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Leitlinie „Suicide and Suicide Risk in Adolescents“ der AAP

veröffentlichende Fachgesellschaft: American Academy of Pediatrics (AAP)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 11.12.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1542/peds.2023-064800

Grundsätzliches

  • Suizid: Tod durch Selbstmord
  • Suizidalität: Suizidgedanken, -pläne und -versuche
  • nichtsuizidale Selbstverletzung (NSS) oder Autoaggression: direkte, absichtliche Zerstörung/Verletzung von Körpergewebe ohne Tötungsabsicht, i.d.R. mit dem Ziel der Emotionsregulation (z.B. Ritzen, Kratzen, Verbrennen, Beißen, Schlagen oder Rupfen)
  • zweithäufigste Todesursache bei 10- bis 24-Jährigen in USA & globales Problem (v.a. bei Mädchen, People of Color)
  • in USA im Zeitraum zw. 2207 & 2019 deutlicher Anstieg der Suizide bei 10- bis 24-Jährigen
  • während Coronavirus-Pandemie Anstieg der ZNA-Vorstellungen wegen Suizidalität (50,6 % mehr bei Mädchen und 3,7 % mehr bei Jungen)
  • 22 % der Highschool-Schüler in USA berichten über min. einen Suizidversuch (v.a. Mädchen mit 30 %, LGBTQ mit 48,1 %, People of Color mit 27,3 %)
  • Suizidversuchsrate bei Mädchen höher, aber erfolgreicher Suizid bei Jungs höher
  • häufigsten Suizidmethoden in USA (Schusswaffen mit 51 %, Ersticken mit 33,5 % und Überdosierung/Vergiftung mit 5,9 %)
  • i.d.R. bei Suizidalität bereits bestehende psychische Störungen (v.a. Depressionen, aber auch bipolare, psychotische, Verhaltens-, Angst-, Persönlichkeits-, Substanzkonsum- und Traumafolgestörungen)

Diagnostik & Anamnese

  • Anamnese bzgl. früherer/aktueller Suizidversuche & Suizidalität im Allgemeinen sowie Autoaggression
  • Ask Suicide Screening Questions der AAP
Frage
1. Haben Sie sich in den letzten Wochen gewünscht, Sie wären tot?
2. Hatten Sie in den letzten Wochen das Gefühl, dass es Ihnen oder Ihrer Familie besser gehen würde, wenn Sie tot wären?
3. Hatten Sie in den letzten Wochen Gedanken daran, sich das Leben zu nehmen?
4. Haben Sie jemals versucht, sich umzubringen?
Wenn min. eine der Fragen 1 – 4 mit „Ja“ beantwortet wurde, Frage 5 stellen: Denken Sie jetzt daran, sich das Leben zu nehmen?
– wenn Frage 1 – 4 mit „Nein“ beantwortet, gilt Screening als negativ
– wenn Frage 5 mit „Ja“ beantwortet, liegt akut positives Screening mit hoher Eigengefährdung vor

Risikofaktoren

  • geistige Behinderung und/oder neurologische Entwicklungsstörung wie ASS & ADHS (Suizidrate von bis zu 42 %)
  • Substanzkonsum/Substanzkonsumstörungen (v.a. auch drogeninduziert beeinträchtigtes Urteilsvermögen und geringere Hemmung)
  • negative Kindheitserfahrungen (z.B. Missbrauch/Misshandlung, Vernachlässigung, Gewalt, Mobbing/Cybermobbing etc.)
  • Rassismuserleben, Diskriminierung, Flucht etc.
  • Lebensmittelpunkt in ländlichem Gebiet
  • Beheimatung in Kinderheim oder Pflegefamilie
  • Kontakt mit Jugendstrafsystem (Haftstrafen etc.)
  • Teil der LGBTQ-Gruppe
  • frühere Suizidversuche & Suizidalität im Allgemeinen sowie Autoaggression
  • zusätzlich erhöhtes Risiko durch Suizidcluster (Auftreten von mehr Suiziden oder Suizidversuchen in bestimmtem Zeitraum oder an bestimmtem Ort, z.B. durch bestimmtes Ereignis wie Tod eines Stars o.Ä.)

Therapie

  • AAP empfiehlt, dass Kinderärzte min. einmal jährlich alle Jugendlichen ab 12 Jahren auf ihr Suizidrisiko untersuchen
  • Gesprächsführung mit Betroffenen in vertraulichem Umfeld ohne Anwesenheit von Eltern, Betreuern etc. (CAVE: Wortwahl mit Bedacht, aber nicht beschönigend)
  • Transport in spezialisierte kinder- & jugendpsychiatrische Klinik, sofern von Patient*in gewünscht in Absprache mit Erziehungsberechtigten (ggf. vorher internistische und/oder unfallchirurgische Vorstellung abhängig von Art des Suizidversuchs)
  • Implementierung von Safety Planning Interventions als kurze kognitive Verhaltensinterventionen in der Notaufnahme (vgl. Bettis et al., doi: 10.1176/appi.ps.201900563.)
  • ggf. kann schon die Erstellung eines Sicherheitsplanes als kurze Intervention zur Reduzierung des Suizidrisikos beitragen (Sicherheitsplan enthält i.d.R. Liste mit persönlichen Bewältigungsstrategien, Kontakt-/Ansprechtpersonen, individuelle Suizidalitäts-Warnzeichen)
  • keine Empfehlung für Nutzung/Einsatz von Non-Suizidvertrag (niedergeschriebene Verpflichtung, sich nichts anzutun und bei innerem Leidensdruck Hilfe zu rufen)
  • initiale erweiterte Sicherheitsplanung mit Überprüfung des Zugangs zu tödlichen Mitteln (z.B. Schusswaffen, Messer, Seile, Drogen, Medikamente etc.)
  • Kurzzeitinterventionen in Phasen mit hohem Risiko (Krisenmanagement oder Sicherheitsplanung) sowie Psychoedukation für Jugendliche und Eltern
  • bei akuter Eigengefährdung sollten im Unterbringungsraum bzw. in der direkten Umgebung der/des Patient*in  keine Gegenstände vorhanden sein, die als Tötungsmittel genutzt werden könnten (z.B. Mülltüten etc.)
  • sofern erwünscht Familie/Erziehungsberechtigte in Therapie & Therapieplanung einbeziehen
  • Psychopharmakotherapie
    • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) als Antidepressiva sind Therapie der 1. Wahl bei Depressionen und Angstzuständen (CAVE: bei Einnahme engmaschige Überwachung aufgrund der möglichen Gefahr einer erhöhten Suizidalität)
    • alternative Antidepressiva sind Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (z.B. Duloxetin & Venlafaxin) oder atypische Antidepressiva (z.B. Mirtazapin & Bupropion), sofern Therapie mit SSRI frustran/teilfrustran oder bei Nebenwirkungen durch SSRI
    • ggf. Gabe von Lithium, Ketamin und Clozapin zur Verringerung der Suizidalität erwägen
  • v.a. bei therapieresistenter Suizidalität (i.d.R. in Verbindung mit Depressionen) Anwendung der Elektrokrampftherapie und/oder transkraniellen Magnetstimulation erwägen
Published inLeitlinien kompakt

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