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Leitlinie „Evaluation and Management of Patients with Syncope“ der ACC

veröffentlichende Fachgesellschaft: American College of Cardiology
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 09.03.2017
Ablaufdatum: 13.05.2020
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1161/CIR.0000000000000499

Definition

Synkope

  • plötzlicher, vorübergehender, vollständiger Bewusseinsverlust, der mit der Unfähigkeit einhergeht, die Körperhaltung aufrechtzuerhalten, und der sich rasch und spontan wieder erholt
  • vermuteter Mechanismus: zerebrale Hypoperfusion, keine klinischen Merkmale anderer, nicht-synkopaler Ursachen für den Bewusstseinsverlust, wie z. B. Krampfanfall, vorangegangenes Trauma oder scheinbares Bewusstseinsverlust (d. h. eine Pseudosynkopie)

Verlust des Bewusstseins

  • kognitiver Zustand, in dem man sich seiner selbst und seiner Situation nicht mehr bewusst ist und nicht mehr auf Reize reagieren kann

vorübergehender Verlust des Bewusstseins

  • sich selbst begrenzender Bewusstseinsverlust, der in Synkopen und Nicht-Synkopen unterteilt werden kann
  • zu den nicht-synkopischen Zuständen gehören u. a. Krampfanfälle, Hypoglykämie, Stoffwechselstörungen, Drogen- oder Alkoholintoxikation und Gehirnerschütterung aufgrund eines Kopftraumas
  • zugrunde liegender Mechanismus der Synkope ist vermutlich zerebrale Hypoperfusion, während nichtsynkopische Zustände auf andere Mechanismen zurückgeführt werden

Präsynkope (Beinahe-Synkope)

  • Symptome vor einer Synkope, wie extreme Benommenheit, visuelle Empfindungen wie „Tunnelblick“ oder „Ergrauen“ und unterschiedliche Grade von Bewusstseinsveränderungen ohne vollständigen Bewusstseinsverlust
  • kann sich zu Synkope ausweiten oder ohne Synkope abklingen

ungeklärte Synkope (Synkope unklarer Ätiologie)

  • Synkope, deren Ursache nach einer ersten Untersuchung, die von erfahrenem medizinischem Personal als angemessen erachtet wird, unklar ist
  • Erstuntersuchung umfasst unter anderem eine gründliche Anamnese, körperliche Untersuchung und EKG

orthostatische Intoleranz

  • Syndrom, das aus einer Konstellation von Symptomen besteht, zu denen häufige, wiederkehrende oder anhaltende Benommenheit, Herzklopfen, Zittern, allgemeine Schwäche, verschwommenes Sehen, Bewegungsunverträglichkeit und Müdigkeit im Stehen gehören
  • Symptome können mit oder ohne orthostatische Tachykardie, orthostatischer Hypotension oder Synkope auftreten
  • Personen mit orthostatischer Intoleranz weisen min. eines dieser Symptome auf, verbunden mit einer verminderten Fähigkeit, eine aufrechte Haltung beizubehalten

orthostatische Tachykardie

  • anhaltender Anstieg der Herzfrequenz von > 30/min innerhalb von 10 Minuten nach dem Wechsel von einer liegenden zu einer ruhigen (nicht anstrengenden) stehenden Position (oder > 40/min bei Personen im Alter von 12-19 Jahren)

orthostatische Hypotonie

  • Abfall des systolischen Blutdrucks um > 20 mmHg oder des diastolischen Blutdrucks um > 10 mmHg bei Einnahme einer aufrechten Körperhaltung
    • initiale OH: vorübergehender Blutdruckabfall innerhalb von 15 s nach dem Aufstehen mit Präsynkope oder Synkope
    • klassische OH: anhaltende Senkung des systolischen Blutdrucks um > 20 mmHg oder des diastolischen Blutdrucks um > 10 mmHg innerhalb von 3 Minuten nach Einnahme einer aufrechten Körperhaltung
    • verzögerte OH: anhaltende Senkung des systolischen Blutdrucks um > 20 mmHg (oder 30 mmHg bei Patienten mit Hypertonie in der Vorgeschichte) oder des diastolischen Blutdrucks um > 10 mmHg, die sich erst nach 3 Minuten aufrechter Körperhaltung entwickelt; Blutdruckabfall erfolgt zumeist allmählich bis zum Erreichen des Schwelle
    • neurogene OH: Unterform der OH, die auf eine Funktionsstörung des autonomen Nervensystems zurückzuführen ist und nicht nur auf umweltbedingte Auslöser (z. B. Dehydrierung oder Medikamente); ausgelöst durch Läsionen der zentralen oder peripheren autonomen Nerven

kardiale (kardiovaskuläre) Synkope

  • Synkope, die durch Bradykardie, Tachykardie oder Hypotonie aufgrund eines niedrigen kardialen Index, einer Behinderung des Blutflusses, einer Gefäßerweiterung oder akuter Gefäßdissektion ausgelöst ist

nicht-kardiale Synkope

  • Synkope aufgrund nicht-kardialer Ursachen, einschließlich Reflexsynkope, orthostatischer Hypotonie, Volumenmangel, Dehydrierung und Blutverlust

Reflexsynkope

  • Reflexsynkope (neural vermittelte Synkope)
    • Synkope aufgrund eines Reflexes der Gefäßerweiterung oder Bradykardie oder beides verursacht
  • vasovagale Synkope (VVS) ist häufigste Form der Reflexsynkope, die durch den vasovagalen Reflex ausgelöst wird
    • kann bei aufrechter Körperhaltung auftreten (stehend oder sitzend) oder bei emotionalem Stress, Schmerzen oder in medizinischen Situationen
    • ist typischerweise gekennzeichnet durch Schwitzen, Wärmegefühl, Übelkeit und Blässe
    • geht mit vasodepressiver Hypotonie und/oder starker Bradykardie einher
  • oft gefolgt von Müdigkeit
  • bei älteren Patienten können typische Merkmale fehlen
  • häufig gehen identifizierbare Auslöser und/oder ein charakteristisches Prodromalstadium voraus
  • Diagnose wird in erster Linie auf der Grundlage einer gründlichen Anamnese, körperlichen Untersuchung und Beobachtung durch Augenzeugen, falls vorhanden

Karotissinus-Syndrom

  • reflexartige Synkope im Zusammenhang mit einer Karotissinus-Hypersensibilität
  • Karotissinus-Hypersensitivität liegt vor, wenn eine Pause von > 3 s und/oder ein Abfall des systolischen Drucks > 50 mmHg bei Stimulation des Karotissinus auftritt
  • tritt häufiger bei älteren Patienten auf
  • Karotissinus-Hypersensibilität kann mit unterschiedlich starken Symptomen einhergehen

situationsbedingte Synkope

  • reflexartige Synkope, die mit bestimmten Handlung, wie Husten, Lachen, Schlucken, Miktion oder Stuhlgang, verbunden ist
  • Synkopen sind eng mit bestimmten körperlichen Funktionen verbunden

posturales (orthostatisches) Tachykardie-Syndrom (POTS)

  • klinisches Syndrom, das in der Regel durch alle der folgenden Merkmale gekennzeichnet ist:
    • häufige Symptome, die beim Stehen auftreten (z. B. Benommenheit, Herzklopfen, Zittern, allgemeine Schwäche, verschwommenes Sehen, Belastungsunverträglichkeit und Müdigkeit)
    • Anstieg der Herzfrequenz von > 30/min bei einem Positionswechsel vom Liegen zum Stehen (oder > 40/min bei 12- bis 19-Jährigen)
    • Fehlen einer orthostatischen Hypotonie (> 20 mmHg Abfall des systolischen Blutdrucks)
  • zu den mit POTS verbundenen Symptomen gehören solche, die beim Stehen auftreten (z. B. Benommenheit, Herzklopfen), solche, die nicht mit bestimmten Körperhaltungen verbunden sind (z. B. Blähungen, Übelkeit, Durchfall, Bauchschmerzen) und solche, die systemisch sind (z. B. Müdigkeit, Schlafstörungen, Migräne)
  • Herzfrequenz im Stehen beträgt häufig > 120/min

psychogene Pseudosynkope

  • Syndrom mit scheinbarem, aber nicht tatsächlichem, Bewusstseinsverlust, das ohne erkennbare kardiale, reflexartige, neurologische oder metabolische Ursachen auftreten kann

Diagnostik

  • ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung bei Patienten mit Synkopen
  • 12-Kanal-EKG im Ruhezustand
  • Untersuchung bzgl. einer vasovagalen Synkope, einschließlich einer ausführlichen Anamnese, körperlichen Untersuchung, Familienanamnese und einem 12-Kanal-EKG, sollte bei allen pädiatrischen Patienten durchgeführt werden, die eine Synkope haben

Therapie

  • Krankenhausuntersuchung und -behandlung für Patienten mit Synkope empfohlen, bei denen eine schwerwiegende Erkrankung festgestellt wurde, die möglicherweise mit der Ursache der Synkope zusammenhängt
  • ggf. Patienten mit vermuteter reflexvermittelter Synkope ambulant behandeln, wenn keine ernsthaften medizinischen Probleme vorliegen.
  • Indikationskriterien für schwerwiegende medizinische Zustände, die eine weitere Untersuchung und Behandlung in einem Krankenhaus rechtfertigen
    • Herzrhythmusstörungen: anhaltende oder symptomatische VT; symptomatische Erkrankung des Reizleitungssystems oder AV-Block Mobitz II oder AV-Block Grad III; symptomatische Bradykardie oder Sinuspausen, die nicht mit mit neural vermittelter Synkope; symptomatische SVT; Fehlfunktion eines Herzschrittmachers/ICD; vererbbare kardiovaskuläre Erkrankungen, die eine Prädisposition für Arrhythmien haben
    • nicht-arrhythmische Herz- oder Gefäßkrankheiten: Ischämie des Herzens; schwere Aortenstenose; Herzbeuteltamponade; hypertrophische Kardiomyopathie; schwere Funktionsstörung einer Herzklappenprothese; Lungenembolie; Aortendissektion; akute Herzinsuffizienz; mäßige bis schwere linksventrikuläre Dysfunktion
    • nicht-kardiale Erkrankungen: schwere Anämie/gastrointestinale Blutung; schwere traumatische Verletzung aufgrund einer Synkope; anhaltende Anomalien der Vitalzeichen
    • bei Patienten mit Synkopen, die mit den vorher genannten Erkrankungen/Symptomen einhergehen, wird leitliniengerechtes Management/Therapie empfohlen
  • Einnahme von Wasser bei Patienten mit Synkopen, die durch eine neurogene, orthostatische Hypotonie verursacht werden, zur gelegentlichen, vorübergehenden Linderung empfohlen
  • Flüssigkeitstherapie durch orale oder intravenöse Bolusgaben wird bei Patienten mit Synkope aufgrund akuter Dehydrierung empfohlen
  • Betablocker sind bei pädiatrischen Patienten mit vasovagaler Synkope nicht von Vorteil
Published inLeitlinien kompakt

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