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„Palliativmedizinische Aspekte in der klinischen Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin“ der DGIIN, DGK etc.

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK), Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP), Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN), Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin e.V. (DGNI), Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e.V. (DGG), Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI), Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin e.V. (DGINA), Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DG Palliativmedizin)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 07.06.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://link.springer.com/article/10.1007/s00063-023-01016-9

Grundsätzliches

  • zentrale Frage: Wann und unter welchen Umständen ist die Einleitung oder die Fortführung einer akut- bzw. intensivmedizinischen Behandlung gerechtfertigt?
  • zu erfüllende Voraussetzungen: Vorliegen einer medizinischen Indikation für Beginn oder Fortführung der Therapie sowie Durchführung der Therapie muss dem Patient*innenwillen entsprechen
    • liegt eine der Voraussetzungen nicht vor, ist Therapiezieländerung nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten
  • grundlegende ethische Prinzipien: Respekt vor der Selbstbestimmung der Patient*innen sowie im Hinblick auf therapeutische Maßnahmen das Nicht-Schaden, der Nutzen und schließlich die Verpflichtung zur Gerechtigkeit
  • zu klärende Fragen bzgl. des Therapieziels: Gibt es ein kuratives bzw. rehabilitatives Therapieziel oder ist Symptomlinderung das Ziel?
  • sofern patientenzentriertes Therapieziel nicht mehr klar formuliert ist/wurde, erfolgt im Konsens ggf. die Umsetzung der Therapiezieländerung

allgemeine palliativmedizinische Aspekte in der klinischen Akut-, Notfall- & Intensivmedizin

  • Palliativmedizin frühzeitig sowohl in die klinische Akut- und Notfallmedizin als auch die Intensivmedizin integrieren
  • Hinzuziehen des Palliativdienst – wenn vorhanden – idealerweise bei hochsymptombelasteten Notfall- und Intensivpatient*innen und deren An-/Zugehörigen zur palliativen Beratung und folgend zur palliativmedizinischen Komplexbehandlung in potenziell lebenslimitierenden Situationen
  • Vorliegen palliativmedizinischer Basisqualifikationen bei der Behandlung allgemeiner Symptome und v.a. auch bei Nichtverfügbarkeit einer spezialisierten Palliativmedizin
  • palliativmedizinische Grundkenntnisse im Rahmen von interdisziplinären und interprofessionellen Fortbildungen regelmäßig vermitteln und als hausinterne Standardvorgehensweise (SOP) erarbeiten

Bausteine der Palliativmedizin in klinischer Notfall- & Intensivmedizin

Kommunikation

  • Kommunikation mit Palliativpatient*innen unterscheidet sich von der mit kritisch Kranken und ihren An-/Zugehörigen, da Ziel der akutmedizinischen Maßnahmen im klinischen Notfall- und Intensivbereich primär in der Lebensverlängerung liegt
  • auf Patienten- und An-/Zugehörigenwünsche eingehen
  • spirituelle und psychologische Betreuung anbieten
  • angenehme Gesprächsatmosphäre schaffen
  • aufrichtige und wertschätzende Haltung
  • aktives Zuhören
  • Wahrnehmen von Emotionen
  • eruieren, ob und wie Patient*innen und/oder An-/Zugehörige über die Situation informiert werden möchten, und aufrichtiges Vermitteln dieser Informationen
  • eruieren individueller Belastungen, Problemlagen und Nöte
  • kontinuierliche aktive Rückversicherungen, ob oder wie Botschaften „angekommen“ sind bzw. verstanden wurden (z.B. durch Paraphrasierung)
  • Ermutigung zur aktiven Beteiligung an Entscheidungsprozessen (partizipative bzw. gemeinsame Entscheidungsfindung)

