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Leitlinie „Management of arterial hypertension“ der ESH

veröffentlichende Fachgesellschaft: European Society of Hypertension (ESH)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 21.06.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://journals.lww.com/jhypertension/Fulltext/9900/2023_ESH_Guidelines_for_the_management_of_arterial.271.aspx

Definitionen

  • Bluthochdruck = wiederholte Werte von RRsys > 140 mmHg oder RRdia > 90 mmHg
  • Weißkittel-Hypertonie = unbehandelte Hypertonie, bei der der Blutdruck bei Vorstellung im medizinischen Kontext erhöht ist, aber im privaten, nicht-medizinischen Kontext nicht
  • Schwangerschaftshypertonie = Werte von RRsys > 140 mmHg oder RRdia > 90 mmHg, die sich in oder nach der 20. SSW entwickeln
    • leichte Schwangerschaftshypertonie 140 – 159/90 – 109 mmHg)
    • schwere Schwangerschaftshypertonie (≥ 160/110 mmHg)
    • CAVE: Hypertonie, die bereits vor der Schwangerschaft bekannt war oder in den ersten 20 Wochen der Schwangerschaft auftrat, wird unterschieden in vorbestehender (chronischer) Hypertonie (essenziell oder sekundär), Weißkittelhypertonie oder maskierte Hypertonie
  • hypertensiver Notfall = Hypertension Grad 3 mit akuter Endorgansymptomatik/-schädigung, wie z.B.
    • schwere Hypertonie in Verbindung mit Zuständen wie akutem Schlaganfall (hämorrhagisch oder ischämisch/thromboembolisch), Aortenaneurysma oder -dissektion, akute Herzversagen, akutes Koronarsyndrom und Nierenversagen
    • Bluthochdruck durch Phäochromozytom oder exogene sympathomimetische Substanzen (z.B. Drogenmissbrauch)
    • Schwangerschaftshypertonie, inkl. Präeklampsie/Eklampsie mit HELLP-Syndrom
  • hypertensive Entgleisung = schwere Hypertonie ohne akuter Endorgansymptomatik/-schädigung

Klassifikation der Hypertonie

RR systolischRR diastolisch
optimaler RR< 120 mmHgund< 80 mmHg
normaler RR120 – 129 mmHgund80 – 84 mmHg
normal-hoher RR130 – 139 mmHgund/oder85 – 89 mmHg
Hypertension Grad 1140 – 159 mmHgund/oder90 – 99 mmHg
Hypertension Grad 2160 – 179 mmHgund/oder100 – 109 mmHg
Hypertension Grad 3> 180 mmHgund/oder> 110 mmHg
isolierte systolische Hypertension> 140 mmHgund< 90 mmHg
isolierte diastolische Hypertension< 140 mmHgund> 90 mmHg
Quelle: https://journals.lww.com/jhypertension/Fulltext/9900/2023_ESH_Guidelines_for_the_management_of_arterial.271.aspx

Zusätzliche Einteilung in folgende Stufen/Stadien

  1. unkomplizierter Bluthochdruck (d.h. ohne durch Bluthochdruck verursachte Organschäden oder kardiovaskuläre Erkrankungen, inkl. chronischer Nierenerkrankungen Stadium 1 und 2)
  2. Bluthochdruck mit verursachter Endorgansymptomatik/-schädigung, chronischer Nierenerkrankung Grad 3 oder Diabetes
  3. Bluthochdruck mit verursachter Endorgansymptomatik/-schädigung, v.a. kardiovaskuläre Störung, oder chronische Nierenerkrankungen der Stadien 4 oder 5

Anamnese

  • Aufzeichnungen über frühere medizinische Untersuchungen, Krankenhausaufenthalte (z.B. koronare/periphere Revaskularisation oder Karotisrevaskularisation
  • stabiler oder schnell ansteigender Blutdruck?
  • Aufzeichnungen über aktuelle und frühere Blutdruckwerte durch Selbstmessung
  • derzeitige/frühere blutdrucksenkende Medikation, inkl. Wirksamkeit und Unverträglichkeit (Therapietreue, also regelmäßige Einnahme abklären)
  • frühere Hypertonie in der Schwangerschaft/Präeklampsie

