lebensbedrohliche akute Folge des chronischen Alkoholismus mit psychotischer und neurovegetativer Symptomatik, die bei 3 – 15 % der alkoholerkrankten Personen erleiden Delirien und 12 – 23 % der selbigen haben Rezidive. Kernsymptomatik des Entzugsdelirs ist eine Kombination aus vorübergehenden qualitativen und quantitativen Bewusstseinsstörungen sowie kognitiven Defiziten. Einteilen lässt sich das Delirium tremens in das hyperaktive Delir mit gesteigerter motorischer Unruhe, Rastlosigkeit und ungeduldigem, eventuell aggressivem Verhalten sowie das hypoaktive Delir mit motorischer und kognitiver Verlangsamung, reduzierter Aktivität, Antriebslosigkeit bis zur Apathie.

    Weitere Klassifikation des Alkoholentzugsdelirs in das…

    • … unvollständige Delir oder Prädelir (vorübergehende, zumal abendliche Halluzinationen und leichte vegetative Symptomatik mit Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Schwitzen und vorwiegend morgendlichem Tremor sowie fakultativ epileptische Anfälle vom Grand-mal-Typ).
    • … vollständige Delir oder Delirium tremens bei Alkoholentzugsdelir (Aufmerksamkeits-, Bewusstseins-, affektive und Orientierungsstörungen, Übererregbarkeit und Symptome der halluzinatorischen Psychose und eine vegetative Störungen wie Hyperthermie, Hypertonie, Tachykardie, Hyperhidrose, Tremor sowie metabolischen Entgleisung wie Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Hyponatriämie).
    • … lebensbedrohliche Delir in 7 % aller Fälle (Symptomatik vollständiges Delir mit schweren, vor allem kardialen und pulmonalen Komplikationen, Hyperthermie und schweren quantitativen Bewusstseinsstörungen)

    Betrachtet man die Symptomatik im zeitlichen Verlauf, so zeigt sich folgendes Bild:

    • 6 – 10 h: Unruhe, Reizbarkeit, Angst, Agitation, Schlaflosigkeit, Tremor, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, leichte Tachykardie, Hypertonie
    • 12 – 36 h: Krämpfe, Halluzinosen (auditiv, visuell oder taktil), paranoide Wahnvorstellungen
    • 24 – 72 h (Delirium tremens): Tachykardie, Hypertonie, Hyperthermie, Delirium (Aufmerksamkeits- & Bewusstseinsstörungen sowie Orientierungs-, Sprach- oder Wahrnehmungsstörungen, oft mit schwankendem Bewusstseinsgrad)

    Die Risikofaktoren für ein schweres Alkoholentzugssyndrom sind mannigfaltig. Die relevantesten sind

    • mehrere frühere AWS-Episoden
    • Alter > 65 Jahren
    • medizinische Begleiterkrankungen
    • längerer und stärkerer Alkoholkonsum
    • Einnahme von Benzodiazepinen oder Barbituraten
    • erhöhte BAK bei Vorstellung
    • mindestens mäßiges AWS bei Vorstellung
    • Thrombozytopenie und erhöhte Alanin-Transaminase deuten auf chronischen schweren Alkoholkonsum hin und sind mit schwererem Entzug verbunden
    • CAVE: wichtigster Prädiktor für schweres AWS ist vorangegangenes schweres AWS, das durch Krämpfe, Delirium tremens oder vorherig Einweisung auf ITS gekennzeichnet ist

    Alles Weitere zur Anamnese, Diagnostik, Komplikationen und Folgestörungen sowie der Therapie des Alkoholentzugsdelir/-syndroms findest Du in der Leitlinie „Emergency Department Management of Patients With Alcohol Intoxication, Alcohol Withdrawal, and Alcohol Use Disorder“ der AAEM, der Leitlinie „Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir“ der DGN sowie der Leitlinie „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ der DGPPN. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass leichte Alkoholentzugssyndrome pharmakologisch behandelt werden können und mittelschwere bis schwere Alkoholentzugssyndrome pharmakologisch behandelt werden sollen. Vor allem Benzodiazepine reduzieren effektiv die Schwere und Häufigkeit von Alkoholentzugssymptomen sowie die Häufigkeit schwerer Entzugskomplikationen wie Delirien und Entzugskrampfanfälle und diese sollen zur Behandlung des akuten Alkoholentzugssyndroms zeitlich limitiert eingesetzt werden.

    Screening-Tools bzgl. kritischer Alkoholkonsummuster

    (synthetische) Cannabinoide

    Jede Cannabispflanze enthält mehr als 60 Cannabinoide bzw. wurden bis jetzt ca. 150 Phytocannabinoide identifiziert, wovon Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) das psychoaktiv stärkste ist. Der Konsum von Cannabis ist in der Form von Marihuana (getrocknete Blüten und Blätter) und Haschisch (Cannabisharz) sowie seltener als Haschischöl. Laut BKA aus dem Jahr 2012 lag der mittlere Wirkstoffgehalt getrocknete Blüten und Blätter bei ca. 2 % THC und bei THC-haltigen Harz bei ca. 8,3 % THC. Bei Haschischöl kann der Wirkstoffgehalt bei bis zu 30 % liegen.

    Ca. 25 % aller 12- bis 25-Jährigen hat im Leben schon min. einmal Cannabis konsumiert und fast 3 % sind regelmäßige Konsument*innen. Betrachtet auf die letzten Jahrzehnte lässt sich, dass 1980 nur 14,6 der 18- bis 24-Jährigen schon Cannabis konsumiert hatten und es im Jahr 2003 schon fast jede*r Zweite (43,6 %) sich in die Gruppe der Cannabiserfahrenen zählen kann. Seit 2006 ist aber ein Rückgang zu beobachten (40,6 %; 2012: 28,3 %).

