veröffentlichende Fachgesellschaft: Joint Trauma System – Department of Defense Center of Excellence for Trauma
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 27.10.2017
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://jts.health.mil/index.cfm/PI_CPGs/cpgs
Pathophysiologie des Ertrinkens
- Eintauchen ins Wasser führt zu Panik, Überanstrengung/Erschöpfung, reflexartigem Schnappen nach Luft und Tachypnoe sowie zu den nachfolgenden Auswirkungen von Hypo-/Hyperthermie:
- Atemwege unter der Wasseroberfläche → Atemstillstand (Unfähigkeit, dem Atemdrang zu widerstehen) → Hypoventilation → Hyperkapnie, respiratorische Azidose und Hypoxämie → Bewusstlosigkeit (LOC) → passive Flutung der Atemwege → Herz-Lungen-Stillstand
- Wasser leitet Wärme 25-mal schneller als Luft
- ggf. Herzrhythmusstörungen, veränderte Vigilanz, verminderte Kraft und Koordination
Phasen der Behandlung
- Rettung und Wiederbelebung im Wasser
- erste Wiederbelebung an Land
- erweiterte prähospitale Versorgung
- Versorgung in Notaufnahme oder auf ITS
Selbsthilfe bei Ertrinken in kaltem Wasser
- plötzliches Eintauchen in kaltes Wasser (< 33 °C) führt zu Panik, reflexartigem Schnappen nach Luft und Tachypnoe
- 1 min/10 min/1 h/2 h-Regel (Schritte zum Überleben):
- Atmung kontrollieren
- 10 Minuten Zeit, sich zu überlegen und vorsichtig zu bewegen bevor die Kälte für die Handlungsunfähigkeit sorgt
- 1 Stunde Zeit, bevor man aufgrund der Unterkühlung nicht mehr ansprechbar ist
- 2 Stunden Zeit, bevor das Herz aufhört zu schlagen
erwartete Überlebenszeit in kaltem Wasser
Wassertemperatur | Zeit bis Erschöpfung oder Bewusstlosigkeit | erwartete Überlebenszeit |
---|---|---|
> 27 °C | nicht bestimmt | nicht bestimmt |
21 – 27 °C | 3 – 12 h | 3 h bis unendlich |
16 – 21 °C | 2 – 7 h | 2 – 40 h |
10 – 16 °C | 1 – 2 h | 1 – 6 h |
4 – 10 °C | 30 – 60 min | 1 – 3 h |
0 – 4 °C | 15 – 30 min | 30 – 90 min |
< 0 °C | < 15 min | < 15 – 45 min |
Rettung und Wiederbelebung im Wasser
- Identifizierung und Lokalisierung des Opfers (Oft regungslos, leicht unter die Wasseroberfläche gesunken; ggf. unter der Wasseroberfläche, nicht mehr auftauchend)
- genaue Dokumentation der Umgebungsbedingungen, einschließlich Zeit des Eintauchens, Art und Temperatur des Wassers und der Luft, Taucher (Tiefe, Zeit in der Tiefe, Art der Tauchausrüstung)
- Sicherheit der Retter hat Vorrang
- Greifen/Erreichen des Opfers mittels Gegenständen vom sicheren Ufer oder Schiff aus oder Nutzen eines Rettungsrings oder Seils
- Verunglückten ans Ufer oder aus dem Wasser ziehen
- ins Wasser gehen als Ultima ratio
- Beatmung im Wasser nur, wenn schnelle Bergung NICHT möglich ist; Thoraxkompressionen im Wasser sind nicht wirksam
- Verletzungen der Halswirbelsäule bei Ertrinkungsopfern sind gering; unnötige Ruhigstellung der HWS kann Beatmung verzögern und Öffnung der Atemwege behindern; routinemäßige Stabilisierung der Halswirbelsäule nicht empfohlen, wenn keine Umstände vorliegen, die auf Wirbelsäulenverletzung hindeuten
- Patienten, die aus kaltem Wasser gerettet werden, so behutsam wie möglich behandeln (CAVE: Herzrhythmusstörungen)
initiale Maßnahmen an Land
- Patient*in soweit wie möglich von Gefahren entfernen
- Patienten parallel zur Uferlinie lagern, so dass sich Kopf und Füße auf gleicher Höhe befinden
- Reanimation: Airway, Breathing, Circulation (nicht CAB, aufgrund der Auswirkungen des Ertrinkens auf die Atmung)
- bei Bewusstlosigkeit und fehlender Atmung mit 5 Atemzügen beginnen und dann dann mit 30:2 fortfahren (Herzstillstand beim Ertrinken ist in erster Linie auf Sauerstoffmangel zurückzuführen)
- Beatmung mit den verfügbaren Hilfsmitteln (Sauerstoff, Beutel-Maske-Beatmung, etc.)