vorausschauende Behandlungsplanung und gemeinsame Entscheidungsfindung

  • Abklären, ob im Voraus verfasste Vorsorgeinstrumente (Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung) vorliegen
  • neu zu formulierende Therapieziele, z.B. durch primär nicht erwarteten Behandlungsverlauf, an Inhalt der Patientenverfügung anpassen oder mit vorsorgebevollmächtigen Angehörigen besprechen (leider nur in ca. 30 % vorhanden)
  • im protrahierten, intensivmedizinischen Verlauf min. einmal pro Woche Therapiezielgespräche mit Patient*innen und An-/Zugehörigen über aktuellen Gesundheitszustand sowie aktuelle, realistische Therapieziele
  • nur nach vorheriger Prüfung medizinischer Indikationen und des verbundenen patientenzentrierten Therapieziels durch Ärzt*innen dürfen Patient*innen bzw. Vertreter*innen indizierte Therapiemöglichkeiten angeboten werden (gilt für alle – lebenserhaltende – Maßnahmen, auch CPR bei Kreislaufstillstand)

Symptomlinderung und Lebensqualität

  • Ziel der Palliativmedizin: Verbesserung & Erhalt der Lebensqualität von Patient*innen mit einer lebenslimitierenden Erkrankung und ihrer An-/Zugehörigen
  • erreichen des Ziels erfolgt durch Prävention sowie durch Linderung von Leiden im physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Bereich
  • wesentliche Komponenten von Lebensqualität und ihre Priorisierung bestimmen die Patient*innen selbst
  • Auftreten verschiedener palliativmedizinischer Bedürfnisse: Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und Erbrechen, Delir, Angst und Unruhe sowie Unsicherheiten und Ängste bezüglich der oft plötzlich einsetzenden existenziellen Bedrohung, Abwägung/Unsicherheiten bzgl. der Therapieoptionen und des Patient*innenwille (nachfolgend auch Begleitung in der Sterbephase sowie Hilfe bei der Trauerbewältigung)
  • pharmakologische Symptomlinderung (z.B. Opioide bei Atemnot, Haloperidol bei Übelkeit, Butylscopolamin bei terminaler Rasselatmung)
  • maschinelle Unterstützungsmöglichkeiten bei Symptomlinderung (z.B. nichtinvasive Beatmung oder High-flow-Sauerstofftherapie)
  • wenn effektive Symptomlinderung nicht mehr möglich ist, Möglichkeit der gezielten Sedierung am Lebensende in Betracht ziehen (Erreich verminderter bis aufgehobener Bewusstseinslage)
  • ggf. (latent) vorliegende Todeswünsche proaktiv ansprechen (Ernstnehmen der Patient*innen)

Unterstützung von An- und Zugehörigen

  • knappe zeitliche Ressourcen stehen in Konflikt mit empathischer Begleitung von An-/Zugehörigen
  • besondere Bemühungen, um Bezugspersonen von Menschen mit lebenslimitierenden Erkrankungen sowie Sterbende in ihren Bedürfnissen wahrzunehmen und zu begleiten
  • Reduktion von Angst und Belastung von An-/Zugehörigen durch Einräumen von Zeit und Raum für Emotionen

Unterstützung des Behandlungsteams

  • Umgang mit Sterben und Tod thematisieren
  • Team-und Fallsupervisionen nicht nur bei besonders belastenden Begleitungen
  • offene Gesprächskultur im multiprofessionellem Team, multiprofessionelle Entscheidungsprozesse, regelmäßige Teambesprechungen
  • Möglichkeit der psychologischen Unterstützung für das Team

spirituelle Begleitung

  • spirituelle Haltung sollte von Offenheit, der Ganzheit von Herz und Verstand und einer geistigen Freiheit geprägt sein
  • offene Geisteshaltung für das Geschehenlassen, das Aushalten, das Dasein
  • Angebotsstruktur (Seelsorge, KIT etc.) kennen und vermitteln, mit dem Ziel der Stärkung der psychischen und spirituellen Ressourcen

zeitlich begrenzter Therapieversuch

  • zeitlich begrenzte Therapieversuch erwägen, wenn die Entscheidung für oder gegen eine akutmedizinische Therapie nicht unmittelbar getroffen werden kann
  • in der Akutmedizin sind verfügbare und/oder unsichere Informationen (u. a. Patientenwille) oftmals nicht sofort vorhanden, sodass bei unklarer Prognose ein zeitlich begrenzter Behandlungsversuch oftmals sinnvoll ist

