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Leitlinie „Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen“ der DGV (Update 2025)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV)
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 01.09.2025
Ablaufdatum: 30.08.2030
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/044-001

Grundsätzliches

  • Definition „Verbrennung“
    • durch thermische Noxen verursachte Verletzung des Körpers
    • Schädigung durch Flammen, heiße Flüssigkeiten, Dampf beziehungsweise Gase, Festkörper oder Kontaktflächen, Reibung sowie durch die Exposition ggü. Strahlung (z.B. UV-Strahlung) und elektrischem Strom
    • Einwirkung chemischer Substanzen, wie von Säuren oder Laugen, kann zu vergleichbaren Schädigungen des Gewebes führen
  • Definition „Verbrennungskrankheit“
    • tritt auf, größere Areale des menschlichen Körpers von einer Verbrennung betroffen sind
    • neben dem Flüssigkeitsverlust über die betroffene Wundfläche kommt es zur massiven Ausschüttung von Entzündungsmediatoren aus den verbrannten Körperarealen
    • Verbrennungskrankheit beschreibt die Kreislaufreaktionen bis hin zum hypovolämen Schock, zu systemischen Entzündungsreaktionen im Sinne eines SIRS und im weiteren Verlauf zur Sepsis sowie zum Versagen ganzer Organsysteme

Epidemiologie

  • Inzidenz leichter Verbrennungen: 600/100.000 Einwohner*innen pro Jahr
  • Inzidenz schwerer Verbrennungen: 2/100.000 Einwohner*innen pro Jahr
  • 2021 2359 Fälle mit drittgradigen Verbrennungen von Kliniken codiert –> 2,8 Fälle/100.000 Einwohner*innen
  • < 1 % aller Notarzteinsätze beinhalten das Stichwort „Verbrennung“
  • Hauptursachen von Verbrennungen
    • direkte Flammeneinwirkung (52 %)
    • Verbrühungen (23 %)
    • Explosionen (6 %)
    • Kontaktverbrennungen (5 %)
    • Stromunfälle (4 %)
    • verschiedene Entitäten (4 %)
  • Geschlechterverteilung
    • männliche Geschlecht: 71 %
    • weibliches Geschlecht: 29 %
  • Unfallorte/-arten
    • häusliches Umfeld (64 %)
    • Arbeitsunfälle (21,4 %)
    • Verkehrsunfälle (1,8 %)
    • in Folge krimineller Handlungen (1,1 %)
    • Suizide (5,2 %)

Beurteilung der Verbrennung

  • Verwendung des Abbreviated Burn Severity Index (ABSI-Score) zur Einschätzung der Prognose brandverletzter Patient*innen (Letalitätsprognose im Wesentlichen von drei Parametern ab: Ausmaß/Tiefe der Verbrennung & Begleitverletzungen, Komorbiditäten sowie Qualität der medizinischen Versorgung)

lokale Einschätzung thermischer Verletzungen

  • allgemeine Traumadiagnostik bei Patient*innen mit entsprechendem oder unklarem Verletzungsmechanismus, unabhängig von der Brandverletzung
  • Reinigung und Palpation der Wunden unter sterilen Kautelen, um Fremdkontamination zu vermeiden
  • bei Beurteilung Auskühlung der Verletzten unbedingt vermeiden
  • Anwendung der Neuner-Regel, v. a. in der präklinischen Ersteinschätzung
  • im weiteren Verlauf bei der genaueren klinischen Evaluation die Tabelle nach Lund und Bowder sowie standardisierte (schematische) Lokalisations-Einzeichnungen nutzen
  • Beurteilung der Verbrennungstiefe anhand der gängigen Klassifikation
Grad der Verbrennungbetroffene HautschichtenKlinik
1Epidermis– Rötung
– starker Schmerz, wie
Sonnenbrand
2aoberflächige Dermis– Blasenbildung
– Wundgrund rosig
und rekapillarisierend
– starker Schmerz
– Haare fest verankert
2btiefe Dermis (mit Hautanhangsdrüsen)– Blasenbildung
– Wundgrund
blasser und nicht oder schwach rekapillarisierend
– reduzierter Schmerz
– Haare leicht zu entfernen
3komplette Dermis– trockener, weißer, lederartig harter Wundgrund
– keine Schmerzen
– keine Haare mehr vorhanden
4Unterhautfettgewebe, Muskelfaszie, Muskeln, Knochen– Verkohlung
Quelle: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/044-001l_S2k_Behandlung-thermischer-Verletzungen-des-Erwachsenen_2021-07.pdf
  • soweit verfügbar, Verwendung der Laser-Doppler-Imaging-Technik (LDI) bei Verbrennungen unbestimmter Tiefe zur ergänzenden apparativen Diagnostik erwägen, um frühzeitige, valide Entscheidung zwischen 2a- und 2b-gradig verbrannten Arealen zu ermöglichen