- auf Erbrechen vorbereiten (65 % der Opfer, die beatmet werden müssen, Erbrechen; 88 % der Opfer, die eine Herzdruckmassage erhalten, erbrechen)
Indikationen zur Einweisung ins KH
- reanimitierte Patient*innen
- bewusstlose Patient*innen
- Patient*innen mit Kurzatmigkeit, anhaltendem Husten, Angst, Tachypnoe, Synkope, Schaum in Mund oder Nase, pathologische Vitalzeichen, abnorme Atemgeräusche oder Hypotonie
erweiterte präklinische Maßnahmen
Atemweg sichern → Sauerstoffversorgung verbessern → Kreislauf stabilisieren → Magendekompression → Wärmeisolierung
- Reanimation beginnen, außer eindeutige Anzeichen für den Tod liegen vor (Verstümmelung, Totenstarre, Verwesung, Enthauptung usw.)
- Puls kann aufgrund von Unterkühlung oder Hypotonie schwer zu ertasten sein; nicht als alleinigen Indikator für Tod heranziehen
- Heimlich-Handgriff etc. vermeiden (CAVE: Verzögerung Beatmung, Verstärkung Erbrechen)
- bei bewusstlosen, aber atmenden Patient*innen Atemweg sichern und in Stabile Seitenlage bringen (CAVE: Erbrechen)
- bei bewusstlosen, nicht atmenden Patient*innen mit 5 Beatmungen beginnen und mit 30:2 beginnen
- wenn keine Reaktion erfolgt, von Herzstillstand ausgehen
- bei Fremdkörpern (Sand, Seetang usw.) in den Atemwegen manuelles Ausräumen in Betracht ziehen
Sauerstoffgabe & Beatmung
- 15 L/min 100 % O2, so schnell wie möglich
- berücksichtigen, dass Ertrinkungsfolgen durch erhöhte AF kompensiert werden können
- frühzeitige Intubation/mechanische Beatmung mit PEEP oder BiPAP in Betracht ziehen
- SpO2 von 92 – 96 % anstreben (Messung am Ohrläppchen)
- Anlage Magensonde erwägen
- Glukose – bei beatmeten Patienten zwischen 80 und 140 mg/dL halten
Kreislauf-Management
- häufigsten Rhythmusstörungen sind Asystolie und pulslose elektrische Aktivität (PEA)
- viele Maßnahmen wie Defibrillation und Medikamentengaben sind bei niedriger Körperkerntemperaturen unwirksam (bei < 30 °C keine Antiarrhythmika verabreichen; Schwerpunkt auf Herzdruckmassage und Beatmung)
- Wärmeerhalt
Hypothermie-Management
- leichte Unterkühlung (> 34 °C): passive Wiedererwärmung
- mäßige Unterkühlung (30 – 34 °C): aktive externe Wiederaufwärmung, sofern verfügbar
- schwere Hypothermie (< 30 °C): wenn verfügbar, aktive interne Wiedererwärmung; extrakorporale Membranoxygenierung in Betracht ziehen
Volumentherapie
- wenn Sauerstoffzufuhr Hypotonie nicht behebt, Gabe kristalloider Lösungen
- sorgfältiges Flüssigkeitsmanagement, da bei Ertrinkungsopfern ein hohes Risiko für ein Lungenödem besteht
- erwärmte intravenöse Flüssigkeiten (43 °C) zur Wiederaufwärmung verwenden
Anamnese und körperliche Untersuchung
- Messung der Vitalparameter
- Bestimmung GCS
- auf feuchte Lungengeräusche, produktiven Husten, schnelle, flache Atemzüge, substernales Brennen, unregelmäßige/langsame Herzfrequenz und verändertes Bewusstsein achten
Beendigung der Reanimation
- nach einer Stunde unter Wasser Bergung anstatt Rettung
- Wiederbelebung ggf. nach 30 Minuten HLW ohne ROSC einstellen, wenn keine Unterkühlung mehr besteht
- im Zweifelsfall Wiederbelebung fortsetzen bis der/die Patient*in wieder auf 30 – 34 °C erwärmt ist; dann HLW fortsetzen bis Asystolie > 20 min anhält
- mit zunehmender Dauer des Untertauchens steigt das Risiko des Todes oder schwerer neurologischer Beeinträchtigungen:
- 0 – 5 min – 10 %
- 6 – 10 Minuten – 56 %
- 11 – 25 Minuten – 88 %
- 25 min – fast 100%
- Dauer der kardiopulmonalen Wiederbelebung bei Ertrinken
- einleiten, wenn/bei
- Patient mit Atembeschwerden oder Atemstillstand
- Submersion für < 60 min ohne offensichtliche Anzeichen des Todes (Zerstückelung, Totenstarre, Verwesung, Enthauptung)
- Wiederbelebung fortsetzen bis zum Auftreten von Lebenszeichen
- HLW abbrechen, wenn
- nach 30 Minuten hochwertiger HLW ROSC bei erwärmten Patienten ausbleibt
- der Patient auf 30-33 °C aufgewärmt wurde und Asystolie > 20 Minuten andauert
- einleiten, wenn/bei
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