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15.06. – Nationaler Veteranentag

Grundsätzliches zum Nationalen Veteranentag

Heute begehen wir in Deutschland erstmals im großen Stil den Nationalen Veteranentag als Feiertag nachdem der Deutsche Bundestag am 25.04.2024 in seiner 166. Sitzung auf Antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP beschlossen hat, dass der 15. Juni zum jährlichen nationalen Veteranentag erklärt werden soll (oder ein Tag eines Wochenendes, das davor oder danach liegt, wenn der 15. Juni auf einen Werktag fällt), um so den Einsatz und Dienst aktiver und ehemaliger Soldat*innen der Bundeswehr zu würdigen. Ziel des nationalen Veteranentag ist es auf den Dienst der Soldat*innen mit all seinen gefährlichen Bedingungen, persönlichen Entbehrungen sowie körperlichen und seelischen Härten aufmerksam zu machen und gleichzeitig Anerkennung & Dank für die besonderen Leistungen unserer Soldat*innen auszudrücken. Einen Dienst, den die Soldat*innen antreten, um sich für Freiheit, Frieden und die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen. Zugleich wurden im o.g. fraktionsübergreifenden Antrag noch weitere Forderungen genannt, für die Haushaltsmittel aufgewendet werden sollen:

  • grundsätzliche und einheitliche Verbesserung der Nachsorge von im Dienst, besonders im Auslandseinsatz, erlittenen Schädigungen (Fürsorge, Rehabilitationsmaßnahmen, Therapieangebote und Betreuungskonzepte sowie Ansprechstellen für Geschädigte und deren Angehörige, Weiterverwendungs- und Entschädigungsmöglichkeiten)
  • Maßnahmen identifizieren und ergreifen, um die barrierefreie Ansprechbarkeit und Beratung für Veteran*innen bundesweit zu gewährleisten, die Verfahren, Beteiligungspflichten und bürokratischen Hürden sowie die Verfahrensdauer für die Bearbeitung von Anfragen auf sechs Monate zu reduzieren, ohne dass die Position der Antragsteller*innen verschlechtert wird
  • Ausweitung des Einsatzweiterverwendungsgesetz auf ehemalige Berufssoldat*innen sowie Prüfung, inwieweit auch Soldat*innen, die von außerhalb des Einsatzgebietes an einer besonderen Auslandsverwendung teilnehmen sowie Soldat*innen, die im sog. „Reachback-Verfahren“ Bild- oder Tondokumente aus einem Einsatzgebiet einer besonderen Auslandsverwendung erheben und auswerten, in den Schutzbereich aufgenommen werden können
  • externe Evaluierung von Qualität, Umfang und Systematik der Behandlung, Rehabilitationsleistungen und Präventionsmaßnahmen für einsatzgeschädigte Soldat*innen sowie ihrer Angehörigen (Berichtsvorlage bis zum 31.12.2024)
  • Prüfung der Einrichtung einer stationären Therapieeinrichtung der Bundeswehr, in der sowohl einsatzgeschädigte Soldat*innen als auch ihre Familien aus einer Hand behandelt und betreut werden können
  • Prüfung, wie auch bei nicht vollständiger einsatzbezogener Dokumentation seitens der Bundeswehr Veteran*innen eine Versorgung ermöglicht werden kann
  • spürbare Aufwertung der Deutschen Härtefallstiftung als bedeutender Träger des Fürsorgegedankens für Veteran*innen sowie aller durch den Dienst in der Bundeswehr geschädigten Menschen und deren Familien
  • Stärkung der Kenntnisse über Behandlung und Auswirkungen von Krieg und Verwundungen, insbesondere Posttraumatischen Belastungsstörungen, in der Laufbahnausbildung der Führungskräfte der Bundeswehr

Wer ist eigentlich Veteran*in?

Erst seit dem Jahr 2018 gibt es in Deutschland eine offizielle Definition des Begriffs „Veteran*in“. Das Bundesministeriums der Verteidigung definiert diesen in einem Tagesbefehl wie folgt:

„Veteranin oder Veteran der Bundeswehr ist, wer als Soldatin oder Soldat der Bundeswehr im aktiven Dienst steht oder aus diesem Dienstverhältnis ehrenhaft ausgeschieden ist, also den Dienstgrad nicht verloren hat.“

Einfach gesagt sind also Personen Veteran*in, die in der Uniform der Bundeswehr gedient haben, egal ob Freiwillige, Berufssoldat*innen, Zeitsoldat*innen oder nun Ausgeschiedene. Das sind seit der Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 mehr als 10.000.000 Frauen und Männer in den deutschen Streitkräften, die Dienst hier bei uns und in mehr als 50 Ländern im Auslandseinsatz versehen haben. Mehr als 100 deutsche Soldat*innen sind bei diesen Auslandseinsätzen ums Leben gekommen (37 in Gefechten gefallen oder bei Anschlägen getötet).

gesundheitlich-phychologische Situation der Veteran*innen

Seit den 90er Jahren waren mehr als 400.00 Soldat*innen für die die Bundeswehr in Auslandseinsätzen, von denen schätzungsweise 20 % nach diesen Einsätzen mit den psychischen Folgen, i.d.R. mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), kämpfen. Bei nicht wenigen der Soldat*innen werden die Folgen der Auslandseinsätze erst Jahre danach sichtbar. Aktuell kümmern sich etwa 90 ehrenamtliche Fallmanager*innen um rund 500 akut betroffene Kamerad*innen in der ganzen Bundesrepublik, wobei der Bund Deutscher EinsatzVeteranen (BDV) von bis 40.000 Betroffenen ausgeht.

Auch heute kämpfen viele psychisch erkrankte Veteran*innen in sogenannten Wehrdienstbeschädigungsverfahren um die Anerkennung ihrer Einsatzschädigung und die damit verbundene Versorgung der Bundeswehr. Im Vergleich zu den Wehrdienstbeschädigungsverfahren bei körperlicher Schäden dauern die Verfahren aufgrund psychischer Erkrankungen erheblich länger, im Durchschnitt vergehen rund 22 Monate bis zu einem ersten Bescheid. In Abhängigkeit der Bescheide folgen darauf Widersprüche und Prozesse, die im schlimmsten Fall auch mehr als zehn Jahre andauern.

Zahlen & Fakten

  • laut Schätzungen der Bundeswehr erreicht diese mit den eigenen Behandlungsangeboten nur 10 – 20 % der PTBS-kranken Einsatzgeschädigten
  • seit 2011 erhebt die Bundeswehr Zahlen zur PTBS bei ihren Soldat*innen und hat seitdem rund 2.800 einsatzbedingte PTBS-Erkrankungen registriert
  • laut einer Bundeswehrstudie dürften aber mind. 13.000 Soldat*innen nach Auslandseinsätzen eine PTBS entwickelt haben
  • epidemiologische Untersuchungen der Bundeswehr (zw. 2009 – 2013) ergaben, dass die Häufigkeit psychischer Erkrankungen bei Soldat*innen mit und ohne Einsatz mit ca. 20 % deutlich unter der der Gesamtbevölkerung in Deutschland liegt (ca. 28%), dies liegt jedoch v.a. an der Alterszusammensetzung der Bundeswehr (keine Kinder & ältere Menschen sowie Einstellungsverfahren bzgl. der psychischen Gesundheit)
    • 7,8 % der Soldat*innen mit Auslandseinsatz litten an affektiven Erkrankungen
    • 2,9 % der Soldat*innen mit Auslandseinsatz litten an Posttraumatischen Belastungsstörungen
    • 10,8 % der Soldat*innen mit Auslandseinsatz litten an Angststörungen
    • 2,5 % der Soldat*innen mit Auslandseinsatz litten an somatoformen Störungen
    • 3,6 % der Soldat*innen mit Auslandseinsatz litten an Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit
  • neben dem Erleben der persönlichen Bedrohung im Kampfeinsatz sind v.a. auch moralisch belastende Situationen (sog. „moral injuries“; z.B. Erleben von Armut, Bürgerkriegen oder Gräueltaten) eine Ursache für die Entwicklung einer PTBS
  • laut einer Dunkelzifferstudie der TU Dresden bis zu 50 % der Einsatzsoldaten einem Ereignis ausgesetzt gewesen sein und die Hälfte davon hätte wiederum „potenziell traumatisierend wirken können“
  • laut der Bundeswehr kam es allein im Jahr 2017 zu 1.900 Behandlungskontakten von Soldat*innen mit einer PTBS (jedes einzelne Gespräch von Psychiater*innen mit Patient*innen)
  • allein 2015 mussten sich 235 Soldat*innen in Abteilungen für psychosomatische Erkrankungen der fünf Bundeswehrkrankenhäuser (BwKrhs) neu in Behandlung begeben, jedoch gibt es nur 90 Betten in den BwKrhs
  • seit 1957 haben mehr als 3.500 Angehörige der Bundeswehr Suizid begangen, die meisten in den 70er- und 80er (2024: 26 Suizide)
  • im Zeitraum 01.01. bis 13.10.2014 meldete die Bundeswehr 1602 Behandlungen von PTBS-Betroffenen und weiteren psychisch erkrankten Soldat*innen, davon 284 Neuerkrankungen
  • 305 Soldat*innen haben sich 2022 erstmalig mit einer einsatzbedingten psychischen Neuerkrankungen in psychiatri­schen Abteilungen oder psychiatrischen Fachuntersuchungsstellen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr vorgestellt, bei 197 davon wurde eine PTBS diagnostiziert und bei 159 davon steht die Erkrankung im Zusammenhang mit dem längst beendeten ISAF-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan
  • 2024 gab es 235 einsatzbedingte psychische Neuerkrankungen, wovon 131 Neuerkrankungen eine PTBS waren

Symptomatik eines Kriegstrauma (Combat stress reaction, CSR)

  • Verhaltensänderungen
    • veränderte Reaktionszeit oder dessen Wahrnehmung
    • Verlangsamung im Denken
    • Auffälligkeiten im allgemeinen Verhalten und der Prioritätensetzung
    • Beschäftigung mit Nebensächlichkeiten und persönlichen Befindlichkeiten
    • Schwierigkeiten und Abbrüche in und bei der Konzentration
    • Antriebslosigkeit und Gleichgültigkeit
    • Erschöpfungszustände
  • körperliche Symptome
    • Herzrhythmus- und Kreislaufstörungen
    • Allgemeine Verspannungen und Rückenschmerzen
    • Schweißausbrüche
    • Zittern
    • Appetitlosigkeit
    • Hyperventilation
    • aufdrängende Erinnerungen, Flashbacks oder Albträume
    • Unmöglichkeit sich zu entspannen
    • Harninkontinenz, Enuresis
    • Unwohlsein und Ermüdung

Mehr Informationen zu den Symptomen sowie der Diagnostik und der Therapie gibt es im „Im Notfall Psychiatrie“-Beitrag zur (komplexen) Posttraumatischen Belastungsstörung.

Folgen bzw. Risiken der PTBS bei verspäteter oder Nicht-Behandlung am Beispiel des Veteran Stefano B.

Der Afghanistanveteran, Hauptfeldwebel & Panzergrenadier Stefano B. hat am 26. Januar 2024 in der Ulmer Innenstadt mit Waffenattrappen in einem Café 13 Personen als Geiseln genommen. Sein Ziel war sich vom Sondereinsatzkommando der Polizei erschießen zu lassen (sog. „suicide by cop“), um so den eigenen Albträumen zu entkommen, die das Ergebnis seiner zwei Afghanistan-Einsätze waren. Der Geiselnahme gingen sechs Suizid-Versuche von Stefano B. voraus und auch seine Ehefrau hatte per Mail bei der Bundeswehr um Hilfe für ihren Mann gebeten. Schlussendlich konnte die Geiselnahme beendet werden und alle Geisel überlebten. Stefano B. selbst wurde schwer verletzt und mittlerweile zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Der Fall Stefano B. ist nur ein einzelnes Beispiel, aber eines das die immensen Konsequenzen von fehlender Fürsorge und dem Ausbleiben einer Therapie zeigen. Vor allem wenn man sich den zeitlichen Verlauf anschaut, ist zu sehen wie viel Zeit verloren gegangen ist Stefano B. richtig und rechtzeitig zu helfen:

  • 2011: Rückkehr vom zweiten Einsatz in Afghanistan
  • Sommer 2021: erste Verhaltensveränderungen zeitgleich zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan
  • August 2022: Diagnosestellung einer posttraumatische Belastungsstörung im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin
  • Anfang 2023: Rückkehr in die Bundeswehr als „Wiedereinsteller“ (Sonderregelung für traumatisierte Soldat*innen)
  • Ende 2023: Absage der geplanten stationären Therapie und Verschiebung auf Ende 2024
  • 23. Dezember 2023: erneuter Suizidversuch mit Tabletten-Überdosis mit Einlieferung ins Bundeswehrkrankenhaus Berlin und Entlassung am nächsten Tag
  • 26. Januar 2024: Geiselnahme in Ulm
  • Oktober 2024: Entfernung aus dem Dienstverhältnis bei der Bundeswehr (siehe Zitat)

„Durch Ihr Verhalten verbunden mit dem Wunsch, sich durch eingesetzte Polizeibeamte erschießen zu lassen, offenbart sich ein solches Maß an charakterlicher Nichteignung Ihrer Person, dass Ihr weiteres Verbleiben im Dienst dem Dienstherrn nicht zugemutet werden kann. Dem kann nur durch Ihre Entfernung aus dem Dienstverhältnis abgeholfen werden.“
(Schreiben der Bundeswehr bzgl. der Einleitung eines „gerichtlichen Disziplinarverfahrens“)

Quellen

Published inWelttag...

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