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Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Trigeminusneuralgie“ der DGN

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Neurologie
Klassifikation gemäß AWMF: S1
Datum der Veröffentlichung: 06.10.2023
Ablaufdatum: 05.10.2028
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-016

Grundsätzliches

  • Unterscheidung in
    • klassische Trigeminusneuralgie: Neuralgie, die auf einer neurovaskulären Kompression beruhen (CAVE: alleiniger Gefäß-Nerven-Kontakt gilt nicht als hinreichend)
    • sekundäre Trigeminusneuralgie: Neuralgie, für die eine andere kausale Ursache als ein Gefäß-Nerven-Kontakt nachgewiesen werden kann (z.B. MS, Tumor, AV-Malformation etc.)
  • Lebenszeitprävalenz: 0,16 – 0,7 %
  • Inzidenz von 4 – 42/100.000 Personenjahre
  • Frauen sind häufiger betroffen als Männer (60 % vs. 40 %)
  • mittleres Erkrankungsalter: 53 – 57 Jahre
  • Trigeminusneuralgie kann ohne offensichtliche Ursache auftreten oder Resultat einer anderen Erkrankung sein
  • 4,0 – 6,3 % der MS-Patient*innen entwickeln zu Beginn oder im Verlauf der Erkrankung eine Trigeminusneuralgie
  • Anteil Befalls N. ophthalmicus (1. Ast des TN) bei kl. Trigeminusneuralgie: 19 – 32 %
  • Anteil Befalls N. ophthalmicus (1. Ast des TN) bei sympt. Trigeminusneuralgie: 13 – 27 %
  • Trigeminusneuropathie wird i.d.R. durch Trauma oder Erkrankung verursacht, die zu neuronaler Schädigung geführt hat

Diagnostik & Anamnese

  • V.a. sekundäre Form der TN, wenn Symptome erstmals bei jüngeren Patient*innen oder bilateral auftreten oder von Sensibilitätsstörungen begleitet sind
  • gemäß ICHD-3 werden Schmerzen, die auf Läsion oder Erkrankung des N. trigeminus zurückzuführen sind, in Trigeminusneuralgien und schmerzhafte Trigeminusneuropathien unterschieden
  • Diagnose erfolgt grundsätzlich in zwei Schritten: zunächst klinisch anhand der jeweils typischen Beschwerdeschilderung und dann anhand der Ergebnisse ergänzender Untersuchungen
  • Anamnese
    • Beginn der Schmerzen (akut, langsam beginnend über min/h/d/Monate, Progredienz)
    • Dauer der Symptomatik (sec/min/h/d)
    • Häufigkeit des Auftretens
    • Lokalisation (beidseitig, einseitig, gebunden an das Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Trigeminusäste)
    • Intensität (z.B. mit NRS)
    • Schmerzcharakter (stechend, blitzartig etc.)
    • auslösende bzw. verstärkende und ggf. lindernde Faktoren
    • Begleitsymptome, Vorerkrankungen
  • bei Auftreten der Symptomatik mit sensorischen Auffälligkeiten an sekundäre Trigeminusneuralgie oder Trigeminusneuropathie denken (z.B. durch ZNS-Erkrankungen oder Erkrankungen im peripheren Verlauf des Nervs bspw. im Rahmen von Gesichtsverletzungen, Augenerkrankungen, Erkrankungen der Nasennebenhöhlen oder des Mundraums inkl. der Zähne)
  • körperliche Untersuchung mit Fokus auf neurologischen Status sowie Beurteilung der Schleimhäute und des Zahnstatus (ggf. zahnärztliche Untersuchung erwägen)
  • cMRT-Diagnostik zur Detektion/zum Ausschluss einer strukturellen Trigeminusschädigung
Anamneseschema (Quelle: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-016)