Symptomatik

  • neurologische Symptome: Kopfschmerzen, Schwindel, Synkope, Sehstörungen, TIA, sensorische oder motorische Defizite, Schlaganfall, kognitive Beeinträchtigung, Gedächtnisverlust, Demenz (bei älteren Menschen)
  • kardiale Symptome: Brustschmerz, Kurzatmigkeit, Ödeme, Myokardinfarkt, Synkope, Palpitationen, Arrhythmien (v.a. Vorhofflimmern), Herzversagen
  • renale Symptome: Durst, Polyurie, Nykturie, Hämaturie, Harnwegsinfektion
  • peripher-arterielle Symptome: kalte Extremitäten, Claudicatio intermittens, Schmerzen in Ruhe, Geschwüre oder Nekrosen

Anamnese hinsichtlich möglicher Sekundärer Hypertonie

  • frühes Auftreten von RR Grades 2 oder 3 (< 40 Jahre) oder plötzliche Entwicklung von Bluthochdruck oder rascher RR-Anstieg bei älteren Patienten
  • Vorgeschichte von wiederholten Nieren-/Harnwegserkrankungen
  • wiederholte Episoden von Schweißausbrüchen, Kopfschmerzen, Angstzuständen oder Herzklopfen, die auf ein Phäochromozytom hinweisen
  • spontane oder durch Diuretika hervorgerufene Hypokaliämie, Muskelschwäche und Tetanie (Hyperaldosteronismus) in der Vorgeschichte
  • Symptome, die auf Schilddrüsenerkrankung oder Hyperparathyreoidismus hindeuten
  • Schwangerschaft in der Vorgeschichte oder aktuell, Post-Menopause und Verwendung oraler Kontrazeptiva oder hormoneller Substitution

Risikofaktoren

  • Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall oder Nierenerkrankungen (z.B. polyzystische Nierenerkrankung) in der Familiengeschichte
  • Rauchen in der Vorgeschichte
  • Ernährungsgewohnheiten, Alkoholkonsum
  • Mangel an körperlicher Betätigung
  • Gewichtszunahme oder -abnahme in der Vergangenheit
  • erektile Dysfunktion
  • Schlafanamnese, Schnarchen, Schlafapnoe (auch fremdanamnestisch)
  • Stress oder Eustress im Beruf oder zu Hause (subjektives Stressniveau)
  • Krebs in der Vorgeschichte

Diagnostik

  • regelmäßige RR-Messung mit Vergleichsmessung an beiden Armen
  • 12-Kanal-EKG zur Erkennung von Herzrhythmusstörungen, Myokardischämie/-infarkt, Screening auf linksventrikulären Hypertrophie (ST-/T-Senkung in lateralen anterioren Ableitungen ist schwerwiegendes Zeichen einer linksventrikulären Hypertrophie)

Therapie

Blutdruck-Notfälle

  • klinische Vorstellung i.d.R. nur bei akutem Bluthochdruck mit Endorganschädigung, nicht-einstellbarem Blutdruck, fehlender Selbstmedikation der Patient*innen oder fehlender Möglichkeit der zeitnahen ambulanten, hausärztlichen Vorstellung
  • CAVE: schnell wirkende Verabreichung von Nifedipin s.l. vermeiden, da Ausmaß der Blutdrucksenkung nicht vorhersehbar ist und oft zu schnell und stärker als erwünscht ausfällt
Klinisches BildBlutdruckzieleFirst-Line-TherapieAlternative
pathologischer RR mit/ohne akutem NierenversagenMAD über mehrere Stunden um 20 – 25 % senkenLabetalol
Nicardipin
Nitroprussid
Urapidil
hypertensive Enzephalopathiesofortige Senkung des MAD um 20 – 25 %Labetalol
Nicardipin
Nitroprussid
ACSsofortige Senkung des RRsys auf < 140 mmHgNitroglycerin
Labetalol
Urapidil
akutes kardiales Lungenödemsofortige Senkung des RRsys auf < 140 mmHgNitroprussid oder Nitroglyzerin (mit Schleifendiuretikum)Urapidil (mit Schleifendiuretikum)
akute Aortendissektionsofortige Senkung des RRsys auf < 120 mmHg und HF auf < 60/minEsmolol UND Nitroprussid oder Nitroglyzerin oder NicardipinLabetalol oder Metoprolol
Eklampsie und schwere Präeklampsie/HELLPsofortige Senkung des RRsys auf < 160 mmHg und des RRdia auf < 105 mmHgLabetalol oder Nicardipin und Magnesiumsulfat
Quelle: https://journals.lww.com/jhypertension/Fulltext/9900/2023_ESH_Guidelines_for_the_management_of_arterial.271.aspx
MedikamentWirkbeginnWirkdauerDosisKontraindikationenNebenwirkungen
Metoprolol1–2 min5 – 8 h2,5 – 5 mg i.v. Bolus über 2 Minuten; kann alle 5 Minuten bis zu einer Höchstdosis von 15 mg wiederholt werdenAV-Block Grad 2/3, systolische Herzinsuffizienz, Asthma, BradykardieBradykardie
Labetalol5 – 10 min3 – 6 h10 – 20 mg i.v. Bolus in 1 Minute; inkrementelle Dosen ≥ 20 mg können in 10-minütigen Abständen i.v. verabreicht werden (max. 80 mg) oder 1 – 3 mg/min i.v. Infusion, bis der Zielblutdruck erreicht istAV-Block Grad 2/3, systolische Herzinsuffizienz, Asthma, BradykardieBronchokonstriktion, fetale Bradykardie
Nicardipin5 – 15 min4 – 6 h5 – 15 mg/h i.v. Infusion, Anfangsdosis 5 mg/h, Steigerung alle 15 – 30 min mit 2,5 mg bis zum Zielblutdruck, maximal 15 mg/hLeberversagenKopfschmerzen, reflexartige Tachykardie
Nitroglyzerin1 – 5 min5 – 10 min5 – 200 μg/min i.v. Infusion, Steigerung um 5 μg/min alle 5 minKopfschmerzen, reflexartige Tachykardie
Nitroprussidsofort1 – 3 min0,3 – 0,5 μg/kg/min i.v. Infusion, Steigerung um 0,5 μg/kg/min alle 5 min bis zum Zielblutdruck (Höchstdosis 10 μg/kg/min)Leber-/Nierenversagen (relativ)Zyanid-Intoxikation
Enalapril5 – 15 min4 – 6 h0,62 – 1,25 mg i.v. Bolus über 5 min alle 6 h verabreichtAngioödem in Vorgeschichte
Urapidil3 – 5 min4 – 6 h12,5 – 25 mg i.v. Bolus;
5 – 40 mg/h als Dauerinfusion
Clonidin30 min4 – 6 h0,2 – 0,5 μg/kg/min i.v.Sedierung, Rebound-Hypertonie
Quelle: https://journals.lww.com/jhypertension/Fulltext/9900/2023_ESH_Guidelines_for_the_management_of_arterial.271.aspx

Schwangerschaftshypertonie

  • bei Werten ≥ 140/90 mmHg keine Senkung des Blutdrucks auf <80 mmHg
  • bei Präeklampsie stationäre Einweisung in Klinik mit sorgfältiger Überwachung, v.a. bei > 37. SSW
  • keine Unterscheidung der Therapie der Präeklampsie im Vergleich zu Patientinnen ohne Präeklampsie
  • Präeklampsie mit schwerer Symptomatik wie Proteinurie, neurologische, hämatologische oder kardiovaskuläre Störungen sowie Leber-/Nierenfunktionsstörungen mit MgSO4-Infusion therapieren, um eine Eklampsie zu verhindern (sofortige/zeitnahe Entbindung in Betracht ziehen)
  • Gabe von MgSO4 zur Behandlung bei eklamptischen Anfällen mit Blutdruckkontrolle mittels Labetalol allein oder durch Kombination von Labetalol, Nifedipin und/oder Alpha-Methyldopa
  • Auswahl der blutdrucksenkenden Medikamente und Art der Verabreichung hängen von Ausgangsdiagnose, voraussichtlichem Entbindungszeitpunkt und (Nicht-)Vorhandensein einer Präeklampsie ab
  • Hydralazin-Gabe nur, wenn Labetalol oder Urapidil nicht verfügbar sind, der Blutdruck nicht gesenkt werden kann, ein AV-Block Grad 2/3, schwere Herzversagen, Asthma, Bradykardie oder schwere postpartale Hypertonie vorliegt
  • CAVE: Natriumnitroprussid als letztes Mittel einsetzen, da bei längerer Gabe ein erhöhtes Risiko einer fetalen Zyanidvergiftung besteht
  • Nitroglycerin ist Mittel der Wahl bei Präeklampsie mit Lungenödem (Infusion mit 5 mg/min und schrittweise Erhöhung alle 3 – 5 min bis max. 100 mg/minI)
  • bei längerer Transportzeit ins nächstgelegene KH 10 mg kurzwirksames Nifedipin oral erwägen, ggf. zweite Dosis nach einer Stunde, wenn Hypertonie weiter besteht (CAVE: kurzwirksames Nifedipin s.l. ist kontraindiziert)
Published inLeitlinien kompakt

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