veröffentlichende Fachgesellschaft: Association of Anaesthetists
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 23.07.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1111/anae.16378
Grundsätzliches
- Zahl der Menschen, die sich offen als transsexuell und/oder genderdivers identifizieren, hat in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen
- in GB 2021 rund 262.000 Menschen, die sich mit einem Geschlecht identifizieren, welches ihnen nicht bei der Geburt zugewiesen wurde
- 41 % der Betroffenen haben das Gefühl, dass ihre spezifischen Gesundheitsbedürfnisse von Mitarbeitenden im Gesundheitssystem nicht verstanden werden
- in GB unterziehen sich derzeit ca. 50 % der transsexuellen und/oder genderdiversen Menschen einer geschlechtsangleichenden Therapie wie Hormontherapie oder chirurgische Eingriffe unterziehen (weitere 25 % haben eine geschlechtsangleichende Therapie in Planung)
- Terminologie ist wichtig, um das Verständnis der Geschlechtervielfalt zu verdeutlichen
- Verwendung der von den Patient*innen bevorzugten Pronomen ist einfacher und effektiver Weg, um mehr Inklusion zu erreichen
Definitionen
- Geschlecht (engl. Sex): Zuordnung und Merkmale, die Menschen aufgrund der Kombination von Anatomie, Hormonen und Chromosomen als männlich, weiblich, intersexuell oder ein anderes Geschlecht definieren
- Geschlecht (engl. Gender): sozial konstruierte Merkmale, die zur Identifizierung einer Person beitragen
- Geschlechtsidentität (engl. Gender identity): eigenes inneres Selbst- und Geschlechtsempfinden als männlich, weiblich, keines von beiden, beides oder eines anderen Geschlechts
- Transgender (engl. Transgender): Sammelbegriff für Menschen, deren Geschlechtsidentität sich von dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht unterscheidet
- Cis-Geschlecht (engl. Cisgender): Begriff zur Beschreibung von Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt
- Transfrau/trans-weiblich (engl. Trans woman/trans female): Begriff, der eine Person beschreibt, die bei Geburt als Mann geboren wurde, sich aber als Frau identifiziert und als solche lebt
- Transmann/trans-männlich (engl. Trans male/trans man): Begriff, der eine Person beschreibt, die bei Geburt als Frau geboren wurde, sich aber als Mann identifiziert und als solche lebt
- Geschlechtervielfalt (engl. Gender diverse): Begriff, der verwendet wird, um Menschen mit Geschlechtsidentitäten zu beschreiben, die sich von sozialen und kulturellen Erwartungen unterscheiden, die ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugeschrieben werden (auch non-binär, geschlechtsexpansiv etc.)
- non-/nicht-binär (engl. non-binary): nicht-binäre Menschen haben Geschlecht, das nicht ausschließlich Mann oder Frau ist (d.h. nicht binär), auch genutzt als Oberbegriff für eine Reihe von Geschlechtsbezeichnungen verwendet, die weder Mann noch Frau sind, wie z.B. transmaskulin, transfeminin, agender, genderfluid, genderqueer etc.
- Intersex (engl. Intersex): allgemeiner Begriff, der sich auf Personen bezieht, die mit biologischen Geschlechtsmerkmalen geboren werden oder die sich in der Pubertät auf natürliche Weise entwickeln, die nicht typisch männlich oder weiblich sind
- Sexualität/sexuelle Orientierung (engl. Sexuality/sexual orientation): sexuelle Anziehung einer Person zu einer anderen Person auf der Grundlage ihrer geschlechtsspezifischen Präferenzen oder des Fehlens solcher Präferenzen
- Geschlechtsangleichung/-umwandlung: med. Therapien wie Hormontherapie oder chirurgische Eingriffe zum Erreichen des identifizierten Geschlechts
- Geschlechtsdysphorie: Gefühl des Unbehagens und Verzweiflung, das eine Person aufgrund der Inkongruenz zwischen ihrem biologischen Geschlecht und ihrer Geschlechtsidentität empfinden kann
Empfehlungen
- bevorzugte Namen und Pronomen der Patient*innen sollten stets bestätigt und verwendet werden
- Schaffung von Prozessen, damit die Patient*innen im Rahmen der präoperativen Untersuchung sowohl Geburtsgeschlecht als auch Geschlecht vertraulich und sicher offenlegen (z.B. digitale Fragebögen für Voruntersuchungen o.Ä.)
- Identifikation aller Formen sozialer, medizinischer und chirurgischer „Geschlechtsbejahung“ bei präoperativen Untersuchungen und Patient*innen einfühlsame Erklärungen gegeben
- präoperativer Schwangerschaftstest bei allen Patientinnen im Alter zwischen 12 – 55 Jahren anbieten, die eine Gebärmutter und Eierstockgewebe haben, unabhängig von Verwendung von Verhütungsmitteln
- alle spezifischen Informationen bzgl. Transgender- und genderdiversen Patient*innen (inkl. Name und Pronomen) dem Team mitteilen (CAVE: Mitteilung nur, wenn Patient*in zustimmt und es für die Sicherheit der Behandlung als wichtig erachtet wird)
- Beurteilung der Atemwege kann bei Patient*innen mit geschlechtsangleichenden kosmetischen Eingriffen im Gesicht und am Hals ungenau sein
- Patient*innen mit Krikothyroid-Approximation (Verfahren zur Tonhöhenerhöhung bei Transgender-Personen) haben ggf. keine Krikothyroid-Membran mehr und somit ist standardmäßige Atemwegssicherung erschwert/nicht möglich
- bei Patient*innen mit Krikothyroid-Approximation 8 – 12 Wochen nach einer OP keine atemwegsmanipulierenden Maßnahmen, außer zwingend erforderlich
- Brustbinden idealerweise mit Zustimmung der Patient*innen vor Narkose oder sonstigen Maßnahmen entfernen
- Hormontherapie während gesamter perioperativer Phase fortsetzen, es sei denn, es bestehen spezifische Kontraindikationen (ggf. Beratung bzgl. mgl. Risiken/Nebenwirkungen)
- aktuelle Ansätze für eine TIVA sind nicht für Transgender- und geschlechtsdiverse Patient*innen mit laufender Hormontherapie validiert (EEG zur Überwachung verwenden)
- Transgender- und geschlechtsdiverse Patient*innen in einem Setting betreuen, welches ihre Geschlechtsidentität respektiert (ggf. z.B. Einzelzimmer notwendig)
- Bereitstellung klarer Leitlinien für die Pflege von Transgender- oder geschlechtsdiversen Patient*innen (z.B. spezielles Aufklärungsmaterial)
- Verwendung geschlechtergerechter Sprache in allen Bereichen, um alle Identitäten zu berücksichtigen
- schwangere Transgender- oder geschlechtsdiverse Patient*innen in der pränatal Zeit anästhesiologisch vorstellen, um die Entscheidungsfindung bzgl. Entbindung zu unterstützen und die etwaige Versorgung früh zu planen
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