Seit 2018 findet jährlich der Emergency Medicine Day statt. Der diesjährige Emergency Medicine Day steht unter dem Motto „Climate change is a Health Emergency, too!“, also „Auch der Klimawandel ist ein gesundheitlicher Notfall!“. Ein Motto was uns hier bei FOAMio aus dem Herzen spricht. Es wird also keine*n verwundern, dass es hier und heute auch darum gehen wird, wie sich das verändernde Klima auf unsere Arbeit in der Notfallmedizin auswirken wird!
Eine zusammenfassende Studie der Universität Hawaii aus dem Jahr 2023 hat insgesamt 277 verschiedene Krankheiten ermittelt, die der Klimawandel begünstigt.
Schon heute weiß man das rund 70 % der weltweiten Todesfälle laut IPCC-Report durch Krankheiten bedingt sind, welche durch das Klima beeinflusst sind. In klaren Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dasss laut der WHO in den Jahren zwischen 2030 – 2050 jedes Jahr 250.000 Menschen aufgrund der Klimakrise versterben werden und die Tendenzen ist leider klar steigend. Dies unterfüttern auch die Ergebnisse einer hawaiianischen Studie aus dem letzten Jahr, welche zeigen konnte das insgesamt 277 verschiedene Krankheiten vom Klimawandel begünstigt werden. Aber auch im letzten IPCC-Report konnten weitere klar die Gesundheit beeinflussende Faktoren ermittelt werden, z.B. dass wahrscheinlich zwischen 8.000.000 – 80.000.000 Menschen bis ins Jahr 2050 durch Hunger und Mangelernährung gesundheitlich bedroht sind.
Inwiefern sich der Klimawandel als großes Phänomen unsere Gesundheit bedroht bzw. weiter bedrohen wird, zeigt zum einen die vorstehende Grafik aus dem Ärzteblatt sowie die Grafik aus dem Sachstandsbericht „Klimawandel und Gesundheit 2023“ des RKI.
Auch bei uns in Deutschland wird immer wieder betont wie drängend das Problem der Klimakrise ist und das nicht nur in Bezug auf das große Feld der (Notfall-)medizin. So sagt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR): „Der Klimawandel wird als die größte globale Gefahr für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert bezeichnet und vom Weltklimarat als existenzielle Bedrohung für die Menschheit beschrieben“ und „Neben direkten Folgen des Klimawandels durch sich verändernde Klimaelemente, wie die steigende Zahl von Hitzetagen und Starkregenereignissen, können – und werden – sich aber auch indirekte Effekte (zum Beispiel ein Mangel an Trinkwasser) negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Einzelnen auswirken.“. Die „Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 für Deutschland“ des Umweltbundesamt deklariert die folgenden acht Klimarisiken, welche sich relevant auf die menschliche Gesundheit und die gesundheitliche Versorgung auswirken werden:
- Hitzebelastung
- allergische Reaktionen durch Aeroallergene pflanzlicher Herkunft
- potenziel schädliche Mikroorganismen und Algen
- UV-bedingte Gesundheitsschädigung
- Verbreitung und Abundanzveränderungen von möglichen Vektoren
- Atembeschwerden aufgrund von Luftverunreinigung
- Verletzungen und Todesfälle infolge von Extremereignissen
- Auswirkungen auf das Gesundheitssystem
Bezüglich dieser acht Punkte gibt das Umweltbundesamt auch eine Prognose, wenn wir uns ohne Anpassung zu diesen Klimarisiken verhalten…
… und wenn wir Anpassung im Handlungsfeld „Menschliche Gesundheit“ vornehmen.
Um einige der zuvor genannten Punkte sowie weitere nicht genannte Punkte wird es also im heutigen Beitrag zum Emergency Medicine Day gehen.
