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Leitlinie „Prehospital Hemorrhage Control and Treatment by Clinicians“ des ACS, ACEP & NAEMSP

veröffentlichende Fachgesellschaft: American College of Surgeons (ACS), American College of Emergency Physicians (ACEP) & National Association of EMS Physicians (NAEMSP)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 20.06.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1080/10903127.2023.2195487

Grundsätzliches

  • direkter Druck ist nach wie vor Behandlung der 1. Wahl und kontrolliert meist wirksam
  • Algorithmus zur Kontrolle lebensbedrohlicher Blutungen
    1. Blutungsquelle identifizieren und feststellen, ob diese lebensbedrohlich ist
    2. Versuch der Blutungskontrolle mittels manueller Kompression
    3. falls manuelle Kompression frustran, Verwendung von (hämostyptischer) Gaze, von Tourniquets an den Extremitäten zur Behandlung komprimierbarer arterieller Blutungen oder Woundpacking + direkter Druck bei Blutungen aus dem Rumpf sowie Hals, Schulter, Leiste
  • Hypothermie ist Marker für schlechte Prognose nach Blutung, daher ist die Aufrechterhaltung einer Normothermie anzustreben
  • in allen Situationen, in denen die Anzahl der Patient*innen die verfügbaren Ressourcen übersteigt, Blutstillung und Behandlung so schnell wie möglich und Konzentration auf die am stärksten betroffenen Patient*innen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Triage

manuelle Kompression

  • Kopfhautverletzungen können schwere, lebensbedrohliche Blutungen verursachen, sind aber mit direktem Druck oder einem schnellen Wundverschluss mit laufender Nylonnaht gut kontrollierbar

Tourniquet

  • je früher ein Tourniquet angelegt wird, desto höher die Überlebenschancen
  • keine Empfehlung einer Anlage von improvisierten Tourniquets in der Präklinik (sofern angelegt, sobald möglich Tausch mit handelsüblichen Tourniquet
  • Anlage Tourniquet
    • Anlage min. 5 – 7,5 cm proximal der Wunde
    • Anlage „so proximal wie möglich“ und so fest wie möglich („high and tight“-Methode) nur in Fällen, in denen es unmöglich ist, die genaue Blutungsquelle zu bestimmen
    • wann immer möglich, ist Anlage auf der nackten Haut vorzuziehen
    • Verschließen des Tourniquet bis Blutung aufhört und distaler Puls nicht mehr zu spüren ist
    • Anlagezeit dokumentieren (am besten auf Tourniquet oder Patient*in selbst
    • angelegten Tourniquet nicht mehr öffnen
    • regelmäßige Reevaluation bzgl. der Wirksamkeit der Blutungsstillung, v.a. nach Bewegung des Patienten sowie während des Transports
    • sofern Blutungsstillung mit einem Tourniquet frustran ist, Anlage eines zweiten Tourniquets 2 – 3 cm oberhalb des bereits angelegten Tourniquets
  • Wechsel von Tourniquet zu Druckverband, wenn alle nachfolgenden Punkte erfüllt sind:
    • voraussichtliche Transportzeit zum Ort der sofortigen chirurgischen Versorgung beträgt > 2 h
    • Patient*in befindet sich nicht im Schock (Schock = RRsys <90 mmHg bei Alter von 10 – 64 Jahren bzw. RRsys < 110 mmHg bei Alter > 65 Jahre)
    • Wunde kann während des gesamten Transports auf erneute Blutungen überwacht werde
    • Fehlen einer vollständigen oder nahezu vollständigen Amputation
    • Tourniquet ist < 6 Stunden angelegt
  • Wechsel eines Tourniquets, v.a. improvisierte Tourniquets (Konversion)
    • primär lockere Anlage des neuen Tourniquets 5 – 10 cm proximal der Verletzung
    • Druckverband im Bereich der Verletzung anlegen (falls verfügbar Hämostyptika)
    • Lösen des bisher angebrachten handelsüblichen/improvisierten Tourniquet
    • Prüfung der Wunde auf Blutung (sofern keine Blutung auftritt, ist Blutungskontrolle ohne Tourniquet erfolgreich abgeschlossen)
    • sofern Blutung auftritt, den neuen Tourniquet zuziehen (CAVE: ggf. verzögerten Blutung aufgrund Vasopasmus)
    • Überprüfung des neuen Tourniquet auf die Wirksamkeit
  • zu vermeidende Fehler (Pitfalls)
    • verzögerte oder gar keine Anlage eines Tourniquets
    • Anlage Tourniquet zur Blutstillung, wenn andere Methoden ausreichen würden
    • Anlage Tourniquet über einem Gelenk (CAVE: Anlegen über dem Nervus peroneus oder dem Nervus ulnaris kann zu Nervenschäden/Lähmungen führen
    • Anlage Tourniquet über Kleidung
    • Anlage Tourniquet zu nahe an der Verletzung
    • Anlage eines lockeren Tourniquets
    • verzögerte oder gar keine Anlage eines zweiten Tourniquets, falls erforderlich
    • regelmäßiges Lösen/Lockern des Tourniquets (CAVE: nicht zu verwechseln mit Konversion)
    • Entfernen eines Tourniquets bei Patient*innen mit Schock und/oder anhaltender, unkontrollierter Blutungen
    • fehlende Analgesie, die die ordnungsgemäße Blutstillung beeinträchtigt

