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Leitlinie „Serotonin Syndrome“ der IAEM

veröffentlichende Fachgesellschaft: Irish Association for Emergency Medicine
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 12.04.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://iaem.ie/professional/clinical-guidelines/

Grundsätzliches

  • potenziell lebensbedrohlicher Zustand, oft ausgelöst durch Medikamente
  • präsentiert sich durch charakteristisch Trias aus Bewusstseinsveränderung, neuromuskulären Störungen sowie autonomer Funktionsstörung
  • Symptome treten nicht notwendigerweise gleichzeitig auf (Bewusstseinsveränderung & autonome Instabilität in 40 % und neuromuskuläre Störungen in 50 % der Fälle)
  • Serotonin-Syndrom ist eher selten, jedoch mit zunehmender Inzidenz

auslösende Substanzen

  • auslösende Agentien lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen:
    • Stoffe, die den präsynaptischen Serotoningehalt erhöhen (Erhöhung Serotoninproduktion & inhibitierter Serontonin-Metabolismus)
    • Stoffe, die die serotonerge Wirkung durch erhöhtes Serotonin in der Synapse verstärken (verstärkte Serotoninfreisetzung & blockierte Serotonin-Wiederaufnahme)
Medikamentengruppetypische Medikamente
Serotonin-Agonisten o.Ä.– LSD
– L-Tryptophan
– Triptane
Medikamente, die den Serotoninmetabolismus inhibitieren– Linezolid
– Methylenblau
– MAO-Hemmer
– Ayahuasca
– Johanniskraut
– syrische Weinraute
Medikamente, die die Serotoninfreisetzung verstärken– substituierte Amphetamine, z.B. MDMA, Cathinone, Phenylethylamine
– Buspiron
– Kokain
– Lithium
– Mirtazapin
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer– trizyklische Antidepressiva (z.B. Imipramin)
– Dextromethorphan
– Fentanyl
– Meperidin (Pethidin)
– Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI)
– Tramadol
– Trazodon
– Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer wie Venlafaxin
Sonstige-Antikonvulsiva wie z.B. Carbamazepin,
Lamotrigin, Valproinsäure, Topiramat, Gabapentin, Pregabalin
– Ginseng
– Ondansetron
Quelle: https://iaem.ie/wp-content/uploads/2024/04/IAEM-Serotonin-Syndrome-V1.0.pdf

Symptomatik bei…

Die Symptome des Serotonin-Syndroms treten innerhalb von Tagen bis Wochen nach Exposition auf, halten Tage bis zu zwei Wochen an und gliedern sich wie folgt:

… leichter Toxizität

  • Angstzustände, Unruhe, Hyperaktivität
  • Hyperreflexie
  • induzierbare Klonien
  • Tachykardie
  • Hypertonie

… moderater Toxizität

  • Agitation
  • Hyperthermie/Fieber
  • Mydriasis
  • Diaphorese
  • Flush
  • anhaltende Klonien
  • Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom
  • Tremor

… schwerer Toxizität

  • niedriger GCS
  • Verwirrtheitszustände
  • schwere Hyperthermie (> 40 °C)
  • Atemstillstand
  • Bradykinesie bis Rigor/Rigidität
  • Konvulsionen
  • ggf. Herzrhythmusstörungen, linksventrikuläre Dysfunktion, Kreislaufkollaps, Rhabdomyolyse, Lungenödem, ARDS, akutes Nierenversagen, DIC, Multi-Organversagen und/oder Herz-Kreislauf-Stillstand

Anamnese & Diagnostik

  • detaillierte Medikamenten- & Drogenanamnese (inkl. verschreibungspflichtige oder rezeptfreie Medikamente, illegale Drogen sowie Nahrungsergänzungsmitteln)
  • ausführliche Anamnese bzgl. typischer Erkrankungen wie z.B. Depressionen oder chronische Schmerzsyndrome (inkl. Einnahmezeitraum, Wirkstoffe, retardierte Medikamente etc.)
  • es gibt drei Diagnose-Klassifikationen (Radomski- oder Sternbach-Kriterien), wobei die Hunter-Kriterien die gängigste ist mit Spezifität von 97 % und Sensitivität von 84 %
  • Hunter-Kriterien für Serotonin-Syndrom (CAVE: nicht erfüllte Kriterien ≠ kein Serotonin-Syndrom)
Quelle: https://iaem.ie/wp-content/uploads/2024/04/IAEM-Serotonin-Syndrome-V1.0.pdf
  • EKG-Diagnostik zur Beurteilung von verlängerter QTc, verbreitertem QRS-Komplex oder Arrhythmien
  • Bestimmung von Paracetamol- und Salicylatspiegel bei absichtlicher Überdosierung
  • Screening bzgl. Sepsis
  • Lumbalpunktion bei Verdacht auf Meningitis/Enzephalitis
  • CT des Gehirns bei Anzeichen für erhöhten ICP
  • Labordiagnostik
    • venöse BGA zur Feststellung von metabolischer Azidose, erhöhtem Laktat, Hyperkaliämie und Hypoglykämie
    • Vollblutbild und CRP zur Abklärung von Infektionen
    • Nierenwerte zur Abklärung von Organfunktionsstörungen
    • Kreatinkinase zur Abklärung einer Rhabdomyolyse
    • Gerinnungsparameter zur Abklärung einer DIC

Differenzialdiagnosen

  • andere Toxidrome, inkl. sympathomimetisches Syndrom, anticholinerges Syndrom sowie Entzug von Alkohol, Baclofen, Benzodiazepinen oder Barbituraten
  • Sepsis
  • Meningitis
  • virale oder autoimmune Enzephalitis
  • hypertherme Syndrome (z.B. neuroleptisches malignes Syndrom oder Hitzschlag)
  • Thyreotoxikose
  • „Sympathikussturm“ (selten, kann als paroxysmales klinisches Syndrom oder nach traumatischen Hirnverletzungen auftreten)

Therapie

  • Grundprinzipien der Behandlung des Serotonin-Syndroms
    • Absetzen aller serotonergen Wirkstoffe
    • unterstützende Maßnahmen zur Vitalparameternormalisierung, inkl. Hyperthermie-Behandlung
    • Sedierung mit Benzodiazepinen
    • Gabe von Serotoninantagonisten
  • Vorgehensweise bei Patienten mit Verdacht auf Serotoninsyndrom/-intoxikation
    • kontinuierliche kardiale Überwachung sowie Temperaturmonitoring
    • Sauerstoff-Gabe, wenn SpO2 < 94 %
    • pVK-Anlage sowie Infusionstherapie mit Ziel-Urinausscheidung von ≥ 0,5 mL/kg/h (≥ 1 mL/kg/h bei Rhabdomyolyse)
    • bei Hyperkaliämie Gabe von Kalziumglukonat/-chlorid und Insulin/Textrose i.v.
    • körperliche Fixierung vermeiden (CAVE: Verschlimmerung von Hyperthermie und metabolischem Bedarf)
    • Sedierung mit Benzodiazepinen
      • 10 – 20 mg Diazepam p.o./i.v. als First-Line-Therapie oder 1 – 2 mg Lorazepam p.o./i.v.
      • alternativ 1 – 2 mg Lorazepam i.m. oder 5 – 10 mg Midazolam i.m., wenn p.o./i.v. nicht mgl.
      • weitere Dosen nach Bedarf bei Überwachung bzgl. Atemdepression
    • Hyperthermie-Management
      • leichte bis mäßige Hyperthermie: nicht-invasive Kühltechniken wie Coolpacks in Leiste & Achseln, Nebel-/Ventilatortechniken oder externe Kühlgeräte
      • schwere Hyperthermie (Körpertemperatur > 40 °C oder schnell ansteigende Körpertemp. trotz nicht-invasiver Kühltechniken): Gabe gekühlter intravenöser Flüssigkeiten oder gekühlte Flüssigkeitslavage (z.B. Magen, Blase)
      • bei Körpertemp. > 41 °C oder schnell ansteigende Körpertemp. trotz nicht-invasiver Kühltechniken sofortige RSI (CAVE: Suxamethonium vermeiden bei Patient*innen mit AKI oder Rhabdomyolyse; Benzodiazepine zur Sedierung; Atracurium als Muskelrelaxanz; ggf. kontinuierliche EEG-Überwachung wegen Risiko von Krampfanfällen)
      • CAVE: fiebersenkende Mittel wie Paracetamol spielen keine Rolle
    • in mittelschweren bis schweren Fällen Einsatz von Serotoninantagonisten erwägen
      • First Line: 12 mg Cyproheptadin p.o./n.g. als Loadingdosis, danach 4 – 8 mg alle 6 h
      • Second Line: 12,5 – 25 mg Chlorpromazin i.v. (CAVE: erhebliche Hypotonie mgl.)
    • Behandlung autonomer Funktionsstörungen
      • bei schwerer Hypertonie & Tachykardie kurzwirksame Mittel wie Esmolol (1. Wahl) oder Nitroprussid erwägen (CAVE: Hydralazin vermeiden, Gefahr von Serotoninerhöhung)
      • bei flüssigkeitsrefraktärer Hypotonie ggf. Gabe von Adrenalin, Noradrenalin oder Phenylephrin erwägen (CAVE: Dopamin vermeiden)
    • zu vermeidende Medikamente/Maßnahmen
      • Fentanyl vermeiden aufgrund der blockierenden Serotonin-Wiederaufnahme
      • keine Behandlung mit Dantrolen, Propranolol oder Bromocriptin
  • bei schwerem Serotonin-Syndrom Transport auf Intensivstation
  • bei moderatem Serotonin-Syndrom Beobachtung und kardialen Überwachung bis zum Abklingen der Symptome
  • bei leichtem Serotonin-Syndrom Entlassung nach Beobachtungszeit von 6 h (außer bei Bewusstseinsstörung, anormalen Vitalparametern & Zunahme von Hyperreflexie/Klonien)

Behandlungsalgorithmus

Quelle: https://iaem.ie/wp-content/uploads/2024/04/IAEM-Serotonin-Syndrome-V1.0.pdf
Published inLeitlinien kompakt

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