veröffentlichende Fachgesellschaft: BASF Corporate Health Management – Humantoxikologie
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 01.01.2020
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://www.communications.extranet.basf.com/portal/basf/en/dt.jsp?setCursor=1_877454
Grundsätzliches
- 2-Amino-2,3-dimethylbutyronitril
- bei thermischer Zersetzung von 2-Amino-2,3-dimethylbutyronitril entstehen signifikante Cyanwasserstoff-Mengen
- im Körper können durch metabolischen Abbau aus 2- Amino-2,3-dimethylbutyronitril Cyanide gebildet werden, die zu einer Cyanidvergiftung führen
- Geruch des Cyanids warnt nicht ausreichend vor einer gefährlichen Einwirkung
- Lösungsmittel Toluol ist entzündlich
Exposition
- gasförmiges Aminonitril wird schnell über die Lunge aufgenommen; intensive Exposition gegenüber atembarem Toluol kann eine starke Reizung der Lunge verursachen
- Aminonitril wird schnell durch Haut und Schleimhäute aufgenommen und verursacht allgemeine Vergiftung
- obwohl bei Hautexposition der Beginn der Vergiftungssymptome leicht verzögert auftreten kann, ist potentielle tödliche Dosis bereits durch die Verunreinigung einer sehr kleinen Hautfläche mit Aminonitril möglich
- Aminonitril wird sofort im Magen-Darm-Trakt aufgenommen
- Verschlucken kann zu ernster Vergiftung führen
Symptomatik
- anfangs Hautrötung, Pulsbeschleunigung, Atemnot, Kopfschmerzen, Schwindel
- später Agitiertheit, Regungslosigkeit, Bewusstlosigkeit, Atemstillstand, Krampfanfällen, Pulsverlangsamung, Blutdruckabfall und Tod
- in Mund und Rachen kann es zu Brennen und an den Augen zu Rötungen kommen
Maßnahmen
- Eigenschutz durch Tragen eines umluftunabhängiges Atemschutzgerät und eines Chemieschutzanzug (kontaminierte Ausrüstung nicht nochmals verwenden!!!)
- unmittelbare Rettung des Patienten aus Gefahrenbereich
- Einleitung lebensrettender Maßnahmen gemäß ABC-Schema
- „CRASH“-Dekontamination
- vorher schnelle Durchführung lebensrettender Maßnahmen
- komplette Entkleidung des Patienten
- ca. 1 Minute Duschen/Abstrahlung mit viel Wasser, danach Wärmeerhalt!!!
- Reinigung
- bei reiner Exposition mit Dämpfen ohne Haut-/Augenreizung keine speziellen Reinigungsmaßnahmen
- bei verunreinigter Kleidung, diese sofort entfernen
- bei direkter Haut-/Haarexposition Spülung mit Wasser über min. 5 Minuten; danach weitere Reinigung mit Seife und Wasser
- bei ophthalmologischer Beteiligung Augenspülung mit Wasser oder neutraler NaCl-Lösung über min. 5 Minuten (Kontaktlinsen vorher entfernen!!!); Augenspülung während anderer Hilfsmaßnahmen oder Transport fortsetzen → pH-Wert der Tränenflüssigkeit sollte wieder pH 7 erreichen
- nach Verschlucken kein Erbrechen herbeiführen; wenn möglich, unverzüglich Aktivkohle verabreichen
- bei respiratorischer Insuffizienz endotracheale Intubation oder alternatives Atemwegsmanagement; ist dies nicht durchführbar, ggf. Koniotomie
Antidottherapie bei Akutpatienten
- bei ersten Symptomen unverzügliche intravenöse Behandlung; z.B. nach signifikanter (> 10 cm2 Fläche) Hautkontamination mit der Wahrscheinlichkeit weiterer Aufnahme durch die Haut
- Antidot-Behandlung gewöhnlich in zwei Schritte unterteilt:
- Methämoglobinbilder (Amyl- und/oder Natriumnitrit oder 4-Dimethylaminophenol) zum raschen Entzug der Cyanide von den betroffenen Enzymen der Atmungskette
- gefolgt von Wirkstoff (Amyl- und/oder Natriumnitrit oder 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP)), zur Bildung weniger schädlicher Verbindungen mit Cyanid und deren Ausscheidung (Natriumthiosulfat)
- vorher sicherstellin, dass wirklich Cyanidvergiftung vorliegt
- Anwendung nur wenn Patient bewusstlos ist
- keine Gabe bei Rauchvergiftung, da die Methämoglobinbildung neben der Carboxyhämoglobinämie die Sauerstofftransportkapazität weiter verringern würde
- alternatives Antidot: Hydroxocobalamin (Dosis Erwachsene: 5 g in 100 mL NaCl)
- wenn 4-DMAP nicht zur Verfügung steht, sofort Natriumnitrit i.v. infundieren
- Patient sollte liegen, falls Nitrit den Blutdruck senkt
- übliche Erwachsenendosis: 300 mg (10 mL 3%ige Lösung) und nicht über weniger als 5 min (2 – 4 mL/Minute) infundieren
- übliche Dosis für nicht anämische Kinder: 0,15 – 0,33 mL/kg (bis zu 10 mL) einer 3%igen Lösung i.v. und nicht über weniger als 5 min infundieren
- kann mit 50 – 100 mL NaCl gemischt werden
- Blutdrucküberwachung und Infusionsgeschwindigkeit bei sich abzeichnendem Blutdruckabfall reduzieren
- Blutdruckabfall mit Infusion von 10 – 20 mL/kg NaCl behandeln und Patient in die Trendelenberg-Position bringen
- nach Gabe von 4-DMAP oder Natriumnitrit Natriumthiosulfat über Zeitraum von 10 Minuten infundieren
- Erwachsenendosis: 12,5 g (50 mL 25%ige Lösung)
- Kinderdosis: 1,65 mL/kg 25%ige Lösung
- bei Schockzustand Gabe von adrenergen Substanzen in Betracht ziehen
- Dosis Natriumnitrit sollte den Methämoglobinspiegel nicht über 20% erhöhen
- alle Patienten sollten/müssen in ein Krankenhaus/Notfallstation transportiert werden
asymptomatische Patienten
- Patienten, die 2 Stunden nach Exposition durch Inhalieren asymptomatisch geblieben sind (4 Stunden bei anderen Einwirkungswegen) und keine Antidota erhalten haben, können unter folgenden Umständen entlassen werden:
- Beurteilung durch Arzt
- Hinweis zur Alarmierung des Notrufs bei Verschlechterung des AZ
- kein Rauchen für die nächsten 72 Stunden
- keine körperliche Arbeit für die nächsten 24 Stunden
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