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Leitlinie „Tachykarde Herzrhythmusstörungen im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter (EMAH-Patienten“ der DGPK

veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 28.11.2018
Ablaufdatum: 27.1.2023
Quelle/Quelllink: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/023-022.html

Definition

  • paroxysmal oder chronischpermanente Erhöhung der Vorhof- und/oder Kammerfrequenz
  • beruhen auf verschiedenen pathologischen Mechanismen und werden in supraventrikuläre und ventrikuläre Tachyarrhythmien unterteilt

Klassifikation

  • supraventrikuläre Tachykardien
    • Tachykardie mit einer 1:1-Überleitung
    • zu 90% atrioventrikuläre Reentrytachykardien auf der Grundlage einer akzessorischen Leitungsbahn mit einem kurzen VA-Intervall und einem langen AV-Intervall
  • supraventrikuläre Tachykardien auf der Grundlage akzessorischer Leitungsbahnen (Präexzitationssyndrome)
    • bei Delta-Welle mit verkürzter PQ-Zeit im OberflächenEKG liegt ein Präexzitationsmuster oder Wolff-ParkinsonWhite (WPW)-Muster vor; mit dem Auftreten von SVT ein WPW-Syndrom
    • häufigste Tachyarrhythmie: orthodrome atrioventrikuläre ReentryTachykardie (AVRT: antegrade Leitung über den AV-Knoten, retrograde Leitung über die akzessorische Leitungsbahn)
  • AV-Knoten-Reentry-Tachykardien (AVNRT)
    • zweithäufigste Form von angeborenen supraventrikulären Tachykardien im Kindesalter
    • funktionelle Längsdissoziation des AV-Knotens mit dualen, anatomisch separaten AVKnotenleitungsbahnen mit einem schnell leitenden Schenkel mit einer langen Refraktärzeit und einem langsam leitenden Schenkel mit kurzer Refraktärzeit
  • permanente Form der junktionalen Reentry-Tachykardie (PJRT)
    • Reentry-Mechanismus mit einer meist rechts posteroseptal lokalisierten akzessorischen atrioventrikulären Leitungsbahn mit decrementalen Leitungseigenschaften und ausschließlich retrograder Leitung
    • AV-Knoten bzw. die Kammermuskulatur sind nicht Bestandteil des Tachykardiemechanismus
    • EKG: langes RP-Intervall, PR-Intervall ist kürzer als das RPIntervall (Verhältnis PR/RP <1), P-Wellen in EKGAbleitungen II, III, aVF tief-negativ und isoelektrisch oder leicht positiv in Ableitung I
  • fokale atriale Tachykardie (FAT)
    • atrialer Fokus mit pathologisch gesteigerter Automatie und zentrifugalem Aktivierungsmuster
    • EKG: P-Welle mit „Nicht-Sinus“-Morphologie
  • Vorhofflimmern
    • linksatriale Tachyarrhythmie
    • durch mechanischen Stillstand der Vorhöfe besteht ein hohes Risiko der intraatrialen Thrombenbildung mit konsekutiver Thrombembolie
  • ventrikuläre Extrasystolen
    • unterscheiden sich die QRS-Morphologie und der QRSVektor vom Grundrhythmus
    • Verbreiterung des QRS-Komplexes über der altersspezifischen Norm
    • Ursachen: Elektrolytstörungen, Medikamente, entzündliche Herzerkrankungen, angeborene Herzfehler (z.B. postop. Fallotsche Tetralogie) sowie Kardiomyopathien und Herztumore
    • meist asymptomatisch
    • EKG-Befund einer benignen/idiopathischen ventrikulären Extrasystolie
      • isolierte uniforme ventrikuläre Extrasystolen
      • altersentsprechender Normalbefund des Oberflächen-EKG, QTc < 0,44 (bei Mädchen < 0,46)
  • ventrikuläre Tachykardien (VT)
    • bei drei oder mehr konsekutiven Depolarisationen unterhalb des His-Bündels mit einer Kammerfrequenz von mehr als 20% über der vorangehenden Herzfrequenz vor
    • QRS-Morphologie und QRS-Vektor unterscheiden sich vom Grundrhythmus
    • QRS-Komplexe sind über altersspezifische Norm verbreitert
    • anhand der Morphologie der QRS-Komplexe unterscheidet man monomorphe von polymorphen ventrikulären Tachykardien
    • Dauer > 30 Sekunden bzw. bei einem Kreislaufkollaps = anhaltende ventrikuläre Tachykardie
    • Ursache: gesteigerte Automatie, getriggerte Aktivität und Reentry-Mechanismus
  • Kammerflimmern (VF)
    • ungeordnete Aktivierung des Ventrikelmyokards als Folge fragmentierter multipler Reentry-Erregungen
    • EKG: grobe oder feine Flimmerwellen ohne jede Regelmäßigkeit
  • Short-QT-Syndrom (SQTS)
    • QTc ≤ 340 ms gilt als pathologisch
    • oft auch mit chronischem Vorhofflimmern mit langsamer Kammerfrequenz
  • Long-QT-Syndrom (LQTS)
    • QT-Intervall wird in den Ableitungen II oder V5 gemessenen
    • zusätzlich Sinusbradykardie und auffällige Morphologie der T-Welle
    • selten ein funktioneller AV-Block II bis III°
  • Brugada Syndrom (BrS)
    • Verbreiterung des QRS-Komplexes und spezifische STStreckenhebungen in den rechtspräkordialen Ableit