    Bzgl. der Aufnahme von Cannabinoiden ist der Weg in gerauchter Form der schnellere im Vergleich zur oralen Aufnahme als Lebensmittel (CAVE: Aufnahme über Magen ist unberechenbarer und kann leicht zur Überdosierung führen). Die Wirkung von gerauchtem Cannabis setzt i.d.R. unmittelbar ein und die max. Wirkung ist ca. nach 20 – 40 Min. erreicht. Normalerweise nimmt nach ca. 2,5 h die Wirkung wieder ab und ist nach 3 – 5 h zum größten Teil beendet.

    • Mehrheit der Cannabiskonsumierenden gebrauchte Marihuana (98,3 %), gefolgt von Haschisch (28,6 %)
    • Cannabis wird hauptsächlich genutzt zu haben, um „high“ zu werden oder „aus Spaß“ (82,1 %)
    • Die meisten Cannabiskonsumentinnen und Cannabiskonsumenten nutzten Cannabis in Form eines Joints (Haschisch: 80,0 %, Marihuana: 81,1 %). Cannabis wurde am häufigsten selbst erworben (Haschisch: 55,1 %; Marihuana: 55,8 %), vor allem von einem Dealer (Haschisch: 87,9 %, Marihuana: 83,3 %). Mehr Marihuana- als Haschisch-Nutzer berichteten, die Substanz kostenlos bekommen zu haben (Haschisch: 39,3 % vs. Marihuana: 42,5 %).

    Langzeitfolgen

    • kognitive Beeinträchtigung (Aufmerksamkeit, Konzentration, Lernfähigkeit) ohne bleibende Hirnschäden
    • Beeinträchtigung der Lungenfunktion (höheres Lungenkrebsrisiko, wenn Joints auch Tabak enthalten)
    • nicht abschließend gesicherte Daten zu Auswirkungen des Cannabiskonsums in Schwangerschaft und auf das Neugeborene
    • keine eindeutigen Belege für Einfluss von Cannabis auf das Hormon- und Immunsystem
    • psychische und milde körperliche Abhängigkeit bei dauerhaftem Konsum
    • allgemeine Rückzugstendenzen bzw. Gleichgültigkeit bzgl. Schule, Beruf etc. bei dauerhaftem und intensivem Cannabiskonsum
    • geringere Ausbildungsabschlussquote, geringere Einkommen, höhere Arbeitslosigkeitsquote, höhere Abhängigkeit von sozialen Leistungen, geringere Lebenszufriedenheit und geringere partnerschaftliche Zufriedenheit im Alter von 25 Jahren bei erhöhtem Cannabiskonsum in Adoleszenz und Postadoleszenz (14 – 21 Jahre)
    • erhöhtes Risiko für Psychosen (1,4-fach bei Cannabiskonsumenten; ca. 2,1-fach bei regelmäßig Konsumierenden); v.a. nach höheren Dosen Gefahr der toxischen Psychose (Desorientiertheit, Halluzinationen, Depersonalisierung, paranoide Symptome)

    positiv erlebte Wirkungen

    • Positiv erlebte Wirkungen
      • Rausch von euphorischen Gefühlen gekennzeichnet bei gleichzeitiger emotionaler Gelassenheit
      • übliche Denkmuster treten in Hintergrund; neuartige Ideen und Einsichten, verbunden mit starken Gedankensprüngen
      • Störung des Kurzzeitgedächtnisses, was in Gesellschaft Gleichgesinnter oft als amüsant erlebt wird
      • subjektiv intensivere Wahrnehmung; Zeit scheint langsamer zu verstreichen
      • Gefühl, sich besser in den anderen hineinversetzen zu können
      • intensiveres Gemeinschaftserleben unter Freunden, verbunden mit amüsierter Stimmung
      • stärkeres Körpererleben (Tachykardie bei wohliger Entspannung; Gefühl der Leichtigkeit bei gleichzeitig verlangsamten Bewegungen)

    Intoxikationssymptome (negativ erlebte Wirkung)

    • ZNS: Unruhe, Angst, Reizbarkeit, Sedierung, Verwirrtheit, psychotische Symptome (Wahn, Verfolgungsideen, Halluzinationen, Ich-Störungen), assoziative Lockerung und Weitschweifigkeit, psychomotorische Verlangsamung, Krampfanfälle, gestörtes Kurzzeitgedächtnis (Erinnerungslücken/“Filmrisse“), Denkstörungen (Gedankensprünge, Gedankenabreißen)
    • Herz-Kreislauf: Tachykardie (Herzrasen), Herzrhythmusstörungen, Brustschmerzen, Herzinfarkt, Hypertonie, Kreislaufkollaps
    • Magen-Darm: Übelkeit, Erbrechen, trockener Mund, gesteigerter Appetit
    • Renal: Akute Nierenschädigung
    • Metabolisch: Hypokaliämie, Hyperglykämie
    • Vegetativ: Hyperthermie
    • Ophthalmologisch: Mydriasis, Bindehautentzündung, Nystagmus
    • Andere: Hyperakusis, Appetitzunahme

    Therapie

    • Setting: schwach beleuchteter Raum, ruhiges Umfeld
    • ggf. orale Gabe von Benzodiazepinen (0,5 mg Clonazepam oder 1 mg Lorazepam) zur Beruhigung
    • bei Agitation oder Unruhe Gabe von Antipsychotika (5 mg Haloperidol mit 25 mg Promethazin) i.v./i.m. oder vorsichtige, zeitlich begrenzte Fixierung
    • bei Myokardinfarkt, Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, Pneumothorax oder Pneumomediastinum sowie Asthma-Exazerbation gemäß aktueller Leitlinien (EKG-Diagnostik, Auskultation, Transport in geeignete Klinik)

    Sonderfall „Cannabis Hyperemesis Syndrom (CHS)“

    siehe Leitlinie „Suspected Cannabinoid Hyperemesis (CHS) Syndrome in Emergency Departments“ des RCEM

    • Symptomatik/Kennzeichen
      • schwere Übelkeit und Erbrechen in zyklischem Muster über Monate wiederkehrend (100%)
      • Alter < 50 Jahre (100 %)
      • min. einmaliger wöchentlicher Cannabiskonsum (97,4%)
      • Verschwinden der Symptome nach dem Absetzen von Cannabis (96,8%)
      • zwanghaftes heißes Duschen oder Baden mit nachfolgender Symptomlinderung (92,3%)
      • Unterleibsschmerzen (85,1%)
      • regelmäßiger Cannabiskonsum seit mehr als 1 Jahr (74,8 %)
    • Therapie
      • berücksichtigen, dass CHS häufig gegen die üblichen Antiemese mit Cyclizin, Dexamethason, Domperidon, Metoclopramid, Ondansetron, Prochlorperazin und Promethazin resistent ist
      • bei refraktärer Übelkeit oder Erbrechen Einsatz von Haloperidol erwägen

    Halluzinogene

    Bei Halluzinogenen handelt es sich um Substanzen wie z.B. Lysergsäurediäthylamid (LSD), Psilocybin, Mescalin, Engelstrompete, Stechapfel, Fliegenpilz oder Phencyclidin (PCP, auch „Angels Dust“). Sie wirken an noadrenerge und dopaminerge Synapsen und sorgen für starke Bewusstseinsveränderungen mit Wahrnehmungsstörungen wie anderer Farbwahrnehmung oder Farbhören sowie der Verlust der Ich-Empfindung. Es kann in diesem Zustand auch zu Flashbacks und Psychosen kommen.

    Intoxikationssymptome

    • ZNS: Halluzinationen, wahnhaftes Erleben mit Angst und Agitation („Horror-Trips“), Depressionen, Verwirrtheit, Euphorie, Erregung, psychotische Symptome (Halluzinationen, Wahn, Ich-Störungen). Kopfschmerzen, Krampfanfälle
    • Herz-Kreislauf: Tachykardie, Herzinfarkt
    • Magen-Darm: Übelkeit, Erbrechen
    • Vegetativ: Hyperthermie
    • Ophthalmologisch: Mydriasis, Sehstörungen
    • Andere: Gliederschmerzen, möglich auch Serotonin-Syndrom

    Therapie (symptomatisch)

    • ruhiges Setting
    • Benzodiazepine wie Clonazepam oder Lorazepam bei Unruhe/Agitation

    Inhalanzien („Schnüffelstoffe“)

    Bei den sogenannten „Schnüffelstoffen“ oder auch „Poppers“ handelt es sich um durch die Nase oder den Mund inhalierte, flüchtige Stoffe wie Lösungsmittel oder einige bestimmte Gase, die in frei verkäuflichen Klebstoffen, Reinigungsmitteln und Sprays enthalten sind. Meist handelt es sich um aromatische Kohlenwasserstoff- oder Chlorkohlenwasserstoffverbindungen. Die Substanzen wirken größtenteils narkoseähnlich und nach einer initialen Benommenheit kommt es zu Gefühlen wie Euphorie und Enthemmung sowie Halluzinationen. Abhängig von der inhalierter Menge können auch Bewusstseinstrübungen bis hin zur Bewusstlosigkeit auftreten. Auf lange Sicht gesehen kommt es zu heftigen Organ- und Nervenschäden.

    Intoxikationssymptome

    • ZNS Halluzinationen, Verwirrtheit, Erregung, Paranoia, Schwindel, Nystagmus, Koordinationsstörungen, verwaschene Sprache, Gangunsicherheit, Tremor, Hyporeflexie, Stupor bis Koma
    • Herz-Kreislauf: Hypertonie
    • Magen-Darm: Übelkeit, Erbrechen
    • Vegetativ: Hyperthermie
    • Pulmonal: Asthmaanfälle, Lungenödem, direkte Lähmung des Atemzentrums
    • Ophthalmologisch: verschwommenes Sehen und Doppelbilder
    • Andere: Muskelschwäche

    Therapie (symptomatisch)

    • EKG-Diagnostik bzgl. Herzrhythmusstörungen
    • Überwachung Atemwege und Atmung (ggf. Atemwegssicherung und Beatmung notwendig)
    • O2-Gabe
    • Volumentherapie
    • Gabe von Benzodiazepine wie 1 -2 mg Lorazepam bei Unruhe oder Psychosen

    Kokain

    Bei Kokain handelt es sich um ein farbloses, in kristalliner Form weiß aussehendes Pulver, was auch als „Schnee“ oder „Koks“ bekannt ist und meist geschnupft wird (seltener auch i.v. appliziert oder als „Crack“ in speziellen Pfeifen geraucht). Kokain ist ein Alkaloid der Kokapflanze mit der chemische Summenformel C17H21NO4. Die rauchbare Form, das „Crack“ ist eine Sonderform des Kokains, das durch Verkochen von Kokainhydrochlorid mit Natron entsteht. Kokain sorgt für eine vermehrte Ausschüttung der Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Serotonin mit der Folge einer starken ZNS-Stimulation und gesteigerter Wachheit, dem Eindruck von Allmacht und kurzzeitiger Euphorie sowie der Ausschaltung sozialer & sexueller Hemmungen und des natürlichen Hungergefühls.