präklinische Erstmaßnahmen

  • Traumapatient*innen unabhängig der Entität Ihrer Verletzung unter Beachtung des Eigenschutzes strukturiert untersuchen und behandeln
  • bei schwerbrandverletzten Patient*innen weitere potentielle Verletzungen antizipieren
  • Telemedizin kann erweiterte Expertise für Versorgung Schwerbrandverletzter in die Präklinik bringen

Vorgehen nach ABCDE-Schema

  • A – Airway
    • besonderes Augenmerk z.B. auf inspiratorischen Stridor, enorale, laryngeale sowie zirkuläre Verbrennungen des Halses haben, neben den allgemein gültigen Leitlinien zur Beurteilung des Atemwegs sowie des Atemwegsmanagements bei Polytrauma oder prähospitalen Notfallpatient*innen
    • bei Anzeichen eines möglicherweise gefährdeten Atemwegs aufgrund einsatztaktischer Überlegungen frühzeitige Atemwegssicherung erwägen
    • Aspekte der S1-Leitlinie „Prähospitales Atemwegsmanagement“ auch bei Schwerbrandverletzten beachten
    • Inhalationstrauma aufgrund des Unfallhergangs antizipieren
    • Vorliegen einer Verbrennung des Gesichtes, versengte Gesichts- und Nasenbehaarung, Ruß im Gesicht oder im Sputum sowie Zeichen der Atemwegsobstruktion (Stridor, Ödem, oropharyngeale Schleimhautschädigung) als Anzeichen eines Inhalationstraumas werten
    • Videolaryngoskopie neben der direkten Laryngoskopie als Diagnostikum eines Inhalationstraumas anwenden
    • bei präklinisch nicht lösbaren A-Problemen die nächste für das Atemwegsmanagement geeignete Klinik nach Voranmeldung mit Nennung des akuten Problems adressieren
    • abschwellende Maßnahmen frühzeitig implementieren
    • präklinisch keine formelbasierte Flüssigkeitstherapie zur Vermeidung einer Überinfusion mit Gefahr der Gewebsödembildung (frühzeitige Oberkörperhochlagerung von 20 – 45 °)
  • (B) Breathing and Ventilation
    • neben den direkt thermischen Auswirkungen und den Auswirkungen eingeatmeter Partikel einer Rauchgasinhalation chemische & toxische Effekte evaluieren und frühzeitig behandeln
    • Beatmung von Brandverletzten und Patient*innen mit Inhalationstrauma als lungenprotektive Beatmung entsprechend den Empfehlungen der S3-Leitlinie „Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Verschlechterung“
    • bei V.a. Kohlenmonoxidvergiftung sofortige 100%ige Sauerstoffinsufflation oder -beatmung
    • keine antibiotische Prophylaxe bei Patient*innen mit Inhalationstrauma
  • (C) Circulation and haemorrhage Control
    • präklinisch bei Erwachsenen 1000 mL innerhalb der ersten 2 h nach Trauma
    • präklinisch keine Formeln zur Berechnung der Volumentherapie nutzen
    • balancierte, kristalloide Vollelektrolytlösungen für die Volumentherapie
    • Nutzung vorgewärmter Flüssigkeitslösungen wegen des Hypothermie-Risikos
    • bei persistierender Hypotonie trotz ausreichender Volumengabe Noradrenalin-Gabe in der Präklinik bei Schwerbrandverletzten
    • Anlage von zwei großlumigen i.v.-Zugängen, wenn möglich durch unverbrannte Haut
    • i.o.-Zugänge frühzeitig bei fehlenden Alternativen erwägen
  • (D) Disability
    • orientierende neurologische Untersuchung bei Brandverletzten, um periphere und zentrale Nervenschädigungen zu erfassen
  • (E) Exposure / Environmental Control
    • umfassende Anamnese zum Unfallgeschehen (v.a. bzgl. Brand in geschlossenem Raum, mutmaßliche Expositionsdauer, Art der thermischen Quelle & Art des brennenden Materials)
    • keine Kühlung bei Verbrennungen > 10% VKOF
    • Wärmeerhalt gewährleisten
    • Maßnahmen zur Erhaltung der Normothermie im Rahmen der präklinischen Erstversorgung
    • Wärmung, insbesondere Patient*innen mit thermomechanischen Kombinationsverletzungen, auch in der Trauma-Versorgungs-Kette und in Trauma-Schockräumen
    • trockene, sterile, non-adhäsive Verbände in der präklinischen Versorgung als ein Bestandteil des Analgesie-Managements, frühzeitig nach orientierender Beurteilung der Oberfläche
    • feuchte/nasse Verbände sind bei großflächigen Verbrennungen kontraindiziert

Brandverletztenzentren

  • Vorstellung im Brandverletztenzentrum bei folgenden erfüllten Kriterien
    • thermische Verletzungen Grad 2 von 15 % und mehr Körperoberfläche
    • thermische Verletzungen Grad 3 von 10 % und mehr Körperoberfläche
    • thermische Verletzungen an „komplizierter Lokalisation“: Gesicht/Hals, Hände, Füße, Ano-Genital-Region, Axilla, über großen Gelenken oder anderen komplizierte Lokalisationen
    • zirkuläre thermische Verletzungen
    • Verätzungen durch Chemikalien
    • Verletzungen durch elektrischen Strom inklusive Blitzschlag
    • Inhalationstrauma in Verbindung mit äußeren Verbrennungen
    • Brandverletzte mit Begleiterkrankungen oder Verletzungen (v.a. thermomechanische Kombinationen), die die Behandlung erschweren
    • Brandverletzte, die spezielle psychotherapeutische, psychiatrische oder physische Mitbehandlung benötigen
    • besonders junge Patient*innen (< 8 Jahre) und alte Menschen (> 60 Jahre)
  • nicht immer direkte Verlegung von Brandverletzten, sondern abhängig vom Zustand der Patient*innen, von der Transportstrecke und dem Transportrisiko Erstversorgung in regionalem Traumazentrum mit Sekundärverlegung

Voraussetzungen eines Zentrums für brandverletzte Erwachsene

  • Brandverletztenzentren bedürfen einer besonderen strukturellen Ausstattung, die der besonderen Situation von Brandverletzten (z.B. in Bezug auf Hygiene, Temperaturmanagement) Rechnung trägt
  • Brandverletztenzentren erfüllen besondere Voraussetzungen in Bezug auf die bauliche Struktur und die Ausstattung
    • Personenschleuse, Material- und Bettenschleuse
    • heizbarer Aufnahme- und Schockraum mit Vorhalten aller Geräte für Reanimation oder sofortige Intensivtherapie (Beatmungsgerät, Pulsoxymeter, hämodynamische Überwachung, Bronchoskopie, Ultraschall)
    • direkt angegliedert Intensivbehandlungseinheit mit mind. 4 Betten mit Einzelzimmern
    • chirurgischer Behandlungs-/Verbandsraum mit der Möglichkeit der Hydrotherapie
    • Operationssaal von mindestens 42 qm (orientierend) innerhalb der Brandverletztenstation mit täglicher Operationsmöglichkeit. Zusätzlich soll dieser über „Laminar Airflow“ verfügen und ausreichend aufgewärmt werden können.
    • Möglichkeit zur kontinuierlichen bakteriologischen Diagnostik sowie Surveillance, z.B. Teilnahme am Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS)
    • Einrichtung zur kontinuierlichen Nierenersatztherapie
    • Zugang zu einem Gewebelabor
    • Fotodokumentation
  • Brandverletztenzentren erfüllen besondere personelle Anforderungen
    • Leiter/die Leiterin eines Zentrums für Brandverletzte: mehrjährige Erfahrung in allen Aspekten der Brandverletztenmedizin (Fachärzt*in für Plastische Chirurgie und Ästhetische Chirurgie, Fachärzt*in für Chirurgie/Unfallchirurgie und Orthopädie oder Fachärzt*in für Anästhesiologie mit Zusatzbezeichnung „spezielle Intensivmedizin“; mindestens zweijährige Tätigkeit in verantwortlicher Position in einem Brandverletztenzentrum)
    • 24h/7 Anwesenheit einer/s in der Verbrennungsmedizin erfahrenen Arztes/Ärztin im Zentrum (während der Kernarbeitszeit ein*e in der Verbrennungsmedizin erfahrener Arzt/Ärztin mit der Zusatzweiterbildung „Intensivmedizin“ auf Verbrennungsintensivstation; Gewährleistung einer 24-Stunden-Verfügbarkeit der fachärztlichen Versorgung, mit Anwesenheit innerhalb von 20 – 30 min, durch Fachärzt*in für Plastische und Ästhetische Chirurgie sowie einer/eines Ärzt*in mit Zusatzbezeichnung Handchirurgie)
    • im Rahmen eines Schichtdienstes minimal eine Pflegekraft für 2 Patient*innen und Schicht
    • multiprofessionelle Mitbehandlung u. a. durch Physio- und Ergotherapie (täglich) sowie Sprachtherapeut*innen/Logopäd*innen
    • psychotherapeutische Mitbehandlung arbeitstäglich
    • sichergestellte Erreichbarkeit einer Seelsorge
    • Einberufung eines klinischen Ethik-Komitees innerhalb von 24 h
    • weitere kooperierende Fachdisziplinen, die nicht direkt zum Verbrennungsteam gehören vorhanden sein: Orthopädie und Unfallchirurgie, Herz-/Thoraxchirurgie, Neurochirurgie, Neurologie, Innere Medizin, HNO, Ophthalmologie, Urologie, Frauenheilkunde, Psychiatrie, Radiologie, Labormedizin, Mikrobiologie oder Infektiologie

Schockraummanagement

  • Aufnahme von Patient*innen mit isoliertem schwerem Verbrennungstrauma im Schockraum des Brandverletztenzentrums
  • Erstversorgung im Schockraum der zentralen Notaufnahme bei Einlieferung von Patient*innen in Klinik ohne Brandverletztenzentrum
  • bei Kombinationsverletzungen (z.B. thermomechanisches Trauma) Übernahme und Erstversorgung im Schockraum der Notaufnahme
  • Nutzung etablierter Schemata und/oder Checklisten in Anwesenheit des kompletten Schockraumteams zur strukturierten Übergabe von Patient*innen im Schockraum
  • innerklinische Ersteinschätzung soll neben Erfassung der Vitalfunktionen die körperliche Untersuchung der komplett entkleideten Patient*innen umfassen
  • Standardmonitoring mit EKG, Blutdruck und SpO2 bei allen Patient*innen im Schockraum (bei Analgosedierung oder Narkose zusätzlich Kapnographie)
  • Anlage von arteriellen und zentralvenösen Kathetern, inkl. BGA mit Lactat-, COHb- und MetHb-Bestimmung, bei hämodynamischer Instabilität, Katecholaminbedarf oder erwartetem hohen Volumenbedarf
  • Bronchoskopie zur Beurteilung eines Inhalationstraumas bei intubierten Patient*innen
  • erste chirurgische Maßnahmen ggf. im Schockraum erfolgen
  • Prinzipien der „Damage Control“ befolgen, um Destabilisierung der Patient*innen vorzubeugen
  • bei schwierigem Atemweg oder Risiko für Entwicklung eines schwierigen Atemwegs Tracheotomie bereits im Schockraum erwägen
  • bereits im Schockraum Beginn der intensivmedizinischen Therapie der Schockphase und anschließend kontinuierliche Fortführung der Intensivtherapie
  • Schockraum entsprechend vorwärmen und zusätzliche Maßnahmen zur direkten Wärmezufuhr ergreifen