Zunahme von Infektionserkrankungen
- Temperaturgrenze für Übertragung vieler Vektor-übertragener Erkrankungen liegt im unteren bei 14 – 18 °C und im oberen Bereich bei 35 – 40 °C (beste Temperaturen für Verbreitung sind rund 30 – 32 °C)
- Zunahme bekannter Infektionskrankheiten, v.a. Vektor- & Nagetier-übertragene Erkrankungen, durch die größere Verbreitung der Vektoren (z.B. jährliche Inzidenzzunahme von FSME-Erkrankungen, v.a. in Bayern & BaWü, zw. 2001 – 2018 um 2 %)
- Zunahme neuer Infektionskrankheiten durch die Ausbreitung nicht ansäßiger Mücken, Vogel- und Säugetierarten (z.B. Krim-Kongo-Fieber, Dengue, Chicungunya, Zika, Malaria und Gelbfieber durch exotische Stechmückenarten wie die Asiatische Tigermücke)
- Zunahme wasserübertragener Infektionen durch Erwärmung der Weltmeere (z.B. Vibrionen in Brack- und Meerwasser mit der Gefahr potenziell tödlicher Infektionen oder Cholera & Typhus durch vermehrte Ablage von Mückeneiern in stehenden Gewässern nach Stürme & Überflutungen; Gastroenteritisausbrüche nach extremen Niederschläge)
- Zunahme lebensmittelassoziierter Infektionen (z.B. linearer Anstieg der Salmonellenfälle um 5 – 10 % pro 1 °C Lufttemperatur)
- verstärkte Antibiotikaresistenzen gegen Erreger (z.B. bei Temperaturanstieg um 10 °C im Laborumfeld Anstieg der Resistenz von Escherichia coli um 4,2 %, von Klebsiella pneumoniae um 2,2 % und von Staphylococcus aureus um 2,7 %)
- RKI schätzt, dass es 40 – 50 Mal mehr Infektionsfälle geben wird
Passend zum Thema der Infektionskrankheiten gab es hier bei FOAMio am 30.01. diesen Jahres auch einen Beitrag zum Welt-NTD-Tag, also dem Welttag der vernachlässigten Tropenkrankheiten unter https://foamio.org/30-01-welt-ntd-tag-vernachlaessigte-tropenkrankheiten/
Zunahme von allergischen Erkrankungen
- globale Asthma-Epidemie ist frühe Manifestation des Klimawandels (mehr Asthma-Fälle in warmen Regionen und mehr saisonal bedingte Asthmaexazerbationen)
- früherer Beginn der Pollensaison
- längere Dauer der Pollensaison
- ggf. fließender Übergang von einer Pollensaison in die nächste Pollensaison
- 20 – 30 % der Deutschen leiden unter Allergien
- Heimischwerden neuer hochallergener Pflanzen wie Ambrosia
- Pollen werden selbst aggressiver (vmtl. auch als Reaktion auf die vielen Umweltschadstoffe) –> dadurch auch Zunahme der Fälle von allergischem Asthma (Etagenwechsel)
- höherer CO2-Gehalt im Boden + erhöhter Pflanzenstoffwechsel + längere Vegetationsperioden + anhaltende Trockenheit –> erhöhter Pollenflug
- höhere ZNA-Einweisung aufgrund von unklaren Atemwegssymptomen und Asthma
Verletzungen und Todesfälle aufgrund von Extremwetterereignissen
- bis 2050 weltweit ca. 14.500.000 Tote infolge von Extremwetterereignissen, Waldbränden und dem Meeresspiegelanstieg
- 9-fach erhöhtes Risiko für verheerende Überflutungen im Zuge der Zunahme starker Regenfälle in Westeuropa (Intensität der Regenfälle um rund 19 % zugenommen)
- Abschmelzen der Gletscher und/oder starke Regenfälle sorgen für Zunahme bei Schuttabrutschen an Hängen & Bergen
- mehr Sturmfluten und Überschwemmungen entlang von Küstenlinien und auf Inseln durch Anstieg des Meeresspiegel (3,6 mm Anstieg pro Jahr zwischen 2006 und 2015)
- 2018 mehr als 60.000 Todesfälle durch Naturkatastrophen in Europa
- über 6 Monate im Jahr 2020 gab es weltweit ingesamt 84 Katastrophen wie Dürren, Überschwemmungen und Stürme, von welchen rund 51.600.000 Menschen betroffen waren
- infolge von Extremwetterereignissen mehr Ertrinken, Traumata, Unterkühlung, Exposition ggü. Industriechemikalien sowie psychische Erkrankungen wie akute Belastungsreaktionen, PTSB, Suizide etc.
- PTSB bei ca. 5 % der Betroffenen von Naturkatastrophen
- stärker betroffen sind v.a. Kinder, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status
- Extremwetterereignisse können ggf. auch mit erheblichen Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur (Schäden an Gebäuden, ausbleibende Notstrom- & Trinkwasserversorgung) sowie verletztem oder nicht mehr einsetzbare Personal verbunden sein
Zunahme von Luftschadstoff-assoziierten Erkrankungen
- lokal erhöhte Feinstaubexposition bei zunehmender Zahl von Waldbränden –> ca. 20 % mehr Ashtma-bedingte ZNA-Vorstellung + höhere Verschreibung oraler Steroide (um 5 % erhöhte Gesamtmortalität im Zuge von Waldbränden in Australien)
- verringerte Ozon-Aufnahme durch Trockenstress bei Pflanzen –> erhöhte gesundheitsschädliche bodennahe Ozonkonzentration –> mehr Atemwegserkrankungen + Anstieg der ozonbedingten Sterblichkeit um 4,5 % bis 2050
- erhöhte Feinstaubbelastung bzw. Luftverschmutzung sorgt für Anstieg von Atemwegserkrankungen wie Asthma, Heuschnupfen, allergischer Rhinitis, Pneumonien etc.
