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Leitlinie „Domestic Abus & Violence“ der EUSEM

veröffentlichende Fachgesellschaft: European Society for Emergency Medicine
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 2018
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://eusem.org/education/documents/guidelines

Definition

  • Häusliche Gewalt
    • Muster von Verhaltensweisen, welche von Erwachsenen und Jugendlichen angewandt werden, um Macht und Kontrolle über einen anderen Erwachsenen, Jugendlichen oder ein Kind auszuüben.
    • ernstes und komplexes gesundheitliches und gesellschaftliches Problem, das Menschen in allen Lebensphasen betrifft und in all seinen Formen tiefgreifende Folgen hat
    • vorsätzliche, angedrohte oder tatsächliche Anwendung von körperlicher Gewalt oder Macht gegen sich selbst, eine andere Person oder gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, die entweder zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden oder Fehlentwicklungen führt oder mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen wird (Definition WHO)
  • nötigendes Verhalten
    • Handlung oder Muster von Handlungen des Angriffs, der Drohung, der Demütigung und Einschüchterung oder anderen Missbrauchs, der dazu dient, das Opfer zu schädigen, zu bestrafen oder zu ängstigen (Definition Regierung Großbritannien)
  • kontrollierendes Verhalten
    • Reihe von Handlungen, die darauf abzielen, eine Person unterzuordnen und/oder abhängig zu machen, indem man sie von Unterstützung isoliert, ihre Ressourcen und Fähigkeiten zur persönlichen Bereicherung ausnutzt, sie der Mittel beraubt, die sie für ihre Unabhängigkeit benötigt, Widerstand unterminiert und Flucht verhindert und die ihr Alltagsverhalten reguliert (Definition Regierung Großbritannien)
  • häuslicher Missbrauch
    • vorsätzliche zwischenmenschliche Gewalt oder Missbrauch von Kindern aller Altersgruppen durch Erwachsenen unabhängig von Geschlecht und Alter durch ein Familienmitglied, einen Partner oder eine Betreuungsperson im häuslichen Umfeld (Definition EUSEM)

Arten von psychisch missbräuclichen Verhaltensweisen durch Betreuungspersonen

Verschmähen– Zurückweisung
– lächerlich machen, weil man normale Gefühle zeigt
– in der Öffentlichkeit erniedrigen
Terrorisieren– Unterbringung in chaotischen Verhältnissen
– Unterbringung in gefährlichen Situationen
– unrealistische Erwartungen haben, die mit Drohungen einhergehen, wenn diese nicht erfüllt werden
Isolieren– Einschränkung sozialer Interaktionen in der Gemeinschaft
Ausbeuten/Korrumpieren– Zulassen oder Ermutigen von unsozialem Verhalten
– Einschränkung der psychischen Autonomie
Verweigerung emotionaler Regungen– losgelöstes und unbeteiligtes Verhalten
– keine Liebe oder Lob während der
Entwicklung in der Kindheit
psychische, medizinische, erzieherische Vernachlässigung– Einschränkung des Zugangs des Kindes zur notwendigen medizinischen Versorgung
– Verweigerung für die körperliche
Gesundheit, Bedürfnisse oder die
Bildung zu sorgen

körperliche Untersuchung

Beurteilung der Haut

  • Schwellungen oder Deformitäten
  • Druckempfindlichkeit der Knochen
  • Prellungen
  • Abschürfungen
  • Riemenspuren
  • Hämatome (in Form von Hand-, Stock- oder Zahnabdrücken)
  • Verbrennungen oder Bisswunden

Beurteilung des Bewegungsapparates

  • Frakturen wie Oberschenkelbrüche bei einem Kind, das noch nicht laufen kann, beidseitige Frakturen von langen Knochen, Schädelfrakturen, Frakturen des Brustbeines oder des Schulterblattes, Rippenfrakturen
  • weitere Befunde bei Verdacht auf körperliche Misshandlung
    • Verletzungen, die nicht mit der Anamnese übereinstimmen
    • multiple Frakturen in verschiedenen Heilungsstadien, die mit koexistierenden Verletzungen einhergehen
    • plötzliches Auftreten eines veränderten mentalen Status
    • Blutergüsse an der Ohrmuschel, am Hals oder am Bauch
    • genitale oder Verletzungen; anogenitale Verletzungen und Anzeichen
    • thermische Verletzungen (Verbrennungen, die älter sind, als man sie aufgrund der gegebenen Erklärung erwarten würde; Verzögerungen von > 2h bis zum Aufsuchen des Arztes; symmetrische Verteilung der Verbrennungen; Verbrennungen am Gesäß und Damm (Donut-Zeichen); Anzeichen für erzwungenes Untertauchen; Verbrennungen am hinteren Oberkörper; Verbrennungsspuren an mehreren Körperteilen; Verbrennungsspuren, die der Form von bestimmten Gegenständen ähneln

Bewertung von psychischem Missbrauch

  • Beobachtung der Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind kann wertvolle Informationen über die Qualität ihrer Beziehung liefern
  • Bewertung von Rückschritten oder Verschlechterungen im Entwicklungsverhalten des Kindes

Screening-Tool für häusliche Gewalt in Partnerschaften

  • HITS
    • How often does your partner physically hurt you? / Wie oft verletzt Ihr Partner Sie körperlich?
    • Insult you or talk down to you?/ Beleidigt er Sie oder redet auf Sie ein?
    • Threaten you with harm? / Drohte er Ihnen mit Schaden?
    • Scream or curse at you? / Schreit oder flucht er Sie an?
  • PVS (Partner Violence Screen)
    • Wurden Sie im letzten Jahr von jemandem geschlagen, getreten, gestoßen oder anderweitig verletzt? Wenn ja, von wem?
    • Fühlen Sie sich in Ihrer derzeitigen Beziehung sicher?
    • Gibt es einen Partner aus früheren Beziehung, bei dem Sie sich aktuell unsicher fühlen?

