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02.05. – Remembrance and Resistance Day (Internationaler Tag zur Erinnerung an die Verbrechen der NS-Psychiatrie)

Mit diesem Beitrag möchte ich jährlich zum Internationaler Tag zur Erinnerung an die Verbrechen der NS-Psychiatrie genau an diese Verbrechen und das menschenverachtende System der Psychiatrien im Dritten Reich erinnern. Neben der Beschreibung der Methoden und Denkweisen der NS-Psychiatrie sowie der Aufarbeitung soll es vor allem auch um Biografien gehen – Biografien der Opfer, Widerstandskämpfer*innen & Gegner*innen des Systems sowie der Täter*innen. Genau mit diesem Ziel wird dieser Beitrag Jahr für Jahr wachsen und hat das Ziel, die Psychiatrie im Nationalsozialismus so gut und so kritisch wie möglich zu beleuchten.

Psychiatrie im Nationalsozialismus

Viele grundsätzliche Informationen zu den ideologischen und rechtlichen Grundlagen sowie zur „Euthanasie (Aktion T4 etc.) gibt es im Beitrag „Psychiatrie im Dritten Reich – Stigmatisierung und Euthanasie durch menschenverachtende Ideologie“, welcher 2023 am 27.01. zum Holocaust-Gedenktag erschien.

Aufarbeitung der NS-Psychiatrie

Euthanasie-Prozesse

Aufarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)

Biographien

Opfer

Dorothea Buck

Widerstandskämpfer*innen & Gegner*innen des Systems

John Rittmeister

John Karl Friedrich Rittmeister ist einer der Wenigen aus Reihe der Ärzt*innen in der Zeit des Dritten Reiches gewesen, der für seinen Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime bezahlen musste. In der Gruppe der Psychiater*innen ist er der einzige der im aktiven Widerstand war.

John F. Rittmeister wurde am 21.08.1898 in Hamburg geboren und war der älteste Sohn einer bürgerlichen, protestantischen Hamburger Kaufmannsfamilie neben seinen beiden Geschwistern, den 1900 geborenen Zwillingen Wolfgang und Edith. Er wuchs wohl behütet auf, besuchte die humanistische Gelehrtenschule des Johanneums, das älteste Gymnasium Hamburgs, und meldete sich 1917 nach seinem Abitur freiwillig zum Kriegsdienst und wurde als Telefonist an der Front in Frankreich und Italien eingesetzt. Die Entscheidung als Soldat an die Front zu gehen, traf er vor allem, weil er so gegen eine empfundene innere Schwäche ankämpfen wollte. Nach dem Krieg begann entgegen der kaufmännischen Familientradition ein Medizinstudium mit Stationen in Marburg, Göttingen, Kiel und Hamburg. In Hamburg promovierte er noch mit einer Arbeit mit dem Titel „Ueber einen Fall von staphylococcen myelitis“, bevor die Weichen hinsichtlich der medizinischen Fachrichtung klar gestellt wurden und Rittmeister bis 1929 seine dreijährige psychiatrisch-neurologische Facharztausbildung in München absolvierte.

Stolperstein in der Agnesstraße in Hamburg-Winterhude, dem Wohnhaus Rittmeisters (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/John_Rittmeister#/media/Datei:Stolperstein_Agnesstra%C3%9Fe_30_(John_Rittmeister)_in_Hamburg-Winterhude.JPG)

Während seiner Münchner Zeit lernte er durch seine Beziehung mit Ella Wiegand, auch „Dunja“ genannt, den emigrierten russischen Arzt Hugo Schmorell kennen, dessen Nichte Ella Wiegand war. Ella war auch einer der Aulöser für das wachsende Interesse Rittmeisters bzgl. der Sowjetunion. Das kennenlernen von Hugo Schmorell wird wahrscheinlich auch prägend gewesen sein, da Alexander Schmorrell, der Sohn Hugo Schmorells, später Bekanntheit erlangte als eines der Gründungsmitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ neben Sophie & Hans Scholl. In die Münchner Zeit fiel auch Studienaufenthalte in Paris & London und an letzterem Ort studierte er an der Toynbee Hall in Whitechapel und lernte dort auch die Settlement-Bewegung und dadurch das Elend der unteren Klassen kennen. Erfahrungen, die sicherlich nochmals ideologisch im Sinne des Kampfes für die Gemeinwesensarbeit prägend waren.

Nach seinem Medizinstudium erlange er aufgrund seines großen Interessensschwerpunkt, der Psychoanalyse, nahm er seine erste Arbeitstelle als Nervenarzt am Burghölzli-Institut in Zürich an und arbeitete dort von 1929 bis 1931. Danach wechselte er als Assistenzarzt an die Poliklinik für Nervenkrankheiten der Universität Zürich, wo er bis 1935 beschäftigt war. Während der Jahre in Zürich kam er auch mit Carl Gustav Jung, dem Begründer der analytischen Psychologie, und dem marxistischen Zirkel in Kontakt. In dieser Zeit wird er auch aktiv im Engagement für emigrierende Deutsche, wurde Mitglied der Internationalen Arbeiterhilfe, der Schweizerischen Gesellschaft zur Förderung der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion und der Freunde des neuen Russland.

Im Jahr 1936 hatte er abermals einen kurzen Studienaufenthalt im Ausland, diesmal in den Niederlanden, wo auch sein Aufsatz „Die psychotherapeutische Aufgabe und der moderne Humanismus“ erschien, welcher gut darlegte welches Welt- und Menschbild Rittmeister vertrat. Letztendlich hatte Rittmeister das Glück nach seinem Aufenthalt in den Niederlanden durch die gewonnen Kontakte in seiner Züricher Zeit eine Anstellung als Arzt an der Kantonsheilanstalt Münsingen zu erhalten. 1937 wurden John F. Rittmeister seine Kontakte in Zürich jedoch zum Verhängnis und waren der Grund weswegen seine Aufenthaltsgenehmigung für die Schweiz aufgrund „kommunistischer Umtriebe“ nicht verlängert wurde.

Zurück im Deutschen Reich wurde Rittmeister erst Oberarzt an der Nervenklinik Waldhaus in Berlin-Nikolassee und später ab Kriegsbeginn Leiter der Poliklinik des Deutschen Instituts für Psychologische Forschung und Psychotherapie in Berlin. Die Poliklinik war schlussendlich der letzte Ort im Deutschen Reich, welcher die Psychoanalyse noch praktizieren durfte. In Berlin lernte er auch seine 14 Jahre jüngere, spätere Ehefrau Eva Knieper kennen, welche in Berlin als Kinderkrankenschwester tätig und am Heilschen Abendgymnasium ihr Abitur machte. Eva wurde am 13. Juli 1939 dann auch seine Frau. Rittmeister und seine Frau initiierten gemeinsam mit einigen ihrer Mitschüler*innen einen Gesprächskreis, welcher später zum Freundeskreis wurde und zusammen organisierten sie Hilfen für untergetauchte Juden und andere Verfolgte.

John Rittmeister und seine Frau Eva (Quelle: https://www.jungewelt.de/img/800/111935.jpg)

Die Zeit des Widerstands begann mit einem prägenden Treffen um Weihnachten 1941 herum, bei dem die Rittmeisters das Ehepaar Harro & Libertas Schulze-Boysen und später Arvid & Mildred Harnack sowie Ilse Stöbe kennen. Harro Schulze-Boysen war im Reichsluftfahrtministerium tätig und kam so an verlässliche Informationen über das NS-Unrechtsregime und die deutschen Kriegsziele. Alle zusammen bildeten sie ein loses Netzwerk aus dem sich später die Widerstandsgruppe mit dem Namen „Rote Kapelle“ (Namensgebung erfolgte durch die Nazis, die damit Kontakte nach Russland überbetonen wollten) entwickelte. Die „Rote Kapelle“ startete heimliche Flugschriftenaktionen, darunter die bekannte „AGIS”-Flugschrift (Der Name Agis war die Idee Rittmeisters und bezieht sich einerseits auf den spartanischen König Agis IV. und andererseits auf den lateinischen Imperativ für „Handele!“.), welche eigentlich den Titel „Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk“ hatte, die politische & militärische Lage im Deutschen Reich analysierte und einer der Hauptgründe für die spätere Verurteilung durch das Reichskriegsgericht wurde. Was hinsichtlich der Mitgliedschaft Rittmeisters in der „Roten Kapelle“ aber zu betonen ist, ist, dass er die weitere aktivistische Politik und die Spionagetätigkeiten bzw. den Kontaktaufbau zu sowjetischen Diplomaten, um vor dem geplanten deutschen Überfall auf die Sowjetunion zu warnen, nicht teilte.

In der Nacht vom 17. auf den 18. Mai 1942 war Rittmeister Teil der gefährlichsten Widerstandsaktion der „Roten Kapelle“, welche diese zum Anlass der Ausstellung „Das sowjetische Paradies“ organisiert hatte. Rittmeister und 19 weitere Widerstandskämpfer*innen waren Nacht über in Berlin unterwegs um die Originalplakate der Ausstellung mit Handzetteln (siehe Foto) zu überkleben, auf denen stand:

„Ständige Ausstellung
👉 Das NAZI-PARADIES 👈
Krieg Hunter Lüge Gestapo
Wie lange noch?“

Ca. ein halbes Jahr später, im Sommer 1942 flog die „Schulze-Boysen-Harnack-Gruppe“ auf und in diesem Zuge wurden Eva und John Rittmeister dann schlussendlich am 26.09.1942 von der Gestapo in ihrer Wohnung verhaftet. Eva Rittmeister wurde kurz nach der Festnahme erst wieder freigelassen und kurz vor Prozessbeginn im Januar 1943 wieder festgenommen. Im Februar 1943 fand das Gerichtsverfahren vor dem Reichskriegsgericht statt, welches am 12.02.1943 mit dem Todesurteil für John Rittmeister, der nicht leugnet der Mitverfasser der „AGIS“-Flugschrift zu sein, „wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung“ endete. Die Hinrichtung durch die Guillotine fand schließlich am 13.05.1943 im Gefängnis in Berlin-Plötzensee gemeinsam mit anderen Mitgliedern der „Schulze-Boysen-Harnack-Gruppe“ statt.

Seine Frau wurde zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, da sie sich den Prozess ahnungslos gab, sich gegen die vorgebrachten Anschuldigungen wehrte und durch ihren Mann nicht belastet wurde. Ihr Haft endete im April 1945, als sie von der sowjetischen Armee aus dem Gefängnis befreit wurde. Nach ihrer Befreiung konnt sie sich nicht einmal von ihrem Mann an einer Grabstelle verabschieden, denn von Seiten des NS-Regimes wurde über Prozess & Hinrichtungen Stillschweigen angeordnet und Leichname dem anatomischen Institut der Charité zu Forschungszwecken übergeben, um nochmals Opfer der Perversionen des NS-Staates zu werden durch die Forschungen des Anatomieprofessor Hermann Stieve herhalten zu müssen.

Über die Einstellung Rittmeisters zu den Vorgängen in der NS-Psychiatrie ist leider nur wenig überliefert, aber man darf durch eine Überlieferungen davon ausgehen, dass er dem System der NS-Psychiatrie negativ gegenüberstand. Indizien hierfür sind zum Beispiel die Abkehr von den Lehren Carl G. Jungs, dessen er erst überzeugter Anhänger gewesen war, hin zu den lehren Freunds nachdem Jung sich mehr und mehr dem Nationalsozialismus annäherte. Desweiteren war Rittmeister eher Teil der ikonoklastischen Strömung innerhalb der Psychoanalyse, die eher dem sozialen bzw. politischen linken Lager zuzuordnen ist. Und zu guter Letzt sind aus den Aufzeichnungen von John Rittmeister aus dem Gefängnis Berichte über heftige Auseinandersetzungen im Traum mit Johannes Heinrich Schultz, einem deutschen Psychiater und Erfinder des „Autogenen Trainings“, welcher das Vorgehen der NS-Psychiatrie hinsichtlich Zwangssterilisation und der Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen klar begrüßte.

Gottfried Ewald

Walter Creutz

Werner Leibbrand

Täter*innen

Carl Schneider

Ernst Rüdin

Friedrich Mauz

Friedrich Panse

Paul Nitsche

jährliche Instagram-Beiträge

Quellen

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