- jährlich rund 3.300.000 Todesfälle weltweit in Zusammenhang mit Luftschadstoffen wie Ozon, Stickoxide, Methan und Feinstaub
- etwa 99 % der Weltbevölkerung atmen Luft ein, deren Schadstoffwerte über Richtwerten liegen (v.a. in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen)
- Luftverschmutzung ist entscheidender Risikofaktor für nicht übertragbare Krankheiten und weltweit für etwa 24 % aller Todesfälle bei Erwachsenen durch Herzerkrankungen, 25 % durch Schlaganfälle, 43 % durch COPD und 29 % durch Lungenkrebs verantwortlich
Störungen des Gesundheitssystems (z.B. Überlastung bei Großschäden)
- um 80 % reduzierte Krankenhauskapazitäten in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina
- akute Phase nach Extremwetterereignissen sorgt für umittelbare Überlastung der präklinischen & innerklinischen Notfallmedizin und Notaufnahmen dienen nicht selten als erste Anlaufstelle für die betroffene Bevölkerung
- weitere Überlastung in den Tagen & Wochen nach Großschadensereignissen, z.B. durch Exazerbation chronischer Erkrankungen, fehlender medikamentöser und primärgesundheitlicher Versorgung (z.B. mehr Diabetes-Komplikationen, Herzinfarkte und Tachyarrhythmien)
- extreme Temperaturen sorgen für mehr Schlaganfälle oder Herzinfarkte innerhalb weniger Tage nach den Hitzeextrem
weitere (mögliche) Gesundheitsrisiken
Zunahme hitzeassoziierter Erkrankungen & Todesfälle
Das große Thema der hitzeassoziierten Erkrankungen und Todesfälle werden wir im heutigen Beitrag aussparen, da es am 05.06., dem Hitzeaktionstag, hierzu einen größeren Beitrag unter folgendem Link geben wird: https://foamio.org/05-06-hitzeaktionstag/
Einfluss auf psychische Belastungen
Hinsichtlich der Auswirkungen der Klimakrise auf die psychische Gesundheit gab es hier bei FOAMio im März letzten Jahres schon einen größeren Beitrag, welchen Ihr unter folgender Adresse findet: https://foamio.org/im-notfall-psychiatrie-exkurs-psychische-gesundheit-und-die-klimakrise/
Zunahme von Medikamenteninteraktionen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln
Schon lange gibt es Vermutungen, dass Medikamente die Morbidität und Mortalität im Rahmen von Hitzewellen im negativen Sinne beeinflussen. Indizien hierfür sind z.B.
- Auswirkung von Hitze auf die Arzneimittel selbst im Rahmen der Lagerung (25 °C gelten als kritischer Richtwert)
- Schädigung von Medikamenten durch Hitze, v.a. halbfeste oder flüssige Darreichungsformen, aber auch Insulin in Insulinpumpen nach starker Aussetzung ggü. Hitze
- erhöhtes Risiko für KH-Einweisung bei Einnahme von Medikamenten wie ACE-Hemmern, Angiotensin-Rezeptor-Blockern, Diuretika (v.a. in Verbindung mit den zwei zuvor genannten Medikamentengruppen), Betablocker, NSAR, Anticholinergika, Antidepressiva sowie Antipsychotika
- Beeinflussung der Pharmakokinetik durch Hitze (z.B. doppelte systemische Verfügbarkeit transkutaner Arzneimittel wie Fentanylpflaster aufgrund lokaler Wärme & erhöhtem kutanen Blutfluss oder bis zu 33 % schlechtere Nieren- & Leberperfusion bei extremer Hitze)
- dekompensierte Vorerkrankungen wie Herzinsuffizienz durch Hitze verbunden mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie malignes neuroleptisches Syndrom bei Parkinson
- eingeschränkte Organfunktion nach unzureichender Hydrierung sorgt für verminderte Ausscheidung von Medikamenten (Nierenfunktionsstörung ist einer häufigsten Einweisungsgründe im Rahmen von Hitzewellen)
- eingeschränkte Mechanismen zur Thermoregulation des Körpers
- Schwitzen eingeschränkt durch antimuskarinerge Arzneimittel (z.B. Anticholinergika etc.)
- kutane Vasodilatation eingeschränkt und konvektive Wärmeabgabe vermindert durch Sympathomimetika
- Durst eingeschränkt durch ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker
- zentrale Temperaturregulation abhängig von Monoaminen wie Serotonin, also von neurologischen & psychiatrischen Krankheiten sowie psychotropen Arzneimitteln
Inwieweit sich die Hitze auf Medikamente und ihre (Inter)aktion auswirkt zeigt die nachfolgende Grafik aus den Heidelberger Standards der Klimamedizin:
Quellen
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