Skip to content

Leitlinie „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ der DGPPN

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 14.11.2022
Ablaufdatum: 31.05.2026
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/038-015

Risikofaktoren

  • Einschränkungen in exekutiven Funktionen
  • genetische Vulnerabilität
  • Veränderungen in fronto-limibischen Regionen
  • Einschränkungen in neuropsychologischen Bereichen (Emotionsregulation, exekutive Funktionen und soziale Kognitionen)
  • dysfunktionale Eltern-Kind-Beziehungen im Sinne negativer Beziehungen, niedriger
  • Fürsorge bei gleichzeitiger Überprotektion und inkonsistentem Erziehungsverhalten
  • beeinträchtigte mütterliche Bindung bei weiblichem Geschlecht
  • Kindesmisshandlung
  • dysfunktionales Elternverhalten
  • Missbrauch (sexuell, physisch, verbal), Vernachlässigung und mütterliche Feindseligkeit
  • Mobbingerfahrungen in Kindheit und Jugend

Verlauf

  • relativ stabiler zeitlicher Verlauf
  • Symptome der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) können über die Zeit besser werden
  • funktionelle Einschränkungen im interpersonellen und beruflichen Bereich jedoch nur bedingt

Komorbiditäten

  • psychische Komorbiditäten
    • depressive Störungen
    • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
    • Angststörungen
    • ADHS
    • Substanzabhängigkeit
    • bipolare Störungen
    • dissoziative Störungen
    • somatoforme Störungen
    • Essstörungen
    • andere Persönlichkeitsstörungen wie die vermeidend-selbstunsichere, dependente, narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung

Diagnostik

  • Unterscheidung der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung in
    • impulsiver Typus
    • Borderline-Typus
  • V.a. BPS bei folgenden Charakteristika bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren
    • wiederholtes suizidales oder selbstverletzendes/selbstschädigendes Verhalten
    • erhebliche emotionale Instabilität
    • gleichzeitiges Vorliegen mehrere psychischer Störungsbilder
    • kein befriedigender Behandlungserfolg hinsichtlich vorliegender psychischer Symptome durch bisher durchgeführte Therapien
    • sehr beeinträchtigtes psychosoziales Funktionsniveau
  • zusätzlich zur Diagnosestellung sorgfältige klinische Diagnostik

Diagnosekriterien ICD-10

  • impulsiver Typus
    • allgemeine Kriterien für Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein
    • min. drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen (Punkt 2 ist obligat)
      • deutliche Tendenz, unerwartet und ohne Berücksichtigung der Konsequenzen zu handeln
      • deutliche Tendenz zu Streitereien und Konflikten mit anderen, vor allem dann, wenn impulsive Handlungen unterbunden oder getadelt werden
      • Neigung zu Ausbrüchen von Wut oder Gewalt mit Unfähigkeit zur Kontrolle explosiven Verhaltens
      • Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen, die nicht unmittelbar belohnt werden
      • unbeständige und launische Stimmung
  • Borderline-Typus
    • allgemeine Kriterien für Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein
    • min. drei der oben unter F60.30 B erwähnten Kriterien müssen vorliegen und zusätzlich mindestens zwei der folgenden Eigenschaften und Verhaltensweisen
      • Störungen und Unsicherheit bezüglich Selbstbild, Zielen und „inneren Präferenzen“ (einschließlich sexueller)
      • Neigung, sich in intensive, aber instabile Beziehungen einzulassen, oft mit der Folge von emotionalen Krisen
      • übertriebene Bemühungen, das Verlassenwerden zu vermeiden
      • wiederholt Drohungen oder Handlungen mit Selbstbeschädigung
      • anhaltende Gefühle von Leere

Diagnosekriterien DSM-5

  • min. fünf Kriterien müssen erfüllt sein
    • Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind)
    • Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist
    • Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung
    • Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“). (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind)
    • Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten
    • Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern)
    • Chronische Gefühle von Leere
    • Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen)
    • Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome

Diagnosekriterien ICD-11

  • neue Schweregradeinteilung von Persönlichkeitsstörungen in leicht, mäßig und schwer
    • leichte Persönlichkeitsstörung
      • Funktionsbeeinträchtigungen auf spezifische Lebensbereiche begrenzt
      • andere nicht betroffen
      • einige soziale und berufliche Rollen können aufrechterhalten werden
      • kein gravierender Schaden für sich selbst oder andere einher
    • mäßige Persönlichkeitsstörung
      • Folgen erstrecken sich auf mehrere Lebensbereiche
        • einige Lebensbereiche können weniger betroffen
      • emotionale, kognitive und behaviorale Manifestationen von mäßigem Schweregrad
      • deutliche Probleme in den meisten zwischenmenschlichen Beziehungen
      • Leistungsfähigkeit bezüglich der meisten sozialen und beruflichen Rollen zu bestimmtem Grad eingeschränkt
      • Beziehungen zeichnen sich durch Konflikte, Vermeidung, Rückzug oder extreme Abhängigkeit aus
      • ggf. selbst- oder fremdschädigendes Verhalten
      • deutliche Beeinträchtigung in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen / beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen
    • schwere Persönlichkeitsstörung
      • schwerwiegende Funktionsbeeinträchtigungen des Selbst
      • Probleme im zwischenmenschlichen Bereich mit gravierenden Folgen für nahezu alle Beziehungen
      • Fähigkeit bzw. die Bereitschaft erwartete soziale und berufliche Rollen zu erfüllen ist nicht vorhanden oder gravierend eingeschränkt
      • spezifischen Manifestationen der Persönlichkeitsstörung sind schwer und betreffen die meisten, wenn nicht alle Lebensbereiche
      • oft selbst- oder fremdschädigendes Verhalten
      • gravierende Einschränkungen in allen oder fast allen Lebensbereichen,
      • einschließlich persönlicher, familiärer, sozialer, schulischer/beruflicher oder anderer wichtiger Lebensbereiche

allgemeine Persönlichkeitsstörungsmerkmale

  • Ausmaß und Durchdringungsgrad betreffend Funktionsstörungen des Selbst
    • Identität: Stabilität und Kohärenz des Identitätsgefühls (z.B. Ausmaß, in dem Identität oder Selbstgefühl unbeständig und inkonsistent oder besonders rigide und unbeweglich sind)
    • Selbstwertgefühl: Fähigkeit, ein im Ganzen positives und stabiles Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten
    • Genauigkeit der eigenen Sicht auf die eigene Persönlichkeit, ihre Stärken und Grenzen.
    • Fähigkeit zur Selbststeuerung (Fähigkeit angemessene Ziele zu planen, zu wählen und zu implementieren)
  • Ausmaß und Durchdringungsgrad betreffend interpersoneller Dysfunktion
    • Interesse, Beziehungen zu anderen einzugehen
    • Fähigkeit, die Perspektiven anderer zu verstehen und zu berücksichtigen
    • Fähigkeit, enge, wechselseitig befriedigende Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten
    • Fähigkeit, Konflikte in Beziehungen zu bewältigen
  • Durchdringungsgrad, Schweregrad und Chronizität von emotionalen, kognitiven und Verhaltensmanifestationen der Persönlichkeitsdysfunktion
    • emotionale Manifestationen
      • Bandbreite und Angemessenheit emotionaler Erfahrungen und des emotionalen Ausdrucks
      • Tendenz, emotional über- oder unterreagibel zu sein
      • Fähigkeit, unerwünschte Emotionen zu erkennen und einzugestehen
    • kognitive Manifestationen
      • Richtigkeit situativer und zwischenmenschlicher Bewertungen, v.a. unter Stress
      • Fähigkeit, angemessene Entscheidungen in ungewissen Situationen zu treffen
      • Angemessene Stabilität und Flexibilität von Ansichten und Überzeugungen
    • Verhaltensmanifestationen
      • Flexibilität im Kontrollieren von Impulsen und in der Modulation von Verhalten basierend auf Situation und Abwägen der Konsequenzen
      • Angemessenheit von Verhaltensreaktionen auf intensive Emotionen und stressvolle Umstände (z.B. Neigung zu Selbstschädigung und Gewalt)

Therapie

  • medikamentöse Interventionen nicht als primäre Therapie
  • Medikamente nicht anstelle anderer, besser geeigneter Interventionen einsetzen
  • psychopharmakologische Behandlung von komorbiden psychischen Störungen gemäß den jeweiligen aktuellen Leitlinien
    • impulsives Symptomcluster: mangelnde Impulskontrolle, Reizbarkeit, impulsive Aggression, unkontrollierbare Wut, Selbstverletzungen
    • emotionales Symptomcluster: starke Stimmungsschwankungen
    • kognitiv-perzeptives Symptomcluster: starke Dissoziationen, vorübergehende stressabhängige paranoide Vorstellungen
    • Angst(-Störungen)
    • Depressivität/depressive Störungen
    • Schlafstörungen
    • ADHS
  • in akuten Krisensituationen Einsatz von Medikamenten erwägen
  • auf Medikamente mit Abhängigkeitspotential verzichten
  • bei weiteren psychischen Störungen sollen diese gleichermaßen bei der Behandlung berücksichtigt werden
  • gefährdet die weitere psychische Störung die Psychotherapie der BPS, deren Behandlung vorgeziehen (z.B. schwere substanzbezogene Störungen, Essstörungen mit vital bedrohlicher Situation)
Published inIm Notfall PsychiatrieLeitlinien kompakt

Be First to Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert