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Leitlinie „Chemical, Biological, Radiological and Nuclear (CBRN) Injury – Part 2 – Medical Management of Chemical Agent Exposure“ des JTS

veröffentlichende Fachgesellschaft: Joint Trauma System – Department of Defense Center of Excellence for Trauma
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 25.03.2022
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://jts.health.mil/index.cfm/PI_CPGs/cpgs

Zyanid-Exposition

Symptome

  • kann innerhalb von Sekunden bis Minuten nach der Inhalation Symptome hervorrufen
  • ersten Symptome sind kardiotoxische sowie Auswirkungen auf das ZNS
    • erste Symptome können unspezifisch und vorübergehend sein
    • Schwindel, Kopfschmerzen, Schwäche, Schwitzen und Dyspnoe
    • Gewebehypoxie ohne Zyanose (SpO2 kann normal sein) mit metabolischer Azidose
  • beschriebener Geruch von Bittermandeln ist kein zuverlässiges Indiz
  • ohne rasche Behandlung fallen Patient*innen schnell ins Koma, haben hämodynamische Beeinträchtigungen, Herzrhythmusstörungen, Krampfanfälle, Herzstillstand

Dekontamination

  • schnell vom Ort der Exposition entfernen
  • weitere Dekontamination mit Spüllösungen kann durchgeführt werden
  • Antidot-Gabe hat oberste Priorität

Diagnostik

  • rasche Diagnose ist unerlässlich
  • Entnahme arteriellen und venösen Blutes zur BGA und der Vergleich des Sauerstoffgehalts können hilfreich sein
  • im präklinischen Umfeld ist Diagnostik schwer realisierbar

Behandlung

  • Antidot-Therapie mit Hydroxocobalamin (Vitamin B12a)
    • Chelatbildner; bindet an Cyanid –> Cyanocobalamin (Vitamin B12)
    • 5 g i.v. (70 mg/kg bei pädiatrischen Patienten) über 15 min
      • bei unzureichender Reaktion ggf. Wiederholung
    • Gabe von Hydroxocobalamin in Hot oder Warm Zone muss gegen Risiken abgewogen werden, da die Gabe mit Anlage von Zugang und Infusionsgabe verbunden ist
    • Antidot-Behandlung mit Amylnitrit, Natriumnitrit und Natriumthiosulfat nur wenn Hydroxocobalamin nicht verfügbar ist
  • Atemwegsmanagement
  • i.v.-Zugänge
  • Monitoring
  • zusätzlicher Sauerstoff von Vorteil; kann die Wirksamkeit des Antidots erhöhen und die Ausscheidung von Cyanid über die Atemwege sowie andere Stoffwechselprozesse fördern

Exposition gegenüber Nervengift/-kampfstoffe

  • auch Acetylcholinesterase-Hemmer
  • Flüssigkeiten bis Gase
  • ähneln chemisch Organophosphaten
  • Einteilung in zwei Klassen
    • V-Kampfstoffe
      • von Natur aus zähflüssig
      • extrem gefährlich, wenn sie berührt oder verschluckt werden
      • ggf. Gefahr durch Dämpfe
    • G-Kampfstoffe
      • bei Raumtemperatur flüssig
      • können in kurzer Zeit eine große Anzahl von Menschen durch Dämpfe kontaminieren
  • physiologische Auswirkungen
    • binden an Acetylcholinesterase
    • hemmen Abbau von Acetylcholin
    • DUMBBELS-Merkhilfe für die Symptomatik bei Beteiligung von muskarinergen Rezeptoren
      • Diarrhöe
      • Urinieren
      • Miosis
      • Bronchorrhöe/Bronchokonstriktion
      • Bradykardie
      • Erbrechen
      • Lacrimation (Tränenfluss)
      • Salivation (Speichelfluss)
    • Symptomatik bei Beteiligung von nikotinergen Rezeptoren
      • Mydriasis
      • Tachykardie
      • Schwäche
      • Hypertonie
      • Faszikulationen

