veröffentlichende Fachgesellschaft: Wilderness Medical Society
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 11.10.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1016/j.wem.2023.05.013
Grundsätzliches
- Einteilung in
- akute Höhenkrankheit (D’Acosta-Krankheit, acute mountain sickness, AMS)
- Höhenhirnödem (HACE)
- Höhenlungenödem (HAPE)
- Risiko für Höhenkrankheit (AMS) für nicht akklimatisierte Personen beim Aufstieg in Höhen über 2500 m (ggf. auch schon ab 2000 m Höhe)
- Höhenhirnödem (HACE) i.d.R. erst in höheren Lagen (Einzelfallbericht von gleichzeitigem Höhenhirn- und lugenödem)
- CAVE: Diagnose AMS, HAPE oder HACE sollte nicht allein aufgrund der Tatsache ausgeschlossen werden, dass sich eine erkrankte Person unter 2500 m befindet
- Differentialdiagnostisch sind v.a. CO-Vergiftung, Hypoglykämie, Hyponatriämie, Lungenentzündung, schwere Dehydration und Viruserkrankungen auszuschließen
Risikofaktoren für AMS, HAPE oder HACE
geringes Risiko | moderates Risiko | hohes Risiko | |
---|---|---|---|
Vorgeschichte bzgl. akuter Höhenkrankheit | nie oder milde AMS | moderate bis schwere AMS | HAPE oder HACE |
Schlafhöhe am Tag 1 (Meter) | < 2800 m | 2800 – 3500 m | > 3500 m |
Aufstiegsgeschwindigkeit (m/d) | ≤ 500 m/d über 3000 m mit zusätzlichen Tagen zur Akklimatisierung alle 1000 m | ≤ 500 m/d über 3000 m mit zusätzlichen Tagen zur Akklimatisierung alle 1000 m | ≤ 500 m/d über 3000 m mit zusätzlichen Tagen zur Akklimatisierung alle 1000 m |
akute Höhenkrankheit (AMS) & Höhenhirnödem (HACE)
Diagnostik
- Diagnosestellung i.d.R. in einem sehr spezifischen klinischen Kontext bei nicht akklimatisierten „Tieflandbewohnern“, welche innerhalb weniger Stunden bis 3 d nach Aufstieg in große Höhen (> 2500 m) erkranken
- Diagnose basiert ausschließlich auf gemeldeten Symptomen, da keine charakteristischen Befunde bei körperlicher Untersuchung oder Laboruntersuchung vorliegen
- Nutzung von Lake Louise Acute Mountain Sickness Score oder Environmental Symptoms Questionnaire
- grundsätzlich lässt sich sagen, dass Personen, die sich krank fühlen und/oder ihre täglichen Aktivitäten nach dem Aufstieg in Höhenlagen (>2500 m) mehrere Stunden bis drei Tage lang reduzieren müssen haben wahrscheinlich AMS
- Diagnose „HACE“ kündigt sich durch Anzeichen einer Enzephalopathie (inkl. Ataxie) sowie Bewusstseinsveränderungen an; weitere Symptome sind z.B. Apathie, Reizbarkeit, Abgeschlagenheit
- fokale neurologische Defizite sind eher untypisch)
- unbehandelt führt das HACE zum Koma
Symptom | Symptomausprägung |
---|---|
Kopfschmerzen | 0 – keine Kopfschmerzen 1 – geringe Kopfschmerzen 2 – moderate Kopfschmerzen 3 – starke Kopfschmerzen (handlungsunfähig) |
gastrointestinale Symptome | 0 – normaler Appetit 1 – geringer Appetit oder Übelkeit 2 – moderate Übelkeit oder Ebrechen 3 – starke Übelkeit oder Ebrechen (handlungsunfähig) |
Müdigkeit/Erschöpfung | 0 – keine Müdigkeit/Schwäche 1 – geringe Müdigkeit/Schwäche 2 – moderate Müdigkeit/Schwäche 3 – starke Müdigkeit/Schwäche (handlungsunfähig) |
Schwindel/Benommenheit | 0 – kein Schwindel/Benommenheit 1 – geringer Schwindel/Benommenheit 2 – moderater Schwindel/Benommenheit 3 – starker Schwindel/Benommenheit (handlungsunfähig) |
optional gesamte Funktionsbeeinträchtigung | 0 – keine Beeinträchtigung 1 – Symptome vorhanden, aber keine Anpassung der Aktivität/Tagesplanung notwendig 2 – Symptome zwingen zum Abbruch des Abstiegs oder aus eigener Kraft abzusteigen 3 – Evakuierung in niedrigere Höhen notwendig |
Klassifikation der Höhenkrankheit
mild | moderat bis schwer | Höhenhirnödem (HACE) | |
---|---|---|---|
Symptome | – Kopfschmerzen + ein/mehrere andere Symptome (Übelkeit/Erbrechen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwindel) – alle Symptome von leichter Intensität | – Kopfschmerzen + ein/mehrere andere Symptome (Übelkeit/Erbrechen, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwindel) – alle Symptome von moderater bis schwerer Intensität | Verschlechterung der Symptome bei mittelschwerer bis schwerer Höhenkrankheit |
weitere Anzeichen | keine | keine | Ataxie, starke Abgeschlagenheit, veränderter Geisteszustand, Enzephalopathie |
Lake Louise AMS Score | 3 – 5 | 6 – 12 | nicht anwendbar |
Therapie
- (gemeinsamer) Abstieg bleibt die beste Einzelbehandlung bei der AMS und HACE (Abstieg sollte bis zum Abklingen der Symptome erfolgt, i.d.R. sind 300 – 1000 m typisch)
- kontinuierliche O2-Gabe über Sauerstoffbrille/-maske mit ausreichender Flussrate mit einem Ziel-SpO2 von > 90 % oder Ziel der Symptomlinderung (O2-Gabe beim Abstieg und auch wenn Abstieg nicht möglich)
- sofern verfügbar, Nutzung tragbarer Überdruckkammern bei schwerer AMS oder HACE, wenn Abstieg nicht oder nur verzögert möglich oder kein zusätzlicher Sauerstoff verfügbar ist (CAVE: Nutzung der tragbaren Überdruckkammer sollte Abstieg nicht verzögern)
- Acetazolamid-Gabe bei AMS in Betracht ziehen (Erwachsene: 250 mg alle 12 h; Kinder: 2,5 mg/kg alle 12 h)
- Dexamethason-Gabe bei AMS und HACE (Erwachsene: initial 8 mg i.m./i.v./oral, gefolgt von 4 mg alle 6 h bis zum Verschwinden der Symptome; Kinder: 0,15 mg/kg alle 6 h)
- Paracetamol- oder Ibuprofen-Gabe bei Kopfschmerzen
- Antiemetika-Gabe bei Übelkeit und Erbrechen
- aufgrund fehlender Daten keine Empfehlung zur Verwendung von CPAP-Therapie bei AMS
Höhenlungenödem (HAPE)
Diagnostik
- Diagnosestellung i.d.R. in einem sehr spezifischen klinischen Kontext bei nicht akklimatisierten „Tieflandbewohnern“, welche in große Höhen (≥ 2500 m) aufsteigen
- Symptomkomplex aus Atemnot bei Anstrengung (abweichend zur sonstigen Belastungsgrenze) sowie Unproduktiver Husten, Müdigkeit, Schwäche und brodelndes, thorakales Gefühl; im Verlauf Dyspnoe in Ruhe oder bei leichtester Belastung sowie Zyanose und Husten mit rosafarbenem, schaumigem Auswurf
- Pulsoximetrie zur Bestätigung einer Hypoxämie (Schlüsselmerkmal zur Unterscheidung des HAPE zu anderen Atemwegserkrankungen/-problemen)
- Vorhandensein einer Hypoxämie und einseitige/beidseitige, diffuse Alveolartrübungen im Thorax-Röntgenbild sind ausreichend, um Diagnose im klinischen Kontext zu bestätigen
- zusätzlich Ausschluss anderer Differentialdiagnosen wie Asthma, Bronchospasmus, Lungenentzündung, Pneumothorax, Lungenembolie, virale Infektion der oberen Atemwege, Herzversagen oder Myokardinfarkt
Therapie
- (gemeinsamer), so wenig wie möglich anstrengender Abstieg bleibt die beste Einzelbehandlung beim HAPE (Abstieg sollte bis zum Abklingen der Symptome erfolgt, min. jedoch1000 m)
- kontinuierliche O2-Gabe über Sauerstoffbrille/-maske mit ausreichender Flussrate mit einem Ziel-SpO2 von > 90 % oder Ziel der Symptomlinderung (O2-Gabe beim Abstieg und auch wenn Abstieg nicht möglich)
- sofern verfügbar, Nutzung tragbarer Überdruckkammern bei schwerer AMS oder HACE, wenn Abstieg nicht oder nur verzögert möglich oder kein zusätzlicher Sauerstoff verfügbar ist (CAVE: Nutzung der tragbaren Überdruckkammer sollte Abstieg nicht verzögern)
- Nifedipin-Gabe nur dann, wenn der Abstieg nicht/nur verzögert möglich ist oder keine O2-/Überdrucktherapie möglich (10 mg kurzwirksamen Nifedipin, gefolgt von 20 mg langsamwirksamen Nifedipin alle 6 h)
- keine Beta-Agonisten-Gabe (z.B. Salmeterol oder Albuterol) empfohlen
- Tadalafil- oder Sildenafil-Gabe, wenn Abstieg nicht oder nur verzögert möglich und Nifedipin nicht verfügbar
- Therapie mit CPAP (Continuous Positive Airway Pressure) oder EPAP (Expiratory Positive Airway Pressure), wenn zusätzlicher Sauerstoff oder pulmonale Vasodilatatoren nicht verfügbar oder als Zusatztherapie bei Patient*innen, die nicht auf zusätzlichen Sauerstoff allein ansprechen
- keine Diuretika-, Acetazolamid-, Dexamethason-Gabe empfohlen
- bei gleichzeitigem HAPE und HACE dann zusätzlich Dexamethason-Gabe (Erwachsene: initial 8 mg i.m./i.v./oral, gefolgt von 4 mg alle 6 h bis zum Verschwinden der Symptome; Kinder: 0,15 mg/kg alle 6 h) und Sildenafil & Tadalafil dem Nifedipin eher vorzuziehen
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