veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
Datum der Veröffentlichung: 01.08.2022
Ablaufdatum: 31.07.2027
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-063.html
Definition
- Blutverlust von > 500 mL nach vaginaler Geburt
- Blutverlust von > 1000 mL nach Sectio caesarea
- postpartale Blutverluste nach vaginaler Geburt oder Kaiserschnitt werden häufig nicht gemessen oder drastisch unterschätzt
Epidemiologie
- kontinuierlich steigende Inzidenz postpartaler Hämorrhagien
Klassifikation
- primäre (akute) Blutung: wenige Stunden postpartal
- Ursachen sind meist Atonie und Trauma im Sinne eines Blutverlustes (z.B. okkulte intraabdominale oder retroperitoneale Blutungen)
- klinisch kommt es zu hämodynamischer Entgleisung mit raschem Blutdruckabfall (Hypovolämie)
- sekundäre (subakute) Blutung: meist auf Wochenbettstation oder zu Hause
- Ursache dieser „sekundären“ PPH sind meist Plazentareste, Subinvolutio uteri oder Infektionen
- klinisch kommt es zu hämodynamischer Entgleisung mit Tachykardie und raschem Blutdruckabfall (hypovolämhämorrhagischer Schock).
Ursachen („4 T’s“)
- Tonus (postpartale Uterusatonie)
- uterine Überdehnung
- Tokolytika
- schnelle oder verzögerte Geburt
- (lange) Oxytocinsubstitution
- Chorioamniontitis
- Uterus myomatosus
- Trauma (Verletzung der Geburtswege)
- vulvovaginale Verletzungen
- Riss im Bereich der Cervix uteri
- Episiotomie/Dammriss
- Uterusruptur
- Uterusinversion
- Tissue (Plazentarest oder Lösungsstörung)
- Plazentaretention
- Plazentaimplantationsstörung
- Plazentaresiduen
- Thrombin (Dekompensation der Gerinnung, Koagulopathie)
- Thrombozytopenie bei HELLP-Syndrom oder disseminierter intravasale Gerinnung (z.B. Präeklampsie, intrauteriner Fruchttod, Abruptio placentae, Fruchtwasserembolie)
- Von Willebrand-Jürgens-Syndrom, plasmatische Gerinnungsstörungen, Thrombopathien, Faktorenmangel
- führenden Ursachen der PPH sind Atonie, traumatische Verletzungen, Plazentareste, und die Gerinnungsstörung; primäre Gerinnungsstörung (Koagulopathie) als Ursache der PPH ist selten
- meistens Koagulopathie bei PPH erworben
Symptomatik
- Zeichen schwerer hämorrhagischer Schock
- Agitiertheit
- Bewusstseinseintrübung
- Kaltschweißigkeit
- blasses Hautkolorit
- Tachykardie
- Hypotension
- Hyperventilation
- Oligo-Anurie
- in Folge durch gesteigerte Gerinnungssystemaktivierung Koagulopathie
Therapie
- bei vaginaler Geburt zeigen frühzeitiges Abklemmen und
Durchtrennen der Nabelschnur unmittelbar nach Geburt des
Kindes und kontrollierter Zug an der Nabelschnur keinen Effekt
zur Verminderung der postpartalen Hämorrhagie und sind zu
unterlassen - zur medikamentösen Prophylaxe der PPH können Oxytocin 3 – 5 IE i.v. als Kurzinfusion oder – bei vaginaler Geburt – i.m. verwendet werden
- Therapie beinhaltet neben allgemeinen Maßnahmen (u.a. zur Kreislaufstabilisierung) die ursachenadaptierte medikamentöse und/oder chirurgische Therapie, die rasch, koordiniert und oft zeitgleich durchgeführt werden müssen
- Blutverlust messen (Blutverlust in Tüchern etc.)
