Skip to content

Leitlinie „Brief Resolved Unexplained Event (BRUE)“ des PIER

veröffentlichende Fachgesellschaft: Paediatric Innovation, Education and Research Network (PIER)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 01.06.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://www.piernetwork.org/brue.html

Grundsätzliches

  • BRUE (brief, resolved, unexplained event; kurzes, abgeschlossenes, unerklärliches Ereignis) = unerwartete Veränderung der Atmung, des Aussehens oder des Verhaltens des Säuglings
  • ALTE (apparent life-threatening Event; scheinbar lebensbedrohliches Ereignis): Kombination von klinischen Symptomen wie Atemstillstand, deutliche Veränderung der Haut- und Muskelspannung, Würgen oder Ersticken
  • BRUE ersetzt ALTE und „plötzlicher Kindstod durch Beinaheunfall“
  • hohe Verwechslungsgefahr mit SIDS (Sudden Infant Death Syndrome; plötzlicher Kindstod)
  • heterogene Gruppe von Patienten unterschiedlichen Alters mit einer vielfältigen Pathophysiologie
  • keine spezifische Diagnose, sondern vielmehr ein „problematischer Vorstellungsgrund“, mit der ein Säugling ärztlich vorstellig wird
  • klinische Herausforderung besteht darin, Säuglinge zu identifizieren, die von weiteren Tests und einer längeren Beobachtung profitieren könnten
  • meistens geringes Risiko für Rezidiv oder schwerwiegendes Grundproblem

Kriterien

Episode bei einem Säugling < 12 Monate gekennzeichnet durch

  • Dauer < 1 min (typischerweise 20 – 30 sec)
  • plötzliches Auftreten, begleitet von Wiederherstellung des Ausgangszustands
  • gekennzeichnet durch ≥ 1 der folgenden Merkmale:
    • Zyanose oder Blässe
    • fehlende, verminderte oder unregelmäßige Atmung
    • deutliche Veränderung des Tonus (Hypertonie oder Hypotonie)
    • veränderte Reaktionsfähigkeit
  • nicht durch identifizierbare medizinische Bedingungen erklärbar

wenn o.g. Kriterien erfüllt sind, sorgfältige Anamnese und angemessene Untersuchung des Kindes durchführen, um BRUE im Rahmen des Ausschlusses anderer Diagnosen zu diagnostizieren

Symptomatik

  • Atemwege
    • Ursache: Atemwegsobstruktion, eingeatmeter Fremdkörper, Laryngospasmus, angeborene Anomalien, Infektion
    • Symptome: Husten, verstopfte Nase etc.
  • Herz-Kreislauf
    • Ursache: angeborene Herzerkrankung, Arrhythmien, verlängerte QT-Zeit
    • Symptome: zyanotische Episoden, pathologische kardiale Befunde, EKG-Anomalien, Synkopen, plötzlicher Herztod
  • Abdomen
    • Ursache: gastroösophageale Refluxkrankheit (GORD/GERD), Invagination, Strangulationshernie, Hodentorsion
    • Symptome: Erbrechen oder orales Aufstoßen mit obstruktive Apnoe bei GERD
  • Infektionen
    • Ursache: Keuchhusten, Sepsis, Lungenentzündung, Meningitis
    • Symptome: Fieber, ungesundes Erscheinungsbild, Atemnot, Hypoxämie oder gehäufte akute Ereignisse
  • Neurologie
    • Ursache: Kopfverletzung, Krampfanfälle, zerebrale Anomalien
    • Symptome: wiederkehrende Anfälle mit Verlust des Muskeltonus und Reaktionsunfähigkeit, anhaltende oder stereotype Anfälle ohne Würgen; zentrale Apnoe oder Atemkontrollstörung
  • Stoffwechsel
    • Ursache: Hypoglykämie, Hypokalzämie, Hypokaliämie etc.
    • Symptome: Hypoglykämie, metabolische Azidose, Erbrechen oder Lethargie
  • nicht-unfallbedingte Verletzung (< 5 % der Fälle)
    • Schütteln, Kopfverletzung, Verlegung der Atemwege, Vergiftung, fiktiv induzierte Krankheit
  • Drogen/Vergiftung
    • Ursache: unbeabsichtigt oder beabsichtigt
    • Symptome: eränderter Bewusstseinszustand, Hypoglykämie etc.

Anamnese

  • Beschreibung des Ereignis
    • Erstickungsgefühl/Ersticken oder Würgen
    • Atmungsprobleme (inkl. Kurzatmigkeit, lange Atempausen oder Atemstillstand)
    • Hautkolorit (Zyanose, Blässe, Plethora)
    • jegliche Notlage
    • Bewusstseinszustand (Reaktion auf Ansprache, Berührung oder visuelle Reize)
    • Tonus (steif oder schlaff)
    • Bewegung, auch der Augen (zielgerichtet, sich wiederholend)
    • Dauer des Ereignisses
    • Beendigung des Ereignis (Selbstbefreiung, Neupositionierung, Stimulation, CPR)
    • Erholungsphase (schnell oder allmählich)
  • Umstände vor dem Ereignis
    • wach oder schlafend
    • Zusammenhang des Ereignisses mit Nahrungsaufnahme und Erbrechen in Vorgeschichte
    • Lage (Bauchlage/sitzend/Seitenlage)
    • Umgebung (Schlafposition, Temperatur, Art des Bettzeug)
    • Gegenstände im nahen Umfeld, die zum Ersticken führen könnten
  • sonstige Anamnese
    • medizinische Vorgeschichte, inkl. früherer ähnlicher Ereignisse
    • vorangegangene/interkurrente Erkrankungen
    • krankheitsbedingte Kontakte (Infektionen)
    • plötzlicher Todesfall oder schwere Krankheit in der Kindheit in der Familie
    • Medikamente der Patient*innen, Medikamente oder andere Drogen in der Wohnung
    • Sozialanamnese, inkl. etwaiger Sicherheitsbedenken, Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum

Diagnostik

  • allgemeine körperliche Untersuchung
  • Temperaturmessung
  • RR- und HF-Messung
  • Einschätzung gemäß AVPU/WASB
  • SpO2-Messung
  • Messung von Größe, Gewicht und Kopfumfang

Red Flags

  • früheres akutes Ereignis (insb. innerhalb der letzten 24 h) oder akutes Ereignisses oder ungeklärter Todes bei einem Geschwisterkind
  • Symptome zum Zeitpunkt der Untersuchung (Lethargie, Fieber, unerklärliches wiederkehrendes Erbrechen oder Atemnot)
  • Blutergüsse oder anderen Anzeichen eines physischen Traumas (z.B. gerissenes Frenulum, subkonjunktivale Blutungen, vorgewölbte Fontanelle), dysmorphe Merkmale und/oder kongenitale Anomalien
  • signifikante physiologische Beeinträchtigung während des Ereignisses, basierend auf detaillierter Beschreibung durch Anwesende (z.B. generalisierte anhaltende Zyanose, Bewusstseinsverlust oder Notwendigkeit einer kardiopulmonalen Reanimation)

Differentialdiagnosen

  • meist idiopathisch
  • übertriebener physiologischer Atemwegssicherungsreflex mit Apnoe nach Aufnahme von Speichel/Futter/Reflux von Mageninhalt (Ursache: laryngeale Chemorezeptor-Hustenreflex häufig noch nicht ausgereift)
    • Reflex ist bei Infektionen der oberen Atemwege wahrscheinlich empfindlicher
  • selten schwere Erkrankungen wie Sepsis oder Meningitis
  • hypotone hyporesponsive Episode nach Impfung berücksichtigen (plötzliches Auftreten von Hypotonie, Hyporesponsivität und Blässe/Zyanose, innerhalb von 48 h nach Impfungen im Kindesalter)
    • Episoden i.d.R. abgeklungen, wenn das Kind im KH untersucht wird
    • Syndrom in erster Linie mit pertussishaltigen Impfstoffen in Verbindung gebracht, die Kindern < 2 Jahren verabreicht wurden (bei 1 pro 1750 Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Impfungen)

Therapie

  • bei BRUE mit geringem Risiko (Alter > 60 Tage, Geburtsalter > 32 Wochen, nur ein Vorfall, keine CPR durch med. Personal notwendig)
    • kurze Beobachtung im KH (1 – 4 h mit kontinuierlicher Pulsoximetrie etc.)
    • 12-Kanal-EKG zur Beurteilung des QT-Intervalls
    • ggf. nasopharyngeale Atemwegssicherung (Wendl-Tubus) bei Atemwegsvirus und/oder Pertussis (insb. bei ungeimpften Säuglingen)
  • BRUE mit hohem Risiko
    • EKG zur Beurteilung des QT-Intervalls
    • ggf. nasopharyngeale Atemwegssicherung (Wendl-Tubus) bei Atemwegsvirus und/oder Pertussis (insb. bei ungeimpften Säuglingen)
    • Blutzucker-, Bikarbonat- und Laktat-Messung (zum Ausschluss angeborener Stoffwechselstörungen)
    • Überprüfung der Ergebnisse des Neugeborenen-Screenings (z.B. auf angeborene Stoffwechselstörungen)
    • Blutbild und CRP, falls klinisch indiziert
  • CAVE: ca.11 % der Kinder, die mit ALTE ins Krankenhaus eingeliefert wurden, waren Opfer von Kindesmissbrauch
Published inLeitlinien kompakt

Be First to Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert