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Leitlinie „Hygieneempfehlungen für die Regionalanästhesie“ der DGAI

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)
Klassifikation gemäß AWMF: S1
Datum der Veröffentlichung: 08.04.2025
Ablaufdatum: 07.04.2030
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/001-014

Rahmenbedingungen

  • Händehygiene der Behandler*innen vor der Durchführungen aller Regionalanästhesieverfahren ist von außerordentlicher Bedeutung (adäquat durchgeführte Händehygiene ist die wirksamste Maßnahme, um die Übertragung von Erregern im medizinischen Alltag zu verhindern)
  • Themenbereiche dieser Leitlinie mit den lokal zuständigen Personen für den Hygieneplan diskutieren und die lokalen Hygienepläne für den Themenbereich Regionalanästhesie konkreter ausformulieren (siehe Tabelle)
  • Räumlichkeiten/Personenzahl
    • neben dem OP werden auch Patient*innenzimmer, der Kreißsaal, die Intensivstation sowie auch Behandlungszimmer in einer schmerztherapeutischen Praxis usw. als geeignete Orte angesehen
    • Nutzung von präklinischen RA-Techniken im Bereich des Rettungsdienstes sind dort als üblicherweise einzeitige, periphere Blockaden grundsätzlich auch akzeptabel durchführbar
    • geeignete Ablagefläche für die benötigten Utensilien muss vorhanden sein (Arbeitsfläche muss leicht zu reinigen und zu desinfizieren sein)
    • Anzahl der Anwesenden, deren Fluktuation und deren Sprechen sind auf ein sinnvolles Maß zu begrenzen

Vorbereitung der Patient*innen

  • medizinischer Mund-Nasen-Schutz und Haube für Patient*innen
    • Tragen von Kopfhaube und Mund-Nasen-Schutz (MNS) bei der Durchführung von RA-Techniken auch für Patient*innen bei Regionalanästhesie in der Nähe der Kopfregion
  • Haarentfernung
    • Haarentfernung im Bereich der Punktionsstelle nur selten notwendig (erfolgt i.d.R. um nach Punktion Katheter oder sterilen Verband sicher fixieren zu können) –> beste Methode zur Haarentfernung bzw. -kürzung auf Hautniveau ist chirurgischer Clipper (elektr. Rasierer)
  • Entfetten und Säubern der Haut
    • bei offensichtlicher Verschmutzung der Haut im Bereich der Punktion vor Desinfektion zusätzlich Reinigung der Haut (CAVE: Haut vor Desinfektion komplett abtrocknen)
    • dezidierte Entfettung der Haut ist nicht notwendig
  • Hautdesinfektion
    • standardmäßige Nutzung einer remanenzhaltigen (Chlorhexidin, Octenidin, aber auch PVP-Jod) alkoholbasierten Lösung zur Hautdesinfektion erscheint v.a. bei Anlage von RA-Kathetern sinnvoll (gefärbtes Desinfektionsmittel nicht notwendig)
    • Wischdesinfektion ist bei neuroaxialen Prozeduren in der klinischen Routine das übliche Alltagsvorgehen (Überlegenheit von Wisch- oder Sprühdesinfektion unklar; keine Empfehlung für konkrete Wischtechnik aufgrund mangelgender Evidenz
    • gründliche Sprühdesinfektion unter Beachtung der Einwirkzeit als Standarddesinfektionsverfahren bei einzeitigen peripheren Punktionen
    • Desinfektionsmittel streng von Lokalanästhetika und Kanülen/Kathetern fernhalten und nicht auf derselben Arbeitsfläche vorbereiten oder während der Punktion aufbewahren
  • sterile Abdeckungtücher bzw. -folien
    • bei neuraxialen Prozeduren oder peripheren Katheterverfahren: ausreichend dimensionierte sterile Abdecktücher (bzw. -folien) und Arbeitsflächen
    • bei einzeitigen peripheren RA-Techniken: Abdecktücher, separate sterile Ablageflächen etc. zur Infektionsprävention nicht notwendig
    • transparente Folienabdeckungen erleichtern ggf. das Vorgehen bei schwierige anatomischen Verhältnissen
  • Antibiotikaprophylaxe
    • Antibiotikaprophylaxe analog zu einer präoperativen Prophylaxe ist für die Anlage eines Regionalanästhesie-Katheters oder die Durchführung einer Regionalanästhesie ist nicht sinnvoll
    • Vorverlagerung einer geplanten präoperativen Antibiotikaprophylaxe (PAP) auf den Zeitpunkt vor der Anlage des Regionalanästhesie-Verfahrens erwägen
    • strenge Indikationsstellung für Regionalanästhesie-Katheter bei Patient*innen mit Bakteriämie

