Zum Inhalt springen

Leitlinie „Primary postpartum haemorrhage (PPH)“ des CHQ

veröffentlichende Fachgesellschaft: Queensland Hospital and Health Service (CHQ)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 06.08.2024
Ablaufdatum: 06.08.2029
Quelle/Quelllink: https://www.health.qld.gov.au/__data/assets/pdf_file/0015/140136/g-pph.PDF

Grundsätzliches

  • primäre postpartale Blutung (Primary Postpartum Haemorrhage; PPH) = häufigste Blutungsform in der Geburtshilfe und Hauptursachen für Morbidität & Mortalität bei Müttern
  • Blutungen in der Geburtshilfe (inkl. antepartaler & postpartaler Blutungen) waren zw. 2012 – 2021 für 11 Todesfälle in Australien verantwortlich (Müttersterblichkeitsrate von 0,4 pro 100.000)
  • “ Four T’s“ für die häufigsten Ursachen der PPH
    • Tonus (70 – 80 %), z.B. Atonie
    • Trauma (20 %), z.B. Risswunden an Zervix, Vagina & Damm, inkl. Dammschnitt
    • Tissue (Gewebe; 10 %), z.B. Plazenta
    • Thrombin (< 1 %), z.B. Gerinnungsanomalien

Definition

  • keine einheitliche Definition
  • i.d.R. primäre postpartale Blutung = übermäßige Blutung in den ersten 24 h nach Geburt
  • Klassifizierung anhand der folgenden Kriterien
    • Volumen des Blutverlusts
      • Blutverlust von 500 mL oder mehr (schwere Blutung = > 1000 mL; starke Blutung = >2500 mL)
      • Einteilung gemäß Queensland Perinatal Data Collection in 500 – 999 mL, 1000 – 1499 mL oder > 1500 mL
    • hämodynamische Beeinträchtigung
      • Beurteilung anhand der Beobachtung klinischer Anzeichen
      • manifestiert sich als zunehmende Tachykardie, Hypotonie & verminderte Urinausscheidung
      • da Blutverlust häufig unterschätzt, Erkennung ggf. primär über Hämodynamik
      • CAVE: Anzeichen sind ggf. erst erkennbar bei große Mengen von Blutverlust
    • Hämoglobin (Hb)
      • 10 g/L (10 %) Abfall des Hb nach Geburt (= 500 mL)

Diagnostik

  • Ursache identifizieren („Four T’s“)
    • Tonus –> Fundus atonisch
    • Trauma –> Risswunden, Uterusruptur/-inversion, ausreichende Blutgerinnung
    • Tissue (Gewebe): zurückgebliebenes Plazenta-/Membrangewebe; Fundus atonisch und nicht reagibel ggü. Uterotonika
    • Thrombin: Fundus kontrahiert (ggf. Atonie), Blut gerinnt nicht
    • unbekannte Ursachen: Prüfung auf verdeckte Blutungen und nicht-genitale/gynäkologische Ursachen (z.B. subkapsuläre Leberruptur)

Bewertung des Blutverlusts

  • visuelle Schätzung ist subjektiv, kann ungenau sein und führt häufig zu Unterschätzung großer Volumina oder Überschätzung kleiner Volumina
  • bei visueller Beurteilung Folgendes beachten: Volumen sowie Art & Geschwindigkeit
  • quantitative Messung mittels Messung von Blutverlust oder Wiegen blutgetränkter Materialien (z.B. Wäsche, Binden, Tupfer, Abdecktücher) –> 1 g = 1 mL Blutverlust (Messung/Wiegen bei > 300 mL bei visueller Einschätzung)
  • hämodynamische Beeinträchtigung ist Spätindikator für PPH und zeigt sich ggf. erst bei großen Blutmengen (z.B. bis zu 25 % des Gesamtblutvolumens oder mehr als 1500 mL)
  • CAVE: bei Frauen mit Gestitationshypertonie mit Proteinurie, Anämie, Dehydrierung, Kleinwuchs, Herzerkrankung
  • klinische Zeichen bzw. Symptome des Blutverlusts
Volumen (mL)RRsysSymptomeGrad des Schocks
500 – 1000normalHerzklopfen, Schwindel, Tachykardiekompensierter Schock
1000 – 1500leichter AbfallSchwäche, Schwitzen, Tachykardiemilder Schock
1500 – 2000starker Abfall (70 – 80 mmHg)Unruhe, Blässe, Oliguriemoderater Schock
2000 – 3000sehr starker Abfall (50-70 mmHg)Kollaps, Luftnot, Anurieschwerer Schock