    Entzugserscheinungen

    • psychisch
      • Psychosen, Wahnvorstellungen, wie Dermatozoenwahn, und Angstzustände
      • Persönlichkeitsveränderung (CAVE: Aggression)
      • extremes Substanzverlangen („Craving“)
    • körperlich
      • Hypertonie
      • Tremor
      • Juckreiz am ganzen Körper
      • Schüttelfrost
      • mattes Gefühl bis totale Erschöpfung

    Folgeschäden

    • körperlich
      • Schwächung von Immunsystem, Blutgefäßen, Nerven, Leber, Herz und Nieren
      • gestörter Menstruationszyklus und unsichere Wirkung der Antibabypille
      • brüchige Nasenscheidewand mit häufigem Nasenbluten bis zum Verlust des Geruchs- & Geschmackssinns beim Sniefen
      • Zahnschäden durch Calciumentzug
      • starker Gewichtsverlust
      • „Cracklunge“ durch Ascheablagerungen in der Lunge
    • psychisch
      • Depression mit aggressiv-reizbarer Stimmung, Angst und Verwirrtheit
      • Schlafstörungen
      • Impotenz
      • Antriebs- und Konzentrationsstörungen, innere Unruhe und Leere
      • Persönlichkeitsveränderung (antisoziales und narzisstisches Verhalten)
      • Kokainpsychose (paranoide Wahnvorstellungen & Halluzinationen)

    Intoxikationssymptome

    • ZNS: Verwirrtheit, Unruhe bis zur psychomotorischen Erregung, Hypervigilanz, Angst, Enthemmung, psychotische Symptome (Wahn, Halluzination), Hyperreflexie, zerebrale Krampfanfälle bis zum Status epilepticus, Dyskinesien, Dystonien, Hyperpyrexien mit Koma, zerebrale Minderdurchblutung durch Vasokonstriktion mit ischämischen Läsionen sowie Parenchym- und Subarachnoidalblutungen
    • Herz-Kreislauf: Tachykardie, Kardiale Arrythmien, Vasospasmen, Hypertonie bis zur hypertensiven Krise, Myokardinfarkt
    • Magen-Darm: gastrointestinale Ischämien mit gastroduodenalen Ulcera
    • Renal: Niereninsuffizienz mit Rhabdomyolyse
    • Pulmonal: Tachypnoe, Dyspnoe, Atemdepressionen, alveoläre Blutungen („Crack-Lunge“), Pneumothorax und spontanes Pneumomediastinum
    • Vegetativ: adrenerges Toxidrom, maligne Hyperthermie
    • Ophthalmologisch: Mydriasis
    • Andere: Hyperhidrosis, Priapismus und Penisnekrosen

    Therapie (symptomatisch)

    • ruhiges Setting
    • Gabe von Benzodiazepinen bei Unruhe oder Krampfanfällen (2 mg Lorazepam oral, i.m., i.v.; bei Bedarf Wiederholung)
    • ggf. Antipsychotika-Gabe bei akuter Unruhe und Paranoia

    Medikamente

    Wie bei so vielen Stoffen gilt auch bei Medikamenten das alte Zitat von Paracelsus „Die Dosis macht das Gift“. Grundsätzlich lässt sich primär sagen, dass Medikamente Arzneimittel sind, die zur Heilung, Vorbeugung oder Linderung von Krankheiten dienen und einen unbestreitbaren Nutzen haben. Jedoch ist die Abhängigkeit als unerwünschte Nebenwirkung eines Medikamentes quasi das Brechen der alten Regel nach Paracelsus. Ca. 4 – 5 % aller verordneten Medikamente haben ein eigenes Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotenzial. Typische Medikamente sind z.B. Schlaf- oder Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine oder Z-Drugs, die ca. 1.600.000 Menschen in Deutschland über längere Zeit einnehmen als empfohlen, oder Schmerzmittel wie Opiate bzw. Opioide.

    In Deutschland leben in etwa 1.400.000 bis 1.500.000 Menschen mit einer Medikamentenabhängigkeit, laut einiger Schätzungen sogar bis zu 1.900.000. Bzgl. der Geschlechter sehen, stellt man fest, dass mehr Frauen min. einmal pro Woche ein Medikament ein, 26,4 % davon ein Medikament mit Suchtpotenzial, bei Männern sind es nur 20,3 %. Vor allem im Alter steigt das Risiko für eine Langzeitverschreibung. 1/3 aller Benzodiazepine und Z-Drugs erhalten Patienten < 50 Jahre, 1/3 die 50- bis 70-Jährigen und 1/3 die > 70-Jährigen.

    Benzodiazepine & Z-Drugs

    Es gibt leider keine Zahlen zur Prävalenz bzgl. der Entwicklung eines schädlichen Gebrauchs oder einer Abhängigkeit im Rahmen einer medizinisch indizierten Therapie. Alleinig aus dem epidemiologischen Suchtsurveys im Jahr 2012 wurden jeweils 0,8 % für Schlafmittelmissbrauch beziehungsweise -abhängigkeit und von 0,8 sowie 1,4 % für Beruhigungsmittelmissbrauch beziehungsweise -abhängigkeit ermittelt, wobei hier oftmals spezifische Risikogruppen wie ältere Menschen oder Altenheim-Bewohner*innen nicht oder nur kaum berücksichtigt.

    Benzodiazepinen und Z-Substanzen wirken über GABA-A-Rezeptoren mittels gamma-Aminobuttersäure (GABA), einem inhibitorischen Neurotransmitter mit großer Verbreitung im ZNS, dessen Wirkung durch beide Stoffe verstärkt wird und es dadurch zur beruhigenden bis dämpfenden Wirkung kommt. Wichtig zu erwähnen ist die große Gefahr einer Atemdepression bei starker Kumulation bzw. Überdosierung.

    Intoxikationssymptome

    • anfängliches Gefühl der Entspannung, leichte Euphorie, erhöhtes sexuelles Verlangen und Sedierung
    • bei hohen Dosen: Beeinträchtigung des Urteilsvermögens, motorische Inkoordination, verschwommenes Sehen, undeutliche Sprache, verlangsamte Reflexe, beeinträchtigte Wahrnehmung von Zeit und Raum, verlangsamte Atmung und verminderte Schmerzempfindlichkeit
    • bei schwersten Dosen: Verwirrung, Bewusstlosigkeit, Koma und Tod

    Anamnese & Diagnostik

    • Abklärung bzgl. Name, Dosis, Dauer, Art des Benzodiazepin sowie Kombination mit anderen Substanzen
    • Abklärung, ob abgesetzte Benzodiazepine und/oder Z-Substanzen nach regelmäßiger, längerer Einnahme in schrittweiser Dosisreduktion erfolgte
    • frühere Episoden von Benzodiazepin-Intoxikationen
    • Identifizierung von Toleranz, Craving, Entzugserscheinungen, Auffälligkeiten und körperlichen oder psychischen Schäden
    • Überprüfung Vitalparameter (HF, AF, RR, Temperatur und SpO2) sowie GCS
    • Vorhandensein von Ataxie
    • allgemeines Verhalten (Unruhe, Angst, Enthemmung und Aggressivität)
    • undeutliches Sprechen, Nuscheln oder belangloses Gerede
    • Wahrnehmungs- und Denkstörung (selten)

    Therapie

    • Sicherung Atemweg (Verhinderung Aspiration durch Stabile Seitenlage und/oder Absaugbereitschaft), Beatmung und Kreislauf
    • EKG-Diagnostik
    • Volumentherapie, v.a. Hypotonie
    • BZ-Messung
    • Temperaturmanagement
    • ggf. Gabe von Aktivkohle über Magensonde in Fällen schwerer Einnahme mit beabsichtigter Selbstschädigung und/oder gleichzeitiger Einnahme von anderen Substanzen (kein Erbrechen auslösen; keine Magen- und Darmspülung)
    • Antidot: Flumazenil
      • 0,1-0,2 mg/min Flumazenil i.v. langsam über 30 sec (ggf. Wiederholung jede Minute mit 0,1 mg; max. 1 – 2 mg)
      • ggf. kontinuierliche Infusion mit 0,5 – 2 mg/h notwendig
      • CAVE: Nebenwirkungen wie Krampfanfälle, Herzrhythmusstörungen (insbesondere paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie), Angstzustände, Palpitationen, Übelkeit und Erbrechen

    Opiate/Opioide

    2017 wurden deutschlandweit 423 Millionen definierte Tagesdosen (DDD) Opioide wie Tilidin, Tramadol, Morphin, Codein, Oxycodon, Hydromorphon, Fentanyl, Methadon und Buprenorphin verordnet, was ca. 1 % aller Verordnung ausmacht. Im Zeitraum 2006 bis 2015 stiegen die Verordnungen um etwa 30 % an, v.a. höher potente Opioide wie Oxycodon, Hydromorphon und Tapentadol. Betrachtet man die Altersgruppe der 60- bis 79-Jährigen, so sieht man das vor allem bei den Menschen mit niedrigem sozialen Status und Menschen mit schlechtem Gesundheitzustand einen Anstieg des Opioidgebrauchs.

    Bzgl. Prävalenz und Inzidenz gibt es nur wenige Daten hinsichtlich schädlichen Gebrauchs oder Abhängigkeit von medizinisch indizierten Opioiden. Der epidemiologische Suchtsurvey ESA aus dem Jahr 2015 berichtet von etwa 2.650.000 Fällen klinisch relevanten Konsums (schädlicher und abhängiger Konsum) und von circa 600.000medikamentös opioidabhängigen Patien*innen (Frauen sind laut den Daten gefährdeter). Die Einjahresprävalenz von Krankenhausaufenthalten mit Diagnosen von psychischen und Verhaltensstörungen wegen Opioiden und Vergiftungen durch Betäubungsmittel liegt bei 0,8 % der Versicherten mit Langzeitopiodtherapie wegen chronischer nicht-tumorbedingter Schmerzen.

    Opiate sind Opium-Alkaloide mit morphinartiger Struktur (z.B. Morphin, Kodein), die über Opioidrezeptoren peripher und zentral im Gehirn wirken. Heute gibt es v.a. halb- und vollsynthetische Substanzen wie höher potenten Opioide (Oxycodon, Fentanyl, Buprenorphin oder Methadon) oder niederpotente Opioide (Tilidin und Tramadol). Opiate und Opioide wirken unterschiedlich stark an den verschiedenen Opioidrezeptoren (µ, κ, – δ), manchmal aktivierend, aber auch hemmend an den Untertypen der Opioidrezeptoren. Die Opioidrezeptoren sind die Bindungsstellen für die peripheren und zentralen körpereigenen Opioidsysteme.

    Die Wirkungen an den einzelnen Opioidrezeptor sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen.

    OpioidrezeptorEffekte
    μ-Rezeptor– Analgesie (peripher und zentral)
    – spastische Lähmung des Darms
    – antitussiv
    – vegetativ: Atemdepression, Hypotonie, Bradykardie, Miosis
    – Immunmodulator, meist immunsuppressiv
    – Stimmungsverbesserung, Euphorie
    – Toleranzentwicklungen ggü. einzelnen Effekten
    – Triggerung biologischer synaptischer Plastizitätsprozesse
    δ-Rezeptoren– Analgesie (peripher und zentral)
    – Anxiolyse
    – Atemdepression (peripher und zentral)
    – Konvulsion
    – Toleranzentwicklung ggü. einzelnen Effekten
    – Triggerung biologischer synaptischer Plastizitätsprozesse
    κ-Rezeptoren– Analgesie (peripher und zentral)
    – Atemdepression u. vegetat. Sympt. s.o.
    – Dysphorie
    – Diurese
    – immunmodulatorisch (peripher)
    – Toleranzentwicklungen ggü. einzelnen Effekten
    – Triggerung biologischer synaptischer Plastizitätsprozesse
    Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht). S3-Leitlinie Medikamentenbezogene Störungen – 1. Auflage. Version 01. 2020, Seite 61.