Anästhesie und Intensivmedizin

intensivmedizinische Therapie der Schockphase (Resuscitation)

  • ab > 15 % VKOF gezielte, bedarfsorientierte Flüssigkeitssubstitution
  • Verwendung von Formeln zur primären Kalkulation des Infusionsbedarfs während der Schockphase (keine primäre Berücksichtigung des Inhalationstraumas im Rahmen der kalkulierten Initialtherapie)
    • z.B. Parkland-Formel nach Baxter (4 mL/kgKG/% VKOF in 24 h) und modifizierte Brooke-Formel (2 mL kgKG/% VKOF in 24 h)
  • Flüssigkeitsersatz in der Schockphase kristalloidbasiert (Kristalloidtherapie mittels plasmaadaptierter, balancierter Lösungen; Ringeracetat ist für initialen Flüssigkeitersatz geeignet)
  • Gabe von Humanalbumin bei hämodynamischer Instabilität unter angemessener Kristalloidtherapie oder übermäßigem Flüssigkeitsbedarf (orientierend: > als mit der Parkland-Formel ermittelt) erwägen
  • kein HES und keine Gelantine bei Brandverletzten
  • bevorzugte Verwendung von Noradrenalin bei persistierendem Schock zur Herstellung eines ausreichenden Perfusionsdruckes UND bei fortbestehender Hypoperfusion bei niedrigem HZV Dobutamin erwägen
  • kalkulierte Schocktherapie rasch an die Bedürfnisse der Patient*innen anpassen (regelmäßig hinsichtlich möglicher unzureichender Organperfusion evaluieren; Steuerung der Therapie anhand von Zielparametern; Überinfusion vermeiden)

Beatmung

  • prophylaktische orotracheale Intubation bei Patient*innen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Atemwegsverlegung durch ödematöse Schwellungen der Atemwege entwickeln
  • ggf. vorübergehende kontrollierte mechanische Ventilation notwendig bei zirkulären thorakalen Verbrennung durch Restriktionen der Thorax- bzw. Abdominalwand
  • Patient*innen mit thermischen Verletzungen lungenprotektiv nach den Kriterien der Leitlinie „S3-Leitlinie Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ beatmen
  • frühe Tracheotomie erwägen bei intubierten & beatmeten Patient*innen mit hoher Wahrscheinlichkeit für prolongierte Beatmungsdauer/polongiertes Weaning ohne Option einer NIV und Patient*innen mit großflächigen Verbrennungswunden, die wiederholte operative Eingriffe mit entsprechender Atemwegssicherung notwendig machen
  • Wahl des Beatmungsverfahrens richtet sich nach den jeweiligen Indikationen und Kontraindikationen (bei Patient*innen mit Verbrennungen insbesondere nach verbrennungsbedingten anatomischen Hindernissen suchen)
  • Indikation einer ECMO-Therapie bei Patient*innen mit therapierefraktärem Lungenversagen aufgrund eines Verbrennungstraumas oder eines Inhalationstraumas nach den üblichen Therapieindikationen für eine ECMO-Therapie (CAVE: Therapiedurchführung in Zentren, die sowohl die Expertise in der Verbrennungsmedizin, als auch in der ECMO-Therapie besitzen)

Inhalationstrauma

  • Inhalationstrauma ist in erster Linie eine klinische Diagnose und soll sich vornehmlich an klinischen Zeichen, ggf. gestützt durch bronchoskopischen Befund, orientieren
  • initiale arterielle BGA mit Bestimmung von Kohlenmonoxid und Methämoglobin
  • keine Empfehlung für oder gegen ein Beurteilungsverfahren aufgrund der Diversität und fehlenden klinischen Verbreitung von Klassifikationssystemen für das Inhalationstrauma
  • Überwachung für mindestens 24 h
  • ggf. erhöhten Volumenbedarf bei Patient*innen mit schweren Verbrennungen und Inhalationstrauma berücksichtigen
  • Therapie mit vernebeltem Heparin bei Inhalationstrauma erwägen
  • Anwendung von inhalativem Stickstoffmonoxid (iNO) oder Iloprost bei Ventilations-Perfusions-Mismatch und daraus resultierender Oxygenierungsstörung erwägen (keine Stereoide)
  • hyperbare Sauerstofftherapie bei Vorliegen schwerer Vergiftungssymptome (Azidose, Vigilanzminderung, respiratorische Insuffizienz) nach individueller Nutzen-Risikoabwägung in Einzelfällen erwägen
  • supportiv 100 %ige Sauerstoffbeatmung/-Insufflation mit hohem Fluss
  • bei schweren Vergiftungen Hydroxocobalamin als Antidot erwägen (CAVE: keine prophylaktische Gabe)

Prävention und Therapie infektiöser Komplikationen

  • allgemeine Hygieneregeln einhalten (Schutzkleidung bei direktem Patient*innenkontakt; Wundversorgungaseptisch unter Verwendung antiseptischer Substanzen)
  • keine Antibiotikaprophylaxe bei Patient*innen mit Verbrennungstrauma
  • Diagnosestellung einer Sepsis prospektiv klinisch durch ein in der Behandlung Brandverletzter erfahrenes Team
  • Therapie der Sepsis gemäß aktuellen Leitlinien und Standards (CAVE: Besonderheiten Brandverletzter berücksichtigen)

Schmerztherapie und Analgosedierung

  • multimodales Konzept bestehend aus Analgetika, Adjuvantien und nicht-pharmakologischen Maßnahmen
  • Schmerzintensität regelmäßig (z.B. 8-stündlich) und standardisiert mittels eindimensionaler Schmerzskalen erfassen
  • Basis der Schmerztherapie bei Brandverletzten bilden Nichtopioide ggf. in Kombination mit schwachen oder stark wirksamen Opioiden (keine Präferenz für bestimmtes Analgetikum oder Kombination von Analgetika)
  • mögliche Co-Analgetika im Rahmen eines multimodalen Konzeptes bei Patienten*innen mit thermischen Verletzungen
    • Gabapentinoide (Gabapentin, Pregabalin)
    • analgetisch wirksame Antidepressiva (Amitryptilin, SSNRI)
    • α2-Agonisten (Clonidin, Dexmedetomidin)
  • Ketamin zur Minderung der sekundären Hyperalgesie und zur Reduktion eines hohen Opioidbedarfs bei Brandverletzten erwägen
  • Gabe von Lidocain im Zusammenhang mit prozeduralen/perioperativen Schmerzen erwägen
  • Regionalanästhesieverfahren zur Schmerztherapie, v.a. im Rahmen chirurgischer Prozeduren erwägen
  • derzeit keine hinreichende Evidenz, ein bestimmtes Verfahren der Analgosedierung bei Schwerbrandverletzten zu präferieren

chirurgische Therapie

  • Escharotomie
    • Escharotomie bei zirkulären tiefgradigen Verbrennungen (> 2/3 der Zirkumferenz; Grad 2b und Grad 3) an den Extremitäten und am Rumpf durchführen
    • bei Indikation zur Escharotomie enzymatische Escharektomie erwägen
  • konservative Therapie der Brandwunde
    • Diagnose einer Wundinfektion bei Patienten*innen mit thermischen Verletzungen anhand klinischer und paraklinischer Befunde
    • Therapie oberflächlicher Wundinfektionen bei Brandverletzten mittels topischer Applikation antiseptischer Substanzen sowie zusätzlich Hydrotherapie
    • invasive Wundinfektionen mittels chirurgischen Debridements bzw. Nekrosektomie und systemischen Antiinfektiva behandeln
    • lokal antispetische Therapie mit Polyhexanid 0,02 – 0,04 %
    • Wundverbände bei Brandverletzten sollen die Wundheilung und Epithelisierung möglichst fördern oder zumindest wenig beeinträchtigen
    • keine klare Empfehlung zugunsten eines speziellen Wundmanagementsystems (jede Klinik soll eigenes standardisiertes Therapieregime zur Behandlung von Brandverletzungen etablieren)
  • Debridement
    • Brandblasen und Wundverunreinigungen im Brandverletztenzentrum mechanisch unter aseptischen Bedingungen abtragen