- Sammeln (und Wiegen) aller mit Blut „getränkten“ Unterlagen, Binden, Wäsche und nennenswerter Koagelmengen
- visuelle Schätzung des Blutverlusts ist inakkurat; validierte Messverfahren zur Bestimmung des Blutverlustes sind zu bevorzugen
- zur Einschätzung des Blutverlustes klinische Symptomatik der Patientin (Zeichen einer Hypovolämie) berücksichtigen: Schock-Index (HF / RRsys) > 0,9
- von Beginn an Gebärende/Wöchnerin und Begleitung über Blutung und Vorgehen möglichst laienverständlich informieren
- rasche Abklärung der Ursache
- Uterustonus tasten
- auf unvollständige Plazenta überprüfen
- Trauma der Geburtswege ausschließen
- bei kritischem Blutverlust Uterus-Tonika-Applikation und TXA-Gabe
- Oxytocin
- maximal 6 – 10 I.E. als Kurzinfusion
- 3 – 5 I.E. als Kurzinfusion
- gefolgt von 10 – 40 I.E. Oxytocin in 500 – 1000 mL als Dauertropfinfusion (Dosis abhängig von uteriner Wirkung)
- CAVE: Tachyphylaxie bei langanhaltender Oxytocingabe
- CAVE: dosisabhängige hämodynamische Wirkung von Oxytocin ist infolge der vasodilatatorischen Wirkung insbesondere bei Bolusgabe deutlich ausgeprägter als bei Kurzinfusion (z.B. 5 IE über 5 Minuten) → Reflextachykardie, Erhöhung des Herzminutenvolumens, vorübergehender Abfall des arteriellen Blutdrucks
- therapeutische Gabe von Tranexamsäure 1 g i.v. mit Diagnose einer PPH erfolgen, zum Zeitpunkt der Verabreichung von Oxytocinrezeptoragonisten, ohne vorgängige Gerinnungsanalyse
- je früher es verabreicht wird, umso effizienter ist es
- Oxytocin
- Uterustamponade
- Uterotonikamedikation parallel
- vaginale Untersuchung/Ultraschall (Ausschluss Trauma, Plazentarest, Koagelentleerung)
- Blasenkatheter
- Intensivüberwachung (Monitoring), Antibiotikaprophylaxe
- während „Überbrückungszeiten“ (bimanuelle) Kompression der Aorta bis zu 20 Minuten durchführen, um unnötige Blutverluste zu vermeiden
- hämodynamische Stabilität während der PPH erhalten oder erreichen
- streng bedarfsgerechte Volumenersatztherapie, um iatrogene Überinfusion zu vermeiden; Kreislaufreaktion auf Volumengaben beobachten
- ab Blutverlust ≥ 1500 mL und anhaltenden Blutungszeichen frühzeitige Intubation erwägen; bei bedrohten Schutzreflexen hat endotracheale Intubation zur Atemwegssicherung und Sicherstellung der Sauerstoffversorgung Priorität
- Anlage großlumiger Zugänge (2 x ≥ 16 G),sekundär ggf. arterielle Blutdruckmessung
- frühzeitiges Hinzuziehen der Anästhesisten/eines Notarztes
- Kontrolle der Vitalparameter, evtl. invasives Monitoring
- Notfalllabor
- allgemeine (Notfall-)Maßnahmen und Diagnostik zur Ursachenklärung
- Atonie
- Diagnose: Anstieg des Fundes uteri; weicher, schlaffer Uterus; meist intermittierende, schwallartige Blutung
- Gabe von Uterotonika, ggf. Tranexamsäure
- mechanische Maßnahmen wie Massage des Uterus oder bimanuelle Uteruskompression (z.B. Handriff nach Hamilton)
- CAVE: Diskrepanz zwischen Blutungsstärke nach außen und Entwicklung eines schweren Volumenmangels
- Inversio uteri
- Diagnose: vaginale Palpation –> invertierter Fundus intravaginal; abdominale Palpation sowie fehlender Funduswiderstand, ggf. tassenförmige Einstülpung tastbar
- Therapie: Johnson-Manöver
- Atonie
- Transport
- Transport kreislaufinstabiler Patientin stellt großes Risiko dar; es gilt – abhängig von den organisatorischen Voraussetzungen der betreuenden Einheit – im Verlauf des Managements einer PPH den Transfer der kreislaufinstabilen Patientin zu überdenken (bzw. einen Transport erst nach Kreislaufstabilisierung in Erwägung zu ziehen)
- bereits im Vorfeld Vereinbarungen über zeitlichen Ablauf und personelle Absicherung des Transportes zwischen Zielkrankenhaus und transferierendem Krankenhaus zu treffen und schriftlich festzuhalten
- für jedes definierte Notfall-Ereignis ist sorgfältige Dokumentation essentiell
- interdisziplinäre Nachbesprechung im Team empfehlenswert
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