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Safety First – Die „STOP-Regel!“ & das sterile Cockpit

Crew Ressource Management (CRM) spielt in der Notfallmedizin spätestens seit der Einführung des Notfallsanitätergesetz eine immer größer werdende Rolle und viele der Aspekte des CRM, die in der Notfallmedizin implementiert sind, stammen aus der Luftfahrt. Genauso ist es auch mit dem Konzept des „sterilen Cockpit“, welches kurz und knapp besagt, dass in kritischen Phasen nur geflogen wird und es zu keinen Ablenkungen kommt bzw. keine unnötige Kommunikation stattfindet. Also ein sehr sinnvolles Konzept, das, wenn man es in der Notfallmedizin implementiert, die Sicherheit für unsere Patient*innen im Rahmen des CRM nochmal mehr erhöhen dürfte. Aus diesem Grund und weil es ja in der Medizin quasi gang und gäbe ist, haben Luis (@5_sprechwunsch) und wir von FOAMio gedacht, dass hier ein griffiges und einfaches Schema bzw. Akronym gut wäre. Deswegen wollen wir mit der „STOP!-Regel“ versuchen, das Konzept des „sterilen Cockpit“ auch in der Notfallmedizin unter dem Motto „Stop unnecessary communications on critical patients“ zu etablieren. Also teilt es und erzählt es gerne weiter.

Unsere Gedanken zur „STOP!“-Regel sowie mehr zum Themenkomplex des „sterilen Cockpit“ in der Luftfahrt erfahrt Ihr im nachfolgenden kleinen Exkurs.

Ein praktisches Handout mit allen wichtigen Informationen findet Ihr hier als PDF:

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Exkurs: Die „STOP!“-Regel für die Notfallmedizin

Auch im Rettungsdienst beobachtet man regelmäßig private Gespräche und nicht notwendige Kommunikation im Rahmen der Patient*innenversorgung. Die STOP-Regel soll Awareness für eine sterile Teamkommunikation schaffen, die den Einsatzerfolg maßgeblich beeinflussen kann. Idealerweise sollte die „STOP!“-Regel bei all unseren Patient*innen angewendet werden, denn nur das was man regelmäßig macht wird zur notwendigen Routine. Mindestens aber bei kritischen Patient*innen sollte die „STOP!“-Regel zur Anwendung kommen. Sollte ein Teammitglied nicht notwendige Handlungen oder Gespräche initiieren wollen, ist es leicht möglich durch das klares & bestimmtes Aussprechen des Wortes „STOP“ darauf hinzuweisen, dass im Moment eine Phase der sterilen Kommunikation herrscht. In solchen Situationen, im besten Fall sogar im gesamten Verlauf der Versorgung unserer Patient*innen, sollten dann die nachfolgenden Einzelaspekte des „STOP!“-Akronym berücksichtigt werden:

S – Steril (Minimierung von Ablenkungen)

Das Wort „steril“ soll in diesem Zusammenhang bedeuten, dass ausschließlich notwendige Informationen zum Patienten oder Einsatz kommuniziert werden sollen. Vor dem Aussprechen lohnt es sich selbst mit der Frage „Welchen Einfluss auf den Einsatz hat diese Aussage?“ zu reflektieren. Durch die Vermeidung überflüssiger Aussagen (z.b. Scherze) werden Ablenkungen minimiert und der Fokus erhöht. Insbesondere überflüssige Kommunikation als „Stress Relief“ soll verhindert werden.

T – Teamkommunikation (strukturierte Kommunikation im Team)

Die Kommunikation ist sachlich und klar zu wählen. Informationen sollen präzise und ohne Missverständnisse kommuniziert werden. Beispiel: „Der Messwert XY ist gut“ (persönliche und nicht sachliche Aussage) vs. „Der Messwert beträgt…“ (klare und sachliche Kommunikation). Die Kommunikation ist zu jedem Zeitpunkt respektvoll und frei von Suggestionen zu wählen. Unterschwellige Bemerkungen sind zu unterlassen. Geteilte Informationen sind zu bestätigen. Kommunikation nach dem Prinzip „Jeder Funkspruch endet mit einem Vorschlag“.

O – Optimale (maximale Konzentration auf Maßnahmen)

Das Bedürfnis in das durch die sterile Kommunikation entstehende „Vakuum“ zu sprechen, sollte durch einen maximalen Fokus auf Maßnahmen und den Patienten ausgeglichen werden. Während der Durchführung von Maßnahmen (Anlage eines PVK, Aufziehen von Medikamenten, weitere invasive Maßnahmen) sollte die Kommunikationsstufe von steril auf unerlässlich erhöht werden. Während des Start- und Langevorganges eines Flugzeugs wird z.B. durch das Wort INHIBIT optisch durch den Flugcomputer signalisiert, dass für die Flugphase irrelevante Informationen und Fehler nicht durchgestellt werden (Z.B. Niedrige Kraftstofftemperatur, einzelner KraftstoWpumpenausfall etc.). Um Fehler bei der Durchführung der Maßnahmen zu vermeiden, sollte analog keine Kommunikation während der Maßnahme stattfinden, die nicht unerlässlich ist z.b.: „Der Blutdruck liegt jetzt nicht mehr bei 120/080, sondern bei 100/060“. Diese Information ist notwendig, aber aufschiebbar.

P – Patient*innenversorgung (Fokus auf Patient*innen und Outcome)

Es sollte klar sein, dass die STOP-Regel nur einen Zweck verfolgt: Den Fokus auf den Patienten zu legen und durch eWizientes Arbeiten einen positiven Einfluss auf das Outcome des Patienten zu nehmen. Somit sollte man sich laufend fragen, ob
man gerade das Beste für den Patienten tut und was noch tun könnte (z.b. auch
„Kleinigkeiten“ wie das Temperaturmanagement im Fahrzeug). Sollte man eine
Idee haben, dann sollte diese klar kommuniziert werden.

!Das Ausrufezeichen (überflüssige Kommunikation)

Das Ausrufezeichen soll die Awareness auf Teammitglieder lenken, die unnötig kommunizieren, z.B. durch Scherze. Mögliche Gründe hierfür können u.a. sein:

  • Das Teammitglied versucht Stress abzubauen, ggfs. sollte über eine Aufgabenneuverteilung nachgedacht werden.
  • Das Teammitglied hat nicht erkannt, dass es sich um eine*n kritische*n Patient*in handelt und eine „STOP“-Phase herrscht.
  • Das Teammitglied ist unterfordert, respektive nicht fokussiert, ggfs. sollte über eine Aufgabenneuverteilung nachgedacht werden.

Eine nicht-notwendige Kommunikation ist ein potenzielles Alarmsignal für ein unachtsames Teammitglied. Der Teamleader sollte dieses Alarmsignal erkennen und für sich eine Entscheidung abwägen, oder noch einmal durch Aussprechen von „STOP“ verdeutlichen, dass nicht-notwendige Kommunikation aktuell nicht erwünscht ist.

Exkurs: Regel des „sterilen Cockpit“ der FAA

Das Konzept des „sterilen Cockpit“ geht auf die Vorschriften FAR 121.542 und FAR 135.100 der Federal Aviation Administration (FAA; „Bundesluftfahrtverwaltung“ der USA) zurück und hat anders als gedacht nicht mit der Hygiene innerhalb des Cockpit zu tun, sondern mit der Kommunikation im Team. Die FAA erließ die beiden o.g. Vorschriften im Jahr 1981, um die Zahl von Unfällen einzudämmen, welche durch unnötige Kommunikation, etwaige Ablenkung bzw. eine gestörte Aufmerksamkeit verursacht wurden. Kurz und knapp gesagt sieht die Regel des „sterilen Cockpits“ vor, dass während relevanter Manöver keine unbedingt erforderlichen Gespräche oder Tätigkeiten ausgeführt werden dürfen.

Kommunikation zwischen den Crew-Mitgliedern ist also nicht in allen Situationen verboten, Kommunikation ist sogar erwünscht. Gespräche zwischen der Besatzung braucht es, um möglichst effektiv zu sein, auch wenn es nur das lapidare „Kennenlerngespräch“ ist. Aber wenn es ernst wird, genau dann soll die Kommunikation auf das Wichtigste begrenzt sein. Für die folgenden kritischen Phasen des gesamten Flugablaufs sieht die FAA genau vor, dass die Regel des „sterilen Cockpits“ angewendet wird:

  • alle Tätigkeiten am Boden (Preflight-Checks, Push-Back, Start-Up etc.)
  • alle Tätigkeiten im Rahmen von Start und/oder Landung
  • alle Tätigkeiten im Flug bei Flughöhe < 10.000 Fuß

In diesen Phasen sollen u.a. die folgenden Interaktion bzw. Aktionen unterbleiben:

  • Nahrungsaufnahme
  • Durchsagen an die Passagiere, z.B. bzgl. Anschlussflügen, außer Not-Briefing für Passagiere
  • Papierkram (Flugdokumentation o.Ä.)
  • private Unterhaltungen mit anderen Crew-Mitglieder, außer Abstimmung zum Fliegen, Checklisten und Callouts

Es gibt aber auch einige Situationen, die eine Unterbrechung des „sterilen Cockpit“ rechtfertigen, dazu zählen zum Beispiel:

  • Feuer, Brandgeruch oder Rauch im Flugzeug
  • medizinische Notfälle
  • ungewöhnliche Geräusche oder Vibrationen
  • Auslaufen von Treibstoff oder anderen Flüssigkeiten
  • extreme Temperaturschwankungen
  • Anzeichen von Enteisungsproblemen

Das Konzept des „sterilen Cockpit“ bedeutet nicht, dass die Pilot*innen nicht sprechen (dürfen), da eine gewisse Kommunikation mit Besatzungsmitgliedern oder Fluglots*innen notwendig sein. Stattdessen ist ein steriles Cockpit frei von unnötigem Smalltalk, was es der Besatzung ermöglicht, Prioritäten zu setzen, auf Unregelmäßigen zu achten und die komplexe Aufgabe, ein Flugzeug sicher in die Luft zu bewegen oder auf den Boden zu bringen, zu bewältigen.

Quellen

Published inSafety First – Fehlerkultur in der Notfallmedizin

Ein Kommentar

  1. Malte Malte

    Hallo

    als jemand, der aus der Luftfahrtbranche kommt, sich aber auch für Medizin interessiert, finde ich es immer schön, wenn Konzepte aus dem CRM in die Medizin übernommen werden. Ein paar Kommentare:

    – Steril: Ich glaube zu wissen, was gemeint ist, aber will trotzdem drauf hinweisen. Der Punkt „Vor dem Aussprechen lohnt es sich selbst mit der Frage „Welchen Einfluss auf den Einsatz hat diese Aussage?“ zu reflektieren“ ist problematisch.
    Gerade in kritischen Situationen kann man es sich auch nicht leisten, über die Kommunikation nachzudenken. Eine Vielzahl von Unfällen in der Luftfahrt entsteht dadurch, dass die Piloten mental überlastet. Stichwort „Partial Incapacitation“
    Ein Beispiel kann man hier sehen: https://www.youtube.com/watch?v=LAtcrdJqJDc
    Vor jedem Satz nachzudenken „Ist das jetzt wichtig?“ erhöht diese Belastung noch weiter.

    Insofern sollte grundsätzlich alles ausgesprochen werden, was man in einer Situation für relevant hält. (Ein mentales „Inhibit“ ist nicht unbedingt erwünscht – auch das hat schon zu Unfällen geführt.) Stattdessen muss man sich drauf verlassen, dass erlernte und trainierte Kommunikationsschemata und die berufliche Erfahrung dafür sorgen, dass nur für die aktuelle Phase relevante Informationen gegeben werden. (Grundgedanke: Jeder ist ein Profi)

    – Thema „überflüssige[r] Aussagen (z.b. Scherze)“: Scherze sind nicht nur Ablenkungen (schon schlecht) sondern bergen vor allem auch Potenzial für Missverständnisse. Eine ironische Bemerkung, die ernst genommen wird, ist ganz übel.

    – „Informationen sollen präzise und ohne Missverständnisse kommuniziert werden. Beispiel: „Der Messwert XY ist gut“ (persönliche und nicht sachliche Aussage) vs. „Der Messwert beträgt…“ (klare und sachliche Kommunikation).“
    Auch da muss man relativieren. Wenn Aufgaben deligiert bzw. von Teammitgliedern ausgeführt werden, spricht im Prinzip nichts dagegen, auch die Auswertung der Messung dort zuzulassen. In der Luftfahrt gibt es genug Checklisten, die von der kontrollierenden Person mit einem einfachen „Check“ quittiert werden.
    Als Beispiel eines Laien: Wenn der Blutdruck 119/82 beträgt, spielen die Zahlen eventuell weniger eine Rolle, weil sie im Normbereich sind. Trotzdem erfordert es mehr Kapazität der Teammitglieder, das wahrzunehmen (akustisch und mental) und dann selbst die Schlussfolgerung zu ziehen. Bei Nicht-Normwerten könnte hinzu kommen, dass zwei Teammitglieder eine unterschiedliche Interpretation vornehmen und es dann zur „mentalen Spaltung“ des Teams kommen kann, wie weiter vorgegangen wird. (Person A (laut): „Die Werte sind XY“ – Person B (gedanklich): „Ist noch in Ordnung, solange es nicht schlimmer wird. Wir fahren mit Prozedur 1 fort“ – Person C (gedanklich): „Dann müssen wir jetzt sofort von Prozedur 1 zu Prozedur 2 übergehen“)

    – Optimal: Der „Inhibit“ in einem Flugzeug wird über Jahre während der Entwicklung von Ingenieuren geplant und implementiert. Und Computer sind gut darin, nach diesem Schema Meldungen auszublenden. Ausserdem vergessen Sie nichts und können daher, wenn der Inhibit vorbei ist, alle Meldungen nachträglich rausspielen ohne Informationsverlust.

    Menschen sind dadrin nicht so gut. Eine Information, die nicht sofort geteilt wird, ist ein paar Sekunden oder Minuten eventuell weg. Für die Teamkommunikation sollte daher, wie schon erwähnt, kein mentaler Inhibit vorgenommen werden. Der Mindset aller Beteiligten sollte stattdessen sein: „Wir sind in einer wichtigen/schwierigen Phase und es werden nur relevante Informationen kommuniziert“. Gerade, dass einzelne Teammitglieder einen anderen Blickwinkel auf die Situation haben, und eine Verbindung zwischen scheinbar auf den ersten Blick unwichtigen Informationen und der aktuell vorgenommenen Prozedur herstellen, können Fehler im Vorfeld vermieden werden. Eine Information, die vor 30 Sekunden „unwichtig“ war, kann ganz schnell kritisch werden.
    Durch die flache Entscheidungsstruktur im Cockpit und das Training im CRM wird gewährleistet, dass in kritischen Situationen selbst die Meinung eines frischen Copiloten mit nur 50h auf dem Muster vom 20’000h-Captain einbezogen wird und genutzt wird, um die eigene Position zu reevaluieren.

    – Das Ausrufezeichen
    Ja, wenn jemand das sterile Cockpit nicht einhält, kann ein klarer Ordnungsruf erforderlich sein. Allerdings wird es in den entscheidenden Situationen nicht möglich sein, die Thematik mit dem Team auszudiskutieren. Daher muss CRM im Vorfeld erlernt und trainiert werden. Der einzige Punkt, der in der akuten Situation vorkommen sollte, ist also das Nicht-Erkennen der STOP-Phase.
    Die anderen Punkte sind eventuell schwierig. Wenn jemand gerade psychisch gerade nicht in der Lage ist, eine Tätigkeit auszuführen, lässt sich adhoc eventuell nicht viel machen. Wenn jemand komplett aus der Situation genommen wird, steigt die Belastung für die anderen Teammitglieder noch weiter. Und ohne den Grund für das Verhalten zu kennen, kann eine schnelle Aufgabenumverteilung schwierig sein.

    Wichtig ist, dass sowas im Nachgang thematisiert wird. Und da ist die Luftfahrt meines Wissen immer noch weiter als die Medizin, dass Fehler analysiert, diskutiert und auch veröffentlicht werden, um die Zukunft sicherer zu machen und nicht, um Personen haftbar zu machen. (Siehe unterschiedliche Aufgaben von Polizei/Staatsanwaltschaft (Haftung) bzw. FAA/Luftfahrtbundesamt (Regulierung) auf der einen Seite und National Transportation Safety Board (NTSB) oder BFU (Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung auf der anderen Seite (Ursachenerforschung)).

    Als Beispiel: Alle Piloten im Cockpit einer Passagiermaschine sind dazu ausgebildet, befähigt und befugt, die Maschine allein zu fliegen. Wenn der Captain mit 20’000h ausflippt, können First Officer und Senior First Officer ihn überwältigen und dürfen die Maschine genauso weiterfliegen, wie der Captain.
    Ich weiss nicht, in wiefern es im Rettungsdienst möglich wäre, dass die Rettungsassistenten den Notarzt fixieren und die Behandlung in die eigene Hand nehmen. 😉 Und dass zusätzlich zum Notarztwagen noch zwei weitere (Not-)Ärzte im Rettungswagen fahren, ist in der Praxis wahrscheinlich eher die Ausnahme.

    Es gibt noch weitere Teilaspekte, die ja ebenfalls in das sterile Cockpit reinspielen, wie z.B. Checklisten und Standardphraseologie. Diese erleichtern es natürlich, die wirklich relevanten Informationen zu erkennen und unmissverständlich zu kommunizieren.
    Auch „10for10“ ist ein gutes Konzept für das ich in der Luftfahrt keine equivalente Abkürzung kenne. Das Prinzip, einen Schritt zurück zu machen, durchzuatmen und die Gedanken zu ordnen, ist natürlich universell in stressigen Situationen sinnvoll und hilfreich.

    Schöner Blog und Keep up the good work 🙂

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