veröffentlichende Fachgesellschaft: Indian Society of Critical Care Medicine (ISCCM) & Indian Association of Palliative Care (IAPC)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 05.02.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://jaypee-submission.s3.amazonaws.com/myFolder/71708/IJCCM_24_70_FinalFile.pdf?AWSAccessKeyId=AKIAIZHXPTJU2AC2KE4Q&Expires=2024433646&Signature=aPD1FOOafKwtxvIYBqBhm4W8QiY%3D
Grundsätzliches
- bei Diskussion über den Übergang zur palliativen Versorgung sollte der Schwerpunkt auf Leiden der Patient*innen und nicht auf Rechtmäßigkeit der Behandlungsbegrenzung liegen
- neben unheilbaren Krankheiten und drohendem Tod sollte auch schwere irreversible Behinderung als Grund für Entscheidung über Behandlungsbegrenzung berücksichtig werden
- Kriterien für ITS-Aufnahme sollten Patient*innen ausschließen, deren Krankheitszustand eindeutig dazu führt, dass ITS-Behandlung keinen oder nur geringen Nutzen hat und ITS-Behandlungsversuch ausgeschlossen ist
- bei der Thematisierung verfügbarer Behandlungsoptionen, die möglicherweise ungeeignet sind, sollte auch Option „nur Palliativmedizin“ als Standard der Versorgung erwähnt werden
Kriterien für einen guten Tod/ein gutes Sterben
- effektive/wirksame Kommunikation und Beziehung zum med. Personal
- Durchführung von kulturellen, religiösen oder anderen spirituellen Ritualen
- Erleichterung von emotionalem Leid oder anderen Formen von psychischem Stress
- Autonomie in Bezug auf behandlungsbezogene Entscheidungen
- Sterben am gewünschten Ort
- Leben nicht unnötig verlängern
- sich der tiefen Bedeutung des Geschehens bewusst sein
- emotionale Unterstützung durch Familie und Freunde
- Niemandem zur Last fallen
- Linderung von körperlichen Schmerzen und anderen körperlichen Symptomen
- Recht, das eigene Leben zu beenden (selbstbestimmtes Sterben)
ethische & moralische Dilemmas in Sterbebegleitung
- typische ethische & moralische Dilemmas
- „Autonomie“ (Recht auf Selbstbestimmung): Recht, die Art und Weise der medizinischen Behandlung selbst zu bestimmen, was bedeutet, den Patient*innen Gelegenheit und Zeit geben müssen, ihre freie Entscheidung zu treffen (wenn Entscheidungskommunikation nicht mehr möglich ist, sind Patient*innenverfügung, Wünsche der Familie bzw. von gesetzlich Bevollmächtigten o.Ä. zu berücksichtigen)
- „Nächstenliebe/Fürsorge/Mildtätigkeit“ (engl. Beneficence): gewissenhaftes Handeln, das das Wohl der Patient*innen fördert, also bei unausweichlichem Tod den Sterbeprozess zu ermöglichen (weder zu beschleunigen noch zu verzögern), unerwünschte Behandlungen und ungerechtfertigte finanzielle Belastungen zu vermeiden und rechtzeitig emotionale Unterstützung zu leisten
- „Nichtschadensprinzip“ (engl. Nonmaleficence): hier besteht eine größere Auslegeproblematik, da ein und dieselbe Handlung je nach Umständen als schädlich oder nützlich angesehen werden kann (potenz. Nutzen muss potenz. Schaden überwiegen)
- „Verteilungsgerechtigkeit“: alle Patient*innen sollten ungeachtet ihres Alters, Geschlechts, ihrer Religion, Rasse, ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Standes im Leben die gleiche Behandlung erhalten (CAVE: bei Ressourcenknappheit kann ein gewisses Maß an Rationierung und Prioritätensetzung vorbehaltlich einer Überprüfung zulässig sein)
- Vorgehensweise zur Lösung ethisch & moralischer Dilemmas
- Definition des Problems (z.B. mech. Beatmung, Koniotomie, CPR)
- Abwägen von Nutzen und Schaden
- Erfragen der Präferenzen der Patient*innen (und ggf. der Angehörigen etc.)
- Erörtern der Lebensqualität mit/ohne Interventionen zusätzlich zur Lebenserwartung
- Einordnen in den Kontext der familiären und sozioökonomischen Umstände
Prognose & Erkennung unangemessener Therapien
- Definition „Aussichts-/Zwecklosigkeit“: gewünschtes Ergebnis in Bezug auf Überleben und Lebensqualität ist unerreichbar oder es ist lediglich eine dauerhafte Bewusstlosigkeit mgl.
- Feststellung der Aussichts-/Zwecklosigkeit ist nicht streng objektiv, da sie unweigerlich wert- und urteilsbeladene Komponenten enthält
- Entscheidungen sollten ethisch vertretbar sein und die Menschenwürde und das allgemeine Wohl fördern
- CAVE: alternative Begriffe integrieren widersprüchliche ethische Erwägungen, die ein Element der Unsicherheit suggerieren (z.B. vermittelt „nicht nützlich“ den Eindruck, dass Eingreifen bewusst unterlassen wird)
- zu berücksichtigende Faktoren, die sich auf Prognose auswirken, sind persönliche Voreingenommenheit, Kommunikationsfähigkeit und Bereitschaft, sich moralischen Dilemmata zu stellen
- kein Scoring-System ist gänzlich verlässlich, jedoch können Scores die klinische Beurteilung unterstützen (z.B. Criteria for Screening and Triaging to Appropriate aLternative care (CriSTAL) in der Hospizversorgung, APACHE II auf ITS)
Definitionen und Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen
- Definitionen
- „unheilbare Krankheit“: irreversibler oder unheilbarer fortgeschrittener Krankheitszustand, bei dem in absehbarer Zeit (ca. 12 Monate oder weniger) mit dem Tod zu rechnen ist
- „Vorenthalten lebenserhaltender Behandlung“: Unterlassen der Einleitung oder Ausweitung einer lebenserhaltenden Behandlung
- „Abbruch lebenserhaltender Behandlung“: Abbrechen oder Unterbrechen einer lebenserhaltenden Behandlung, ohne sie durch eine alternative Intervention zu ersetzen
- „Wohlergehen“ bzw. „im besten Interesse“: Grundsatz, nach dem Ärzt*innen sicherstellen müssen, dass potenzieller Nutzen einer Behandlung den potenziellen Schaden überwiegt, oder Behandlungen zu vermeiden, die keinem therapeutischen Zweck dienen
- „gemeinsame Entscheidungsfindung“ (engl. shared decision making): Kommunikationsansatz, der vorsieht, Informationen auszutauschen und Entscheidung gemeinsam und gleichberechtigt zu finden
- „Patient*innenverfügung“: schriftliche Erklärung einer entscheidungsfähigen Person, in welcher dokumentiert ist, wie diese im Falle eines Verlustes ihrer Handlungsfähigkeit medizinisch behandelt oder nicht behandelt werden möchte
- „Do-not-resuscitate“-Anordnung (DNR): mündlich oder schriftlich festgelegte Weisung an medizinisches Personal, dass grundsätzlich keine Wiederbelebung durchgeführt werden soll
- bei Patient*innen > 80 Jahre liegt in 27,2 % eine Verzichtserklärung bzgl. lebenserhaltender Behandlung vor (in 15 % Abbruch und in 12,2 % Zurückhaltung in bzgl. lebenserhaltender Therapien)
Clinical Pathway bzgl. palliativer Behandlung
- Schritt 1: reflektierte prognostische Beurteilung potenziell unangemessener lebenserhaltender Behandlungen
- Kombination objektiver und subjektiver Bewertungen ist zuverlässiger als Bewertungssysteme allein
- Akzeptieren von Ungewissheit und Einräumen von Zeit zur Klärung sind wichtige Verhaltensweisen des Arztes
- Teamdiskussionen über prognostizierte Verlaufsverläufe des Zustands der Patient*innen sind für die prognostische Klarheit von entscheidender Bedeutung
- Schritt 2: Konsensfindung unter med. Personal (ggf. nicht nur klinisches Personal, sondern auch Hausärzt*innen und/oder niedergelassene Fachärzt*innen)
- Schritt 3: frühzeitige und nach Bedarf stattfindende multidisziplinäre Patienten-/Familiengespräche
- wenn Patient*in fähig ist, sich an Entscheidungsfindung zu beteiligen, sollte direkte Kommunikation mit gebotener Sensibilität versucht werden
- erwachsene, handlungsfähige Patient*innen haben Recht, die Einleitung oder Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen zu verweigern, auch wenn diese lebensverkürzend sind
- erstes multidisziplinäres Familientreffen sollte innerhalb von 48 h stattfinden
- Schritt 4: gemeinsame Entscheidungsfindung bei Entscheidungen zur Behandlungseinschränkung
- einfache & kulturell sensible Sprache/Begriffe verwenden und Fachjargon vermeiden
- Gespräche sollten ehrlich, eindeutig, einfühlsam und einfühlsam sein (aktives Zuhören)
- Schritt 5: einheitliche Pflegeplanung realisieren
- Übergabe und Nachbesprechung bei Schichtwechsel ist unerlässlich
- alle Mitarbeitende müssen Pflegeplan und die festgelegte Therapieziele/-grenzen kennen
