veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie
Klassifikation gemäß AWMF: S1
Datum der Veröffentlichung: 22.07.2018
Ablaufdatum: 21.07.2023
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/012-028.html
Ätiologie und Epidemiologie
- indirekte oder direkte Krafteinwirkung, am häufigsten übermäßige axiale Kompressions – sowie Flexionskräfte; außerdem übermäßige Überstreckungs-(Hyperextension) und Rotationsbeanspruchungen
- typische Unfallursachen
- Verkehrsunfälle, z.B. Auffahrunfälle, Fahrzeugüberschläge, Motorradund Fahrradstürze
- Sportunfälle, z.B. Skistürze, Kletterunfälle, Stürze vom Pferd
- Arbeitsunfälle, z.B. Sturz vom Gerüst
- Bagatelltraumen bei reduzierter Knochenqualität (z.B. Osteoporose) oder systemischen Skeletterkrankungen (z.B. M. Bechterew)
- pathologische Frakturen bei Tumorerkrankungen
- seltene Unfallursachen
- direkte Gewalteinwirkung wie z.B. Schuss- und Stichverletzungen
präklinisches Management
- Behandlung eines Patienten mit Verdacht auf WS-Verletzung beginnt an der Unfallstelle mit dem Ziel eine mögliche Verschlechterung des neurologischen Befundes zu vermeiden
Analyse des Unfallhergangs
- äußere Verletzungszeichen, SHT
- Beckengurt-Prellmarken
- Airbag-Auslösung
- Hochrasanztrauma
- Hyperflexions- oder Extensionsmechanismus z.B. bei PKW-Unfall
- axiale Kompression z.B. bei Absturztrauma
- Rotationsbeanspruchung
- indirekte oder direkte Krafteinwirkung
Notfallmaßnahmen und Transport
- frühzeitiger Transport in das nächstgelegene geeignete Krankenhaus, das über diagnostische und therapeutische Möglichkeiten zur Behandlung von WS Verletzungen verfügt (idealerweise Traumazentrum/ Wirbelsäulenzentrum)
- primäre Bestimmung und Dokumentation neurologischer Ausfälle vor Analgosedierung/Narkose
- Transport mit einem Rettungshubschrauber ist auf längeren Strecken zu bevorzugen
- beim Bewusstlosen und bei Verdacht auf schwere WS-Verletzung:
- Rettung und Lagerung möglichst unter vorsichtigem axialem Längszug
- Immobilisation der WS
- flache achsengerechte Lagerung auf harter Unterlage, Transport mit Vakuummatratze oder spezieller Wirbelsäulenlagerungshilfe
- steife Zervikal-Orthese
- bei vorbestehender Verkrümmung oder Verknöcherung der Wirbelsäule, z.B. bei M. Bechterew, Lagerung in der vorbestehenden Stellung
- Transportziel
- bei Mehrfachverletzten: entsprechend DGU-S3-Leitlinie Polytrauma in ein regionales oder überregionales Traumazentrum
- bei Monoverletzung: Traumazentrum
- bei neurologischen Ausfällen: Traumazentrum mit spezieller Expertise für Wirbelsäulen-Verletzungen
Dokumentation
- klinische Auffälligkeiten
- neurologisches Defizit:
- Sensibilität
- Motorik
- Läsionshöhe
- Seitendifferenz
- veränderter Bewusstseinszustand
- Hinweise auf Intoxation
- Schmerzen im Bereich der WS
- Frakturen und Verletzungen der Extremitäten
Anamnese
- Analyse des Verletzungsmechanismus
- genaue Beschreibung des Unfallhergangs durch Patienten und/oder Rettungskräfte
- Richtung und Ausmaß der einwirkenden Kräfte
- Rotations, Flexions- oder Extensionsmomente
- axiale oder translationale Krafteinwirkung oder Kombination daraus
- gesetzliche Unfallversicherung
- in Deutschland muss der Patient bei allen Arbeitsunfällen, bei Unfällen auf dem Weg von und zur Arbeit, bei Unfällen in Zusammenhang mit Studium, Schule und Kindergarten sowie allen anderen gesetzlich versicherten Tätigkeiten einem zum Durchgangsarztverfahren zugelassenen Arzt vorgestellt werden
- Unfallmeldung durch Arbeitgeber, wenn Unfall Arbeitsunfähigkeit von > 3 Kalendertagen oder den Tod zur Folge hat
Vorerkrankungen und Verletzungen
- vorbestehende Wirbelsäulenverletzungen
- ankylosierende Erkrankungen
- metabolische Knochenerkrankungen
- Osteoporose
- relevante neurologische Vorerkrankungen
- Tumoranamnese
- Infektionen
- vorbestehende Deformitäten
- degenerative Veränderungen
- rheumatische Erkrankungen
- Thrombosen, Embolien
wichtige Begleitumstände
- Alkohol-, Nikotinabusus, Drogen
- Allergien, speziell Medikamenten- und Metallallergien
- Medikamenteneinnahme, besonders gerinnungshemmende Medikamente (z.B. Vitamin-K-Antagonisten), Cortison, metforminhaltige Medikamente
- Abklärung der funktionellen und sozialen Situation vor dem Unfall
- bisherige Behandlung der Verletzung
- bisherige Behandlung unfallunabhängiger Wirbelsäulenbeschwerden
Symptome
- neurologische Ausfallserscheinungen
- lokaler und/oder fortgeleiteter Schmerz
Diagnostik/klinische Untersuchung
- Body-Check
- Untersuchung der gesamten Wirbelsäule
- spontane örtliche Schmerzen, Schwellung, Hämatom, Hautkontusionen
- Abschürfungen, Achsenabweichung der Dornfortsätze, örtliche Gibbusbildungen
- tastbare Lücke zwischen Dornfortsätzen
- lokaler Druck-, Klopf- und/oder Stauchungsschmerz
- Bewegungsschmerz, schmerzhaft eingeschränkte aktive und passive Beweglichkeit
- typische Begleitverletzungen (z.B. Calcaneusfraktur)
- Erfassung aller sensiblen und motorischen neurologischen Ausfallserscheinungen einschließlich einer möglichen sakralen Aussparung
- Blasen- und Mastdarmfunktion
- Bewusstseinsverlust
- Allgemeinzustand
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