Woundpacking

  • Woundpacking erhöht direkten Druck auf Gefäße im Bereich der Wunde
  • Nutzung sauberer Tücher oder von (hämostyptischer) Gaze
  • Verband unter Aufrechterhaltung direkten Drucks einbringen bis die Wunde vollständig gefüllt ist
  • danach Wunde mit Verband/Kompresse abdecken und mit beiden Händen starken Druck für mindestens 3 min ausüben bis erste Hämostase erreicht ist

Tourniquets am Übergang von Rumpf zu Extremitäten

  • „Kreuzungs-/Verbindungsbereiche“ = Bereiche, an denen die Extremitäten in den Rumpf übergehen (z.B. Schulter/Achse oder Leiste) und die zu proximal für die Anwendung eines Tourniquets sind
  • mögliche Optionen/Anwendungstools
    • „Gürtel“/“Schlinge“, die im Bereich der Achselhöhlen, dem Bauch oder der Leiste angelegt wird und danach pneumatisch aufgeblasen wird zur gezielten Kompression durch Verschluss der Achselarterie (empfohlene Anwendungszeit: < 4 h), der Aorta (empfohlene Anwendungszeit: < 1 h) oder der Beckenarterie (empfohlene Anwendungszeit: < 4 h)
    • schraubstockähnliche Kompressionsklemme, die in der Achselhöhle oder Leiste angelegt und mit Handkurbel angezogen werden kann, um das darunter liegende Gefäßsystem zu verschließen (empfohlene Anwendungszeit: < 4 h)
    • Gürtel, der mit zwei mechanischen Druckpolstern oder aufblasbarer Blase um das Becken gelegt werden kann und die Becken- oder Oberschenkelarterie verschließt (empfohlene Anwendungsdauer < 4 h)

Blutprodukte (sofern verfügbar)