Sonderformen der Verbrennung

Stromunfall

  • Ersthelfer*innen sollen auf ausreichenden Eigenschutz achten
  • Erstversorgung strukturiert gemäß dem ABCDE-Schema
  • Bewertung des Verletzungsausmaßes bei Stromverletzungen auf Basis der klinischen Untersuchung und der intraoperativen Exploration mit radikalem Debridement, um auch tiefe Gewebeschädigungen zu erfassen
  • gesamte Körperoberfläche begutachten, auch bei nur kleinen Hautläsionen
  • Anamnese beim Stromunfall soll Unfallhergang, Höhe der applizierten Spannung, Stromart, Bewusstseinsstatus bei Auffinden, eventuellen Kreislauf- oder Atemstillstand umfassen sowie initiale EKG-Veränderungen berücksichtigen
  • MRT-Diagnostik und Angiographie zur weiterführenden Beurteilung der Schädigung und zur Planung der chirurgischen Versorgung erwägen
  • 12-Kanal-EKG-Diagnostik
  • Ausschluss von Begleitverletzungen durch FAST und ggfs. Trauma-Scan, abhängig vom Unfallmechanismus
  • brandverletzte Patient*innen mit Stromkontakt für mind. 24 h mit EKG-Monitoring überwachen, wenn initial ein Kreislaufstillstand und/oder Bewusstlosigkeit und/oder ein pathologisches EKG vorgelegen hat
  • laborchemisch neben Routinenotfalllabor Myoglobin sowie Herzenzyme bestimmen
  • bei Vorliegen einer Myoglobinurie Flüssigkeitssubstitution steigern, sodass Diurese von 2 mL/kgKG/h erreicht wird
  • bei bewusstlosen oder intubierten Patient*innen nach Stromunfall engmaschiges klinisches Monitoring der Extremitäten erfolgen (v.a. Kompartmentsyndrom)
  • Zeitpunkt der ersten Nekrektomie richtet sich nach klinischem Zustand und soll je nach klinischem Befund möglichst frühzeitig nach dem Stromunfall erfolgen
  • unmittelbare neurovaskuläre Dekompression bei Kompartmentsyndrom
  • Erwägung, teilnekrotische Strukturen von Nerven, Gefäßen, Muskeln und Sehnen zu belassen, wenn in der Umgebung ausreichend vitales Gewebe vorhanden ist oder eine zeitnahe lappenplastische Deckung mit gut durchblutetem Gewebe erfolgt
  • ophtalmologische Untersuchung nach Stromverletzungen
  • Verletzungsmuster bei Lichtbogenverletzungen –> Behandlung entsprechend der Verbrennungstiefe

chemische Verletzungen

  • Definition „Verätzung“: Gewebezerstörungen, die durch Einwirkung von ätzenden Stoffen hervorgerufen werden (teilweise oder vollständige Zerstörung von Zellen oder Struktur der Haut oder der Augen)
  • bei Kontakt mit Säure oder Lauge grundsätzlich Kleidung des betroffenen Körperareals entfernen und die Haut gründlich mit Wasser spülen und dekontaminieren
  • Diphoterine zur unmittelbaren Anwendung nach Verätzungen erwägen
  • keine frühzeitige Spalthauttransplantation bei chemischen Verletzungen
  • Anweisungen des Herstellers oder des regionalen Giftnotrufs befolgen, sofern die genaue Substanz bekannt
  • folgende Substanzen bedürfen einer besonderen Dekontamination:
    • Calciumoxid (CaO, Zement) –> kein Wasser, möglichst rasch abbürsten
    • Natriumoxid (NaO, Rohrreiniger) –> lange und gründliche Spülung mit kühlem Wasser
    • Natriumhypochlorid (NaClO, Bleiche, Desinfektionsmittel) –> schnelles Abwaschen mit Seife mit anschliessender Spülung
    • Weißer Phosphor (P4) –> sofortige Spülung mit kaltem Wasser und chirurgisches Debridement
    • Flusssäure (HF) –> sofortige ausgedehnte Spülung für mind. 20 min; Wunde mit Calciumgluconat-Gel behandeln und mit Calciumgluconat unterspritzen; ggf. intraarterielle Infusion von Calcium bei Verletzungen im Bereich der Extremitäten; systemische Substitution von Kalzium bei Verätzungen > 4% der Körperoberfläche; kardiales Monitoring sowie regelmäßige Elektrolyt-Kontrollen mit bedarfsadaptierter Substitution; Spülung mit Anti-HF®- oder Hexafluorine®-Speziallösung bei Verätzungen im Bereich der Augen
    • Chromsäure (H2CrO4) –> Dekontamination durch Wasser & schnelle chirurgische Behandlung
    • Phenol (C6H6O) –> rasche Dekontaminierung unter fließendem Polyethylen-Glykol
    • Teer/Bitumen –> Therapie erfolgt mittels Ablösung durch Tween 80 ® (Polysorbat) am ehesten unverdünnt als Bad oder als getränkte Gaze (verfügbar in Krankenhausapotheken, die selbst Cremes zubereiten, auch an den Augen anwendbar)

Blast Injury

  • Definition „Blast Injury“: komplexe Traumatisierung des menschlichen Körpers, die durch direkte oder indirekte Auswirkungen einer Explosion und insbesondere bei einer Detonation entstehen
  • Versorgung von Verletzten nach Blast Injury durch ein in der Polytraumadiagnostik und -versorgung spezialisiertes Team
  • Damage control-Konzept stringent einhalten und sowohl Diagnostik als auch Reihenfolge der notfallmedizinischen und chirurgischen Interventionen abstimmen (CAVE: Behandlung der Brandverletzungen der Haut je nach Ausdehnung in diesen Ablauf einordnen)
  • zusätzlich Untersuchung auf neurologische Schäden, Verletzungen im HNO-Bereich sowie der Augen

thermomechanische Kombinationsverletzungen

  • prähospitale Versorgung polytraumatisierter Patient*innen bei zusätzlichem Vorhandensein einer Brandverletzung unterscheidet sich nicht von einer Polytraumaversorgung
  • bei operativer Versorgung von Frakturen bei Brandverletzten Patient*innen berücksichtigen, dass die thermisch verletzten Areale im frühen zeitlichen Verlauf mikrobiell besiedelt werden

psychologische Folgen und ihre Behandlung

  • während des Akutaufenthaltes brandverletzter Patient*innen verstärkt auf Symptome einer Depression und einer akuten Belastungsreaktion achten
  • nach Abschluss der Akutbehandlung bei brandverletzten Patient*innen auf Symptome einer Depression, einer posttraumatischen Belastungsstörung, eines Alkohol- oder Substanzmissbrauchs, einer Phobie oder anderer Angststörungen achten
  • psychotherapeutische Behandlung thermisch verletzter Patient*innen in der Akutphase und in der Rehabilitation aufgrund der hohen Komplexität der Verletzung in enger Zusammenarbeit mit allen Professionen des multidisziplinären Behandlungsteams durchführen
  • Angebot zur psychotherapeutischen Unterstützung frühzeitig, schon in der akutstationären Phase
  • Vorgehen angepasst an die Bedürfnisse und die Belastbarkeit der Patient*innen und in der Hauptsache stabilisierend und entlastend wirkend
  • Informationen zu typischen Reaktionen nach schweren Unfällen und deren Verlauf vermitteln
  • konfrontative, auf die Verarbeitung des Traumas abzielende Traumatherapie ist in dieser akutstationären Phase i.d.R. noch nicht indiziert
Published inLeitlinien kompakt

Ein Kommentar

  1. Jan Jan

    Hi,

    Danke für den Artikel. Über Notfallguru hier gelandet.

    Einen Abschnitt Erste Hilfe wäre prima.

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