Symptome

  • Brandbreite von leichten bis schweren Symptomen
  • schwere Exposition führt schnell zum Tode
  • bei leichter Symptomatik häufig Miosis sowie starker Tränenfluss und starkes Schwitzen, gefolgt von Übelkeit und Erbrechen sowie Dyspnoe und Kurzatmigkeit aufgrund von Bronchorrhoe und Bronchokonstriktion
  • bei schwerer Symptomatik alle leichten Symptome sowie ausgeprägte Schwäche, Faszikulationen, Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit, Atemstillstand und Tod
  • Geschwindigkeit des Auftretens der Symptome hängt von der Art der Exposition und der Dosis des Wirkstoffs ab
    • bei Inhalationsexposition i.d.R. schnelleres Auftreten
    • bei Exposition über die Haut verzögertes Auftreten

Dekontamination

  • Patient*innen aus kontaminierten Bereich entfernen
  • reaktive Hautdekontaminationslotion bei dermaler Exposition
  • bei Patient*innen mit mittelschweren bis schweren Symptomen (Atemnot, Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen) sofortige Antidot-Therapie und gleichzeitig Dekontamination

Diagnostik

  • raschen Feststellung der klinischen Symptome
  • Identifizierung des Kampfstoffs durch Nachweisverfahren

Behandlung

  • 2PAM (Pralidoxim)
    • hebt Bindung zwischen Acetylcholinesterase und Nervengift auf
    • verhindert so die irreversible Bindung an Acetylcholinesterase
    • sowohl als Autoinjektor als auch als Infusionslösung erhältlich
  • Atropin
    • sowohl als Autoinjektor als auch als Ampulle zur i.v./i.o.-Applikation erhältlich
    • wirkt Bronchokonstriktion sowie Bronchorrhoe entgegen
    • Atropin-Dosis anhängig von Menge des Nervenkampfstoffs und der Grad der Symptome
      • bei einigen Nervenkampfstoffen, z.B. Organophosphaten, ggf. hohe Dosen erforderlich
    • Tachykardie ist KEINE Kontraindikation für die Verabreichung von Atropin
    • Atropin-Gabe titrieren
  • Benzodiazepine
    • z.B. Diazepam, Midazolam etc.
    • hilft nikotinische Wirkungen, insbesondere Muskelfaszikulationen, aufzuheben
    • schnellste Bioverfügbarkeit bei i.m.-Gabe

Exposition gegenüber Atemgiften

  • z.B. Chlor und Phosgen sowie Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Zinkoxid, Phosphorrauch und Perfluorisobutylen (Nebenprodukt von Teflon)
  • wirken lungenreizend
  • beide Gase reagieren mit Feuchtigkeit im Atmungssystem und werden hydrolysiert
  • beide Gas führen zur Verdrängung von Sauerstoff und somit zum Ersticken
  • Chlor
    • schädigt die Lunge durch die Bildung von Salzsäure und unterchloriger Säure, die wiederum mit den Sulfhydrylgruppen von Cystein reagieren und Hemmung von Enzymen bewirken
      • Hydrolyse von Chlor führt zur Bildung freier Radikaler, die zu direkten Zellschäden und zum Tod führen können
    • Chlor hat unangenehmen Geruch und ist stark reizend
  • Phosgen
    • riecht nach frisch gemähtem Heu
    • Wirkung ist eher schleichend
    • typischerweise treten ersteSymptome nach 2 bis 6 Stunden nach der Exposition auf

Symptome

  • Chlor
    • Augenschmerzen, Lidkrampf und Tränenfluss
    • Kopfschmerzen, Speichelfluss, Dyspnoe, Husten, Bluthusten, AP-Beschwerden und Erbrechen
    • Tachykardie, Tachypnoe und ggf. Zyanose
    • Augenreizungen
    • oropharyngeales Erythem
    • Stridor, Heiserkeit oder Aphonie (bei Larynxödem oder Laryngospasmus)
    • oropharyngeale Sekretion
  • Phosgen
    • Atemnot, Engegefühl oder Schmerzen in der Brust und Husten
    • Hypoxie und Lungenödems, ggf. erst Stunden nach Exposition
      • frühes Auftreten eines Lungenödems mit schlechter Prognose verbunden
    • Hypovolämie

Dekontamination

  • Patient*innen aus kontaminierten Bereich entfernen
  • Atemschutz für Helfende
  • Entfernen der gesamten Kleidung
  • Seife und Wasser sind für vollständige Dekontamination ausreichend

Diagnostik

  • Untersuchung auf Hornhautverbrennungen/-abschürfungen
  • keine einfachen diagnostischen Tests zur Bestätigung oder Quantifizierung der pulmonalen Wirkstofftoxizität

Behandlung

  • Atemwegsmanagement; ggf. chirurgischer Atemweg; ggf. maschinelle Beatmung
    • ggf. Absaugen notwendig
  • ruhiges Setting, da Anstrengung bei phosgenexponierten Patienten zu Lungenödemen führt
  • Volumentherapie bei Volumendefizit (CAVE: Lungenödem)

Hautkampfstoffe oder blasenbildende Mittel

  • Senfgas (Schwefelsenf, Stickstoffsenf) oder Lewisit
  • reines Senfgas ist klar und riecht nach Knoblauch
  • Schwefel-Senfgas kann je nach chemischer Mischung klar, gelb, rotbraun oder schwarz sein
  • Stickstoff-Senfgas riecht unterschiedlich
    • N1 riecht eher nach Fisch
    • N2 nach Obst
    • N3 nach Bittermandeln
    • klare bis gelbe ölige Substanz, die langsam verdampft
  • Lewisit
    • Bläschenbildner
    • mit Arsen verwandt
    • in reiner Form eine klare Flüssigkeit und in unreiner Form bernsteinfarben oder schwarz
    • äußerst reizend für Haut, Augen und Atemwege

Symptome

  • verursachen innerhalb weniger Stunden nach Kontakt mit der Haut oder den Schleimhäuten chemische Verbrennungen, die mit Blasenbildung einhergehen
  • Verbrennungen 2. und dritten 3. entwickeln sich innerhalb von 2 – 10 h an Augen und Haut und verursachen starke Schmerzen, Hornhautperforationen, Erosionen der Augen und Blasenbildung auf der gesamten exponierten Haut
    • Verbrennungen > 25 % VKOF können jedoch tödlich sein
  • Lewisit wirkt unmittelbar auf Haut und Augen
    • verursacht sofortige Schmerzen, Reizungen und Blasenbildung
  • Einatmen oder Verschlucken verursacht ähnliche Probleme
  • flüssige Stoffe, die stärker konzentriert sind, verursachen schwerere Schäden als Dämpfe
  • je nach Dosis und Expositionsweg können verschiedene Spätfolgen auftreten
    • Knochenmarksuppression mit erhöhter Infektionswahrscheinlichkeit
    • Stickstoffsenf führt zu Anämie
    • hohe Dosen von Schwefelsenf können zu Krämpfen führen
    • hohe Dosen von Lewisit können zu Lebernekrose, akutem Nierenversagen und Schock führen

Dekontamination

  • Eigenschutz hat Priorität
  • Atem- und Hautschutz
  • als Schutz für die Hände wird Butylkautschuk empfohlen; doppellagige Nitrilhandschuhe schützen ebenfalls
  • alle Kleidungsstücke entfernen
  • Wirkstoff muss innerhalb von drei bis fünf Minuten entfernt werden
  • Entfernung mit einem trockenen Tuch
  • Augen sofort mit Wasser auswaschen
  • kein Erbrechen herbeizuführen
  • Aktivkohle nicht als wirksam
  • nach Dekontamination Standardverbrennungsbehandlung für alle Hautverletzungen
  • chemisch kontaminierte Wunden aggressiv spülen

Diagnostik

  • keine einfachen Test zur Bestätigung verfügbar

Behandlung

  • chirurgisches Débridement offener Wunden ist bei kontaminierten Wunden fast immer erforderlich
  • Beobachtung bei möglicher Expositionen über 6 – 10 h empfohlen bei asymptomatischen Patienten, die Schwefel- und Stickstoffsenf ausgesetzt sind
  • respiratorische Symptome wie bei chemischer Pneumonitis behandeln
  • invasives Atemwegsmanagement früh in Betracht ziehen
  • Gabe systemischer Steroide
  • inhalatives Natriumbikarbonat
  • Gegenmittel für Lewisit ist British Anti-Lewisite (BAL)
Published inLeitlinien kompakt

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