  • bei Militärpatient*innen war die prähospitale Transfusion innerhalb von Minuten nach Verletzung mit signifikant reduzierter 24-h- und 30-Tage-Sterblichkeit verbunden
  • permissive Hypotonie, Minimierung der Gabe kristalloider Lösungen sowie ausgewogene Transfusion von Erythrozyten-Konzentrat, Plasma & Thrombozyten als Ziel im Rahmen der Damage Control Resuscitation (Ausnahme: Patient*innen mit SHT) zur Minimierung des Risikos einer traumabedingten Koagulopathie und Endothelschädigung
  • Patient*innen mit Anzeichen eines hämorrhagischen Schock sollten, wann immer verfügbar, prähospital Blutprodukte erhalten (Vollblut ist Erythrozyten-Konzentrat vorzuziehen)
  • Versorgung und Lagerung mit/der Blutprodukte
    • ausreichender Vorrat
    • Fahrzeug, die Blutprodukte transportieren, sind so auszurüsten, dass angemessene Lagerungsbedingungen gewährleistet sind
    • Bluttransfusion sollte idealerweise unter Verwendung eines Bluterwärmers durchgeführt werden, um Abgabetemperatur von 38 °C, aber nicht > 42 °C zu erreichen
  • Indikationen für Bluttransfusion
    • Patient*innen mit penetrierendem Thoraxtrauma
    • äußere Anzeichen einer Blutung
    • positive FAST-Sonografie
    • auffällige Vitalparameter (RRsys < 90 mmHg, HF > 120/min oder Screening-Tools wie Schockindex)
  • Gabe von 1 g Kalziumglukonat für jeweils 1 bis 2 Blutprodukt-Einheiten
  • keine Empfehlung für Verwendung von Prothrombinkomplexkonzentrat in der Präklinik
  • prähospitale Tranexamsäure-Gabe (1 – 2 g i.v. in 100 mL NaCl 0,9 % oder Ringerlaktat über 10 min als Infusion) innerhalb von 3 h nach Verletzung in Betracht ziehen
  • CAVE: Rh-positiver Blutprodukte bei Schwangeren (Gefahr einer Rhesusunverträglichkeit mit Hämolyse oder Zerstörung der roten Blutkörperchen des ungeborenen Kindes), aber Vorteile der prähospitalen Transfusion überwiegen Risiken (schnellstmögliche Anti-D-Gabe)

Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta (REBOA)

  • REBOA = perkutanes Verfahren bei lebensbedrohlichen Bauch- und/oder Beckenblutungen, bei dem die Aorta mithilfe eines endovaskulären Ballons vorübergehend verschlossen wird
  • keine ausreichenden Daten für Empfehlung für die Anwendung von REBOA in der Präklinik

Beckenschlinge

  • v.a. für Patient*innen mit offener Beckenfraktur (diagnostischen Einschränkung, da stabile von instabiler Fraktur in der Präklinik kaum zu unterscheiden)
  • Anlage bei allen Patient*innen mit V.a. Beckenfraktur, v.a. bei schwerem Trauma durch stumpfe Gewalteinwirkung oder einem der folgenden Punkte:
    • Schmerzen bei Untersuchung
    • Hypotonie
    • Beeinträchtigung der Untersuchung durch Bewusstseinsstörung
    • ablenkende Verletzung
    • Schlagverletzung/Hochrasanzverletzung mit Amputation der unteren Extremitäten
  • Untersuchung des Beckens durch Kompression der Beckenkämme in Richtung Mittellinie (NICHT durch Distraktion) im Rahmen der Sekundäruntersuchung und bei positivem Befund wie Instabilität oder Krepitation Anlage der Beckenschlinge
  • Anlage erfolgt über den Trochanter major
  • CAVE: längere Anlage oder zu festes Anziehen kann Druckgeschwüre verursachen

pädiatrische Patient*innen

  • Blutvolumen bei pädiatrischen Patient*innen beträgt ca. 80 mL/kg und Kind kann bis zu 45 % des zirkulierenden Blutvolumens verlieren, bevor eine Hypotonie auftritt (CAVE: Hypotonie = spätes Anzeichen für Schock)
  • Hypotonie-Bestimmung bei Kindern
    • 0 – 9 Jahre: RRsys < 70 mmHg + (Alter in Jahren x 2)
    • > 10 Jahre: RRsys < 90 mmHg
  • direkter Druck an oder unmittelbar proximal der Verletzungsstelle ist immer die 1. Wahl zur Blutstillung
  • Tourniquet-Anlage bei Kindern > 2 Jahren wie bei Erwachsenen (CAVE: je nach Durchmesser der Extremität ist Tourniquet-Anlage nicht möglich bzw. stark genug, daher ggf. eher direkter Druck oder Hämostyptika-Einlage wie bei Erwachsenen)
Published inLeitlinien kompakt

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