Pathophysiologie, Hämodynamik

  • verkürzte diastolische Füllung, erhöhter myokardialer Energieverbrauch sowie abnormer Kontraktionsablauf der Ventrikel können zu einer signifikanten Einschränkung des Herzzeitvolumens führen

körperliche Befunde und Leitsymptome

  • Symptomatik richtet sich nach dem Lebensalter, der kardialen Anatomie sowie nach Typ und Kammerfrequenz der vorliegenden Tachyarrhythmie
  • bei Säuglingen entwickelt sich bei den paroxysmalen SVT mit Kammerfrequenzen von teilweise >250/min aufgrund der verkürzten diastolischen Füllung der Ventrikel rasch eine Herzinsuffizienz
  • bei Kindern und Jugendlichen mit paroxysmaler SVT sind Palpitationen das führende Symptom, gefolgt von Schwindel und Unwohlsein; synkopale Ereignisse sind selten
  • ventrikuläre Tachykardien sind mit Palpitationen, Schwindel und Synkopen assoziiert und können bei hohen Herzfrequenzen zum plötzlichen Herztod führen

Diagnostik

  • Standard-EKG (12 Ableitungen) mit langem Rhythmusstreifen
  • Suche nach EKG-Markern pathologischer Erregungsausbreitungs- und Rückbildungsmuster im Standard-EKG: Präexzitationssyndrome, Long-QTSyndrome (LQTS), Short-QT-Syndrome (SQTS), Brugada-Syndrom (BRS), arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC), angeborene Herzfehler (z.B. QRS-Breite ≥180 ms bei Patienten nach Korrektur einer Fallotschen Tetralogie)

Therapie

  • vor und während jeder akuten Behandlung (z. B. Kardioversion, Gabe von i.v.-Antiarrhythmika) sollte eine EKG-Aufzeichnung (möglichst 12 Ableitungen) angestrebt werden
  • Therapie ist bei Kindern mit symptomatischen und/oder potentiell bedrohlichen tachykarden Herzrhythmusstörungen indiziert
  • Säulen der Therapie akuter Tachyarrhythmien
    • Vagus-Manöver (bei SVT: z. B. Eisbeutel auf Gesicht zur Auslösung des Tauchreflexes, Bauchpresse, usw.)
    • pharmakologische Interventionen
      • primäres i.v.-Antiaarhythmikum: Adenosin als i.v.-Bolus
      • 0,1-0,3 mg/kg i.v. als rascher Bolus, max. 12 mg
      • i.v.-Therapie mit einem ß-Blocker wird aufgrund der negativ inotropen Wirkung nicht empfohlen
    • externe Kardioversion
      • bei instabilem Kreislauf ist die externe Kardioversion mit 1J/kg erforderlich
  • Akuttherapie
    • primäre Notfallbehandlung: externe Kardioversion mittels synchronisiertem DC-Schock bei VT oder die Defibrillation (asynchron) bei VF bzw. hämodynamisch instabiler VT
    • biphasische Schocks effektiver als monophasische und verursachen weniger myokardiale Funktionsstörungen
    • pädiatrische Flächenelektroden (4,5 cm im Durchmesser) sollten bei Kindern unter 10 kg angewendet werden
    • von primärer intravenöser Gabe von Antiarrhythmika ist abzuraten
      • Adenosin dagegen kann prinzipiell bei einer Tachykardie mit breiten QRS-Komplexen verabreicht werden
    • bei Schock-refraktärem Kammerflimmern/hämodynamisch instabiler VT intravenöse antiarrhythmische Therapie mit Amiodaron oder Lidocain nach der 3. bzw. nach der 5. erfolglosen Schockabgabe zusammen mit der Gabe von Adrenalin erfolgen
      • Amiodaron: initial 5 mg/kg i.v. über 30 min, Dauerinfusion 10 – max. 20 mg/kg/d
      • Lidocain: 1 – 1,5 mg/kg i.v., danach 1 – 4 mg/min
1. Schockbei Erfolglosigkeit
Kardioversion (synchronisiert)1 J/kgKG2 J/kgKG
Defibrillation (asynchron)4 J/kgKG4 J/kgKG
Quelle: https://register.awmf.org/assets/guidelines/023-022l_S2k_Tachykarde_Herzrhythmusstoerungen-Kinder-Jugendliche-junge-Erwachsene_2019-04.pdf
  • Therapie bei LQTS
    • bei LQTS Typ 1 und 2 sind ß-Blocker (z. B. Esmolol, Propranolol i.v.), Magnesium i.v. und bei bestehender Bradykardie eine temporäre Kammerstimulation hilfreich
    • bei LQTS Typ 3 führt die Kammerstimulation zusammen mit Lidocain i.v. zu einer Stabilisierung
    • bei ungeklärter genetischer Situation können ß-Blocker, Magnesium und Lidocain verabreicht werden
    • Magnesium: initial 2-4(-6) g i.v. über 20 min
Quelle: https://register.awmf.org/assets/guidelines/023-022l_S2k_Tachykarde_Herzrhythmusstoerungen-Kinder-Jugendliche-junge-Erwachsene_2019-04.pdf
Published inLeitlinien kompakt

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