Diagnosekriterien Trigeminusneuralgie

  • wiederkehrende paroxysmale, kurze, nur Sekundenbruchteile bis max. 2 min anhaltende, einseitige Schmerzattacken (ungeachtet ihrer Genese)
  • Schmerzen sind i.d.R. streng begrenzt auf das Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Äste des N. trigeminus – meist im Versorgungsgebiet des 2. und 3. Trigeminusastes
  • Schmerzen haben hohe Schmerzintensität und einen stromstoßartigen, einschießenden, stechenden oder scharfen Charakter
  • Attacken treten spontan oder ausgelöst durch vorangegangene harmlose Reize wie Kauen, Sprechen, Schlucken oder Berührung im betroffenen Versorgungsbereich des N. trigeminus auf
  • zusätzliche Auffälligkeiten/Charakteristika
    • bei starker Schmerzintensität häufig Auslösung von Kontraktionen der Gesichtsmuskeln auf der betroffenen Seite aus (Tic douloureux)
    • zwischen den Attacken in der Mehrzahl Schmerzfreiheit, ggf. dumpfer Dauerschmerz niedriger Intensität im Territorium der Schmerzattacken möglich
    • Attackenfrequenz reicht bis zu 100/d (Attacken können wochen-/monatelang täglich auftreten, aber auch jahrelange Schmerzremissionen möglich)

Differenzialdiagnosen

  • schmerzhafte Trigeminusneuropathie (TNP)
    • Gesichtsschmerz im/in den Versorgungsbereich(en) eines oder mehrerer Äste des N. trigeminus, der durch andere Erkrankung verursacht wird
    • i.d.R. Dauerschmerz oder annähernder Dauerschmerz (kurze paroxysmale Schmerzattacken können auftreten, jedoch nicht vorherrschend)
    • Hinweis auf neuronale Schädigung, neuropathische Schmerzen (brennender oder nadelstichartiger Dauerschmerz, sensible Defizite, Hyperalgesie/Allodynie)
  • anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz (persistent idiopathic facial pain, PIFP)
    • diffuse Schmerzen
    • Charakter nie elektrisierend einschießend, sondern dumpf, bohrend & anhaltend
    • ohne Trigger oder begleitende Auffälligkeiten im neurologischen Befund
    • Schmerzintensität geht nicht über mittlere Stärken hinaus
  • Gesichtsschmerzen durch Irritationen oder Schädigungen anderer umschriebener Hirnnerven oder deren Ästen (z.B. Nn. intermedius, N. glossopharyngeus und N. vagus)
    • Schmerzcharakter kann dem einer Neuralgie oder Neuropathie entsprechen
  • primäre Kopfschmerzen, z.B. Migräne, mit orofazialen Manifestationen
  • myoarthropathische Schmerzen des Kausystems (Schmerzen im Bereich der Kaumuskulatur und der Kiefergelenke)
  • Erkrankungen der Zähne, des Zahnhalteapparats oder der Kiefergelenke
  • Erkrankungen der Speicheldrüsen, der Karotiden und deren Endarterien oder myofaszialer Strukturen

Therapie

  • Carbamazepin als medikamentöse Therapie der 1. Wahl
    • 200 mg retard am Abend (max. 1200 mg/d)
    • Nebenwirkungen wie Schwindel, Doppelbilder, Übelkeit, Ataxie, Benommenheit
  • Medikamente der 2. Wahl bei akuter Exazerbation (Reihenfolge gemäß Expertenmeinung)
    • 250 – 500 mg Phenytoin i.v. (max. 25 mg/min)
    • Lidocain i.n./intraoral (1 – 2 Sprühstöße Lidocain 8 %; max. 30 Sprühstöße/d)
    • 2 mg Pimozid p.o. 1 – 2x tgl.
    • 3 mg s.c. oder 20 mg nasal Sumatriptan s.c.
    • 100 mg oder 5 mg/kgKG Lidocain i.v. (ggf. + 1,2 g Magnesium i.v.)
  • Medikamente der 3. Wahl bei akuter Exazerbation (Reihenfolge gemäß Expertenmeinung)
    • Okzipitalnerv-Blockade (1 – 2,5 ml 2% Lidocain + 4 mg Dexamethason bilateral)
    • 50 – 400 mg Lacosamid i.v. (max. 200 mg/15 min)
    • 20 mg Sumatriptan p.o./nasal
    • 0,5 mg Clonazepam p.o.
    • [Levetiracetam i.v.]
    • [Valproat i.v.]
  • Medikamente für akute Exazerbation oft wegen Nebenwirkungen oder Schwierigkeit einer wiederholten Applikation selbst nicht für längerfristige Behandlung geeignet
Published inLeitlinien kompakt

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