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Im Notfall Psychiatrie – Notfall-/Krisenpass & weitere Vorsorgedokumente

„Wo ist denn Ihr Medikamentenplan?“
„Haben Sie eine Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und/oder eine Betreuungsverfügung?“

Solche und ähnliche Fragen kennt wahrscheinlich jede*r in der Notfallmedizin tätige Person. Vorsorgedokumente oder andere Schriftstücke mit Informationen über die jeweiligen Patient*innen gehören zum Alltag in der Medizin. Sei es die 95 Jahre alte Heimbewohnerin mit einem Schlaganfall, der 70-Jährige in der Arztpraxis mit einer akuten Herzinsuffizienz oder der 85 Jahre alte Vater, der im häuslichen Umfeld reanimationspflichtig wird. Bei all diesen internistischen, neurologischen und auch orthopädisch-unfallchirurgischen Notfallbildern ist die Frage nach Medikamentenplan, alten Arztbriefen und Vorsorgedokumenten absoluter Standard. Anders sieht es oftmals bei psychiatrischen Notfällen aus. Bis auf die Frage nach einem Medikamentenplan oder dem letzten Entlassbrief aus der Psychiatrie wird in notfallpsychiatrischen Einsätzen quasi nie nach Vorsorgedokumenten oder anderen hilfreichen Schriftstücken gefragt, obwohl dies ggf. sehr hilfreich oder sogar zwingend notwendig sein könnte.

Der Krisenpass – Fragen kostet nichts!

Viele Patient*innen in notfallpsychiatrischen Szenarien haben eine psychiatrische Vorgeschichte und wissen dadurch, was Ihnen hilft oder was eher einen „Trigger“ darstellt, der in der psychiatrischen Ausnahmesituation eher kontraproduktiv ist. Eine Hilfe für alle in der Notfallmedizin tätigen Personen kann ein sog. Krisen- oder Notfallpass sein. Hierbei handelt es sich um ein meist kleines Schriftstück, welches unkompliziert in den Geldbeutel passt. Im Krisenpass finden sich zusätzlich zu den typischen wichtigen Angaben hinsichtlich Medikamenten mit Dosierung, den bekannten Erkrankungen oder Allergien auch Informationen zum behandelnden Fach-/Hausarzt, ggf. eingesetzten Betreuer*innen oder Vorsorgebevollmächtigten und Personen, die Krisenfall benachrichtigt werden sollen sowie Hinweise auf das Vorliegen von Patientenverfügung, Behandlungsvereinbarung etc. und wo sich diese befinden. Am wichtigsten sind jedoch die Informationen zu erfahrungsgemäß hilfreichen Medikamenten und Medikamenten, mit welchen die Patient*innen schlechte Erfahrungen gemacht haben, sowie Tipps, welche Ansätze oder Skills in Krisensituationen helfen bzw. versucht werden sollten.

Die im Krisen-/Notfallpass vorliegenden Informationen sind in vielen Situationen extrem wichtige und hilfreiche Richtungsweiser, um den psychiatrischen Ausnahmezustand der Patient*innen nicht weiter eskalieren zu lassen, sondern die Situation mit den für die Patient*innen gewohnten Ansätzen zu beruhigen oder Personen hinzuzuziehen, welche deeskalierend bzw. beruhigend in dieser Situation sind.

Da das Vorliegen von solchen Krisen- bzw. Notfallpässen bzw. dass es solche überhaupt gibt, noch nicht weit verbreitet ist, kostet das Fragen nichts und zahlt sich ggf. aus, vor allem im Sinne der Patient*innen.

Die psychiatrische Patientenverfügung

Viele Menschen, egal ob auf Seiten der Patient*innen oder auf Seiten der Mitarbeitenden in der Notfallmedizin, kennen eine Patientenverfügung nur in Zusammenhang mit schweren, meist lebensbedrohlichen Erkrankungen oder Notfallbildern wie z.B. einer Reanimation. Die „normale“ Patientenverfügung regelt für Situationen der Einwilligungsunfähigkeit, in welche Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt wird oder welche untersagt werden. Diese Einwilligungsunfähigkeit gibt es aber nicht nur bei lebensbedrohlichen, mit hoher Wahrscheinlichkeit letal verlaufenden Notfällen, sondern auch bei psychiatrischen Krankheitsbildern. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) schafft mit seinem § 1827 die Möglichkeit in allen medizinischen Situationen, in welchen man einwilligungsunfähig ist, Maßnahmen abzulehnen oder in selbige einzuwilligen.

(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.

§ 1827 Abs. 1 BGB

Da sich um den Terminus „Einwilligungsfähigkeit“ immer wieder Gerüchte ranken, sei hier auf die Leitlinie „Einwilligung von Menschen mit Demenz in medizinische Maßnahmen“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) aus dem Jahr 2019 verwiesen. Hier werden die Kriterien der Einwilligungsfähigkeit skizziert bzw. definiert:

  • Informationsverständnis
  • Einsicht
  • Urteilsvermögen
  • Kommunizieren einer Entscheidung

Wichtig in Bezug auf die Einwilligungsfähigkeit ist darüber hinaus, dass diese für jede spezifische medizinische Maßnahme gesondert zu prüfen ist und diese Prüfung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der geplanten medizinischen Maßnahme zu erfolgen hat sowie dokumentiert werden muss.

Patient*innen können also, wenn sie einwilligungsfähig sind bzw. zum Zeitpunkt des Verfassens der Patientenverfügung einwilligungsfähig waren, Maßnahmen wie die Gabe von spezifischen Medikamenten (z.B. Neuroleptika) oder eine anderweitige Zwangsbehandlung untersagen. Zu betonen ist aber, dass solche Untersagungen in einer Patientenverfügung bei einer bestehenden Fremdgefährdung nicht greifen, da die Grenze der eigenen Freiheit da endet, wo sie in die Rechtsgüter anderer eingreift.

Wie bei der „normalen“ Patientenverfügung, so gilt es auch bei der psychiatrischen Patientenverfügung, ähnlichem dem Krisenpass, Fragen kostet nichts!

Rechtliche Lage zur Zwangsbehandlung und psychiatrischen Patientenverfügung

Bei der Unterbringung und Zwangsbehandlung muss man zwischen der “öffentlich-rechtlichen” zwangsweisen Unterbringung und Zwangsbehandlung gemäß den Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzen (PsychKHG) bzw. Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) der Länder sowie der Unterbringung und Zwangsbehandlung gemäß Betreuungsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch unterscheiden.

Bei der “öffentlich-rechtlichen” zwangsweisen Unterbringung und Zwangsbehandlung besteht bzw. wird eine Selbst- oder Fremdgefährdung aufgrund psychischer Krankheit angenommen, aufgrund welcher eine „fürsorgliche Aufnahme bzw. Zurückhaltung“ notwendig ist. Bei der Unterbringung und Zwangsbehandlung gemäß Betreuungsrecht (BGB) besteht eine Betreuung durch eine*n Betreuer*in im Sinne der § 1814 bis 1820 BGB. Das BGB sieht in § 1831 vor, dass ein*e Betreuer*in die betreute Person eine Unterbringung mit Freiheitsentziehung veranlassen darf, wenn sie erforderlich ist, weil die Gefahr der Selbsttötung oder des Zufügen eines erheblichen gesundheitlichen Schaden besteht sowie wenn zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Behandlung/ein Eingriff notwendig ist, die/der ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann. Wichtig ist hierbei, dass also die Unterbringung nur aufgrund einer Eigengefährdung und nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig ist!

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie erforderlich ist, weil

  1. aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder
  2. zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, die Maßnahme ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
§ 1831 Abs. 1 BGB

Auch ärztliche Zwangsmaßnahmen gemäß § 1932 BGB sind nur bei Eigengefährdung und nach Einwilligung des/der Betreuer*in zulässig.

Genau mit dem Themenkomplex von Unterbringung und Zwangsbehandlung gemäß Betreuungsrecht (BGB) hat sich das Oberlandesgericht Celle in einem Beschluss vom 10.08.2005 (17 W 37/05) beschäftigt und dabei festgestellt, dass „eine Zwangsbehandlung auf betreuungsrechtlicher Grundlage rechtlich nicht zulässig und daher nicht genehmigungsfähig“. Auch der Bundesgerichtshof stellt 2006 (XII ZB 236/05) fest, dass die „Freiheit zur Krankheit“, in „deren Grenzen” der angeblich „Kranke“ selbst entscheiden dürfte, „ob er das Durchleben seiner Krankheit einer aus seiner Sicht unzumutbaren Behandlung (…) vorziehen will“, jedoch „im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung zu tragen“ ist. In diesem Urteil ging es um die Neuroleptika-Gabe, welche in jedem Einzelfall genau geprüft werden muss.

In einem weiteren, wegweisenden Urteil (2 BvR 1866/17) hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) 2021 klargestellt, dass die medikamentöse Zwangsbehandlung ihre Grenzen hat, wenn Patient*innen sie vorher unmissverständlich, selbstbestimmt und mit freiem Willen ablehnen (z.B. in einer Patientenverfügung), es sei denn, der Schutz der Grundrechte anderer Personen ist unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit betroffen. Weitere Informationen und eine Einordnung aus Psychiater-Sicht zum BVG-Urteil gibt es im „ÄrzteTag“-Podcast-Interview mit dem DGPPN-Past President Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer (Urteil zu Patientenverfügungen: „Diese Pflicht macht am Ende sehr einsam“).

Genau der Schutz der Grundrechte anderer Personen als die Gefahr für Dritte war Thema eines Urteils des Landgerichts Osnabrück aus dem Jahr 2020 (4 T 8/204 T 9/204 T 10/20). In diesem spezifischen Fall ging es um einen Patienten, der sexuell enthemmtes und aggressives Verhalten zeigt und dabei eine Gefahr für Dritte darstellte. Zusätzlich war die Einnahme von Medikamenten notwendig, welche aber aufgrund der psychischen Erkrankung durch den Patienten selbst nicht erfolgte. Der Patient hatte eine Patientenverfügung, in welcher er jegliche medikamentöse Zwangsbehandlung sowie die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung ablehnte. Das Gericht stellte hier fest, dass eine psychiatrische Patientenverfügung nicht vor einer Unterbringung und Zwangsbehandlung wegen einer psychischen Erkrankung schützt, wenn eine Zwangsmedikation bei einer körperlichen Erkrankung notwendig sei. Hier gilt das Selbstbestimmungsrecht des/der Einzelnen nicht ohne Einschränkung, sondern es sind die Grenzen der Rechte Dritter zu berücksichtigen und zum Schutze anderer Bürger*innen dienliche Maßnahmen zu ergreifen.

Download-Links

Vorlagen für den oben beschriebenen Notfall-/Krisenpass findet Ihr z.B. auf diesen Seiten:

Vorlagen für die oben beschriebene psychiatrische Patientenverfügung findet Ihr z.B. auf diesen Seiten:

Quellen

Published inIm Notfall Psychiatrie

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