Management palliativer Notfälle

  • Palliativmedizin steht im Widerspruch zu dem in Deutschland existierenden Notfall- und Intensivsystem
  • bis zu 10 % aller präklinischen Notfallsituationen sind als „palliative Notfälle“ definiert
  • „palliativer Notfall“ hat verschiedene Dimensionen (medizinisch, rechtlich, spirituell, ethisch, psychosozial), die in ihrer Gesamtheit das Notfallgeschehen beeinflussen und somit nachfolgenden Einfluss auf Therapie haben können
  • Behandlung akuter Symptomexazerbationen bei Palliativpatienten laut S3-Leitlinie Palliativmedizin entsprechen den häufigsten notfallmedizinischen Einsatz- und Handlungsindikationen bei „palliativen Notfällen“
  • Einteilung palliativer Notfälle
Kategoriepalliativer Notfall
1Notfallsituation, die unabhängig von der „Palliativerkrankung“ ist (z.B. ACS oder Fraktur nach Sturzereignis)
2Notfallsituation durch Therapienebenwirkungen (z.B. in Folge der Strahlen-, Chemo- oder Immuntherapie)
3Notfallsituation, die durch neue Symptome entsteht, die in Verbindung mit der „Palliativerkrankung“ zu betrachten sind (z.B. erstmalige Dyspnoe bei pulmonalen Metastasen)
4Notfallsituation durch Exazerbation bereits bekannter und schon mehrfach aufgetretener Symptome der „Palliativerkrankung“ (z.B. Dyspnoe bei Lungenkarzinom)
Michels, G., John, S., Janssens, U. et al. Palliativmedizinische Aspekte in der klinischen Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin. Med Klin Intensivmed Notfmed (2023). https://doi.org/10.1007/s00063-023-01016-9
  • jede Kategorie des „palliativen Notfalls“ ist durch psychosoziale Faktoren der Patient*innen und/oder der Betreuungspersonen getriggert und dadurch in ihrer Wahrnehmung beeinflussbar
  • Symptome des „palliativen Notfalls“
    • Atemnot
    • Krampfleiden/Bewusstseinsstörungen
    • Schmerzexazerbationen
    • akute Blutungssituationen
    • psychosoziale Krisen
    • kardiopulmonale Reanimation
  • therapeutische Maßnahmen haben das primäre Ziel einer sehr guten symptomlindernden Therapie zum Erhalt einer möglichst hohen Lebensqualität und die medizinische Indikation zu therapeutischen Maßnahmen unter Berücksichtigung des Patientenwillens
  • Herausforderungen für die präklinische als auch für klinische Notfallmedizin
    • Patient*innen gemäß eigener Wünsche zu behandeln oder eben nicht zu behandeln
    • medizinische Indikation für die therapeutische Entscheidung zu berücksichtigen
    • Besonderheit der symptomatischen therapeutischen Möglichkeiten zu berücksichtigen
    • mögliche Effekte der medizinischen Handlung objektiv und sachlich zu betrachten
  • entscheidende Frage des „palliativen Notfalls“: Ist das Problem der Patient*innen im Allgemeinen, die Möglichkeit, die Ursachen für das Problem zu reduzieren oder ggf. zu beseitigen und die Prognose der Erkrankung des Patienten mit in die therapeutische Entscheidung einzubeziehen?

palliativmedizinische Aspekte in Einzelfällen

geriatrische Patient*innen

  • demografische Entwicklung sowie der Anstieg chronischer Erkrankungen und der Fortschritt in der Medizin bewirken, dass der Anteil alter und hochbetagter Patienten in den Krankenhäusern aller Versorgungsstufen stetig zunehmen
  • trotz vielfältiger Handlungsempfehlungen und Leitlinien ist es immer wieder schwer, den richtigen Zeitpunkt für eine Therapiezieländerung zu finden
  • geriatrischer Patient (gemäß gemeinsamer europäischer Definition von Malta) = geriatrietypische Multimorbidität und höheres Lebensalter ab dem 70. Lj., wobei die geriatrietypische Multimorbidität vorrangig vor dem chronologischen Alter zu sehen ist (alternativ
  • Lebensalter über 80 Jahre mit der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität aufgrund des Auftretens von Komplikationen und Folgeerkrankungen, der Gefahr der Chronifizierung sowie des erhöhten Risikos eines Verlusts der Autonomie mit Verschlechterung der Selbstständigkeit in den Aktivitäten des täglichen Lebens
  • Umgang mit Menschen am Ende ihres Lebens in der Geriatrie von großer Relevanz, da es wegen der fehlenden Gesamtsicht zu inadäquaten Therapieentscheidungen kommen kann (Körperbefund steht im Fokus, das psychobiosoziale Umfeld wird ausgeblendet und Einschränkungen der Alltagsaktivitäten nicht adäquat bewertet)
  • auch in der Notfallversorgung ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu achten
  • bei den Therapieoptionen muss geprüft werden, ob Maßnahmen im Einzelfall nicht nur nicht angemessen, sondern unter Umständen „schlimmer als der Tod“ erscheinen mögen
  • Übergänge von kurativer Therapie hin zu einer symptomorientierten bzw. palliativen Medizin sind bei geriatrischen Patienten oftmals fließend
  • klinische Gebrechlichkeitsskala
KategorieBeschreibung
1. sehr fitPersonen sind robust, aktiv, voller Energie und motiviert. Sie trainieren üblicherweise regelmäßig und sind mit die Fittesten innerhalb ihrer Altersgruppe.
2. durchschnittlich aktivPersonen zeigen keine aktiven Krankheitssymptome, sind aber nicht so fit wie Personen in Kategorie 1. Sie sind durchschnittlich aktiv oder zeitweilig sehr aktiv, z.B. saisonal.
3. gut zurecht kommendKrankheitssymptome dieser Personengruppe sind gut kontrolliert, aber außer Gehen im Rahmen von Alltagsaktivitäten bewegen sie sich nicht regelmäßig
4. vulnerabelAuch wenn nicht auf externe Hilfen im Alltag angewiesen sind Personen aufgrund der Krankheitssymptome oft in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Häufig klagen sie über Tagesmüdigkeit und/oder berichten, dass für Alltagsaktivitäten mehr Zeit benötigt wird
5. geringgradig gebrechlichPersonen sind offensichtlich in ihren Aktivitäten verlangsamt und benötigen Hilfe bei anspruchsvollen Alltagsaktivitäten, wie finanziellen Angelegenheiten, Transport, schwerer Hausarbeit und im Umgang mit Medikamenten. Geringgradige Gebrechlichkeit beeinträchtigt das selbständige Einkaufen, Spazierengehen sowie die Essenszubereitung und Haushaltstätigkeiten.
6. mittelgradig gebrechlichPersonen benötigen Hilfe bei allen außerhäuslichen Tätigkeiten und bei der Haushaltsführung. Im Haus haben sie oft Schwierigkeiten mit Treppen, benötigen Hilfe beim Baden/Duschen und eventuell Anleitung oder minimale Unterstützung beim Ankleiden
7. ausgeprägt gebrechlichPersonen aufgrund körperlicher oder kognitiver Einschränkungen bei der Körperpflege komplett auf externe Hilfe angewiesen. Dennoch sind sie gesundheitlich stabil. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb der nächsten 6 Monate sterben, ist gering.
8. extrem gebrechlichKomplett von Unterstützung abhängig und sich ihrem Lebensende nähernd. Oft erholen sich Personen auch von leichten Erkrankungen nicht.
9. terminal krankPersonen haben Lebenserwartung < 6 Monate. Kategorie bezieht sich auf Personen, die anderweitig keine Zeichen von Gebrechlichkeit aufweisen.
Michels, G., John, S., Janssens, U. et al. Palliativmedizinische Aspekte in der klinischen Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin. Med Klin Intensivmed Notfmed (2023). https://doi.org/10.1007/s00063-023-01016-9

terminale Herzinsuffizienz

  • bei ca. 1 – 10 % der Patienten kommt es zu einer terminalen Herzinsuffizienz
  • Begriff „terminale Herzinsuffizienz“ umfasst alle Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz unabhängig von der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF), die trotz optimaler medikamentöser Therapieschwer symptomatisch bleiben
  • ggf. zusätzlich extrakardiale Organdysfunktionen aufgrund der Herzinsuffizienz (z.B. kardiale Kachexie, Leber- oder Nierendysfunktion) oder pulmonale Hypertonie bei Linksherzerkrankung
  • initiale Überprüfung, ob eine optimale Herzinsuffizienztherapie inklusive pharmakologischer, Device- und Resynchronisationstherapie entsprechend der ESC-Leitlinien vorliegt und die Therapie in Abhängigkeit von der medizinischen Indikation und dem Patientenwillen verbessert werden kann
  • palliative Therapiezieloptionen wie Symptomlinderung zur Verbesserung der Lebensqualität, Unterstützung bei der Entscheidungsfindung, die vorausschauende Versorgungsplanung, die psychosoziale Unterstützung von Familienangehörigen und Behandlungsteams sowie gute Koordination des Behandlungsteams bei vorhandenen Komorbiditäten frühzeitig integrieren
  • Patienten mit Herzinsuffizienz werden im Vergleich zu Tumorpatienten in den letzten 30 Tagen vor ihrem Tod deutlich häufiger hospitalisiert (60 % vs. 45 %; Aufnahme auf die Intensivstation 19 % vs. 7 %)
  • Herzinsuffizienzpatienten haben viele verschiedene Symptome wie Beinödeme, Aszites, Schlafstörungen, Leistungs- und Konzentrationsschwäche, Dyspnoe bis hin zu schwerster Orthopnoe
  • Schmerzsymptome werden ebenso wie depressive Störungen häufig nicht erkannt und sind daher gerade in diesem Kollektiv nicht ausreichend behandelt
  • Atemnot ist ein zentrales Symptom bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz und kann mit Opioiden minimiert werden und damit die Leistungsfähigkeit verbessert (Anwendung aber nur in therapierefraktären Fällen)
  • Gabe von Sauerstoff zur Symptomlinderung ausschließlich bei hypoxischen Patienten
  • temporäre nichtinvasive Beatmung (NIV) ggf. notwendig zur Verringerung der Dyspnoe in der Palliativmedizin
  • Antiemetika-Gabe bei Übelkeit, welche wahrscheinlich durch gastrointestinale Stauung und Leberstauung verursacht ist (CAVE: Nebenwirkungen wie z.B. QTc-Verlängerung bei MCP)
  • Deaktivierung eines Herzschrittmachers oder Resynchronisationsschrittmachers ohne Defibrillatorfunktion mittels Magnetauflage ist meist nicht sinnvoll