- Schritt 6: Genehmigung von Pflegeplan und Therapiezielen/-grenzen durch Secondary Medical Board
- Schritt 7: Umsetzung von Pflegeplan und Therapiezielen/-grenzen
- Schritt 8: Eingehen auf physischen, emotionalen und spirituellen Bedürfnisse der Patient*innen und der Familie
- Überwachung körperlicher Symptome und Titration der Medikamente sind unbedingt erforderlich
- Routinetätigkeiten beenden, die für sterbende Patient*innen belastend sind
- Konzentration auf Bewältigung von Angstzuständen, Depressionen und Delirium
- Anwesenheit der Familie und Beteiligung an Pflege ermöglichen (großzügige Besuchszeiten)
- wenn mgl., Patient*in in Einzelzimmer oder relativ ruhigeren Teil der ITS verlegen
- Schritt 9: Trauerbegleitung
- Schritt 10: Aufsicht und Qualitätskontrolle des Pflegeprozesses
relevante Gründe für gute Kommunikation
- Erhalt vollständiger Informationen von Familie/Vertreter*innen (z.B. Krankheitsgeschichte)
- Aufbau von Vertrauen und Zuversicht bei Patient*innen und Familien, da emotionale Unterstützung
- Übermittlung prognostischer Informationen, um Verständnis der Familie und zielgerichtete Pflege sicherzustellen
- taktvolles Überbringen schlechter Nachrichten
- Werte und Wünsche der Patient*innen von Angehörigen/Vertretenden zu erfragen, um Gespräche über Patientenverfügung/-wille bei Patient*innen im Endstadium zu initiieren
- gemeinsame Entscheidungsfindung für Therapiezielen/-grenzen zu erreichen
- um soweit möglich, Konflikte mit Familie zu verhindern oder zu lösen
- um Konflikte innerhalb des Behandlungsteams zu lösen
- unterstützendes Klima für Kolleg*innen bieten, um berufliche Integrität und Zufriedenheit zu fördern und Burnout zu verhindern
spezifische Therapieansätze
- Distress bei Therapielimitierung: Midazolam 2 – 4 mg als Bolus (ggf. Wdh. der Bolusdosis)
- Distress & Durchbruchssymptome: 5 – 10 mg Morphin als Bolus, gefolgt von Dauerinfusion mit 50 % der initialen Dosis/h (ggf. Wdh. der Bolusdosis)
- Durst/Mundtrockenheit: Schlucke von Wasser/Eiswürfel zum Lutschen; künstlicher Speichel
- Schmerzen, Unruhe: Nichtopioid-Analgetika, Ketamin, COX-Hemmer, Gabapentin sowie Morphin-/Fentanyl-Infusion bzw. in titrierten Dosen
- Übelkeit: Antiemetika-Gabe
- Delirium: Haloperidol, Clonidin, Quetiapin; Patient*innen-Umgebung verbessern (mehr Ruhe, weniger Licht etc.)
- Dyspnoe: Lagerung, O2-Gabe, wenn mgl., NIV nur, wenn relevante Linderung, Luft ins Gesicht fächern, Morphin-/Fentanyl-Infusion bzw. in titrierten Dosen (Flüssigkeitsüberlastung vermeiden)
- Angstzustände: Benzodiazepin-Gabe, Beruhigung, Zuhören, Gesprächsangebote, Anwesenheit der Familie und großzügige Besuchszeiten
- Angst, Einsamkeit, Unsicherheit, existenzielle Not: therapeutisches Gespräch, Unterstützung durch Therapeut*innen, spirituelles Ambiente
- Schlafmangel: Lärmreduktion, Überprüfungsintervall der Vitalparameter minimieren, Verlegung in ruhigeren Bereich/Zimmer
Strategien zum Umgang mit spirituellen Bedürfnissen von Patient*innen und Familien
- offene Fragen in Familienkonferenzen
- Fokussierung auf humanistischen Bedürfnisse
- aktives Zuhören bei Äußerungen zu Glaube und Hoffnung
- einfühlsames Zuhören, ohne die eigenen Überzeugungen aufzudrängen
- Erlauben von nicht-aufdringlichen religiösen Ritualen/Praktiken
- Erleichterung der religiösen Beratung durch Priester*innen/Geistliche
- Bereitstellung eines ruhigen Raums für Familien zum Beten und Meditieren
Dokumentation
- Uhrzeit und Datum der Gespräche/Sitzung(en)
- am Gespräch beteiligte Person(en)
- medizinische Einzelheiten, die zur Entscheidung geführt haben, inkl. Prognose
- Erklärung über Wünsche der Patient*innen und wer Patient*innenverfügung vorgelegt/bestätigt hat
- besprochene Optionen & vereinbarte Therapieziele/-grenzen
- abzulehnende/abzubrechende sowie fortzusetzende Behandlungen
- Organ- oder Gewebespende mgl. (Organspendeausweis vorliegen?)
- Unterschriften von Familienmitglieden/gesetzlichen Vertretenden, Behandlungsteam sowie Patient*innen, wenn mgl.
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