Wichtiges zum Weltschilddrüsentag
Im September 2007 beschloss die Thyroid Federation International auf dem jährlichen Kongress der European Thyroid Association der „Weltschilddrüsentag“. Gewählt wurde der 25. Mai, da dieser in einigen Ländern schon nationaler Schilddrüsentag war. Da es jedoch einige Anerkennungsprobleme bei der Eintragung in die Liste der Welttage bei UN gab, fand am 25.05.2008 der erste „Europäische Schilddrüsentag“ statt. Danach verselbstständigte sich der „Europäische Schilddrüsentag“ sukzessive zum „Weltschilddrüsentag“. Und so wird seit mehreren Jahren schon jährlich am 25. Mai auf viele Schilddrüsenerkrankungen und die weltweit etwa 200.000.000 Menschen von Schilddrüsenerkrankungen aufmerksam gemacht. Aber los geht es erstmal mit einem bisschen Anatomie und Physiologie.
Die Schilddrüse
Bei der Schilddrüse, auch Glandula thyroidea, handelt es sich um eine schmetterlingsförmige Drüse im Halsbereich. Genau lokalisiert ist sie unterhalb des Kehlkopfes und setzt sich aus zwei Lobi links und rechts neben der Trachea zusammen, die über den Isthmus (Brücke) verbunden sind, welcher auf Höhe der 2. bis 3. Trachealspange liegt. Umgeben ist die Schilddrüse von einer Capsula fibrosa/externa („chirurgische Kapsel“).
Mit einem Gewicht von rund 30 – 50 g ist die Schilddrüse die größte endokrine Drüse des Menschen (bei Frauen meist etwas schwerer).
Die Schilddrüse hat zwei große Funktionen. Zum einen wäre dies die Speicherung von Jod im Körper und zum anderen die Produktion von Hormonen, für welche das gespeicherte Jod benötigt wird. Bei den Hormonen handelt es sich um Triiodthyronin (T3) und das Prohormon Thyroxin/Tetrajodthyronin (T4) sowie das Peptidhormon Calcitonin, welche für die Regulierung vieler Funktionen im Körper verantwortlich sind, darunter z.B. die Stoffwechselregulation, Steuerung von Herz-, Muskel- und Verdauungsfunktionen etc. Bei Neugeborenen steuern die Hormone darüberhinaus das Wachstum sowie die Bildung von Zellen im ZNS. Damit die Schilddrüse ordentlich arbeiten kann braucht eine gute Versorgung des Körpers mit Nährstoffen wie Jod (z.B. 100 – 200 µg täglich), aber auch Selen, Zink, Vitamin D und Vitamin B12.
Fakten & Zahlen
- ca. 2.800.000.000 Menschen weltweit haben einen Jodmangel und somit eine eingeschränkte Produktion der Schilddrüsenhormonen
- > 20.000.000 Deutsche haben wahrscheinlich nie diagnostizierte Schilddrüsenknoten
- rund 33 % der Deutschen haben für sie nicht bekannte Schilddrüsen-Pathologien
- in Deutschland haben 15 % der Erwachsenen eine diagnostizierte Schilddrüsenerkrankung
- 53 % davon mit Schilddrüsenunterfunktion
- 18 % davon mit Hashimoto-Thyreoiditis
- 11 % davon mit Schilddrüsenknoten oder Z.n. Schilddrüsenoperation
- jede*r Zweite > 45 Jahre hat eine Schilddrüsenerkrankung
- > 50 % der Menschen in Deutschland > 60 Jahre hat knotige Veränderungen der Schilddrüse
- Schilddrüsentumore sind bei Männern für ca. 0,5 % und bei Frauen für ca. 1,5 % aller bösartigen Tumore verantwortlich
- in Deutschland haben 58 % der Kinder eine unzureichende Jodversorgung
- jährlich etwa 79.000 Schilddrüsen-Operationen in Deutschland & viele sind vermeidbar
- hohe Komorbiditätszahlen (47 % mit Bluthochdruck, 24 % mit Depressionen & 18 % mit Diabetes)
- jährliche Kosten durch Schilddrüsenkrankheiten in Deutschland von 1.000.000.000 €
Krankheitsbilder im Zusammenhang mit der Schilddrüse
thyreotoxische Krise (2024)
Bei einer thyreotoxischen Krise handelt es sich um eine i.d.R. akute, eher seltene Komplikation einer bereits bestehenden Schilddrüsenerkrankung bzw. Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) bei der zu einer starken Steigerung der Wirkung der Schilddrüsenhormone kommt und somit einer überschießenden katecholaminen Reaktion kommt.
Epidemiologie
- Mortalitätsrate von 8 – 25 % trotz der modernen Medizin
- 600 – 1100 Fälle pro Jahr in Deutschland (CAVE: wahrscheinlich erhebliche Dunkelziifer)
- Todesfälle in Deutschland: 6 – 25 pro Jahr (CAVE: wahrscheinlich erhebliche Dunkelziifer)
- ca. 1 von 100 Hyperthyreosen geht in eine thyreotoxische Krise über
- thyreotoxische Krise macht ca. 1 – 2 % der KH-Einweisungen aufgrund Hyperthyreosen aus
- Durchschnittsalter liegt bei etwa 42 – 43 Jahren (Erkrankungsgipfel: 60. Lebensjahr)
- Geschlechterverhältnis liegt bei ca. 1 Mann auf 3 Frauen
Ätiologie
- Schilddrüsenautonomie (häufigste Ursache für Hyperthyreose in Deutschland)
- Morbus Basedow bzw. Immunhyperthyreose (zweithäufigste Ursache für Hyperthyreose in Deutschland)
- übermäßige exogene Zufuhr von Schilddrüsenhormonen bzw. Jod, z.B. durch Einnahme von Amiodaron oder Kontrastmittel (Hyperthyreosis factitia)
- (subakute) Thyreoiditis de Quervain oder Hashimoto-Thyreoiditis als entzündliche Ursachen
- Krebs (z.B. Schilddrüsenkarzinome oder TSH-produzierende Hypophysenadenome)
- abruptes Absetzen von Schilddrüsenmedikamenten (z.B. Thyreostatika)
- Gestationsthyreotoxikose
- sonstige Erkrankungen wie diabetische Ketoazidose, Herzinfarkt, Schlaganfall/ICB, Sepsis
- psychische Ursachen wie Stress, Trauerreaktion, Misshandlung etc.
- sonstige Ursachen wie Trauma, Operation, Verbrennungen
Pathophysiologie
Eine thyreotoxische Krise ist i.d.R. das Ergebnis einer plötzlichen Freisetzung von Schilddrüsenhormonen aufgrund verschlechterter Bindung der Schilddrüsenhormone T3 und T4 an das Thyroxinbindendes Globulin (TBG), ein im Blut vorkommendes Plasmaproteine, welches rund 99 % der Schilddrüsenhormone bindet. Jedoch ist zu betonen, dass die Wirkung der Schilddrüsenhormone allein nicht die thyreotoxische Krise bedingt, sondern oftmals akute Ereignise wie die im Kapitel „Ätiologie“ aufgeführten in Verbindung mit einer lang bestehenden oder nicht behandelten Hyperthyreose.
Die überschießende Hyperthyreose sorgt pathophysiologisch z.B. für die nachfolgenden Reaktionen:
- Tachykardie, Herzrhythmusstörungen (VHF) & hyperdynames Herzversagen durch Nachlastsenkung durch höhere ß-Rezeptoren-Expression
- sys. Hypertonie, erhöhtes Blutvolumen mit erhöhter Vorlast und Rechtsherzdekompensation durch gesteigerte Na+-Rückresorption bedingt durch erhöhte Na+-K+-ATPase-Expression
- psychomotorischen Symptome wie Stress, Angst durch zentralnervöse ß-adrenerge Wirkung
Eines der größten Probleme der thyreotoxischen Krise ist der Teufelskreis, dass sich die Hyperthyreose durch die Organkomplikationen weiter verstärkt.
Symptomatik (Stadien gemäß Herrmann)
- Stadium I (Letalität < 10 %)
- entgleiste Temperaturregulation mit Flush (CAVE: Fieber bis 41 °C möglich)
- Tachykardie (i.d.R. Sinustachykardie bis > 150/min, ggf. Tachyarrhythmia absoluta bei bestehendem VHF möglich, selten VT)
- erhöhtes Myokardinfarkt-Risiko durch hohen myokardialen Sauerstoffverbrauch
- Herzinsuffizienz
- GI-Symptome wie Übelkeit, Erbrechen & Diarrhoe –> Exsikkose & Dehydration (ggf. starke Unterleibsschmerzen möglich)
- Adynamie bis völlige Teilnahmslosigkeit (Apathie)
- zentralnervöse Symptomatik unterschiedlicher Ausprägung (z.B. Tremor, Unruhe, Agitation, Muskelschwäche der prox. Muskulatur & Schultergürtels und/oder Bulbärparalyse)
- Stadium II
- zusätzlich Somnolenz, Stupor, Sopor, Desorientierung, Delir, Psychosen
- Stadium III (Letalität > 30 %)
- zusätzlich Bewusstlosigkeit/Koma
- ggf.. Nebenniereninsuffizienz
Bei der Stadieneinteilung nach Herrmann wird zusätzlich in die folgende Klassifikation unterschieden: Stadium 1a – 3a bei Alter < 50 Jahre ODER Stadium 1b – 3b bei Alter < 50 Jahre. Die hohe Mortalität ist v.a. bedingt durch thromboembolische Komplikationen.
Diagnostik & Anamnese
- CAVE: seltenes Auftreten sorgt oft für Schwierigkeiten bei der korrekten Diagnosestellung
- Suche nach Kardinalsymptomen: Fieber, ungeklärte Tachykardie und Agitiertheit
- Auskultation der Struma (bei Hyperthyreose sind ggf. Strömungsgeräusche und/oder ein Stridor hörbar)
- Palpation der Schilddrüse (bei Hyperthyreose ist ggf. ein „Schwirren“ tastbar)
- Vorgehen: sitzende*n Patient*in Kopf zurückneigen lassen –> Hals von vorne betrachten und auf ein-/beidseitige Vergrößerung hin kontrollieren –> hinter sitzende*n Patient*in mit Kopf in Normalstellung stellen –> Schildrüse vorsichtig bimanuell hinsichtlich Lobiasymmetrie, Knoten & Vergrößerung palpieren (Daumen an den Nacken & Palpation mit den übrigen Fingern ausgehend vom Isthmus über Ringknorpel nach lateral)
- ggf. Schluckversuch durchführen (gesunde Schilddrüse ist verschieblich; fixierte Schilddrüse ist ggf. Hinweis auf Neoplasie)
- Labordiagnostik (supprimiertes TSH, erhöhtes fT3 & fT4, Hyperglykämie, milde Hyperkalzämie, Leukozytose/Leukopenie, erhöhte Transamninasen & Cholestase, eingeschränkte Leberfunktionsstörung; CAVE: Schilddrüsenwerte korrelieren nicht mit Schwere der thyreotoxischen Krise)
Einteilung Schilddrüsenvergrößerungen gemäß WHO
- Grad Ia: Schilddrüsenvergrößerung nur tastbar
- Grad Ib: Schilddrüsenvergrößerung tastbar und bei Reklination des Kopfes sichtbar
- Grad II: Schilddrüsenvergrößerung bei normaler Kopfhaltung sichtbar
- Grad III: Schilddrüsenvergrößerung aus der Ferne sichtbar
Burch-Wartofsky-Score
Differenzialdiagnosen
- Sepsis
- Infektion
- Psychose, Delir
- Intoxikationen mit Koma (z.B. Kokain, Amphetamine, Designerdrogen)
- Phäochromozytom
- Neuroleptisches malignes Syndrom
- Hyperthermie
Therapie
Die Therapie einer thyreotoxischen Krise beruhen auf den folgenden Säulen im Rahmen einer intensivmedizinischen Überwachung und Therapie:
- T4-Spiegel-Reduktion
- Thyreostatika-Gabe bei Hyperthyreose (z.B. 40 – 80 mg Thiamazol i.v. alle 4 – 8 h; alternativ initial 500 – 1000 mg Propylthiouracil p.o., dann 250 mg alle 4 h p.o. als Erhaltungsdosis)
- Gabe von 10 Tropfen Lugolscher Lösung (5 %-ige Kaliumjodidlösung) p.o. alle 8 h (min. 1 h nach Beginn der Thyreostatikatherapie) zur gehemmten Schilddrüsenhormon-Freisetzung
- NSAR (z.B. 600 mg Ibuprofen 4× tgl.) oder Steroide (z. B. 50 mg Prednisolon i.v. oder 2 mg Dexamethason i.v. alle 6 h) bei destruktiver Thyreoiditis
- T4-Substitution pausieren bei Thyreotoxicosis factitia
- Gabe von 8 g Colestyram 3× tgl. zur Hemmung des enterohepatischen Kreislaufs
- ggf. Gabe von 1,3 mL bzw. 400 mg Natriumperchlorat p.o. (max. 1200 – 2000 mg/d)
- ggf. Plasmapherese bei lebensbedrohlicher jodinduzierter thyreotoxischer Krise
- ggf. Not-Thyreoidektomie (indiziert, wenn keine Stabilisierung innerhalb von 12 – 24 h)
- Dejodierung blockieren
- Gabe unselektiver β-Blocker (z.B. 60 – 80 mg Propranolol p.o. alle 4 – 6 h oder 0,1 mg Pindolol/h i.v. 3× tgl.)
- Glukokortikoid-Gabe (z.B. 100 – 250 mg Prednisolon/d)
- ggf. Thyreostatikum durch Propylthiouracil ersetzen (50 mg Propylthiouracil 4 – 6× tgl.)
- Jodothyroninwirkung blockieren
- β-Blockade (z.B. Propranolol oder Pindolol; alternativ β1-selektiver β-Blocker bei Kontraindikationen, z.B. 100 – 400 mg Metoprolol/d)
- weitere, supportive Therapiemaßnahmen
- durchgehendes Monitoring (v.a. Atmung & Kreislauf; ggf. Beatmung & Sedierung)
- Flüssigkeits- & Elektrolytsubstitution sowie hochkalorische Ernährung (ca. 3000 kcal/d) & Vitamine
- Fiebersenkung (Paracetamol; ggf. auch kühlende Ansätze)
- O2-Gabe
- Thromboembolieprophylaxe (Full-Dose-Antikoagulation bei VHF)
- Digitalis bei Tachyarrhythmia absoluta
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