    Der bekannteste illegale Opioid-Vertreter ist das Heroin, ein ungereinigtes, halbsynthetisches Diamorphin-Präparat, gewonnen aus Saft der Schlafmohn-Samenkapseln. Im Schnitt sind 3/4 der heroinabhängigen Menschen männlich und jede*r dritte oder vierte Konsument*in wird abhängig.

    Entzugserscheinungen

    • Schweißausbrüche
    • Unruhe und Zittern
    • tränende Augen und laufende Nase
    • Gänsehaut, Hitze-Kälte-Schauer
    • Sprach- und Koordinationsstörungen
    • Anstieg von Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur bis hin zu Schwindel
    • Magenkrämpfe, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen
    • Schmerzen in Bauch, Armen und Beinen
    • Unruhe- und Angstgefühle bis hin zu Psychosen
    • Verwirrung und Desorientierung (manchmal mit Gedächtnislücken)
    • Persönlichkeitsveränderung (z.B. mit Ängstlichkeit, Depression oder Aggression)
    • extremes Substanzverlangen („Craving“ oder Suchtdruck)

    Intoxikationssymptome

    • ZNS: Antriebsminderung, Lethargie, affektive Auffälligkeiten Somnolenz, Hyporeflexie, Ataxie, tiefes Koma, Hirnödem, epileptische Krampfanfälle bis zum Status epilepticus
    • Herz-Kreislauf: Bradykardie, Schock
    • Magen-Darm: Übelkeit, Erbrechen
    • Renal: Rhabdomyolyse mit Nierenversagen
    • Pulmonal: respiratorische Insuffizienz: oberflächliche Atmung, Zyanose, (toxisches) Lungenödem, Cheyne-Stokes-Atmung
    • Vegetativ. Hypothermie
    • Ophthalmologisch: extreme Miosis (Stecknadelkopf große Pupillen)
    • Andere: Harnverhalt

    Schweregrad der Opiat-/Opioid-Intoxikation

    • mild: Veränderungen der psychophysiologischer Funktionen, geringe/keine Störungen des Bewusstseins
    • moderate: ausgeprägte Veränderungen der psychophysiologischen Funktionen und Reaktionen, einige Veränderungen des Bewusstseins
    • schwer: offensichtliche Veränderungen der psychophysiologischen Funktionen, deutliche Veränderungen der Bewusstseinslage

    Anamnese & Diagnostik

    • Eigen- oder Fremdanamnese bzgl. Vorhandensein von Tabletten oder Injektionsutensilien, Beginn, Dauer und Intensität der Symptome (abhängig von Stärke und Applikationsform)
    • Ausschluss von Differentialdiagnosen wie SHT, Meningitis oder Enzephalitis, systemische Infektionen, hepatische oder andere metabolische Enzephalopathien, diabetische Ketoazidose oder Hypoglykämie, Elektrolytstörungen und Hypoxie/Hyperkapnie

    Therapie

    • Primary Survey gemäß ABCDE-Schema
    • Freimachen der Atemwege; ggf. Intubation
    • Beatmung und O2-Gabe bei SpO2 < 93 % oder AF < 8/min
    • BZ-Messung bei Bewusstlosigkeit
    • Antidot: Naloxon (siehe Leitlinie „Evidence-based Guideline for EMS Administration of Naloxone“ der AHRQ)
      • initiale parenterale Dosierung (i.v., i.m., s.c.): 0,2 – 0.4 mg
      • initiale pädiatrische Dosierung (i.v., i.m., s.c.) 0,1 mg/kgKG bzw. subkutan eine maximale Dosis von 2 mg, welche alle 2 – 3 min wiederholt werden kann
      • nasale Dosierung: 0,1 mg/kgKG (max. 4 mg)
      • ggf. Wiederholung alle 2 – 3 min (max. 10 mg; Titration so, dass Dosismenge und Frequenz ausreichende Spontanatmung aufrechterhalten, ohne Entzugssymptome auszulösen)

    Neue Psychoaktive Substanzen

    „Neue psychoaktive Substanzen“ (kurz NPS) sind unterschiedliche Gruppen synthetisch hergestellter Drogen, die im Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz geregelt und definiert sind, und die psychoaktiven Effekte anderer illegaler Drogen imitieren. Sie werden absichtlich so hergestellt, dass sie zusammensetzungsbedingt nicht unter aktuell gültige Gesetze fallen. Daher auch der manchmal genutzte Begriff „Legal Highs“. Hauptbestandteil fast aller „Legal Highs“ sind sogenannte Research Chemicals, also legale, hochpotente Chemikalien für die Pharmaforschung. Laut epidemiologischen Suchtsurvey 2015 hatten min. 2,8 % der deutschen Erwachsenen schon einmal Kontakt mit NPS, wobei hierbei synthetische Cannabinoide und Cathinone führend sind. Bei Schülerbefragung in Frankfurt wurde ermittelt, dass ca. 6 % der Jugendlichen schon min. einmal im Leben sogenannte „Räuchermischungen“ und 2 % andere „Legal Highs“ oder Research Chemicals konsumiert haben. Typische Konsumformen sind Rauchen, orale Aufnahme als Tee, Sniefen bei den „Badesalzen“ oder Schlucken bei sog. „Düngerpillen“. Auf der Seite des Bundesgesundheitsministerium findet man zusätzlich eine Übersicht der jährlich neu gemeldeten NPS.

    Akut gefährlich sind NPS grundsätzlich, aber v.a. bei Überdosierung, aufgrund Symptomen wie akuter Dehydration und Hyperthermie (v.a. bei Stimulanzien), Kreislauf- oder Nierenversagen, Atemlähmung, Realitätsverlust (CAVE: Fehleinschätzung von Gefahren), sexuelle Enthemmung mit Risiko von Infektionen und Missbrauch und Verletzungsrisiko beim „Sniefen“ durch scharfkantige Röhrchen sowie selten wegen des erhöhten HIV- und Hepatitis-Infektionsrisiko durch fremde Spritzbestecke.

    Zu den typischen Folgeschäden gehören:

    • körperlich
      • Schwächung von Immunsystem und Organen
      • starker Gewichtsverlust
      • gestörter Menstruationszyklus sowie unsichere Wirkung der Antibabypille
      • beim nasalen Konsum Brüchigwerden der Nasenscheidewand (häufig Nasenbluten bis zum Verlust von Geruchs- & Geschmackssinns)
      • erhöhte Gefahr von Missbildungen sowie Früh- und Totgeburten bei Konsum in der Schwangerschaft
    • psychisch
      • Depressionen
      • Angstzustände
      • Halluzinationen
      • Verfolgungswahn
      • Panikattacken
      • bis hin zu Suizidneigung
      • verminderte Konzentrations- und Merkfähigkeit
      • Persönlichkeitsveränderungen wie Gefühlskälte oder Antriebslosigkeit (CAVE: Aggression)
      • Zwangsgedanken/Zwangshandlungen
      • Schlafstörungen
      • Psychosen

    Genaueres zur Wirkung der NPS und Beispielen für selbige findet ihr auf Seite 16 & 17 der Broschüre „Neue Psychoaktive Substanzen – Basisinformationen“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V.. Die Behandlung von NPS-Intoxikationen ist rein symptomatisch, da in den seltensten Fällen klar ist, um was für eine Substanz oder Abkömmling es sich handelt.

    Stimulanzien

    Die Gruppe der Stimulanzien ist vor allem bekannt für die illegalen Suchtstoffe wie Amphetamine, Ecstasy (MDMA (3,4 Methylendioxy-N-methamphetamin); MDE (3,4 Methylendioxy-N-ethylamphetamin); MBDB (N-Methyl-1-[1,3-benzodioxol-5-yl]-2-butanamin); MDA (3,4-Methylendioxyamphetamin), Speed, Crystal-Meth) sowie die Medikamente Methylphenidat, Dexamfetamin, Lisidexamfetamin und Modafinil.

    Die Arzneimittel Methylphenidat, Lisidexamfetamin und Dexamfetamin werden v.a. bei ADHS und Methylphenidat zusätzlich Narkolepsie eingesetzt, Modafinil ist in Deutschland bei der Therapie starker Müdigkeit zugelassen. In einer Arbeit zur Lebenszeitprävalenz des Missbrauchs von Stimulanzien wurden Werte von 7,1 % – 29 % bei Erwachsenen, 5,3 % – 55 % bei Student*innen und 1,7 % – 4,5 % bei Jugendlichen identifiziert. Der Missbrauch von Stimulanzien bei Jugendlichen und Erwachsenen, welche wegen ADHS behandelt werden, wird in anderen Studien mit 14 % angegeben, bezogen auf Student*innen mit ADHS sogar mit 43 %.

    Der Wirkungsmechanismus von Stimulanzien ist nicht abschließend geklärt, es wird aber davon ausgegangen, dass z.B. Methylphenidat Dopamin- und Norepinephrintransportern hemmen und damit ihre Wirkung entfalten. Darüber hinaus wirkt es auch agonistisch am Serotonin-1A-Rezeptor sowie am vesikulären Monoamintransporter 2 (VMAT-2). Des Weiteren werden noch Interaktionen mit dem Glutamat- und Opioidsystem vermutet.

    Amphetamin sorgen für eine erhöhte Freisetzung von Dopamin und Noradrenalin sowie eine Hemmung von Dopamin und Norepinephrintransporter, den VMAT-2 sowie die MAO.

    Die illegale Droge Methamphetamin wird vollsynthetisch hergestellt und ist ein vielfach stärkerer chemischer Amphetamin-Abkömmling, der auch unter den Namen „Crystal Meth“, Crystal“, „Ruppe“, „Hard Pep“, „Yaba“, „Ice“, „Glass“, „Crank“ oder „Piko“ bekannt ist. Entsprechend polizeilicher Sicherstellungsstatistiken rangiert Crystal Meth auf Platz 3 nach Cannabis und Amphetaminen. Der Konsum erfolgt häufig durch „Sniefen“, also ruckartiges Einziehen durch die Nase, oder geschluckt als sog. „Bombe“.

    Körperliche Folgeschäden des längeren Kosums von „Crystal“ sind z.B. erheblicher Gewichtsverlust, „Crystal Akne“ & vorzeitige Hautalterung, Kreislauf- und Herzrhythmusstörungen, geschwächtes Immunsystem, Zahnverfall, brüchige Nasenscheidewand, Zyklusstörungen bei Frauen. Psychische Folgeschäden sind Depressionen, Angstzustände, Halluzinationen, Paranoia, Panikstörungen, Konzentrations- & Schlafstörungen, Persönlichkeitsveränderung, Zwangsstörungen, ständige körperliche Unruhe sowie Essstörungen.

    Zum Methamphetamin-Konsum gibt es keine spezifischen und belastbaren epidemiologischen Daten. Im Jahr 2012 ging man von ca. 9.000 Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren zum Konsum von „Aufputschmitteln/Amphetaminen“ aus, wobei Männer höhere Prävalenzwerte hatten als Frauen.

    Bei spezifischer Betrachtung des „Crystal Meth“ konnte in regelmäßigen Schülerbefragung in Frankfurt am Main eine Lebenszeitprävalenz bei 15-bis 18-jährigen Jugendlichen von 1 % und der aktuelle Konsum in den letzten zwölf Monaten mit < 1 % ermittelt werden. Bezüglich der Sicherstellungen illegaler Drogen lag Methamphetamin im Jahr 2014 bundesweit mit 3.905 Fällen auf Platz 3, hinter Amphetamin (9.853 Fälle) und Cannabis-Produkten (36.720 Fälle) und knapp vor Heroin (2.857 Fälle). Bei erstauffälligen Konsumierenden harter Drogen lag Methamphetamin im Jahr 2014 mit 3.138 Fällen an zweiter Stelle nach Amphetamin (11.356 Fälle). 2014 starben mindestens 28 Menschen aufgrund Amphetamin- oder Methamphetaminkonsums.

    Intoxikationssymptome

    • ZNS: Agitation, Aggression, Verwirrtheit, Angst, Hypervigilanz mit Schlaflosigkeit, Dysphorie, psychotische Symptome (Halluzinationen, Wahn, Ich-Störungen), Bewusstseinsstörungen, Hyperreflexie, Nystagmus, Tremor, Krampfanfälle
    • Herz-Kreislauf: Tachykardie, Arrhythmien, Palpitationen, Hypertensive Krisen mit intrazerebralen Mikro- und Makrohämorrhagien, Herzmuskelentzündung, Schmerzen in der Brust, Myokardinfarkt, Kammerflimmern und Asystolie
    • Magen-Darm: Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Mundtrockenheit
    • Renal: Akutes Nierenversagen
    • Metabolisch: Hyponatriämie, Azidose
    • Pulmonal: Tachypnoe, Dyspnoe, Atemdepressionen, alveoläre Blutungen („Crack-Lunge“), Pneumothorax und spontanes Pneumomediastinum
    • Vegetativ: adrenerges Toxidrom, Hyperthermie
    • Ophthalmologisch: Mydriasis, Sehstörungen
    • Andere: Trismus, Bruxismus, Nasenbluten, Rhabdomyolyse, disseminierte intravasale Gerinnungsstörungen

    Therapie

    Bei einer Methamphetamin-Intoxikation ist das syndromorientiertes Vorgehen mit Monitoring der körperlich-vegetativen und klinisch-psychopathologischen Befunde bis zum Abklingen der Symptomatik bevorzugt. Im Vordergrund steht die Begleitung und Beruhigung des Betroffenen und die Sicherung bzw. Verhinderung von Folgeschäden durch Panikzustände bzw. expansives und aggressives Verhalten. Es ist darauf zu achten, dass eine konstante Bezugsperson im Kontakt mit dem Patienten bleibt, ggf. auch anwesende Bekannte, die einen beruhigenden Einfluss auf den Patienten ausüben, mit einbeziehen. Potenziell irritierende und missverständliche Verhaltensweisen wie abrupte Bewegungen oder schnelles Zugehen auf den Betroffenen sollten vermieden werden. Grundsätzlich sollte verbal deeskaliert werden, v.a. durch ruhige und beruhigende Kommunikation und eine möglichst reizarme Umgebung.

    Auf physikalische Bewegungsrestriktionen (Fixierung) sollte so weit wie möglich verzichtet werden, da sie fast immer zur weiteren Eskalation führt und darüber hinaus die vitale Gefährdung verstärken kann (z. B. Rhabdomyolyse, Hyperthermie etc.).

    Da in Akutsituationen häufig unklar ist, welche Substanz bzw. Substanzkombination eingenommen wurde, empfiehlt es sich, möglichst zurückhaltend mit der Gabe von Medikamenten zu sein, wenn bzw. solange keine adäquate Überwachungsmöglichkeit besteht. Bei starker Agitation oder drohendem/manifestem fremd- oder selbstaggressiven Verhalten oder psychotischen Symptomen sind schnell wirksame Benzodiazepine wie Diazepam, Lorazepam oder Midazolam, oral oder i.v., zu erwägen (CAVE: Patient*innen sollte bis zur Bewusstlosigkeit sedieren). Typische Dosierungen wären:

    • Diazepam: 10 mg oral, ggf. Wiederholung nach 30 min; alternativ: 2,5 – 5 mg i.v. Bolus, ggf. Wiederholung nach 5 – 10 min
    • Midazolam: 5 – 10 mg oral (Tabletten od. Tropfen), ggf. Wiederholung nach 30 min; alternativ: 2 – 2,5 mg i.v. Bolus oder i.m., ggf. Wiederholung nach 5 – 10 min
    • Lorazepam: 1 – 2,5 mg oral, ggf. Wiederholung nach 60 min; alternativ: 2 – 4 mg i.v. Bolus, Wiederholung nach 5 – 10 min
    • Olanzapin: 10 mg oral (Schmelztabletten), ggf. Wiederholung nach 60 min; alternativ: 5 – 10 mg i.m., ggf. Wiederholung nach 120 min
    • Risperidon: 2 mg oral (Schmelztabletten), ggf. Wiederholung nach 60 min; 2. Wahl: Haloperidol, 5 mg oral (Tabletten od. Tropfen), ggf. Wiederholung nach 60 Min; alternativ: 5 – 10 mg i.m., ggf. Wiederholung nach 5 – 10 min

    Auch cerebrale Krampfanfälle als häufige Komplikation sind mit Benzodiazepinen als Mittel der 1. Wahl zu behandeln (CAVE: Antipsychotika können generell die Krampfschwelle senken).

    Weitere Informationen zum Vorgehen findet ihr in der Leitlinie „Methamphetaminbezogene Störungen“ der DGPPN. Gegebenenfalls ist bei körperlichen Komplikationen je nach Schweregrad eine stationäre Aufnahme mit Intensivmaßnahmen indiziert.

    Quellen

    Quellen – Exkurs – Suchtprobleme bei medizinischem Personal

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