Therapie

  • PPH-Erstversorgung erfordert multidisziplinären Behandlungsansatz, um Patientin einerseits hämodynamisch zu stabilisieren und gleichzeitig die Ursache zu identifizieren & zu therapieren
  • ABCDE-Schema für initiale Versorgung
  • Flachlagerung ODER Trendelenburg-Lagerung bei Hypotonie
  • Temperaturmessung alle 15 min zur Hypothermieprävention
  • kontinuierliches Monitoring von HF & SpO2 sowie RR-Messung alle 5 min (ggf. häufiger)
  • O2-Gabe mit hohem Fluss (10 – 15 L/min) über Maske unabhängig von maternaler SpO2
  • Anlage pVK, idealerweise zwei Zugänge (14 – 16G), wenn i.v. nicht mgl. Anlage von i.o.-Zugang; ggf. alternativ großvolumiger ZVK
  • Blutentnahme sowie Laborparameter (BGA; Gerinnungswerte wie PT, INR, aPTT, Fibrinogen; großes Blutbild; Kreuzprobe)
  • frühestmögliche Gabe von 1 g TXA (100 mg/mL) i.v. über 10 min als Ergänzung zu Uterotonika (idealerweise < 3 h) –> 2. Gabe von 1 g TXA, wenn Blutung nach 30 min persistiert oder stoppt und innerhalb von 24 h nach erster Dosis erneut auftritt (CAVE: keine Routineprophylaxe)

Volumentherapie

  • Hauptziel: Förderung der Gewebeperfusion und Sauerstofftransportkapazität
  • wenn möglich, Gabe warmer Infusionslösungen & Kristalloide ggü. Kolloiden bevorzugen
  • CAVE: Vermeidung hochvolumiger Flüssigkeitssubstitution i.v. –> Verdünnungskoagulopathie (Kristalloide: max. 2 L bzw. 1 – 2 mL pro 1 mL Blutverlust; Kolloide: max. 1,5 L; ggf. bei zusätzlicher Indikation weitere 1,5 L)
  • CAVE: Gabe von Kolloiden ggf. mit Störung der Gerinnungsfaktoren verbunden
  • Flüssigkeitsstatus überwachen –> Ziel ist Urinausscheidung > 30 mL/h

Blutprodukte

  • frühzeitige Transfusion ohne unnötiges Warten auf Laborergebnisse, da klinische Beurteilung wichtigster Faktor ist
  • bei hämodynamischer Beeinträchtigung oder aktiver Blutung Erythrozytentransfusion erwägen –> inital 2 Einheiten (0-negativ oder BG-spezifisch) unter Nutzung von Blutwärmer UND Pumpe oder Druckinfusion
  • ggf. Aktivierung des Massentransfusionsprotokoll

Management der vier Ts

Tonus

  • initiale manuelle Maßnahmen
    • Massage des Gebärmutterfundus zur Stimulierung der Kontraktionen
    • Beurteilung der Notwendigkeit einer bimanuellen Kompression (frühzeitig erwägen, da ggf. lebensrettende Maßnahme)
    • Lösen von Blutgerinnseln aus Uterus mittels Fundus-Stimulation durch wiederholte Massage
    • Prüfung der Vollständigkeit von Plazenta und Membranen
    • Anlage von Dauerblasenkatheter, um Blase leer zu halten
    • ggf. mechanische oder chirurgische Maßnahmen bei anhaltender Blutung
  • rechtzeitige medikamentöse Therapie mittels Uterotonika
    • Oxytocin als Mittel der 1. Wahl bei Uterusatonie
      • 5 I.E. Oxytocin i.v. über 1 – 2 min (ggf. Wdh. nach 5 min; max. Dosis: 10 I.E. i.v.)
      • 30 I.E. Oxytocin + 500 mL NaCl 0,9% oder VEL –> 5 – 10 I.E./h. also 83 – 167 mL/h über Infusionspumpe über 2 – 4 h (abhängig von klinische Urteil)
      • falls i.v.-Zugang nicht möglich, alternativ Gabe von 10 I.E. Oxytocin i.m.
      • bei Geburtseinleitung mit Oxytocin, selbe Infusion mit höherer Laufrate verwenden
      • Gabe als Infusion v.a. bei Instabilität (z.B. Hypovolämie, Schock etc.) erwägen
      • bei Carbetocin-Gabe in der 3. Geburtsphase keine Gabe von Oxytocin
    • Ergometrin als Alternative der 1. Wahl bei Uterusatonie
      • erwägen, wenn Oxytocin-Gabe frustran oder nicht verfügbar
      • 250 – 500 µg Ergometrin i.m. ODER 250 – 500 µg Ergometrin i.v. über 1 – 2 min
      • ggf. alle 5 min wiederholen (max. 1 mg)
      • Antiemetika-Gabe erwägen
      • CAVE: keine Gabe bei zurückgebliebener Plazenta, schwerer Hypertonie, Präeklampsie, Eklampsie, schwerer Sepsis und schwerer Nieren-, Leber-, Gefäß- oder Herzerkrankung
    • Misoprostol als Alternative der 1. Wahl bei Uterusatonie
      • 800 – 1000 µg Misoprostol s.l. oder rectal (CAVE: rektal längere Resorptionszeit mit längerer Wirkung)
      • Gabe erwägen, wenn alternative Uterotonika nicht verfügbar, kontraindiziert oder Blutung mit Oxytocin nicht wirksam kontrollierbar
      • keine Wdh. innerhalb von 2 h nach letzter Dosis ODER bei Hyperpyrexie & Schüttelfrost

Trauma

  • traumatische Verletzung der Genitalien
    • stabiler Zustand der Patientin
      • Ausmaß des Traumas beurteilen und schnellstmögliche operative Versorgung realisieren
      • angemessene Analgesie ermöglichen
      • bei arterieller Blutung sofortiges Abklemmen oder manuelle Kompression
    • kritischer Zustand der Patientin –> Schocktherapie (s.o.) mit manueller Kompression & Analgesie
  • traumatische Verletzung des Zervix
    • starke Blutungen während und nach 3. Geburtsphase oder kontinuierliche hellrote Sickerblutung (Diagnose wird durch Ausschluss anderer Ursachen für PPH gesichert)
  • Uterusruptur
    • Symptomatik…
      • … bei Gebärender: Schockzeichen, Bewusstseinsstörung, Dyspnoe, Bauchschmerz, ggf. Schmerzen in der Schulterspitze, schmerzempfindlicher Uterus, pathologischer Bandl’scher Ring, unkoordinierte/ausbleibende Kontraktionen, Hämaturie, vaginale Blutung
      • .. bei Fetus: abnormales CTG und verlängerte, anhaltende fetale Bradykardie
      • postpartal oft Schmerzen, Meteorismus, anhaltende vaginale Blutungen oder minimale Lochia, Schockzeichen, ggf. Hämaturie bei Ruptur bis in die Blase
    • Therapie
      • rasche Entbindung von Baby & Plazenta
      • OP-Versorgung mit Laparotomie, ggf. Hysterektomie erwägen
  • Uterusinversion
    • Symptomatik: starke Unterleibsschmerzen, plötzlich einsetzende PPH (sekundär zu unzureichender Uteruskontraktion), hypovolämischer Schock sowie Uterus-Vorwölbung (bläulich-graue Masse) durch Gebärmutterhals oder Scheideneingang und unregelmäßig geformter/nicht tastbarer Fundus
    • medikamentöse Therapie: Stopp der Oxytocin-Infusion; wenn Plazenta in situ, Entbindung unterbrechen bis zur operativen Versorgung; Gabe von Medikamenten zur Entspannung des Zervikalrings (400 µg Glyceryltrinitrat s.l. UND/ODER 250 µg Terbutalin s.c./i.v. UND/ODER 4 g Magnesiumsulfat i.v. über 5 min); Behandlung von neurogenem und/oder hypovolämischem Schock
    • unverzügliche manuelle Reposition: vorstehenden Fundus mit Handfläche fassen –> Fundus nach oben drücken bis der Uterus wieder in normaler Position ist

Thrombin

  • Symptomatik bei Gerinnungsstörung
    • Verdünnungskoagulopathie in Verbindung mit erheblichem Blutverlust, massiver Transfusion von Blutprodukten und hochgradiger Flüssigkeitssubstitution i.v.
    • akute geburtshilfliche Koagulopathie mit schwerer Hyperfibrinolyse & Dysfibrinogenämie
    • generalisierte systemische Gerinnungsstörung mit typischen Gerinnungsanomalien (z.B. Fruchtwasserembolie)
  • Therapie
    • Hypothermie und Azidose vermeiden (Wärmeerhalt, alle 15 min Temperaturmessung; CAVE: „deathly Trias“ aus Hypothermie+ Azidose + Koagulopathie)
    • bei Hypokalzämie Korrektur des Kalziumspiegels (10 mL Kalziumglukonat 10 % i.v.) sowie min. 4 Einheiten Erythrozyten

unstillbare Blutungen

  • Uterusatonie ist eine der Hauptursachen für unstillbare Blutungen, welche nicht auf medikamentöse Therapie ansprechen und mechanische/chirurgische Eingriffe erfordern
  • Quelle bzw. Ursache der Blutung identifizieren –> bei Uterusatonie bimanuelle Kompression
  • Gabe von Breitspektrum-Antibiotika

Flowcharts

  • initiale Maßnahmen bei postpartaler Blutung (PPH)
  • Protokoll für schwere postpartale Blutungen (MHP)
Published inLeitlinien kompakt

Sei der Erste der einen Kommentar abgibt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert