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Safety First – Nadelstichverletzung in der Notfallmedizin

Mal kurz nicht richtig hingeschaut… Mal kurz abgelenkt gewesen… Und dann ist es schon passiert und die Nadel ist im Finger! Und sofort drehen sich die Gedanken nur noch um „Hat der Patient eine Infektion?“ und „Was muss ich jetzt tun?“.

Nadelstichverletzungen (NSV) bilden einen großen Teil der BGlich gemeldeten Unfälle. Die Zahlen der Unfallkasse Baden-Württemberg für die Jahre 2012/20213 sprechen von knapp 45 % aller gemeldeten BGlichen Fälle; die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) spricht von ca. einer Million Fälle jährlich in der EU; die WHO geht von ca. 3.000.000 NSV jedes Jahr aus. Die häufigsten Situationen, bei welchen NSV akzidentiell entstehen sind chirurgische Tätigkeiten exkl. Nähen (12 – 13 %), die Entsorgung/das Recapping von Nadeln (12 – 13 %), Injektionen (~ 11 %), Blutentnahme (~ 9 %). Die Wahrscheinlichkeit sich mit kontaminierten Nadeln im Zuge einer Nadelstichverletzung mit Infektionskrankheiten liegt bei den häufigsten Folgeinfektionskrankheiten zwischen ca. 0,3 % bei HIV und ca. 30 % bei HBV). Einflussfaktoren für eine Risikomaximierung für Infektionen sind neben den u.g. grundsätzlichen Ursachen für Nadelstichverletzungen z.B. die Art des pathogenen Erregers, die Virusprävalenz und die Infektiosität sowie der Impf- und Immunstatus.

alle Stich-, Schnitt- und Kratzverletzungen der Haut durch stechende oder schneidende Instrumente, die durch Patientenmaterial verunreinigt sind – unabhängig davon, ob die Wunde blutet oder nicht. NSV können durch alle benutzten medizinischen Instrumente, die die Haut penetrieren können, wie Nadeln, Lanzetten, Kanülen, Skalpelle, chirurgische Drähte, verursacht werden

Definition der Nadelstichverletzung (TRBA 250)

häufige Verletzungsquelle/Ursachen für Nadelstichverletzungen

  • fehlende Sicherheitsprodukte (Safety-Kanülen etc.)
  • zeitliche versetzte Entsorgung
  • falsche/fehlende Entsorgungsmöglichkeiten
  • überfüllte Abwurfbehältnisse
  • Recapping
  • aggressive, fremdgefährdende Patient*innen
  • Hektik und Arbeitsdruck
  • erhöhte Gefahr bei Patient*innen mit bekannten Infektionskrankheiten

Prävention von Nadelstichverletzungen

integrierter Ansatz zur Minimierung des Risikos von Nadelstichverletzungen (NSV) unter Ausschöpfung aller technischen, organisatorischen und persönlichen Maßnahmen

  • nur Einsatz von fachlich geeignetem Personal durch Arbeitgeber
  • Einsatz von nadelfreien Infusionssysteme mit Rückschlagventil zur Konnektion mit Venenzugängen für das Zuspritzen von Medikamenten und für die Blutentnahme
  • Einsatz von Kunststoffkanülen für nadelfreies Aufziehen von Körperflüssigkeiten
  • Verwendung von Arbeitsgeräten mit Sicherheitsmechanismen („Sicherheitsgeräten“), v.a. bei…
    • Behandlung und Versorgung von Patient*innen, die nachgewiesenermaßen durch Erreger der Risikogruppe 3 oder höher infiziert sind
    • Behandlung fremdgefährdender Patient*innen
    • Tätigkeiten im Rettungsdienst und in der Notfallaufnahme
    • Tätigkeiten in Krankenhäusern bzw. -stationen im Justizvollzug
    • Blutentnahmen
    • sonstigen Punktionen zur Entnahme von Körperflüssigkeiten
    • Legen von Gefäßzugängen
  • Einbeziehung der Anwender*innen und der Arbeitnehmer*innen-Vertreter*innen
  • Sammeln von Informationen über aktuell gehandelte Sicherheitsgeräte einschließlich allgemein vorhandener Erfahrungen beim Umgang mit Sicherheitsgeräten
  • Evaluierung der Praxiserfahrungen aussichtsreicher Sicherheitsgeräte hausintern
  • Gestaltung der Arbeitsabläufe und Arbeitsumgebung mit dem Ziel, dass ein ungestörtes, unterbrechungsfreies und konzentriertes Arbeiten möglich ist
  • Sicherzustellung, dass die Beschäftigten die Sicherheitsgeräte richtig anwenden können (über Sicherheitsgeräte informieren und deren Handhabung in der praktischen Anwendung vermitteln)
  • Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen regelmäßig überprüfen
  • gebrauchte Kanülen nicht in die Kanülenabdeckung (Schutzkappe) zurückstecken, verbiegen oder abknicken, außer die Manipulation dient der Aktivierung einer integrierten Schutzvorrichtung
  • gebrauchte spitze und scharfe medizinische Instrumente einschließlich derer mit Sicherheitsmechanismus sind unmittelbar nach Gebrauch durch die Anwender*innen in Abfallbehältnissen zu sammeln (Abfallbehältnisse müssen den Abfall sicher umschließen; Behälter so nah wie möglich am Verwendungsort der spitzen, scharfen oder zerbrechlichen medizinischen Instrumente aufstellen)
  • Tragen bzw. Einsatz Persönlicher Schutzausrüstung

mögliche Folgeschäden

  • Infektionen, z.B. mit Hepatitis B oder C, HIV etc.
  • Hautdefekte

Vorgehen bei Verletzungen

  1. sofortige Keimausschwemmung durch forcierte Blutung nach der NSV
  2. sofortige intensive Desinfektion der betroffenen Stelle (alkoholisches Hautantiseptikum) nach der NSV
  3. sofortige Vorstellung bei Durchgangsärzt*in oder in Notaufnahme
  4. Antikörper-/Impfstatus-Bestimmung (Impfstatus gg. HBV bzw. Infektiösität in Bezug auf HBV, HCV, HIV
  5. aktive und passive Immunisierung (Postexpositionsprophylaxe (PEP))
    • Impfung gg. HBV bzw. PEP gg. HIV sollte sofort erfolgen
  6. BG-Meldung durch Durchgangsarzt/BG-Arzt in Rettungsstelle sowie Verbandsbucheintrag beim Arbeitgeber
  7. Kontrolle über längeren Zeitraum

Quellen

  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Benutzung von persönlicher Schutzausrüstung im Rettungsdienst. DGUV Regel 105-003.
  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Risiko Nadelstich. DGUV Information 207-024. https://publikationen.dguv.de/regelwerk/dguv-informationen/3050/risiko-nadelstich.
  • Tanzer, Wolfgang; Wolf, Andreas (2022): Nadelstichverletzung – Keine Bagatelle! In: retten! 2 (01), S. 10–13. DOI: 10.1055/s-0033-1336036.
  • Akat, Kemal; Benten, Daniel; Chun, Felix (2018): Checkliste Anamnese und klinische Untersuchung. 5., aktualisierte Auflage. Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag (Checklisten der aktuellen Medizin).
  • Mülder, Karsten (2005): Nadelstichverletzungen: Der bagatellisierte „Massenunfall“. In: Deutsches Ärzteblatt 102 (9). Online verfügbar unter https://www.aerzteblatt.de/int/article.asp?id=45662, zuletzt geprüft am 30.07.2020.
  • Himmelreich, Heiko; Rabenau, Holger F.; Rindermann, Matthias; Stephan, Christoph; Bickel, Markus; Marzi, Ingo; Wicker, Sabine (2013): The management of needlestick injuries. In: Deutsches Arzteblatt international 110 (5), S. 61–67. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0061.
  • Stranzinger, Johanna; Bieler, Sandra (2020): Nadelstichverletzungen: Unfällen vorbeugen. In: Heilberufe 72 (2), S. 22–24. DOI: 10.1007/s00058-019-1418-9.
  • Ochmann, U.; Wicker, S. (2020): Nadelstichverletzungen bei medizinischem Personal. In: Medizinische Klinik, Intensivmedizin und Notfallmedizin 115 (1), S. 67–78. DOI: 10.1007/s00063-019-00651-5.
  • Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (27.03.2014): Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe 250 – Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege. (TRBA 250).
Published inSafety First – Fehlerkultur in der Notfallmedizin

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