Beatmungstherapie

  • NIV kann als palliative Maßnahme zur Symptomlinderung bei Atemnot eingesetzt werden
  • invasive wie auch nichtinvasive Beatmungstherapie (NIV) stellen wesentliche Bestandteile der klinischen Akut- und Notfallmedizin sowie Intensivmedizin dar und kommen bei Patient*innen mit schwerer respiratorischer Insuffizienz infolge eines hyperkapnischen Atempumpenversagens sowie beim hypoxämischen Atemversagen infolge direkter oder indirekter Lungenparenchymschädigung zum Einsatz
  • bei ca. 20 % muss die Beatmung auch dann fortgesetzt werden, wenn die ursprünglich zur Beatmung führende Störung (z.B. schwere Pneumonie) behoben ist
  • Beatmungstherapie soll beendet werden, wenn angestrebtes Therapieziel realistisch nicht erreicht werden kann oder vom Patienten nicht gewünscht wird
  • Beendigung der Beatmung soll mit einer in der Dosis ausreichende medikamentöse Opiattherapie zur Prophylaxe von Atemnot sowie eine Benzodiazepintherapie zur Prophylaxe von Angst im Rahmen einer gezielten Sedierung durchgeführt werden (evtl. Lebenszeitverkürzung durch unvermeidbare Nebenwirkungen ist zu tolerieren)
  • bei Anwesenheit der An-/Zugehörigen über mögliche körperliche Reaktionen auf die Beendigung der Beatmung aufklären und entsprechend begleiten
  • verantwortliche Ärzte sollen Umsetzung sowohl der sofortigen Extubation als auch die Einleitung des Compassionate Weaning persönlich vornehmen und begleiten
  • fortgeschrittene nichtonkologische Erkrankungen mit respiratorischer Insuffizienz
    • bei Patienten mit fortgeschrittenen pulmonalen, kardialen oder neurologischen Erkrankungen kann NIV eine Therapiemöglichkeit darstellen, wenn eine Intubation mit prolongiertem Intensiv aufenthalt nicht indiziert oder gewünscht ist
    • Anwendung der NIV soll bereits eingesetzten Sterbeprozess nicht verlängern
  • Patient*innen mit außerklinischer Beatmungstherapie
    • Patienten mit außerklinischer Beatmungstherapie sollten im Rahmen ihrer häuslichen Versorgung ambulante Palliativversorgung erhalten
    • Indikation zur Fortsetzung der Langzeitbeatmung sollte unter Würdigung der Prognose und der Lebensqualität des Patienten im Verlauf individuell, kritisch und idealerweise unabhängig geprüft werden

terminale COPD, idiopathische Lungenfibrose sowie Lungenkarzinom

  • bei Patient*innen mit fortgeschrittener pneumologischer Grunderkrankung und schlechter Prognose soll palliativmedizinische Versorgung mit Ziel einer optimalen Symptomlinderung durch medikamentöse und nichtmedikamentöse Maßnahmen angeboten werden
  • Gespräch über Tod und den bevorzugten Sterbeort sollte grundsätzlich Teil ärztlicher Beratung sein (auch in der Akutsituation, sobald Symptome soweit reduziert sind, dass der Patient*in dazu in der Lage ist)
  • COPD
    • COPD ist bezüglich Morbidität und Mortalität weltweit eine der führenden Erkrankungen
    • schwere Exazerbationen, also Ereignisse, bei denen eine Therapie in der Notaufnahme oder auf Intensivstation als erforderlich angesehen wird, werden gemäß der aktuell gültigen Leitlinie stationär behandelt
    • Kriterien für intensivierte Therapie: schwere, durch Akuttherapie nicht korrigierbare Dyspnoe, trotz Sauerstoffgabe persistierende Hypoxämie (paO2 < 55mmHg), progrediente Hyperkapnie mit respiratorischer Acidose (pH-Wert < 7,35) und die Kreislaufinsuffizienz)
    • jede akute Exazerbation der COPD ist mit erhöhter Mortalität assoziiert
    • neben akutmedizinischer Basistherapie der sehr schweren Exazerbation (Gabe von Bronchodilatatoren und Steroiden, ggf. Antibiotikatherapie, Sauerstofftherapie, NIV) ist offene Kommunikation mit Patient*innen (sofern möglich) und An-/Zugehörigen Voraussetzung für umfassende Begleitung (auch Gespräch über Tod und bevorzugten Sterbeort)
    • bei COPD-Patienten ist es deutlich schwieriger, den passenden Zeitpunkt einer palliativmedizinischen Begleitung zu bestimmen als beispielsweise bei Patienten mit malignen Erkrankungen
  • idiopathische Lungenfibrose (IPF)
    • schwere und fortschreitende Erkrankung unbekannter Ursache, die vor allem bei älteren Erwachsenen auftritt
    • weltweit häufigste interstitielle Lungenerkrankung mit Prävalenz von 2 – 29 pro 100.000
    • Krankheit mit hoher Mortalität und Morbidität (medianes Gesamtüberleben variiert zwischen 2 und 7 Jahren)
    • Einsatz invasiver Beatmung geht mit höherer Mortalität einher (High-flow-Sauerstofftherapie kann Alternative zur konventionellen Sauerstofftherapie bei einigen Patienten sein)
    • weder durch NIV-Einsatz noch invasive mechanische Beatmung kann Letalität im Zusammenhang mit fortgeschrittenen Lungenfibrosestadien verändern
  • Lungenkarzinom
    • häufigste Todesursache aller Krebsarten
    • erweiterte und verbesserte diagnostische Verfahren, ein genaueres Staging und zusätzliche Behandlungsoptionen hat das Überleben verbessert und wiederum dazu geführt, dass Patienten mit nichtheilbarem Lungenkrebs sowohl in Notaufnahmen als auch auf Intensivstationen wesentlich häufiger als noch vor einigen Jahren aufgenommen werden
    • Letalität von Patient*innen mit Lungenkrebs, die auf einer Intensivstation behandelt wurden: 30 – 40 %
    • durch frühzeitige Aufnahme und sorgfältige Evaluation von Patient*innen können ausgewählte Patienten von akutmedizinischer Therapie profitieren
    • zentrale Fragen bzgl. Therapie: Ist Entlassung von der Notaufnahme, Intensivstation bzw. aus dem Krankenhaus mit akzeptabler Lebensqualität möglich? Können, sofern dies gerechtfertigt ist, weitere tumorspezifische Therapien in Anspruch genommen werden?
    • bei Patient*innen mit bestehender Therapielimitierung und schlechter Prognose kann – immer stets unter Berücksichtigung von Patient*innenwille und medizinischer Indikationsstellung – eingeschränkte, jedoch symptomlindernde Unterstützung bei Aufnahme über Notaufnahme oder Intensivstation angeboten werden (z.B. NIV oder High-flow-Sauerstofftherapie bei Dyspnoe)

hypoxisch-ischämische Enzephalopathie und Delir

  • hypoxisch-ischämische Enzephalopathie(HIE) ist Folge einer Minderversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, die typischerweise Folge eines Kreislaufstillstands ist (Inzidenz: 5 – 9 pro 100.000)
  • sofern in Folge einer HIE epileptische Anfälle klinisch oder elektroenzephalographisch nachweisbar sind, soll eine antikonvulsive Therapie in ausreichend hoher Dosierung und über ausreichend lange Zeit durchgeführt werden
  • Myoklonien treten bei ca. 20 – 30 % der HIE-Patienten während des Behandlungsverlaufs auf
  • Therapie postanoxischer Myoklonien ist rein symptomorientiert und hat keinen Effekt auf die Prognose
  • akutmedizinische als auch palliative Krankheitsverläufe bieten oft multiple Risikofaktoren und Ursachen für ein Delir (Polypharmazie inkl. medikamentöser Nebenwirkungen, metabolische Veränderungen, zerebrale Pathologien)
  • Therapie des Delirs soll grundsätzlich aus nicht-medikamentösen und medikamentösen Anteilen bestehen (hyperaktives Delir = Haloperidol; hypoaktive Delir = derzeit keine medikamentösen Therapieoptionen)
  • primärer Einsatz von Benzodiazepinen beim Delir ist aufgrund prodelirogener Effekte zu vermeiden

terminale Niereninsuffizienz (Dialysepflichtigkeit)