Manifestation der verschiedenen Formen der Misshandlung alter Menschen

körperliche Misshandlung

  • Abschürfungen, Risswunden, Prellungen, Knochenbrüche, Verrenkungen
  • Verwendung von Fesseln
  • Verbrennungen
  • Depressionen, Delirium mit oder ohne Verschlimmerung einer Demenz oder demenzbedingte Verhaltensauffälligkeiten
  • schlechte Körperygiene
  • schlechter Ernährungszustand
  • unbehandelte Verletzungen (Hämatome über der Bruchstelle) oder Verletzungen in verschiedenen Stadien der Heilung
  • Medikamentenüberdosierung, Übermedikation, Untermedikation

psychologischer oder emotionaler Missbrauch

  • Veränderungen im Verhalten, ungewöhnliches Verhalten
  • Depressionen, Angstzustände
  • subtile Anzeichen von Einschüchterung, wie z. B. das Abgeben von Fragen an eine Betreuungsperson/potenziellen Missbrauchenden
  • Anzeichen für eine Isolierung des Opfers sowohl von zuvor vertrauten Freunden und Familienmitgliedern
  • zurückgezogenes Opfer mit heftigen Stimmungsschwankungen

finanzieller Missbrauch

  • Opfer fehlt es an grundlegendem Komfort, der normalerweise nicht außerhalb seiner finanziellen Möglichkeiten liegt
  • unerklärliche Verschlimmerung chronischer medizinischer Probleme, die zuvor unter Kontrolle waren
  • Nichteinhaltung von Behandlungstermin und Nichteinnahme von Medikamenten
  • Unterernährung, Gewichtsverlust oder beides, ohne offensichtliche medizinische Ursache
  • Depression, Angstzustände

sexueller Missbrauch

  • Blutergüsse, Abschürfungen, Risswunden im Anogenitalbereich oder am Unterleib
  • neu erworbene sexuell übertragbare Krankheiten, insbesondere bei Pflegeheimbewohnern
  • Harnwegsinfektionen
  • Schwierigkeiten beim Gehen oder Sitzen
  • zerrissene, fleckige oder blutige Unterwäsche, Schmerzen oder Juckreiz im Genitalbereich

Vernachlässigung

  • Dekubiti
  • Unterernährung, Dehydrierung
  • schlechte Körperhygiene
  • Nichteinhaltung des Medikamenteneinnahmen
  • Delirium mit oder ohne Verschlimmerung der Demenz oder demenzbedingte Verhaltensauffälligkeiten

Sonstiges

  • Notfallmediziner sollten…
    • …in der Lage sein, Patienten nach häuslicher Gewalt in all ihren Formen zu identifizieren und zu beurteilen.
    • …bei Kindern, Partnern, älteren Menschen und anderen Familienmitgliedern mit Anzeichen und Symptomen von häuslicher Gewalt und Missbrauch vertraut sein.
    • …medizinische Befunde und relevante Informationen so zu dokumentieren, dass sie als Beweismittel vor Gericht verwendet werden können.
    • …die Opfer häuslicher Gewalt mit ihrem Einverständnis an geeignete Unterstützungsdienste zu verweisen.
    • …Anzeige bei der Polizei gemäß dem Rechtssystem des jeweiligen Landes erstatten.
    • …sich über die gesetzlichen Bestimmungen des Landes zur Meldung häuslicher Gewalt zu informieren.
  • Rettungsdienst ist in einer einzigartigen Position, um Opfer häuslicher/n Gewalt/Missbrauchs zu identifizieren, zu melden und ggf. einzugreifen
    • außerdem können sie bei der Akutversorgung und während des Transports ungewöhnliche oder unangemessene Interaktionen zwischen der Familie und dem Patienten beobachten, respektive ein unsicheres häusliches Umfeld oder Selbstverwahrlosung feststellen
    • Erkennen von häuslicher Gewalt beginnt bereits auf der Ebene der Einsatzannahme während eines Notrufs
      • Disponenten sollten in diesen Fällen das Rettungsdienstpersonal sensibilisieren
    • Beobachtungen und Bedenken des Rettungsdienstes sollten direkt an das Personal der Notaufnahme, Sozialarbeiter oder die zuständigen Behörden zur weiteren Untersuchung weitergeleitet werden
  • Grundprinzipien der guten Praxis in der prähospitalen Notfallversorgung in Fällen von häuslicher Gewalt und Missbrauch:
    • spezifische Protokolle für die Erkennung, Ersteinschätzung und Behandlung aller Formen von häuslicher Gewalt
    • Protokolle zur Übergabe und Weitergabe von Informationen an das Personal der Notaufnahme und andere Behörden rechtzeitig zu übermitteln
    • genaue Dokumentation von Verletzungen und Gesundheitsproblemen, einschließlich des aufgezeichneten Notrufs, zur Verwendung in Gerichtsverfahren
    • Risikobewertung und Sicherheitsplanung
    • Kenntnisse über die Unterstützung und Kontaktaufnahme mit Sozialdiensten, anderen relevanten Behörden und Schutzeinrichtungen als Teil der schulischen und praktischen Ausbildung
Published inLeitlinien kompakt

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