Vorbereitung der Behandler*innen

  • Verzicht auf jeglichen Schmuck, Uhren etc. an Händen & Unterarmen sowie das Tragen von künstlichen Fingernägeln (TRBA 250)
  • Händedesinfektion
    • korrekt durchgeführte hygienische Händedesinfektion mit einer korrekten Einwirkzeit erscheint ausreichend (siehe VAH-Liste für geeignete Präparate)
    • lokale Risikoeinschätzung und entsprechende Festlegung der konkreten Maßnahme im organisationseigenen Hygieneplan
    • Händewaschen mit Seife wird zusätzlich nur bei Arbeitsbeginn und -ende sowie bei groben Verschmutzungen
  • medizinischer Mund-Nasen-Schutz, Haube
    • Tragen einer Kopfhaube und eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS) für alle bei neuroaxialen Prozeduren beteiligten Personen ist obligatorisch
    • auch für Assistenzpersonen gemäß KRINKO MNS bei Spinal- und Epiduralanästhesie
    • Tragen eines MNS und einer Kopfhaube bei Durchführung einzeitiger peripherer Blockaden aufgrund der Risikoklassifizierungen 1 bis 2 sinnvoll, aber nicht zwingend geboten
  • sterile Einmal-Handschuhe & steriler OP-Mantel bei neuroaxialen Prozeduren
    • zwingend sterile Einmalhandschuhe bei Durchführung neuroaxialer Punktionen (CAVE: nach adäquat durchgeführter Händedesinfektion)
    • bei Anlage kontinuierlicher Verfahren wie Epiduralkatheter ist das Tragen eines sterilen OP-Mantels geboten
    • bei einzeitigen Injektionen (v.a. Spinalanästhesien) kann auf das Tragen eines sterilen OP-Mantels verzichtet werden
    • nach erfolgter Durchführung der Punktion und Abschluss der zugehörigen Maßnahmen hygienische Händedesinfektion
  • sterile oder medizinische Einmal-Handschuhe & steriler OP-Mantel bei peripheren Prozeduren
    • adäquat durchgeführte hygienische Händedesinfektion vor und nach der Durchführung peripherer Blockaden
    • Verwendung medizinischer Einmalhandschuhe aus Arbeitsschutzgründen gemäß TRBA 250
    • bei einzeitigen peripheren Nervenblockaden Nutzung medizinischer Einmalhandschuhe akzeptabel, wenn grundlegende Hygieneprinzipien eingehalten werden (hygienische Händedesinfektion mit adäquater Einwirkzeit vor Anlage der med. Einmalhandschuhe) und Kontakt mit desinfizierter Punktionsstelle sowie sterilem Kanülenteil sicher vermieden wird („non-touch-Tecnik“)
    • aufgrund peripherer Kathetersysteme, die aufwändige Manipulation des Katheters bei der Einlage reduzieren (z. B. kurze Over-the-needle-Systeme) auf Nutzung von sterilen OP-Mänteln ggf. verzichten
    • nach erfolgter Durchführung der Punktion und Abschluss der zugehörigen Maßnahmen hygienische Händedesinfektion

Medikamente und Material

  • ausschließlich Verwendung nur frisch angesetzter Medikamentenlösungen aus unmittelbar zuvor geöffneten Einzeldosis-Behältnissen und sterilen Medizinprodukten zur Punktion und Katheteranlage
  • Nutzung von Aufziehfiltern (Partikelfilter) zur Reduktion von Partikeln aus Glasbrechampullen, v.a. für intrathekale Verfahren
  • maximale Laufzeit von Infusionslösungen zur kontinuierlichen Schmerztherapie beträgt i.d.R. 96 h
  • Herstellung von Mischinfusionen (z.B. Lokalanästhetika mit Opioidzusatz) möglichst unter aseptischen Bedingungen (CAVE: Laufzeit unter Berücksichtigung der physikalischen Stabilität der Lösung) –> Vorgehen erfolgt aufgrund fehlender Alternativen oft patient*innenseitig in OP-Einleitungsräumen oder in anderen geeigneten Bereichen durch Assistenzpersonal bzw. Anästhesist*innen (etablierte Good Clinical Practice in Ermangelung verfügbarer Alternativen)
  • Kanülenspitze und distale Katheterteile, also Bereiche, die in den Körper eindringen, möglichst nicht berühren
  • ultraschallgesteuerte Punktionen
    • Schallkopf bei ultraschallgestützten neuroaxialen Punktionen sowie peripheren Kathetertechniken generell mit einer geeigneten sterilen, ausreichend langen Hülle versehen
    • auch bei Verwendung steriler Überzüge, Schallkopf samt Zuleitungskabel vor und nach jeder Patient*innenanwendung mit geeignetem Desinfektionsmittel desinfizieren
    • bei bestimmten einzeitigen peripheren Blockaden mit größerem Abstand von Ultraschallkopf und Einstichstelle (z.B. Shamrock-Technik der Plexus-lumbalis-Blockade) kann ggf. auf die Verwendung eines sterilen Schallkopfüberzuges verzichtet werden („no-touch-Techniken“)
    • ausschließlich Nutzung alkoholischer Hautdesinfektionsmittel oder steriler Ultraschallgele zur Verbesserung der Schallqualität
  • Tunnelung, Fixierung & Verband
    • Untertunneln von Kathetern verbessert die Fixierung und kann möglicherweise Infektionen vorbeugen
    • bei geplanter Liegedauer > 3 Tage und zugleich höherem individuellem Infektionsrisiko ist Tunnelung empfohlen (CAVE: nicht immer anatomisch gut umsetzbar)
    • keine Empfehlung zur Annaht von peripheren oder neuraxialen Kathetern zur Vermeidung von infektiösen Komplikationen aufgrund unzureichender Datenlage
    • Anlage des sterilen Verbands in aseptischer Applikationstechnik (routinemäßiger Wechsel des Verbandes nicht sinnvoll, nur bei Bedarf wie bei Verschmutzung)
    • Nutzung von Bakterienfiltern bei prolongierter epiduraler Infusionstherapie (CAVE: auf notwendige Wechselintervalle gemäß Herstellerangabe achten, i.d.R. 72 bzw. 96 h; Aspirationskontrollen ohne Bakterienfilter)

Verlaufskontrolle/Visite

  • tägliche Überprüfung der Indikationsstellung (möglichst kurze Katheterverweildauer für sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung)
  • routinemäßiger Wechsel einliegender Katheter (peripher oder neuroaxial) nach definierten Liegedauern wird nicht empfohlen
  • Einstichstelle des Katheters täglich klinisch (visuell, palpatorisch) durch qualifiziertes Personal (Anästhesist*innen, adäquat geschulte Assistenzberufe wie ATA, Gesundheits- und Krankenpflegende etc.) überprüfen (CAVE: Mindestanforderung ist tägliche Palpation und, wenn möglich, visuelle Überprüfung der Einstichstelle sowie Befunddokumentation)
  • Insertionsstellebei Missempfindungen visuell beurteilen, ggf. muss Verband dazu gewechselt werden, wenn es sich um nicht-durchsichtigen Verband handelt
  • Anzahl der Diskonnektionen bei liegenden Schmerzkathetersystemen möglichst gering halten
  • bei geplanter Diskonnektion ist Sprühdesinfektion mit alkoholischem Hautdesinfektionsmittel unter Beachtung einer adäquaten Einwirkzeit sinnvollb
  • bei versehentlicher Diskonnektion, z.B. während Mobilisation, Desinfektion des proximalen Katheterendes, gefolgt von großzügiger, steriler Resektion des proximalen Katheteranteils und Rekonnektion mit frischem Konnektor
  • Katheter mit längerer oder unklarer Diskonnektionszeit kurzfristig entfernen

Infektion

  • Infektionen werden nach Kriterien des Netzwerkes Regionalanästhesie der DGAI definiert:
    • leichte Infektion: Rötung, Schwellung, Druckschmerz (mind. 2 Kriterien müssen erfüllt sein)
    • mittelschwere Infektion: Eiteraustritt an Einstichstelle, Anstieg der Entzündungsparameter (CRP, Leukozyten), Fieber, notwendige systemische Antibiotikatherapie bei Ausschluss einer anderen Ursache (mind. 2 Kriterien müssen erfüllt sein)
    • schwere Infektion: chirurgischer Eingriff nötig (Stichinzision oder operative Revision)
  • bei neurologischen Defiziten oder meningealen Zeichen unter oder nach rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren unverzüglich geeignete Diagnostik (MRT, ggf. auch CT-Bildgebung, ggf. Liquorpunktion bzw. Abstrich der Einstichstelle) und ggf. spezifische Therapie (chirurgische Focussanierung, antibiotische Behandlung)
  • bei Verdacht auf tiefere Infektionen unter oder nach peripherer Regionalanästhesie klinische Untersuchung ggf. durch bildgebende Verfahren (Ultraschall, CT oder MRT) ergänzen
  • bei systemischer Infektion und ohne lokale Infektionszeichen Katheter nur entfernen, wenn keine anderen wahrscheinlichen Infektionsquellen vorliegen
  • Auswahl der Antibiotika sollte unter Berücksichtigung des Focus (superfizieller Infekt, epiduraler Abszeß, sekundäre Meningitis bzw. Sepsis) und der lokalen Resistenzlage erfolgen und die wahrscheinlichsten Erreger abdecken

RA-Verfahren bei speziellen Risikokonstellationen

  • bei Immunsuppression oder Tumorerkrankungen und dadurch erhöhter Infektanfälligkeit strenge Indikationsstellung sowie korrekt umgesetzte Hygienemaßnahmen unerlässlich
  • Adipositas stellt nachweisbaren Risikofaktor für leicht erhöhte Infektionsraten nach peripheren Kathetern dar, Infektionsrate bei Epiduralkathetern scheinbar nicht signifikant erhöht
  • bei Diabetikern erwartbar erhöhte Infektionsraten bei bestimmten Insertionsorten (v.a. lumbale Epiduralkatheter und Katheter an der unteren Extremität)
  • vorbestehende Infektionen wie z.B. infizierte Gelenke schließen Regionalverfahren nicht grundsätzlich aus (CAVE: großer Abstand der Punktionsstelle zum Infektionsherd und einzeitige Verfahren bevorzugen)
Published inLeitlinien kompakt

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