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Im Notfall Psychiatrie – Exkurs – Psychische Gesundheit und die Klimakrise

Der heutige Beitrag ist ein kleiner Exkurs zur Ergründung der Faktoren, welche sich auf die psychische Gesundheit auswirken. Ein großer Teil der Expositionsfaktoren, der in den letzten Jahren immer mehr zunimmt, ist das Klima und die damit verbundenen Veränderungen und Auswirkungen auf unser Leben.

Die menschliche Psyche, ihre Gesundheit und Gesundung sowie der Klimawandel hängen eng miteinander zusammen, nicht nur durch die Verluste und Schäden, die wir durch die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen erleben.

Auch die WHO sieht den Klimawandel als die größte Bedrohung für die Gesundheit aller Menschen. Eines der größten Probleme ist hierbei, dass nicht alle Menschen gleich stark betroffen sind; regionale Unterschiede spielen hier eine wichtige Rolle und arme Länder sind erheblich stärker betroffen als reiche Industriestaaten. Die Folgen sind kaum abschätzbar, wenn man z.B. nur die große Gruppe von ca. 10.000.000 durch die Klimakrise mit Überflutungen oder Dürren vertriebenen Menschen weltweit zwischen September 2020 und Februar 2021 betrachtet. Allein 60 % aus dieser Gruppe stammen aus dem asiatischen Pazifikraum.

Was vielen wahrscheinlich nicht bewusst ist, dass der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen sich nicht nur in Artikel 20a unseres Grundgesetzes findet, sondern auch die „(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte“ das wichtige Thema des Klima-/Umweltschutzes beeinhaltet und damit auch in die medizinische Praxis bringt.

Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.

§ 1 Abs. 2 MBO-Ä

Vor allem wir alle im Gesundheitswesen haben eine große Verantwortung im Bereich des Umweltschutzes, nicht nur durch die Berufsordnung, sondern auch, weil das Gesundheitssystem einer der größten Emittenten in allen Belangen der Umweltzerstörung ist. Dies zeigen z.B. auch Zahlen vom NHS nach denen ca. 25 % des ökologischen Fußabdrucks des britischen Gesundheitswesen aus Arzneimittel, inklusive der vor allem klimaschädlichen Anästhetika, resultieren.

Laut Daten des britischen Gesundheitssystems NHS machen Arzneimittel inklusive der Anästhetika 25 Prozent des ökologischen Fußabdrucks des Gesundheitswesens aus. Daher gelte es, so wenig Arzneimittel wie möglich einzusetzen, eine möglichst niedrige Dosierung zu verwenden und nicht medikamentöse Maßnahmen zu berücksichtigen.

Erst in den letzten Jahren bemerkt man wie sich Faktoren wie steigende Durchschnittstemperaturen oder die Erwärmung der Meere sich auf den Klimawandel auswirken und damit auch schlussendlich auf die Gesundheit aller Menschen. Aber nicht nur schwer greifbare Entitäten wie steigende Temperaturen oder wärmere Weltmeere sind Beispiele für diese Auswirkungen des Klimawandels. Andere Beispiele wären Wirbelstürme, Hitzewellen, Waldbrände, Wasserknappheit, Starkregen, Überflutungen, Trockenheit oder Missernten.

Wie sich der Klimawandel auf das Gefühlserleben auswirkt, lässt sich nur schwer herunterbrechen, aber einige Beispiele wären…

  • Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit
  • Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Überforderung
  • Gefühle von Kontrollverlust
  • zunehmende Ängste und Panik
  • Gefühle von Verlust und Trauer
  • Wut, Verärgerung und Frustration
  • Gefühle von Ungerechtigkeit und Benachteiligung
  • Gefühle von Überdruss, Ignoranz und Verleugnung

Und genau dieses Gefühlerleben hat unglaublich negative Konsequenzen für uns alle, aber vor allem für die nachfolgenden Generationen. Dies konnte unter anderem auch die FU Berlin in Befragungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigen, da ca. 50 % antworteten, dass Nachhaltigkeit für sie zwat ein wichtiges Thema ist, sie aber gleichzeitig desillusioniert und pessimistisch auf die Zukunft schauen. Aber auch die 18. Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2019 zeigt mit einer klaren Signifikanz, dass für junge Menschen zwischen 12 – 25 Jahren die Umweltverschmutzung ihre Hauptsorge ist und 65 % sich wegen der Erderwärmung sorgen.

Grundsätzlich lässt sich aber konstatieren, dass Naturkatastrophen vor allem mit Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Suchterkrankungen, Ängsten und erhöhter Suizidalität vergesellschaftet sind. Schaut man sich Zahlen der WHO an, so stellt man fest, dass ca. 90 % aller weltweiten Katastrophen auf Extremwetterereignisse zurückzuführen sind. Die WHO geht laut Schätzungen davon aus das im Zeitraum zwischen 2030 – 2050 ca. 250.000 Menschen weltweit aufgrund solcher Ereignisse und mit den damit verbundenen Konsequenzen wie Erkrankungen, Unterernährung, und Hitzestress sterben werden. Und auch die letzten 3,5 Jahre mit der Corona-Pandemie, aber auch andere Dinge wie Wirtschaftskrisen, haben gezeigt wie stark der Zusammenhang zwischen solchen Katastrophen und höheren Prävalenzen für psychische Erkrankungen ist.

Wichtig ist es einleitend noch zu erwähnen, dass die Auswirkungen bzw. die Ausprägung auf Körper und Psyche natürlich multifaktorielle Abhängigkeiten haben, wie individuelle Prädisposition, Resilienz und die eigene Anpassungsfähigkeit. Hier ist es wie bei vielen anderen Stressoren wie Verlust, Krankheit, Trennung, Unfall o.Ä., die sich auch unterschiedlich ausprägen, abhängig von den Möglichkeiten und Fähigkeiten der Betroffenen. Jedoch ist der Klimawandel kein punktueller Stressor, sondern einer, der uns kontinuierlich und dabei wahrscheinlich schlimmer werdend begleitet. Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel, denn auch der Klimawandel kann nur aus punktuelle Belastung auftreten.

Solastalgie

Wenn man zum Bereich des Klimawandels und der Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit recherchiert, stößt man fast unweigerlich auf den noch neuen Begriff der „Solastalgie“. Dieser Begriff beschreibt die Auswirkungen auf die Psyche durch das sich veränderte Klima und soll diese Auswirkungen auf die geistige und emotionale Gesundheit des Menschen greifbarer machen.

Die „Solastalgie“ ist durch viele der o.g. Gefühle, welche aus der Zerstörung der Umwelt resultieren, charakterisiert und sind dabei aber spezifischer auf die einzelne Person zu betrachten. Also Gefühle, die aus dem eigenen Erleben resultieren, wie z.B. Trauer aufgrund des Verschwindens vertrauter Tiere und Pflanzen in der eigenen Umgebung oder die Sorge, mit der eigenen Familie gezwungen zu sein, den Heimatort zu verlassen, weil die Lebensgrundlagen verschwinden bzw. zerstört sind.

In der psychologischen Forschung sind im Zuge mit der Beschäftigung mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die seelische Gesundheit auch noch weitere Begriff entstanden bzw. es wurde versucht die entstehenden Probleme unter Schlagwörtern zu firmieren. Beispiel hierfür wären z.B.:

  • Das Phänomen „Eco Distress“ meint eine Reihe negativer emotionaler Reaktionen aufgrund der zunehmenden Umweltzerstörung (Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Sorgen, Angst und Panik bis hin zu Verleugnung, Verdrängung, Überforderung, Hilflosigkeit und einem aufopferndem Aktivismus)
  • Der Begriff „Climate Anxiety“ oder „Öko-Angst“ beschreibt die Erwartung, in der Zukunft selbst direkte*r Betroffene*r des Klimanwandels zu sein und ist vergleichbar mit der Angst vor Terroranschlägen oder der Gefahr der atomaren Bedrohung

Welche direkten Effekte hat der Klimawandel eigentlich auf die psychische Gesundheit?

Wie sich der Klimawandel auf die Menschen und die psychische Gesundheit auswirken, zeigt die nachfolgende Grafik des Deutschen Ärzteblatt aus dem Frühjahr 2023 (LINK).

Quelle: https://cfcdn.aerzteblatt.de/bilder/2023/02/img273922592.gif

Bei den Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit muss man zwischen direkten und indirekten Faktoren unterscheiden. Bei den direkten Faktoren handelt es sich um Einflüsse, welche direkte Auswirkungen haben. Diese Faktoren lassen sich nochmals in akute Ereignisse und chronische Zustände unterscheiden. Beispiel hierfür wären zum Beispiel die zunehmende Luftverschmutzung, die steigenden Temperaturen und der Anstieg an Hitzeperioden sowie die Zunahme von Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen.

Die steigende Luftverschmutzung wirkt sich nachweislich negativ auf die Aufmerksamkeit, unsere Gedächtnis- und Rechenleistung, das Leseverständnis sowie die verbale & non-verbale Intelligenz aus und ist mit einem höheren Risiko für Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenien, ADHS oder bipolaren Störungen vergesellschaftet (z.B. bedingt auch durch stärkere pränatale Exposition ggü. polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffverbindungen die sich oftmals an verkehrsreichen Straßen anreichern). Auch kurzzeitige Anstiege in Bezug auf die Verschmutzung unserer Luft sorgen für einen kurzfristigen Anstieg von psychiatrischen Notfällen und Suiziden. Bei langfristigen Steigerungen der Feinstaubbelastung kommt es zum Beispiel zu einer steigenden Depressionsprävalenz. Bei den später noch erwähnten Staubstürmen waren zudem ähnliche Phänomene wie bei einer erhöhten Feinstaubbelastung feststellbar. Betrachtet man zusätzlich den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und neurologischen Entzündungen, so muss man auch hier konstatieren, dass diese wahrscheinlich oft auch verantwortlich sind verschiedene psychische Erkrankungen.

Naturkatastophen wie Überschwemmungen sind nicht nur mit einer akuten Lebensgefahr und der Bedrohung der eigenen Existenz verbunden, sondern gehen auch einher mit erhöhten Raten von Angsterkrankungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Depressionen. Untersuchungen aus Großbritannien konnten einen direkten Zusammenhang zwischen Überschwemmungen und der Ausbildung posttraumatischer Krankheitsbilder ca. 6 – 12 Monate nach dem jeweiligen Ereignis feststellen; die Lebenszeitprävalenz der PTBS lag hierbei bei 30,36 % und damit deutlich höher als in der nicht-betroffenen Allgemeinbevölkerung mit 7,4 %. Die Punktprävalenzen ein Jahr nach den Extremwetterereignisen lagen mit Werten um 36,2 % sogar noch höher.

Bei Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Stürmen o.Ä. kommt es oftmals zusätzlich noch zu einer nachfolgend schlechteren oder ggf. sogar nicht mehr existenten medizinischen Versorgung durch zerstörte Gebäude, Zufahrtswege etc.. Diese mangelnde oder unterbrochene Gesundheitsversorgung stellt einen weiteren Risikofaktor für die Ausbildung, Verschlechterung oder Exazerbation psychischer Erkrankungen dar. Auch weitere, ggf. auch längerfristige psychosoziale Stressoren wie notwendige Wohnortwechsel sowie der Verlust von Eigentum, Arbeitsplatz und sozialer/finanzielle Unterstützung sorgen für eine weitere Verschlechterung der seelischen Gesundheit. Es ist aber wichtig zu erwähnen, dass zum Beispiel auch betroffene Tourist*innen nach ihrer Rückkehr in die Heimat abhängig von der direkten Betroffenheit Symptome einer PTBS zeigten.

Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen von Flutkatastrophen sind die Bewohner*innen von New Orleans, die im August 2005 durch den Hurrikan Katrina ihre Existenz, ihre Freunde und/oder Familie oder ihr Leben verloren. Ca. 30 Tage nach der Verwüstung und Zerstörung durch Katrina litten ca. 50 % der Einwohner*innen unter affektiven Störungen, auch noch ein Jahr nach der Katastrophe waren ein Viertel von Angststörungen und 1/5 von Depressionen betroffen (Anstieg der 30-Tage-Prävalenz für affektive und Angsterkrankungen, inkl. PTBS, auf 49,1 %) . Eine Vielzahl der Menschen in New Orleans gaben direkt nach den traumatischen Erlebnissen hohe suizidale Tendenzen an. Durch die schon o.g. Zerstörung der medizinischen Infrastruktur kam es nachfolgend auch zu einem Sinken der Entlassungsrate von Patient*innen, welche erfolgreich ihre Suchtbehandlung abschließen konnten (18, 7 % vs. 36,8 %)

Auch Wetterextreme wie (Wirbel-/Staub-)Stürme sorgen nicht nur für Zerstörung und Verletzungen, sondern hinterlassen viele Betroffene psychischer Erkrankungen. Hier sind ebenfalls signifikante Steigerungen bei der Neufeststellung oder der Verschlechterung bestehender psychischer Störungen (v.a. affektive Störungen, Angsterkrankungen, PTBS) detektierbar. Die Wahrscheinlichkeit des Entstehens oder der Aggravation steigt hierbei mit der Stärke der Exposition sowie anderen Faktoren wie…

  • eigene körperliche Verletzungen
  • Tod oder schwerer Verletzung von Verwandten und Freunden
  • geringem Einkommen
  • sturmbedingte Schäden am eigenen Zuhause

Weitere, besorgniserregende Feststellungen waren auch, dass die pränatale Exposition ggü. Hurrikans mit einer höheren Ängstlichkeit und erhöhten Cortisolspiegeln (111,11 versus 76,49 pg/mg) in den frühen Kindheitsjahren verbunden waren. Zudem litten ca. 20 – 50 % der Ersthelfer*innen im Gesundheitswesen unter Symptomen einer PTBS.

Da es noch eine Vielzahl weiterer direkte Einflüsse auf die seelische Gesundheit gibt, seien noch zwei akute Expositionsentitäten in aller Kürze erwähnt:

  • Brände (Wald-/Buschbrände)
    • hohe Prävalenzen von PTBS (15,6 – 60 %) und allgemeinen Angstzustände in der post-akuten Phase (3 Monate) bis Jahre nach den Ereignissen
    • wichtigster Risikofaktor: Brandtrauma (starke Exposition ggü. den Bränden)
    • relevante Risikogruppen: ältere Menschen mit Demenz, Bewohner*innen ländlicher Gebiete und indigene Bevölkerungsgruppen
    • Lebenszeitprävalenz für Angsterkrankungen: 21,5 % vs. 16 % in der Gruppe der Nicht-Betroffenen
    • signifikante Steigerung der Gewalt gegen Frauen, meist durch die nachfolgend negative Einkommensentwicklung, mit einer damit verbundenen Steigerung der psychischen Erkrankungen der betroffenen Frauen
    • ca. 10 – 20 % der im Einsatz befindlichen Feuerwehrleute berichteten über posttraumatische Stresssymptome
  • Infektionskrankheiten (z.B. SARS-CoV2 bzw. COVID-19)
    • gestiegene Ausbreitung von Infektionserkrankungen durch Klimawandel, wie z.B. die asiatische Tigermücke, welche ursprünglich aus Südostasien kommt, und sich, auch bedingt durch die Globalisierung, auf alle anderen Kontinenten verbreitet hat (Vektor für Krankheiten wie Dengue-Fieber-. Zika- & Gelbfieber)
    • erhöhte Vermehrung von Bakterien durch Erhitzung von Gewässern und Seen (z.B. Cyanobakterien oder Vibrionen mit Folgeerscheinungen wie Bindehautentzündungen, Haut- und Schleimhautreizungen, Magen-Darm-Beschwerden)
    • aktuellsten Beispiel für Zoonosen: COVID-19-Pandemie mit weltweit 6,5 Millionen Todesfällen und stark gestiegener psychische Belastung durch Todesfälle, Erkrankungen und notwendige, eindämmende Maßnahmen

Und welche direkten, chronischen Expositionsfaktoren gibt es?

Der wichtigste chronische Faktor ist die Hitze, die durch die langsam steigende Erderwärmung entsteht. Diese starke Hitzeentwicklung zusätzlich mit psychischen Erkrankungen auch mit einer hohen Morbidität von physischen Krankheiten einher. Das Risiko für die psychische Morbidität während „Hitzewellen“ ist zum Beispiel um 6,4 % erhöht, darunter vor allem affektive Erkrankungen, organisch-psychische Störungen, Schizophrenien, Neurosen und Angststörungen. So ist die Hitze auch mit einer Steigerung psychiatrischer Notfälle und Aufnahmen in Psychiatrien vergesellschaftet; vor allem findet sich eine Assoziation zwischen Hitze und Krankenhausaufnahmen wegen Psychosen und Demenz.

Die ausgeprägteren psychischen Erkrankungen stellen leider auch den größten Risikofaktor für hitzebedingte Todesfälle dar (Mortalitätsrisiko verdreifacht sich während Hitzewellen) und das relative Risiko für Suizide steigt (RR = 1,04 – 1,37). Kurz nach „Hitzewellen“, also ca. eine Woche danach, ist das relative Risiko sogar noch höher (1,8 – 2,16). Betrachtet über längere Zeiträume konnte man in Untersuchungen feststellen, dass mit einem Anstieg um 1 °C als Steigerung der Durchschnittstemperatur die Suizidrate in den USA um 0,7 % und in Mexiko sogar um 2,1 % stiegt; weltweit war ein Anstieg der psychischen Morbidität um 0,9 Prozent und der psychischen Mortalität um 2,2 Prozent zu verzeichnen.

Auch Substanzgebrauchsstörungen (Alkohol, Medikamente, Drogen) steigen bei erhöhten Temperaturen. Patient*innen mit substanzbezogenen Süchten sowie Menschen mit organischen psychischen Störungen wie z.B. Demenzen haben auch das höchste hitzebedingte Mortalitätsrisiko. Abschließend in Bezug auf den Faktor Hitze lässt sich konstatieren, dass psychische Erkrankungen sich schwerwiegender als kardiovaskuläre oder Lungenerkrankungen auf die Mortalität auswirken.

Eng verbunden mit dem Thema Hitze sind auch die daraus resultierenden Dürren bzw. Dürreperioden. Wenn Menschen von Dürre betroffen sind oder waren, steigt deren Wahrscheinlichkeit von psychischen Probleme betroffen sein an (13,3 % vs. 10,8 % bei Nicht-Betroffenen). Australische Untersuchungen zeigten auch, dass ländlich lebende Männer mittleren Alters in direkter Korrelation mit einem steigenden Dürreindex ein ca. 15 % erhöhtes Suizidrisiko haben. Um den Übergang zu den indirekten Effekten des Klimawandels auf die psychische Gesundheit zu schaffen, lässt sich abschließend sagen, dass Dürren bzw. Dürreperioden, durch die ökonomischen Auswirkungen, auch einen indirekten Faktor darstellen.

indirekte Effekte des Klimawandels auf die Psyche

Bei den indirekten Faktoren handelt es sich vor allem um Entitäten, welche durch die direkten Auswirkungen des Klimawandels nachfolgend zu psychisch belastenden Situationen für die betroffenen Menschen führen. Beispiele hierfür wären z.B. Nahrungsmittelunsicherheit, Migration und der Arbeitsverlust.

Durch die Nahrungsknappheit, welche aus Dürren und der Zerstörung/Veränderung von Nutzflächen resultieren, kommt es zusätzlich zum Verlust der eigene Lebensgrundlagen auch zu Mangelerscheinungen aufgrund der Verringerung des Nährstoffgehaltes sowie der Qualität der Lebensmittel. Dieser Mangel hat direkte Auswirkungen auf die Kognition und führt zu psychische Symptome wie Fatigue, Lethargie, Depression, Manien und Psychosen.

Der Verlust der eigenen Lebensgrundlagen und die fehlenden Nahrungsmittelressourcen führen zu einer klimabedingten Migration, da die betroffenen Menschen sich in ihrer Hilflosigkeit und Angst, um sich und die eigene Familie, gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen, um im wahrsten Sinne des Wortes überleben zu können. Die klimawandelbedingte Destabilisierung führt neben dem Verlust der eigenen Lebensgrundlagen auch zu gewalttätigen Konflikten und Kriegen, welche auch zum treibenden Faktor für die umweltbedingte Migration werden.

Diese zwangsweise dauerhafte Verdrängung sorgt für eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Angststörungen und affektiven Erkrankungen. Die Migration selbst, egal aus welchem Grunde, ist grundsätzlich auch schon mit einem gemindertem Selbstwertgefühl und einem höheren Risiko für Suizide vergesellschaftet. Stress, Trennungen, ein Gefühl von Einsamkeit, Verlust von Identität und Zugehörigkeitsgefühl sowie fehlende Unterstützung und sozioökonomischen Ressourcen sind hierbei relevante Risikofaktoren bezogen auf die mentale Gesundheit.

Zusätzlich zur Zerstörung der eigenen Lebenspläne und der daraus resultierenden Migration ist die grundsätzlich vorhandene Klimaungerechtigkeit ein großer Risikofaktor für psychische Erkrankungen. Denn, wie schon eingangs erwähnt, ist die Last des Klimawandels weltweit ungleich auf die Menschen verteilt. Menschen, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind, sind leider oft am schwersten betroffen. Das Leben in Entwicklungs- und Schwellenländern mit ihrer schwachen bzw. schlechten sozialen und wirtschaftlichen Lage beeinflussen Ausmaß psychischer Folgen des Klimawandels erheblich in negativer Weise. Hier sind vor allem indigene Bevölkerungsgruppen, ethnische Minderheiten, Obdachlose und vulnerable Populationen wie Kinder und alte Menschen betroffen.

Quelle: LandesPsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalz. „Klimanotfall – Auswirkungen ökologischer Krisen auf die die psychische Gesundheit“

Wie sehr sind Kinder & Jugendliche betroffen?

Wie schon oben erwähnt sind Kinder und Jugendliche in erheblichen Maße von den Folgen der Klimakrise betroffen. Um dieses erhöhte Risiko klar zu benennen, ein paar Zahlen, die dieses gut verdeutlichen:

  • Z.n. Wald- und Buschbränden: erhöhte Raten von 92 % bei einer subakuten PTBS, 33,3 % bei Depressionen 18 Monate nach dem Ereignis und 27 % bei Angststörungen 18 Monate später
  • Kinder aus Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen haben durch viele Risikofaktoren eine erhöhte Gefahr für psychische Erkrankungen, Beispiele für solche Risikofaktoren wären…
    • Hitzestress durch erhöhte Hitzewellen
    • Atemwegserkrankungen
    • Zoonosen
    • Mangelernährung;
    • große Lebensgefahr und Gefahr durch Infektionskrankheiten durch Starkniederschläge mit anschließenden Überflutungen
    • Entwicklungsrisiken durch ausbleibenden Schulbesuch, fehlende soziale Interaktionen, Obdachlosigkeit und Migration sowie weitere familiäre Stressoren
  • britische Untersuchungen konnten zeigen, dass Nahrungsmittelunsicherheiten mit mütterlichen Depressionen, psychotischen Störungen, häuslicher Gewalt und Verhaltensproblemen assoziiert sind
    • zusätzlich führt die Mangelernährung zu (neuronalen) Entwicklungsstörungen somit auch zu einem höheren Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen und ADHS
  • Folgen migrationsbedingter Stressoren
    • PTBS-Prävalenz: 19 – 52 %
    • Depressions-Prävalenz: 8,7–31,6 %
    • Prävalenz für emotionale und Verhaltensauffälligkeiten: 19,8 – 35 %
    • Trennung von den eigenen Eltern
    • Gewalterfahrungen auf und nach der Flucht

Globale Risiken bei Überschreitung der planetaren Belastbarkeitsgrenzen

Um den hohen Stellenwert des Klimawandels auf alle Bereiche des Lebens nochmal klar aufzuzeigen, eignet sich die Einordnung aus dem Global Risks Perception Survey 2022 – 2023 des World Economic Forum.

Quelle: LandesPsychotherapeutenKammer Rheinland-Pfalz. „Klimanotfall – Auswirkungen ökologischer Krisen auf die die psychische Gesundheit“

Diese Grafik verdeutlicht sehr gut, wie krass der Klimawandel einen „Klimanotfall“ darstellt, wenn unter den zehn größten globalen Risiken für die Welt sechs dieser Risiken direkten ökologischen Bezug haben.

Was kann ich denn tun, um besser gewappnet oder geschützt zu sein gegen die psychischen Auswirkungen?

Psychotherapeutische Ansätze in Bezug auf die o.g. „Climate Anxiety“ sind vor allem das Entkatastrophisieren, Aufzeigen von Hilfsmitteln in Bezug auf Copingstrategien und das eigene Stressmanagement sowie das Trainieren der eigenen Resilienz. Wichtig ist es auch Betroffenen zu vermitteln, dass es auch in Ordnung ist Verantwortung abzugeben, wenn es einem selbst nicht mehr gut geht und das eigene aktive Engagement negative Konsequenzen für das eigene psychische Wohlbefinden hat.

Das Thema „Resilienz“, also das eigene Anpassungs- und Entwicklungsverhalten in Bezug auf Belastungsfaktoren, ist hierbei hervorzuheben. Das Resilienz-Konzept schließt nämlich den großen Teil der individuellen Risikofaktoren mit ein, darunter Punkte wie…

  • biologische Faktoren (genetische Disposition, Körperfunktionen etc.)
  • psychische Faktoren (Verhaltensmuster, Bewältigungsstrategien etc.)
  • soziale Faktoren (Lebensverhältnisse, sozioökonomischer Status etc.),

und soll unter Berücksichtigung der Interaktionen aller Faktoren helfen, die Fähigkeiten, schwierige Lebenssituationen wie Krisen oder Katastrophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen, zu stärken.

Vier-Felder-Modell zur Klimaresilienz

Gut verbildlicht haben die Psychologists for Future das Resilienz-Konzept in Form eines Vier-Felder-Modells.

Quelle: Psychologists for Future (Lizenz: CC BY-SA)

Handlungsempfehlungen für eine klimaneutrale Psychiatrie

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) hat in ihrem Positionspapier „Klimawandel und psychische Gesundheit“ aus dem November 2022 versucht, einige Ansätze zu einer Verbesserung der Situation aus Sicht der Psychiatrie bzw. des medizinischen Bereiches zu skizzieren. Diese zeigen sehr gut, wie viel wir noch zu tun haben, um aus Sicht des medizinischen Sektors spürbar an der gesamten Situation etwas zu verändern.

  1. Mental Health in all Policies (mehr Prävention; Planung ausreichender und zugänglicher Grünflächen in Einrichtungen des psychiatrischen Hilfesystems; Verringerung von Obdachlosigkeit und sozialer Isolation; Förderung von Beschäftigung bei Menschen mit psychischer Erkrankung)
  2. Empowerment (Förderung von Gesundheitskompetenz, Selbstsorge, Peer Support und Zugang zu Psychotherapie)
  3. Aus-/Fort-/Weiterbildung sowie Forschung (Integration der Thematik „Klima und Psyche“)
  4. Klinik- und Praxisinfrastruktur zur Energiewende
  5. Adaptation an erwartbare Umweltveränderungen (Anpassung der Klinik- und Praxisinfrastruktur an Hitze, Anpassung an Zunahme von Depressionen, Angsterkrankungen und psychotischen Erkrankungen)
  6. Vermeidung von Ressourcenverschwendung im Behandlungsablauf (Optimierung des Medikamenten – und Materialverbrauchs)
  7. Reduktion von motorisiertem Individualverkehr sowie der CO₂-Emissionen und Schadstoffbelastung (Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen)
  8. pflanzenbasierten Verpflegung (max. geringe Anteile tierischer Produkte, da die pflanzenbasierte Ernährung dem Umweltschutz und der allgemeinen Gesundheit dienlich ist)
  9. Nachhaltigkeitskriterien bei der Beschaffung und Finanzierung
  10. Marketing für Nachhaltigkeit

Quellen

Published inIm Notfall Psychiatrie

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