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Leitlinie „Hypertonie“ des NVL

veröffentlichende Fachgesellschaft: Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien (NVL)
Klassifikation gemäß AWMF: S3
Datum der Veröffentlichung: 29. Juni 2023
Ablaufdatum: 29. Juni 2028
Quelle/Quelllink: https://www.leitlinien.de/themen/hypertonie

Grundsätzliches

  • altersstandardisierte globale Prävalenz von 32 % für Frauen sowie 34 % für Männer (2019)
  • in westlichen Länder mit hohem Einkommen wussten 27 % der Frauen und 31 % der Männer mit Hypertonie (RRsys ≥ 140 mmHg, dia. ≥ 90 mmHg), dass sie eine Hypertonie haben
  • 12-Monatsprävalenz von 31,8 % in Deutschland (Männer: 32,8 %; Frauen: 30,9 %)
  • 12-Monatsprävalenz von 63,8 % bei Menschen > 65 Jahre (Männer: 62,9 %; Frauen: 63,8 %)
  • Definitionen
    • sekundäre Hypertonie = arterielle Hypertonie, die in Folge einer anderen Grunderkrankung auftritt
    • hypertensive Entgleisung = Blutdruck > 180 mmHg systolisch / > 110 mmHg diastolisch ohne akute Begleitsymptome
    • hypertensiver Notfall = Blutdruck > 180 mmHg systolisch / > 110 mmHg diastolisch sowie eines oder mehrere der nachfolgenden Symptome:
      • Enzephalopathie
      • intrazerebrale Blutung
      • ischämischer Schlaganfall
      • akutes Koronarsyndrom
      • Aortendissektion
      • Herzinsuffizienz
      • Lungenödem
      • Nierenkrankheit

Klassifikation

  • Klassifikation des Praxisblutdruckes & Definition der Schweregrade der Hypertonie
Kategoriesystolischdiastolisch
Hypertonie Grad 1140 – 159 mmHg90 – 99 mmHg
Hypertonie Grad 2160 – 179 mmHg100 – 109 mmHg
Hypertonie Grad 3≥ 180 mmHg≥ 110 mmHg
isolierte systolische Hypertonie≥ 140 mmHg< 90 mmHg

häufige kardiovaskuläre Risikofaktoren

  • Adipositas
  • Tabakkonsum
  • riskanter Alkoholkonsum
  • Diabetes mellitus
  • Hyperlipidämie
  • Bewegungsmangel
  • Stress

Symptomatik

  • Kopfschmerz
  • Schwindel, Synkopen
  • kognitive Einschränkungen
  • Visusminderung
  • Ruhe- oder Belastungsdyspnoe
  • Angina pectoris
  • Palpitationen oder Tachykardie
  • Claudicatio intermittens, kalte oder nekrotische Gliedmaßen
  • Ödeme
  • sensorische oder motorische Defizite
  • auffälliger Urin (Hämaturie, schäumender Urin, Nykturie)
  • bei Männern erektile Dysfunktion

Anamnese

  • Eigen- und Familienanamnese (inkl. familiärer Häufungen)
    • Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. KHK, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Interventionen an den Gefäßen, inkl. der Karotiden oder der Koronararterien)
    • Schlaganfall, transitorische ischämische Attacke
    • Demenz
    • Diabetes mellitus
    • Dyslipidämie
    • Nierenkrankheit
    • obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
    • posttraumatische Belastungsstörung
    • bei Frauen: Bluthochdruck während stattgehabter Schwangerschaften
  • Medikamentenanamnese
    • antihypertensive Medikation aktuell und in der Vergangenheit (inkl. Wirksamkeit und Verträglichkeit)
    • Medikamente, die mit Erhöhung des Blutdrucks einhergehen können (z.B. Analgetika, orale Kontrazeptiva, Immunsupressiva, Antidepressiva, systemische Kortikosteroide)
    • Unverträglichkeiten gegen Medikamente
    • Adhärenz/Compliance (Einhalten der medikamentösen Therapie

Diagnostik

  • v.a. bei Personen mit bestätigter Diagnose Hypertonie zur Identifikation von Endorganschäden Ruhe-EKG mit zwölf Ableitungen

Red Flags bzgl. „sekundärer Hypertonie“

  • Phäochromozytom
    • Tachykardie, Schwitzen, Palpitationen
    • Vorliegen eines Nebennieren-Tumors
    • positive Familienanamnese für ein Phäochromozytom
    • rasche Blutdruck-Eskalation, v.a. ab Alter < 40 Jahre
    • therapierefraktäre Hypertonie
  • Hyperaldosteronismus
    • RR bei Grad 2 > 160/100 mmHg, bei Grad 3 (≥ 180/110 mmHg) oder therapierefraktäre Hypertonie
    • trotz ≥ 3 antihypertensiven Wirkstoffen nicht kontrollierbare Hypertonie
    • spontane (oder Diuretika induzierte) Hypokaliämie
    • Vorliegen eines Nebennieren-Tumors
    • positive Familienanamnese für primären Hyperaldosteronismus oder frühzeitig auftretende Hypertonie
    • Akromegalie
    • Veränderungen der Gesichtszüge
    • Vergrößerung von Händen, Füßen und Schädel
  • Cushing-Syndrom
    • Hautveränderungen (Hautatrophie, Rubeosis, Plethora, Ekchymosen, livide Striae, Akne, Hautinfektionen)
    • stammbetonte Fettgewebsverteilung und nackenbetontes Fettpolster
    • Facies lunata
    • proximale Myopathie
    • Zyklusstörungen/Impotenz
    • psychische Auffälligkeiten
  • Hyperthyreose
    • Gewichtsabnahme
    • Tachykardie
    • warme und feuchte Haut
    • Unruhe, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit
    • Tremor
  • Hypothyreose
    • Gewichtszunahme
    • Müdigkeit
    • Obstipation
    • Antriebsarmut, Depressivität
    • Frieren

Therapie

  • bei hypertensiver Entgleisung, also RR > 180/110mmHg ohne akute Begleitsymptome, Kontrollmessung nach ca. 30 min Abwarten in Ruhesituation sowie moderate Blutdrucksenkung in Form kurzwirksamer oraler oder sublingualer Medikation bei Persistenz nach 30 min Ruhe
  • bei hypertensivem Notfall, also akutem starkem Blutdruckanstieg, oft mit RR > 180/110 mmHg und akuten Begleitsymptomen (z.B. Ruhedyspnoe, V.a. Schlaganfall, ACS, Aortendissektion, Lungenödem, rasch progrediente oder neu aufgetretene Nierenkrankheit, akute schwere Blutung o.ä.), umgehende Krankenhauseinweisung sowie nachfolgende medikamentöse Therapie

medikamentöse Therapie

WirkstoffInitialErhaltungKontraindikationen
Glyceroltrinitrat (s.l.)0,5 – 1 mg/hmax. 8 –
10 mg/h
– erhöhter intrakranieller Druck
– Einnahme von PDE-5-Hemmer
Urapidil i.v.12,5 mg
(– max. 50
mg)
5 – 40 mg/h– Aortenisthmusstenose, arteriovenöser Shunt
– besondere Vorsicht bei Herzinsuffizienz, die durch
mechanische Funktionsbehinderung bedingt ist (Mitralstenose, Aortenklappenstenose), bei Lungenembolie und bei Perikarderkrankungen
Amlodipin peroral5 – 10 mg5 – 10 mginstabile Angina pectoris, akuter Myokardinfarkt und
schwere Leberfunktionsstörung
Clonidin oral, s.c., i.m. oder i.v.0,075 mg0,075 mg pro
12 h
instabile Angina pectoris, akuter Myokardinfarkt, Sinusknotensyndrom, Bradykardie, AV-Block II. und III.
Grades, fortgeschrittene arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)
Furosemid peroral oder i.v.z.B. 20 – 40 mg– Wirkdauer bei chronischer Nierenkrankheit bis zu 24
Stunden
– Dosierung/-intervall richten sich u. a. nach den Begleitumständen (z. B. Ödeme)
Enalaprilat i.v. (eher stationär)1,25 mg
(über 5 min)
Dosiserhöhung bis auf
5 mg/6 Stunden
– Schwangerschaft
– Myokardinfarkt
– Bilaterale Nierenarterienstenose
Esmolol i.v. (eher stationär)Loading dose
500 – 1000
μg/kg/min
(über 1 min)
50 – 300
μg/kg/min
– Schwangerschaft
– Myokardinfarkt
– Bilaterale Nierenarterienstenose
Nitroprussidnatrium i.v. (eher stationär)0,3 – 0,5
μg/kg/min
Steigerung um
0,5 μg/kg/min
CAVE: intraarterielle oder engmaschige Blutdruckmessung empfohlen
Published inLeitlinien kompakt

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