Skip to content

Leitlinie „Prevention and Management of Avalanche and Nonavalanche Snow Burial Accidents“ der WMS (Update 2024)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Wilderness Medical Society
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 28.12.2023
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1016/j.wem.2023.05.014

Grundsätzliches

  • jährlich ca. 130 Lawinentote in Europa und 36 Lawinentote in Nordamerika
  • zwischen 1983 und 2015 starben in Europa und Nordamerika 5123 durch Lawinen
  • zwischen 2002 und 2022 20-Jahres-Durchschnitt von 36 Lawinen in Nordamerika und 130 in Europa
  • Morbidität und Mortalität v.a. abhängig vom Grad der Verschüttung von Kopf & Thorax, Dauer & Tiefe der Verschüttung, freiem Atemweg, Vorhandensein & Volumen eines Luftlochs, Schneedichte und traumatischen Verletzungen
  • Überlebenschance nach kritischer Verschüttung (Kopf und Brustkorb unter Schnee): ca. 50 %
  • Überlebenschance nach Verschüttung (Kopf und Brustkorb über Schnee): nahezu 100 %, außer bei schwerem Trauma
  • häufigste Todesursachen bei Lawinenunfällen sind Erstickung (75 %) und Trauma (25 %)
  • Überlebenschance nach kritischer Verschüttung bei Rettung < 15 min: > 90 %
  • Überlebenschance nach kritischer Verschüttung bei Rettung < 30 min: ca. 30 %
  • Auffindesituation verschütteter Lawinenopfer: 45 % in Bauchlage, 24 % in Rückenlage, 16 % sitzend/stehend und 15 % in Seitenlage

Pathophysiologie

  • Asphyxie durch drei Mechanismen
    • vollständige/teilweise Obstruktion der oberen Atemwege durch eingeatmeten Schnee oder Geröll mit Hypoxie & Hyperkapnie innerhalb von 10 min und Tod durch Asphyxie innerhalb von 35 min nach Verschüttung
    • hohe Schneedichte und fehlendes Luftloch mit nicht ausreichendem O2-Zufluss & CO2-Abfluss und konsekutiver Asphyxie durch Rückatmung ausgeatmeter Luft, was zu Hypoxie, Hyperkapnie und erhöhtem Atemantrieb führt
    • Schneegewicht/-dichte verhindern Thoraxexkursionen und somit Ventilation
    • ggf. auch verzögertes ARDS mit nicht-kardialem Lungenödem durch hohen intrathorakalen Unterdruck infolge einer Obstruktion der oberen Atemwege, Aspiration oder Lungenquetschung möglich (bis zu > 200 min nach Verschüttung)
  • Trauma
    • Traumata sind für 6 – 29 % der Lawinentoten in Nordamerika und Europa verantwortlich
    • Kopf-, HWS-, Thorax- & Extremitätenverletzungen sind die häufigsten lebensbedrohlichen Verletzungen
    • schwere Verletzungen sind häufig Folge von Kollisionen mit Bäumen oder Felsen oder durch Stürze von Klippen
  • Hypothermie
    • nur wenige Todesfälle allein durch Unterkühlung verursacht, da Tod durch Ersticken i.d.R. früher eintritt
    • Abkühlungsraten kritisch verschütteter Lawinenopfern liegen i.d.R. bei 1 – 3 °C/h
    • i.d.R. min. 1 h Verschüttungszeit notwendig für Absinken der KKT auf < 30 °C (CAVE: tödliche Herzrhythmusstörungen möglich)
    • Hyperkapnie führt in ca. 70 % der Fälle zur Anstieg der Abkühlungsraten
    • CAVE: Abkühlungsrate erhöht sich während und nach Bergung aufgrund der Luftexposition, der Entfernung der Schneeisolierung und der Vasodilatation der Extremitäten, v.a. wenn das Opfer steht/geht
Quelle: Genswein, M.; Macias, D.; McIntosh, S.; Reiweger, I.; Hetland, A.; Paal, P. AvaLife—A New Multi-Disciplinary Approach Supported by Accident and Field Test Data to Optimize Survival Chances in Rescue and First Aid of Avalanche Patients. Int. J. Environ. Res. Public Health 202219, 5257. https://doi.org/10.3390/ijerph19095257

Management

  • Durchführung einer Oberflächen-, Lawinenverschüttetensuchgerät- und Punktsuche und strategischem Einsatz von Schaufeln
  • Lawinenverschüttetensuchgerät im Sendemodus min. 20 cm und im Suchmodus min. 50 cm von anderen elektronischen Geräten und Metallgegenständen entfernt halten
  • keine Nutzung von GPS-Transceivern, Mobiltelefonen, Satellitentelefonen und VHF/UHF-Funkgeräten zur Ortung von Lawinenverschütteten
  • erster Sondensuchgang mit Tiefe von 1,5 m in Raster von 50 x 50 cm mit 3 Löchern Schritt
  • Nutzung von RECCO-Suchtechnik und Einsatz von Suchhunden sowie Einsatz von Hubschraubern besetzt mit speziell für die Lawinenrettung ausgebildeten Besatzungen erwägen

Reanimation bei Lawinenunfällen

  • Vorgehen gemäß ERC-Algorithmen für ALS, Trauma- oder Hypothermie-Reanimation
  • bei fehlenden Vitalzeichen und keinen Indikatoren für Unterbrechung der HLW oder intermittierende Reanimation mit ALS beginnen, verbunden mit weiteren Untersuchungen
  • Defibrillation gemäß lokalen/gängigen Protokollen (CAVE: bei Hypothermie s.u.)
  • bei Verschüttungsdauer ≤ 60 min oder KKT ≥ 30 °C Standardreanimation/-ALS durchführen
  • etCO2 <10 mmHg nicht zur Prädiktion des Outcomes verwenden
  • bei technisch schwierigen/langen Transporten mechanische Reanimationshilfen einsetzen, sofern verfügbar
  • bei Pulslosigkeit & Apnoe sowie blockiertem Atemweg und Verschüttungsdauer von > 60 min, unabhängig von Herzrhythmus, je nach lokalen Protokollen Beendigung der Reanimation in Betracht ziehen, wenn kein ROSC in < 30 min erreicht
  • bei unklarer Genese des Kreislaufstillstands von Asphyxie als Grund für Herzstillstand ausgehen
  • Reanimation unterbrechen und keine Einleitung von ECLS-Wiedererwärmung bei Serumkaliumwert von > 7 mmol/L
  • keine Rettungs-/Wiederbelebungsversuche, wenn Risiken für Retter*innen unannehmbar hoch (Rettungs-/Wiederbelebungsversuche erst bei Verbesserung der Bedingungen oder ausreichender Minderung der Risiken)
Quelle: Lott C, Truhlář A, Alfonzo A, et al. European Resuscitation Council Guidelines 2021: Cardiac arrest in special circumstances [published correction appears in Resuscitation. 2021 Oct;167:91-92]. Resuscitation. 2021;161:152-219. doi:10.1016/j.resuscitation.2021.02.011

Hypothermie

  • bei Reanimation durch Hypothermie Nutzung des Hypothermie-Rea-ERC-Algorithmus
Quelle: Lott C, Truhlář A, Alfonzo A, et al. European Resuscitation Council Guidelines 2021: Cardiac arrest in special circumstances [published correction appears in Resuscitation. 2021 Oct;167:91-92]. Resuscitation. 2021;161:152-219. doi:10.1016/j.resuscitation.2021.02.011
  • verzögerte und intermittierende HLW bei stark unterkühlten Patient*innen (KKT < 28 °C)
  • bei Hypothermie HLW trotz frustraner Defibrillation Reanimation fortsetzen bis Patient*innen auf KKT ≥ 30 °C erwärmt sind
  • Messung der Kerntemperatur oder Nutzung des Revised Swiss System (RSS) zur Abschätzung des Risikos eines Herzstillstands durch Hypothermie bzw. zur Bestimmung des Grades/Stadium der Hypothermie
  • bei Verschüttungsdauer > 60 min, KKT < 30 °C und freiem Atemweg Reanimation fortsetzen, da vermutlich bedingt durch Unterkühlung
  • bei Verschüttungsdauer ≤ 60 min, KKT ≥ 30 °C und nicht freiem Atemweg oder Apnoe bzw. Pulslosigkeit unabhängig vom Herzrhythmus Reanimation beenden, wenn kein ROSC in < 30 min erreicht
Quelle: Genswein, M.; Macias, D.; McIntosh, S.; Reiweger, I.; Hetland, A.; Paal, P. AvaLife—A New Multi-Disciplinary Approach Supported by Accident and Field Test Data to Optimize Survival Chances in Rescue and First Aid of Avalanche Patients. Int. J. Environ. Res. Public Health 202219, 5257. https://doi.org/10.3390/ijerph19095257
  • Nutzung des HOPE-Scores zur Vorhersage des Outcomes bei Rea nach Hypothermie
  • bei Herzstillstand oder hämodynamischer Instabilität durch Hypothermie schnellstmöglicher Transport in Klinik mit Möglichkeit der ECLS (wenn mgl. innerhalb von 6 h, sonst Transport in näher gelegenes Krankenhaus mit anderen Möglichkeiten für Wiedererwärmung)

Trauma

  • bei Trauma-Reanimation Trauma-Rea-ERC-Algorithmus berücksichtigen
  • bei V.a. auf Wirbelsäulenverletzung validierte Tools wie NEXUS oder die Canadian C-Spine Rule nutzen bzw. berücksichtigen
  • bei kritisch Verschütteten mit Herzstillstand aufgrund Trauma Wiederbelebung unterbrechen

Protokolle für initiales Vorgehen bei kritisch Verschütteten

Quelle: Avalanche Victim Resuscitation Checklist der ICAR (https://www.alpine-rescue.org/articles/1164–avalanche-victim-resuscitation-checklist-version-2023)

Algorithmen für Einpersonen- oder MANV-Verschütteten-Suche

  • standardisierte Vorbereitungen und Protokolle für MANV-Situationen bei Lawinenunfällen
  • Fortbildung und Übung bzgl. der Triage bei Mehrfachverschüttungen
  • nachfolgend Lawinenopfer und Retter*innen psychologisch betreuen
Quelle: Genswein, M.; Macias, D.; McIntosh, S.; Reiweger, I.; Hetland, A.; Paal, P. AvaLife—A New Multi-Disciplinary Approach Supported by Accident and Field Test Data to Optimize Survival Chances in Rescue and First Aid of Avalanche Patients. Int. J. Environ. Res. Public Health 202219, 5257. https://doi.org/10.3390/ijerph19095257
Quelle: Genswein, M.; Macias, D.; McIntosh, S.; Reiweger, I.; Hetland, A.; Paal, P. AvaLife—A New Multi-Disciplinary Approach Supported by Accident and Field Test Data to Optimize Survival Chances in Rescue and First Aid of Avalanche Patients. Int. J. Environ. Res. Public Health 202219, 5257. https://doi.org/10.3390/ijerph19095257
Published inLeitlinien kompakt

Be First to Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert