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Leitlinie „Management of hypertensive crisis“ der BIHSOC

veröffentlichende Fachgesellschaft: British and Irish Hypertension Society
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 22.11.2022
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1038/s41371-022-00776-9

Definitionen

  • akute schwere Hypertonie
    • Blutdruck von >200/120 mmHg ist schwerwiegend und dringend behandlungsbedürftig
    • Drücke von 180/100 mmHg bei einem schlecht eingestellten, unkontrollierten chronisch hypertensiven Patient*innen stellen keine akute, schwere und sofort behandlungsbedürftige Hypertonie
    • Drücke von 160/100 mmHg hingegen stellen einen medizinischen (hypertensiven) Notfall dar, wenn sie im Zusammenhang mit einer akuten Endorganschädigung (z.B. Präeklampsie) stehen
    • Begriff „akute schwere Hypertonie“ sollte primär für Patient*innen genutzt wird, welche keine Anzeichen einer akuten und/oder lebensbedrohlichen Endorganschädigung haben
  • hypertensiver Notfall
    • erhöhter Blutdruck, der, wenn er über die Stunden anhält, zu fortschreitenden lebensbedrohlichen Endorganschädigungen führt
    • lebensbedrohliche Endorganschädigungen sind z.B. akutes Lungenödem, hypertensive Enzephalopathie, akutes Nierenversagen, Aortendissektion, intrazerebrale Blutung, schwere Präeklampsie/Eklampsie, Phäochromozytom-Krise und akutes Koronarsyndrom
      • erhöhter RR ist kein obligates Symptome der klinischen Bilder
      • Hypertonie ist bei Krankheitsbildern wie einem akuten ischämischen Schlaganfall oder einer Subarachnoidalblutung ggf. nicht die kausale Ursache, kann aber trotzdem bestehen
  • maligne Hypertonie
    • besondere pathophysiologische Form der schweren Hypertonie, welche mit Gefäßschäden infolge eines Versagens oder eines Verlusts der Autoregulation des Blutflusses einhergeht

Untersuchung/Beurteilung

  • ausführliche Anamnese und Untersuchung sind Eckpfeiler einer erfolgreichen Behandlung
  • Anamnese
    • Fremdanamnese durch Verwandte, Hausarzt etc.
    • Arztbriefe, Medikamentenplan etc.
      • v.a. hinsichtlich der aktuellen und früheren Einnahme von blutdrucksenkenden Medikamenten
      • Verwendung weiterer rezeptfreier Medikamente wie Sympathomimetika (wie Ephedrin), nichtsteroidalen Entzündungshemmern
      • Therapie mit Chemotherapie oder oralen Kontrazeptiva
      • Einnahme von pflanzlichen Mitteln wie Süßholz oder Johanniskraut oder illegalen Drogen wie Kokain
      • Anamnese hinsichtlich des Bestehens einer Schwangerschaft
  • Diagnostik
    • Untersuchung hinsichtlich vorliegenden Endorganschäden oder zugrundeliegenden sekundärer Anzeichen wie Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Herzklopfen und verschwommenes Sehen
    • Messung des Blutdrucks an beiden Armen
    • Überprüfung der peripheren Pulse

Therapie

  • Wahl der Behandlung, des Ziels und des Tempos der Blutdrucksenkung sollte angepasst an die auslösende Ursache sein
  • sorgfältige Abwägung des Nutzens und der Risiken einer raschen/exzessiven Blutdrucksenkung und einer Verschlechterung der akuten Endorganschädigung unter Berücksichtigung des Phänomens der Autoregulation des Blutflusses
    • von entscheidender Bedeutung für Organe mit hohem Blutfluss und geringem Widerstand, wie z. B. das Gehirn und die Niere, da sonst durch das Absenken des Blutdrucks auf niedrige Werte der Blutfluss zu lebenswichtigen Organen beeinträchtigt wird (CAVE: Komplikationen wie kortikales Erblindung, Schlaganfall und Herzinfarkt)
  • Patienten mit RR ≥ 180/120 mmHg und Hinweisen auf eine Endorganschädigung noch am selben Tag zur Untersuchung in einer Notaufnahme vorstellen
  • Störfaktoren wie Schmerzen und Ängste erkennen und behandeln
  • Infusionstherapie bzw. Senken des Blutdrucks mit i.v.-Medikation nur bei zusätzlich bestehenden Notfallbildern oder einer Multiorganschädigung durch Hypertonie
    • sonst orale Therapie mit 5 mg Amlodipin, 10 – 30 mg Nifedipin oder 25 mg Atenolol

pathophysiologisch-spezifische Therapie

  • hypertensive Enzephalopathie
    • Senkung des MAP um nicht mehr als 20 – 25 % über mehrere Stunden und/oder Senkung des diastolischen Blutdrucks auf 100 – 110 mmHg
    • 0,25 – 0,5 mg/kg Labetalol als Bolus (i.d.R. 50 mg als Bolus über 1 – 2 min verabreicht, bei Bedarf innerhalb von 5 min wiederholen; max.: 200 mg), oder als Dauerinfusion von 15 – 20 mg/h mit Anpassung alle 15 min
      ODER
      3 – 5 mg/h Nicardipin i.v. über 15 min (Anpassung in Schritten von 0,5 oder 1 mg alle 15 min; max. 15 mg/h)
  • intrazerebrale Hämorrhagie
    • Senkung des systolischen Blutdrucks (SBP) um 20 – 25 % und/oder Senkung des diastolischen Blutdrucks auf 140 – 180 mmHg systolisch und 90 – 110 mmHg diastolisch
    • 0,25 – 0,5 mg/kg Labetalol als Bolus (i.d.R. 50 mg als Bolus über 1 – 2 min verabreicht, bei Bedarf innerhalb von 5 min wiederholen; max.: 200 mg), oder als Dauerinfusion von 15 – 20 mg/h mit Anpassung alle 15 min
      ODER
      3 – 5 mg/h Nicardipin i.v. über 15 min (Anpassung in Schritten von 0,5 oder 1 mg alle 15 min; max. 15 mg/h)
  • Ischämischer Schlaganfall
    • Senkung des Blutdrucks nur, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind
    • MAP bei Patienten mit einem Blutdruck ≥ 220/120 mmHg um nicht mehr als 15 % senken
    • Senkung des systolischen Blutdrucks um 20 – 25 % und/oder Senkung des diastolischen Blutdrucks auf 140 – 180 mmHg systolisch und 90 – 110 mmHg diastolisch
    • 0,25 – 0,5 mg/kg Labetalol als Bolus (i.d.R. 50 mg als Bolus über 1 – 2 min verabreicht, bei Bedarf innerhalb von 5 min wiederholen; max.: 200 mg), oder als Dauerinfusion von 15 – 20 mg/h mit Anpassung alle 15 min
      ODER
      3 – 5 mg/h Nicardipin i.v. über 15 min (Anpassung in Schritten von 0,5 oder 1 mg alle 15 min; max. 15 mg/h)
  • Subarachnoidal-Blutung
    • Schmerzkontrolle ist unerlässlich
    • Nutzen und Risiken einer Blutdrucksenkung unter Berücksichtigung zerebraler Gefäßspasmen und Hypoperfusion abwägen
    • Zielbereich: RRsys 140 – 180 mmHg
  • akutes Aortensyndrom
    • Schmerz- und Angstkontrolle ist entscheidend
    • Senkung der Herzfrequenz auf <60/min
    • Senkung des RRsys auf 120 mmHg bei gleichzeitiger Überwachung der ausreichenden Perfusion durch das falsche Lumen
    • 0,25 – 0,5 mg/kg Labetalol als Bolus (i.d.R. 50 mg als Bolus über 1 – 2 min verabreicht, bei Bedarf innerhalb von 5 min wiederholen; max.: 200 mg), oder als Dauerinfusion von 15 – 20 mg/h mit Anpassung alle 15 min
      ODER
      3 – 5 mg/h Nicardipin i.v. über 15 min (Anpassung in Schritten von 0,5 oder 1 mg alle 15 min; max. 15 mg/h)
      ODER
      0,5-1,5 µg/kg/min Nitroprussid i.v. zu Beginn, ggf. alle 5 min um 0,5 µg/kg/min erhöhen (übliche Erhaltungsdosis 10-200 µg/min)
  • akutes Koronarsyndrom
    • Revaskularisierung, Schmerz- und Angstbehandlung sind zu priorisieren
    • Senkung des RRsys/ MAP um nicht mehr als 20 – 25 % und Vermeidung von RRdias < 70 mmHg
    • mit 15 – 20 µg/min Glyceryltrinitrat i.v. beginnen, alle 15 – 30 min um 5-10 µg/min erhöhen/verringern (Gesamtdosisanpassung entsprechend den individuellen Bedürfnissen)
      ODER
      20 mg/h Labetalol i.v. als Infusion, Anpassung alle 15 min (ggf. auch als intermittierende Boli verabreichen)
  • linksventrikuläres Versagen/Lungenödem
    • Senkung von RRsys/ MAP um nicht mehr als 20 – 25 %
    • 40 – 80 mg Furosemid i.v. (0,5 – 2 mg/kg) zur Linderung der Stauungssymptome (als Infusion oder i.v.-Bolus)
  • schwere Präeklampsie/Eklampsie
  • Senkung des Blutdrucks auf das Niveau vor Schwangerschaft oder auf ≤ 140/90 mmHg bei Patienten, die keinen Bluthochdruck haben
  • Senkung des Blutdrucks um nicht mehr als 20 % bei Patienten mit sehr hohen Blutdruckwerten (>200/120 mmHg)
  • Mütterliche und fötale Parameter genau überwachen
  • Magnesium i.v. mit einer Ladedosis von 4 g über 5 – 15 min, gefolgt von Infusion von 1 g/h über 24 h, weitere Dosis von 2 – 4 g über 5 – 15 min bei wiederholten Anfällen
  • 200 mg Labetalol oral oder langsame i.v.-Bolusinjektion von 50 mg über 1 – 2 min, ggf. wiederholen
    • falls eine Infusion i.v. mit ~20 – 40 mg/h erforderlich ist, nach Bedarf hochtitrieren
    • zusätzliche Gabe von oralem langwirksamen Nifedipin erwägen
  • 5 – 10 mg Hydralazin als langsam i.v., ggf. wiederholen
    ODER
    200 – 300 µg/min als Infusion mit üblicher Erhaltungsdosis von 50 – 150 µg/min (auf Flüssigkeits- und Volumenstatus achten)
Published inLeitlinien kompakt

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