veröffentlichende Fachgesellschaft: Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien (NVL)
Klassifikation gemäß AWMF: S3
Datum der Veröffentlichung: 07.09.2020
Ablaufdatum: 06.09.2025
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-002
Definition
- heterogene Erkrankung, die durch eine chronische Entzündung der Atemwege charakterisiert ist
- gekennzeichnet durch das Auftreten zeitlich und in ihrer Intensität variierender Symptome, wie Atemnot, Giemen, Brustenge und Husten, sowie durch eine bronchiale Hyperreagibilität
Einteilung
- allergisches Asthma
- nicht-allergisches Asthma; ausgelöst durch Infektionen oder auch bei Intoleranz gegen ASS oder NSAR
Abgrenzung Asthma und COPD
typische Merkmale | Asthma | COPD |
---|---|---|
Alter bei Erstdiagnose | häufig: Kindheit, Jugend | meist nicht vor der 6. Lebensdekade |
Tabakrauchen | kein direkter Kausalzusammenhang; Verschlechterung durch Tabakrauch | typisch |
Hauptbeschwerden | möglich anfallartig auftretende Atemnot | Atemnot bei Belastung |
Verlauf | variabel, episodisch | meist progredient |
Allergie | häufig | kein direkter Kausalzusammenhang |
Atemwegsobstruktion | variabel, reversibel, oft aktuell nicht vorhanden | immer nachweisbar |
Reversibilität der Obstruktion | oft voll reversibel | nie voll reversibel |
bronchiale Hyperreagibilität | meist vorhanden | selten |
Ansprechen der Obstruktion auf Corticosteroide | regelhaft vorhanden | selten |
Anamnese und Symptome
- bei Verdacht auf Asthma ausführliche Anamnese unter Berücksichtigung der nachfolgend genannten Symptome, auslösenden Faktoren, Komorbiditäten und Risikofaktoren erheben
- Symptome
- wiederholtes Auftreten anfallartiger, oftmals nächtlicher Atemnot
- pfeifende Atemgeräusche („Giemen“)
- Brustenge
- Husten mit und ohne Auswurf
- Auslösefaktoren
- Atemwegsreize (z.B. Exposition gegenüber Allergenen, thermischen und chemischen Reizen, Rauch und Staub, pathologischer gastroösophagealer Reflux, chron. und rezidivierende Entzündungen im HNO-Bereich)
- Tages- und Jahreszeit (z.B. Tag-/Nachtrhythmus, Allergenexposition)
- Aufenthaltsort und Tätigkeit (z.B. Arbeitsplatz, Hobbys)
- körperliche Belastung
- Atemwegsinfektionen
- Medikamente (z.B. NSAR, ASS, Betarezeptorenblocker)
- emotionale Belastungsfaktoren
- aktive und passive Tabakexposition
- Risikofaktoren
- Vorhandensein anderer Erkrankungen des atopischen Formenkreises (z. B. Ekzem, Rhinitis)
- positive Familienanamnese (Allergie, Asthma)
- psychosoziale Faktoren
- Komorbiditäten
- Erkrankungen der oberen Atemwege
- pathologischer gastro-ösophagealer Reflux
- Adipositas
- Rhinitis und Sinusitis
- dysfunktionale Atmung
- COPD
- psychische Erkrankungen
Differentialdiagnosen
Erwachsene
klinischer Hinweis | mögliche Diagnosen |
---|---|
vorherrschend Husten ohne pathologische Veränderung der Lungenfunktion | – chronischer Husten – Pertussis – chronische Bronchitis – rezidivierende Lungenembolie – passagere postinfektiöse bronchiale Hyper reagibilität – Sarkoidose – Lungenstauung – habitueller Husten |
Schwindel, Benommenheit, periphere Parästhesien | dysfunktionale Atmung, z. B. Seufzerdyspnoe, überwiegend thorakale Exkursionen, Hyperventilationssyndrom |
vorherrschend nasale Symptome ohne pathologische Veränderung der Lungenfunktion | Rhinitis, akut rezidivierende/chronische Sinusitis, Postnasal-Drip-Syndrom |
Haltungs- oder Nahrungsmittelabhängige Symptome, vorherrschend Husten | Gastro-ösophagealer Reflux (GÖR) |
Orthopnoe, paroxysmale nächtliche Dyspnoe, periphere Ödeme, bestehende kardiale Erkrankung | Herzinsuffizienz |
Knisterrasseln (Sklerosiphonie) in der Auskultation | Lungenfibrose |
wesentliche Tabakrauchanamnese (d. h. > 30 Pack/years), Alter bei Einsetzen > 35 Jahre | COPD |
chronischer, produktiver Husten bei Fehlen von Giemen oder Kurzatmigkeit | – Bronchiektasen – Fremdkörperaspiration – Stenose der zentralen Atemwege – Bronchiolitis obliterans – Lungenstauung mit Obstruktion – Mukoviszidose |
Neubeginn bei Rauchern, systemische Symptome, Gewichtsverlust, Hämoptyse | – Lungenkarzinom – Sarkoidose |
Kinder und Jugendliche
klinischer Hinweis | mögliche Diagnosen |
---|---|
Symptome seit der Geburt, peripartal respiratorische Probleme | – cystische Fibrose (CF) – chronische Lungenerkrankung nach Frühgeburt/bronchopulmonale Dysplasie – primäre ziliäre Dysfunktion (PCD) – angeborene Lungenfehlbildung |
Familienanamnese mit pulmonalen Erkrankungen | – CF – neuromuskuläre Erkrankungen – Immundefekt – PCD |
akutes Auftreten ohne vorherige Probleme | akute Fremdkörperaspiration |
Fieber, obere Atemwegssymptome | akuter respiratorischer Infekt (Bronchitis, Bronchiolitis, Bronchopneumonie) |
produktiver Husten | – CF – PCD – Bronchiektasen – protrahierte bakterielle Bronchitis – rezidivierende Aspirationen – Immundefekt – chronische Fremdkörperaspiration |
nächtliche Symptome, verstärkte Spuckneigung | – obere Atemwegsprobleme – pathologischer gastro-ösophagealer Reflux (GÖR) mit rezidivierenden Aspirationen |
anfallsartiger Husten | – Pertussis/postinfektiöse Hyperreagibilität – Dysphagie – Schluckstörung – habitueller Husten |
Kurzatmigkeit mit Schwindel, Kribbelparaesthesien | – dysfunktionale Atmung, z.B. überwiegend thorakale Atemexkursionen – Hyperventilation |
in- und/oder exspiratorischer Stridor | – angeborene Fehlbildung (Stenose oder Malazie im Bereich der gr. Atemwege) – Laryngitis – Tracheitis – laryngeale Obstruktion – VCD |
abnorme Stimme, Heiserkeit | – laryngeales Problem – pathologischer GÖR |
lokalisierte thorakale Befunde | – angeborene Fehlbildung postinfektiöse Veränderungen – Tuberkulose |
Trommelschlegelfinger | – CF – interstitielle Lungenerkrankung – Bronchiolitis obliterans |
Gedeihstörung | – CF – Immundefekt – pathologischer GÖR – interstitielle Lungenerkrankung |
lokalisierte radiologische Veränderungen | – angeborene Fehlbildung – CF – post-infektiöse Veränderungen – Fremdkörperaspiration – rezidivierende Aspirationen bei Schluckstörung oder GÖR – Bronchiektasen – Tuberkulose |
Diagnostik
- Nachweis von Zeichen einer Atemwegsobstruktion (Auskultation)
- trockene Nebengeräusche (Giemen, Pfeifen, Brummen) bei der Auskultation, ggf. durch eine forcierte Exspiration zu provozieren
- verlängertes Exspirium
- bei schwerer Atemnot (v. a. im Kindesalter): thorakale Einziehungen (v. a. jugulär, intercostal, epigastrisch)
- bei schwerer Obstruktion: sehr leises Atemgeräusch
- Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen
- ggf. aufgrund vermehrt zu leistender Atemarbeit minderwüchsig und dystroph
- ggf. Thoraxdeformitäten bei schwerem Asthma
Asthmaanfall beim Erwachsenen
- bei erwachsenen Patienten mit Asthmaanfall soll gemäß Abbildung (s.u.) vorgegangen werden
initiale Diagnostik
- Graduierung der Schwere des Asthmaanfalls anhand der in Abbildung aufgezeigten Symptome, klinischen und apparativen Zeichen
- bei Verdacht auf lebensbedrohlichen Asthmaanfall zusätzlich SpO2-Messung sowie BGA, falls verfügbar
Initialtherapie
- Reihenfolge in Abbildung stellt keine Rangfolge dar
- schon im Selbstmanagement durch den Patienten durchgeführte Maßnahmen berücksichtigen (Beachtung von Höchstdosierungen und „Pausen“-Zeiten)
- keine Verbesserung nach 30 – 60 Minuten → umgehende Einweisung in KH
medikamentöse Therapie
- inhalative kurzwirkende Beta-2-Sympathomimetika (SABA) bei akuten Asthmaanfällen jeglichen Schweregrades
- inhalatives Ipratropiumbromid
- Kombinationstherapie aus SABA und inhalativem Ipratropiumbromid bei schweren und lebensbedrohlichen Anfällen empfohlen (bei leichten bis mittelschweren Asthmaanfällen keine Empfehlung)
- Applikation über Vernebler (größte Dosis in kürzester Zeit)
- Anwendung von systemischen Corticosteroiden bei allen Schweregraden des Asthmaanfalls, wenn notwendig bereits in der Initialtherapie
- bevorzugt orale Gabe; i.v.-Gabe als Option, wenn orale Gabe nicht möglich
- Applikation von inhalativen Corticosteroiden kein Ersatz für die Anwendung von oralen Corticosteroiden
- Magnesiumsulfat i.v.
- Ergänzung der Initialtherapie bei ungenügender Wirksamkeit
- parenteral kurzwirkendes Beta-2-Sympathomimetika
- kann ggf. die teilweise mehrere Stunden dauernde Inhalation verhindern (Monitoring der Herzfrequenz notwendig)
- Sauerstofftherapie
- Verweis auf S3-Leitlinie „Nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz“
- Verweis auf S3-Leitlinie „Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“
- Verweis auf S3-Leitlinie „Sauerstoff in der Akuttherapie beim Erwachsenen“
Asthamaanfall bei Kindern und Jugendlichen
- bei Kindern und Jugendlichen mit einem Asthmaanfall soll gemäß Abbildung (s.u.) vorgegangen werden
- Diagnostik: initial Graduierung der Schwere des Asthmaanfalls anhand der in Abbildung aufgezeigten Symptome, klinischen und apparativen Zeichen
Initialtherapie
- Reihenfolge in Abbildung stellt keine Rangfolge dar.
- schon im Selbstmanagement durch den Patienten durchgeführte Maßnahmen berücksichtigen (Beachtung von Höchstdosierungen und „Pausen“-Zeiten)
- keine Verbesserung nach 30 – 60 Minuten → umgehende Einweisung in KH
- bei respiratorischer Insuffizienz Sauerstoffgabe
- Zielbereich Sättigung von > 94%
- Verweis auf S3-Leitlinie „Nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz“
- Verweis auf S3-Leitlinie „Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“
- Indikationen zur intensivmedizinischen Versorgung
- initiale Präsentation mit einem lebensbedrohlichen Anfall
- refraktäre Hypoxämie trotz ausgeschöpfter Therapie
- Erschöpfung/drohender Intubationsbedarf
- Bewusstseinsstörung/Konfusion
- Koma oder Atemstillstand
- Hyperkapnie trotz ausgeschöpfter Therapie
medikamentöse Therapie
- Flüssigkeit bei Bedarf substituieren (oral oder i.v)
- inhalative kurzwirkende Beta-2-Sympathomimetika
- inhalatives Ipratropiumbromid als Zusatz zu SABA bei schwerem oder lebensbedrohlichem Asthmaanfall (Ergänzung der betasympathomimetische Wirkung der SABA durch parasympatholytische Wirkung)
- keine inhalativen Corticosteroide
- systemische Corticosteroide bei primär leichtem bis mittelschweren sowie bei schwerem Asthmaanfall, sofern die Therapie mit kurzwirkenden Bronchodilatatoren frustran; bei lebensbedrohlichen Asthmaanfällen sofortiger Einsatz notwendig
- Magnesium 25 – 50 mg/kg KG (maximal 2 g) über 20 – 30 min i.v. anwenden, üblicherweise 1x pro Tag
- intravenöse kurzwirkende Beta-2-Sympathomimetika erwägen
- probatorische intravenöse Anwendung auf Basis klinischen Erfahrung in Einzelfällen → Ultima Ratio, wenn bisherige Therapien ausgeschöpft und trotzdem wirkungslos, i.v.-Gabe als Option um möglicherweise Beatmung zu verhindern
„Magnesium 25 – 50 mg/kg KG (maximal 2 g)“ –> Magnesiumsulfat? Magnesiumsulfat-Heptahydrat? Was ist hier gemeint und woher kommen die Empfehlungen?
Ich freue mich über eure Antwort! Danke!
Hallo, Entschuldigung für den Flüchtigkeitsfehler. Hier ist natürlich Magnesiumsulfat gemeint. Viele Grüße, Sebastian von FOAMio