  • Inzidenz der akuten Nierenfunktionsverschlechterung (Acute Kidney Injury, AKIN) auf der Intensivstation von 6 – 60 %
  • ca. 5 % der Patienten mit AKIN müssen extrakorporaler Blutreinigungsverfahren zugeführt werden
  • allgemeine Krankenhausmortalität von Patienten mit AKIN liegt bei 30 % (bei dialysepflichtigen Nierenversagen auf ITS steigt Mortalität auf 50 – 60 %
  • Palliativmedizin bei Patienten mit End Stage Renal Disease (ESRD) in der letzten Lebensphase gewinnt aufgrund der hohen körperlichen und psychischen Symptomlast zunehmend an Bedeutung
  • wird bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz eine einmal begonnene Dialysebehandlung eingestellt, tritt der Tod im Durchschnitt innerhalb von 7 Tagen ein (auf Intensivstationen allerdings meist schneller, da weitere schwere Erkrankungen vorliegen)
  • Ziele der Symptomlinderung gleichen den Prinzipien wie bei anderen lebensbedrohlichen Erkrankungen
  • Symptome sind bei Beendigung der Dialyse: Müdigkeit/Energielosigkeit, Schlafstörungen, Malnutrition, Dyspnoe, Angst, Mundtrockenheit, Juckreiz, Depression, Übelkeit, Schmerzen und Obstipation

hämato-/onkologische Patient*innen

  • grundsätzliche Abklärung vor Intensivstationsaufnahme von Patienten mit Krebserkrankung, ob intensivmedizinische Versorgung medizinisch indiziert und vom Patienten bzw. gesetzlichen Betreuer gewünscht ist
  • allen schwerkranken Krebspatienten sollte akutmedizinische Versorgung (ohne Einschränkung der Ressourcen) angeboten werden, wenn das angestrebte Therapieziel mit der allgemeinen Prognose der zugrunde liegenden Malignität vereinbar sein könnte
  • vorausverfügtem Patientenwillen oder Angaben eines Bevollmächtigten muss, wenn medizinisch inhaltlich sinnvoll, Folge geleistet werden; bei fehlender Sinnhaftigkeit dies offen und empathisch den Betroffenen unter Aufzeigen der Alternativen kommunizieren
  • sofern möglich enge Kooperation mit spezialisierter Palliativmedizin, um die Qualität der End-of-Life-Versorgung bei kritisch kranken Krebspatienten zu verbessern, z.B. die Beurteilung und das Arzneimittelmanagement bei Notfällen, das Beenden der Behandlung und die Überwachung oder die Wahrung der Würde und der individuellen Wünsche
  • Patienten mit schlechtem Gesamtzustand, die keine weiteren Krebstherapieoptionen haben, sterbende Patienten sowie Patienten, die eine Intensivbehandlung ablehnen, sollten nicht auf Intensivstation aufgenommen werden
    • Ausnahme: Patienten, die nicht einer dieser 3 Aussagen zugeordnet werden können, z.B. in Notfallsituation oder Situationen, wo nicht alle Informationen für eine Entscheidungsfindung vorliegen oder umfassend geklärt werden können, sollte zeitlimitierte Maximal-/Erstversorgung in Notaufnahme bzw. auf ITS ggf. mit Therapielimitationen („do not escalate“/„do not intubate“ oder „do not attempt resuscitation“) durchgeführt werden, um dann anschließend in Kooperation mit behandelndem Hämatoonkologen die Situation zu besprechen und neu zu evaluieren (Time-limited Trial)
Published inLeitlinien kompakt

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