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Was ist eigentlich… Suizidalität?

Keiner spricht gerne über den Tod, obwohl dieser tagtäglich das Leben bestimmt. Noch viel mehr wird die Thematik „Suizid“ und „Suizidalität“ ausgespart, obwohl auch jeden Tag viele Menschen direkt oder indirekt betroffen sind.
Weltweit sterben jährlich ca. 800.000 Menschen, indem sie sich selbst das Leben nehmen. Auch die Zahlen in Deutschland sind höher als die meisten wahrscheinlich glauben. 2020 nahmen sich in Deutschland 9206 Menschen das Leben, als 25 Suizide pro Tag. Nur diese Zahlen sollten die gesamte Bevölkerung dazu bewegen mehr über dieses Thema zu reden. Nicht nur um damit das gesamte Thema aus der Verschwiegenheit zu holen, sondern vielmehr noch um mit Vorurteilen und Stigmatisierung aufzuräumen, vor allem auch in der Notfallmedizin. Wie viele von uns tun aus Desinteresse, Scham oder Überforderung die suizidalen Handlungen unserer Patient*innen als „Schrei nach Aufmerksamkeit“ ab und stellen damit Betroffene in eine hochproblematische Ecke, in der man unterschwellig mit noch mehr Vorwürfen konfrontiert ist. Vor allem vergessen viele, dass Suizidalität keine Diagnose ist, sondern Symptom einer Erkrankung ist, welche die Patient*innen in eine solche große Lage der Hilflosigkeit und Überforderung bringt, in der man sich nicht mehr anders zu helfen weiß.

Suizidalität ist im Gesamtkontext als Überbegriff für den Phänomenbereich zu verstehen, welcher folgende Phänomene zusammenfasst:

  • Suizidgedanken: Gedanken, das eigene Leben durch eigenes Handeln zu beenden
  • akute Suizidalität: Vorliegen konkreter Suizidabsicht oder drängender Suizidgedanken mit unmittelbar drohender Suizidhandlung und zur Verfügung stehender Mittel
  • Suizidplan: Formulierung einer konkreten Methode, welche genutzt werden soll, um dadurch zu sterben
  • Suizidandrohung: verbale Ankündigung oder Handlungen, aus dem Leben treten zu wollen, ohne das die Intention besteht dies auch umzusetzen
  • abgebrochener Suizidversuch: potenziell selbstverletzendes Verhalten mit der Absicht (explizit oder implizit) zu sterben, welches aber abgebrochen wurde, bevor es zu körperlichen Schäden kam
  • Suizidversuch: selbstinitiiertes Verhalten, welches zum Tode führen soll
  • Suizid: willentlich und im Bewusstsein der Irreversibilität des Todes selbst herbeigeführte Beendigung des eigenen Lebens
  • chronische Suizidalität: kontinuierlich vorhandene Suizidgedanken mit oder ohne Suizidversuch(en)
  • Suizidpakt: geplante Gruppensuizide

Zahlen und Fakten

Ca. 65 – 90 % aller Suizide sind ausgelöst durch psychische Erkrankungen, am häufigsten Depressionen, meist mit zusätzlichen Komorbiditäten. Suizidale Handlungen sind überwiegend eher bei Erwachsenen, als bei Kindern & Jugendlichen festzustellen. Im Geschlechtervergleich findet man ca. zwei- bis dreimal so viel Suizide beim männlichen Geschlecht im Vergleich zum weiblichen vor und diese machen ca. 20 % bei Frauen und
38 % bei Männern bei den tödlichen Verletzungen aus (Zahlen von 2013)
Weiter lässt sich feststellen, dass mit zunehmendem Alter die Anzahl der Suizidversuche in der Bevölkerung sinkt, jedoch die Zahl der vollzogenen Suizide steigt (Altersgipfel in der Gruppe der > 75-Jährigen).
Bei den Todesursachen im Rahmen von vollzogenen Suiziden stellt das Erhängen die häufigste Methode dar, gefolgt vom Sturz aus großer Höhe sowie beim männlichen Geschlecht Sturz vor sich bewegende Objekte und beim weiblichen Geschlecht Medikamenten-Intoxikation.
Insgesamt lässt sich jedoch feststellen, dass im Zeitraum von 1980 bis 2020 die Zahl der Suizide in Deutschland um mehr als 40 % zurückging.

An dieser Stelle möchte ich auch nochmal mit dem sich hartnäckig haltend Gerücht ausräumen, dass die meisten Suizide eher in den „dunklen“ Wintermonaten festzustellen sind. Jedoch lässt sich mit einem schnellen Blick in die Todesstatistik feststellen, dass der größte Teil der Suizide zwischen Mai und August stattfinden.

Wahrscheinlich am wichtigsten ist es sich noch die Altersgruppe der unter 30-Jährigen anzuschauen, weil gerade hier Prävention in vielfältiger Art und Weise die langfristigen Auswirkungen hat. In Studien konnte festgestellt werden, dass ca. 14,4 % aller 14 – 15-Jährigen in der Vergangenheit schon Suizidgedanken hatten (19,8 % Mädchen und 9,3 % Jungen). Kinder & Jugendliche mit psychischen Erkrankungen haben ein 3- bis 12-fach erhöhtes Suizidrisiko. In der Gesamtschau werden ca. 1,6 % aller vollzogenen Suizide von 15 – 19-Jährigen begangen und in der Altersgruppe bis 29 Jahren ist der Suizid die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen.

Exkurs „Werther-Effekt“
Korrelation zwischen medialer Berichterstattung über Suizide sowie nachfolgend steigender Zahl der Suizide (Begriff geht auf Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ zurück)

Exkurs „Suizidalität in der Corona-Pandemie“
In Studien konnte festgestellt werden, dass die Rate der vollendeten Suizide (egal ob Alter oder Geschlecht) keine signifikanten Unterschiede zur Prä-Corona-Zeit zeigt, jedoch ist die Rate der Suizidgedanken höher als vor der Pandemie. Die wichtigsten Risikofaktoren für Suizidgedanken im Rahmen der Corona-Pandemie waren geringe soziale Unterstützung, Schlafstörungen, Quarantäne und Erschöpfung, Einsamkeit und psychische Probleme, hohe körperliche und geistige Erschöpfung und ein schlechterer selbstberichteter körperlicher Gesundheitszustand bei medizinischem Personal in vorderster Front.

Exkurs „Papageno-Effekt“
Korrelation zwischen positiver medialer Berichterstattung über Suizide (Hilfsangeboten, Informationen zum Krisenmanagement) sowie nachfolgend abnehmender Zahl der Suizide (Begriff geht auf Mozarts „Zauberflöte“ zurück)

Schweregradeinteilung [1]

Suizidalität lässt in verschiedenen Dimensionen in ihrer jeweiligen Ausprägung einteilen.

Bei der Intention ist es die nachfolgende viergradige Einteilung:
– hoch (Todeserwartung)
– mittel (Ambivalenz)
– niedrig (keine gezielte Intention)
– keine (Abwesenheit einer Suizidabsicht)

Die Einteilung in Bezug auf die äußeren Umstände erfolgt in den folgenden drei Stufen:

  • hoher Schweregrad:
    • subjektive Einschätzung der Methode als tödlich
    • Mittel objektiv gefährlich
    • Entdeckung und Rettung unwahrscheinlich bis unmöglich
  • mittlerer Schweregrad:
    • subjektive Einschätzung des Mittels als gefährlich, aber nicht tödlich
    • Entdeckung und Rettung möglich
  • geringer Schweregrad:
    • subjektive Einschätzung des Mittels als wenig gefährlich
    • Entdeckung und Rettung möglich und wahrscheinlich

Exkurs „Basissuizidalität“
Ausmaß suizidaler Gefahr eines Menschen unter Berücksichtigung von Lebens- und Krankheitsgeschichte sowie aktueller Situation, welches vor allem erhöht ist bei positiver (familiärer) Vorgeschichte – v.a. bzgl. suizidalen Handlungen -, Hilflosigkeits-/Hoffnungslosigkeit, Störungen der Impuls- und Aggressionskontrolle

Des Weiteren lassen sich die Suizidmethoden noch in eine aktive und passive Form unterscheiden. Aktiv meint hier Handlungen wie Erschießen, Erhängen, Sturz aus großer Höhe, Sturz/Sprung vor „sich bewegende Objekte“ (z.B. Bahnsuizid) sowie Einnahme von Tabletten und andere Formen der Intoxikation. Passive Methoden sind z.B. die Nichtbefolgung ärztlicher Anweisungen (auch Nichteinnahme notwendiger Medikation) oder die Verweigerung von Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme.

Anamnese & Diagnostik

Red Flags (Warnzeichen) für eine erhöhte Suizidgefahr sind v.a. Äußerungen konkreter Suizidideen und -pläne oder Anzeichen für selbige (auch die fehlende glaubwürdige Distanzierung bei direktem Nachfragen), aber auch die Äußerung konkreter Todes- und Ruhewünsche sind in klares Indiz. Weitere Anzeichen für eine erhöhte Suizidgefahr sind z.B.:

  • suizidale Äußerungen in der Fremdanamnese, welche aber von Betroffenen oftmals auch verneint werden
  • tiefe Hoffnungslosigkeit, welche nicht aufhellbar ist, und/oder subjektiv aussichtslos erscheinende Situation
  • prolongierte oder rezidivierende Krankheitsepisoden psychischer Erkrankungen
  • erniedrigte Frustrationstoleranz, Kritiküberempfindlichkeit, erhöhte Reizbarkeit und Aggressivität
  • niedriger Selbstwert
  • geringe Selbstwirksamkeitserwartung
  • emotionale Instabilität bzw. ausgeprägter, nicht mehr ertragbarer Leidensdruck
  • anhaltende Insuffizienzgefühle

Indizien für eine akute Suizidalität sind darüber hinaus geplante und/oder auch schon vorbereitete Suizidhandlung, ggf. auch schon abgebrochene Suizidversuche, Vorliegen konkreter Suizidanweisungen (z.B. imperative Stimmen mit Suizidaufforderung) und eine erhöhte Autoaggressivität, Impulsivität, fehlende Steuerungsfähigkeit bei gleichzeitiger Absprachefähigkeit sowie das Fehlen benennbarer Gründe für Weiterleben bzw. gegen Suizidversuch.

Auch hier ist es wieder wichtig, die Anzeichen altersspezifisch zu betrachten, da es auch hier typische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen wie z.B. Rückzug, Änderungen im Essverhalten oder ein unüblich hohes Interesse bzgl. Sterben oder Tod gibt. Des Weiteren sind deutliche Schuldgefühle/Selbstvorwürfe, ausgeprägte Schlafstörungen, dichotomes Denken („Schwarz-Weiß-Denken“) oder psychosoziale Krise bzw. kürzliche Verlusterlebnis zu nennen.
Kommunikativ kommt es darüber hinaus zu geschlechterspezifischen Unterschieden:

  • Mädchen beginnen früher und häufiger mit explizit suizidbezogener Kommunikation, welche sich auch an verschiedene Arten von Empfängern richten
    • weibliche, suizidbezogene Kommunikation zielt hierbei eher auf Bewältigung und Erlangung von Unterstützung durch andere konzentriert
  • männliche, suizidbezogene Kommunikation oft zweideutiger oder durch „humorvolle“ Konnotationen beschönigt

Exkurs „Alkohol/Drogen und Suizidalität“
Da v.a Alkohol, aber auch andere Drogen, zur Verminderung der Kritikfähigkeit & Enthemmung führen, ist ein bewusstes „Mut antrinken“ ist kein seltenes Indiz bei Patient*innen.

Risikofaktoren

Des Weiteren sind die wichtigsten Risikofaktoren mit abzuklären, um eine vermutete Suizidalität zu verifizieren oder den Schweregrad bestehender Suizidalität zu bestimmen.
Häufige Risikofaktoren sind z.B. psychische Erkrankungen (insbesondere depressive Störungen, Angststörungen sowie ADHS) oder vorangegangene Suizidversuche sowie nichtsuizidale Autoaggression. Laut einer WHO-Studie hatten ca. 17 % der Männer sowie ca. 21 % der Frauen, welche sich versuchten zu suizidieren, in den vergangenen 12 Monaten bereits einen Suizidversuch und ca. 12 % der Männer und ca. 13 % der Frauen unternahmen während der nachfolgenden 12 Monate weitere Suizidversuche. Weitere typische Risikofaktoren wären:

  • Eingruppierung in unterprivilegierte Schicht mit niedrigem sozioökonomischen Status und verminderten schulischen Leistungen
  • Vorgeschichte sexuellen Missbrauchs/Misshandlungen
  • delinquentes Verhalten sowie ggf. zusätzlich Drogen- und Alkoholmissbrauch
  • organische chronische Erkrankungen sowie körperliche Behinderungen
  • interpersonelle Probleme im Privat-/Berufsleben

Typische Risikofaktoren des Kindes- und Jugendalters sind z.B. häufige Streitigkeiten, Scheidung oder Trennung der Eltern oder Verlust eines Elternteils sowie…

  • Jugendliche mit Genderinkongruenz
  • Kinder psychisch kranker Eltern (Familienanamnese)
  • suizidales Verhalten in der Familie und im Freundeskreis
  • pathologischer Internetgebrauch
  • allgemeine Stressoren wie Mobbing in der Schule

Differentialdiagnosen

Differentialdiagnostisch sind z.B. nichtsuizidale selbstverletzende Verhaltensweisen (auch Automutilation) oder Nahrungsrestriktion bei Anorexia nervosa ohne Todesintention mögliche abzugrenzende Phänomene sowie…

  • chronischer Drogen-/Substanzmissbrauch ohne Todesintention
  • Risikoverhalten im Jugendalter (auch Mutproben) sowie riskanter Lebensstil (wie Extremsportarten) ohne Todesintention
  • Selbsttötung/-sversuche in nichtsuizidaler Absicht, z.B. im Rahmen akuter Psychosen mit Realitätsverkennung (z.B. Sprung aus dem Fenster in der Annahme, man könne fliegen) oder unter akuter Drogenintoxikation
  • Unfälle ohne Todesintention
  • sexuell motivierte Strangulationen („Choking Games“) ohne Todesintention
  • Suiziddrohungen, ausschließlich um z.B. Strafmaßnahmen oder Abschiebung zu entgehen

weitere Anamnestik

Darüber hinaus ist vor allem die kurz- und langfristige Suizidgefährdung bzw. Intentionalität der Suizidhandlung, ggf. auch fremdanamnestisch, sowie Verdrängungs- und  Dissimulationseffekte abzuklären.

Weitere Punkte, die die Suizid-Exploration enthalten sollte, sind/ist …

  • … das Vorliegen psychischer Störungen bzw. die aktuelle psychische Situation
    • auch frühere Suizidversuche (Anzahl, Methode, Anlass sowie Reaktion der Umwelt)
  • … der Ereignishergang bei unklaren Verletzungsmustern, Unfällen mit nicht durchgehend nachvollziehbarem Unfallhergang und Intoxikationen.
  • … das Vorliegen unerklärlicher Complianceprobleme bei schwerwiegenden körperlichen Erkrankungen (z.B. keine Insulininjektionen bei Diabetes mellitus).
  • Verhaltensänderungen der Patient*innen (Fremdanamnese bzgl. Warnzeichen etc.).
  • … v.a. bei Jugendlichen Suizidversuche bzw. Suizide im Umfeld (Gefahr der Nachahmung).
  • … die gegenwärtige soziale Situation (familiäre & schulische Situation/Unterstützung, Mobbing-Erfahrungen, aktuelle Veränderungen der sozialen Situation, kritische Lebensereignisse).
  • abhaltende Faktoren bzgl. der Durchführung eines Suizides (z.B. es Eltern/Freunden nicht antun zu wollen, religiöse Gründe etc.).
  • … die ggf. nötige zusätzliche körperlich-neurologische Untersuchung mit Hautinspektion.

Maßnahmen & Kommunikation

Initial möchte ich betonen, wie wichtig es bei der Erstversorgung im prähospitalen und Notaufnahme-Setting ist aktiv dafür Sorge zu tragen, dass Patient*innen sich keinen weiteren Schaden zufügen kann. Leider kommt es nicht selten vor, dass Betroffene initial aufgrund von Verletzungen einem unfallchirurgischen oder aufgrund von Intoxikationen einem internistischen Konzil bedürfen und erst danach in ein psychiatrisches Krankenhaus verlegt werden. Hierbei erlebt man es bedauerlicherweise noch des Öfteren, dass Patient*innen alleine in Untersuchungs-/Behandlungsräumen mit leicht zu öffnenden Fenstern oder chirurgischen Werkzeugen alleine, wartend zurückgelassen lassen werden.

Kommunikation mit den Betroffenen

Das Gespräch mit Betroffenen sollte mit einer neutralen, nicht-wertenden und unaufgeregten Grundhaltung geschehen und auf die rasche und flexible Vermittlung von Hilfsangeboten sowie professionelle Informationsvermittlung abzielen. Hierbei sollte sich vor allem auf die aktuelle Problemlage konzentriert werden. Die gesamte Betreuung sollte in einem für die Patient*innen angenehmen Setting erfolgen (ggf. auch einen „Spaziergang“ verbunden mit dem Rauchen einer Zigarette zur Minderung der „Anspannung“ in Betracht ziehen). Die Einbeziehung des sozialen Umfelds ist nicht in allen Fällen ratsam, stellt aber oft einen hilfreichen Ansatz dar, auch um Familie und Freunde zu beruhigen. Während der gesamten Zeit ist auf eine präzise, wertschätzende Ausdrucksform zu achten.

DONT’s in der Kommunikation mit Betroffenen

  • moralisieren, vorwurfsvolle und/oder feindlich, ablehnend Haltung
  • Bagatellisierungstendenzen des Patienten und Umfeldes nicht erkennen oder übernehmen bzw. verstärken
  • Suizidversuch voreilig als demonstrativ bewerten und dementsprechend handeln
  • durch übersteigertes emotionales Engagement suizidales Verhalten ungewollt verstärken
  • unreflektierte, vorschnelle Lösungsvorschläge
  • nach gescheitertem Suizidversuch unbedachte Hinweise für effektivere Tötungsmethoden geben („Anleitungen“)
  • von Methode voreilig auf Intention/Todesabsicht schließen
  • Verkennung von suizidalen Handlungen bei Unfällen, Medikamentenüberdosierungen und Drogenintoxikationen
  • Haltung vertreten, dass Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen eine freie Willensentscheidung darstellt, die es zu tolerieren und zu akzeptieren gilt

Hier findest du einen Gesprächsleitfaden mit Beispielfragen für die Suizid-Evaluation!

Prüfungsschema Einweisung gegen den eigenen Willen gemäß PsychK(H)G [13]

  • Wenn ein Kriterium positiv, weiter. Wenn nicht, keine Indikation für Unterbringung:
    • Eigen- oder Fremdgefährdung?
    • Gefahr in Folge von Krankheit/Behinderung (Manie, Sucht/Intox, PTBS, Psychose, Persönlichkeitsstörung)?
  • Wenn Gefahr gegenwärtig & erheblich, dann weiter. Wenn nicht, keine Indikation für Unterbringung
  • Gefahr anders als durch Unterbringung abwehrbar?
    • Wenn NEIN, ist die Indikation für eine Unterbringung gegeben. Kooperation der suizidalen Person trotzdem anstreben.

Möglichkeiten der Unterbringung (gegen den eigenen Willen) bei Kindern & Jugendlichen

Bei der Unterbringung von Minderjährigen bedarf grundsätzlich der Zustimmung der Erziehungsberechtigten, ausgenommen sind Situationen in denen eine sofortige, akute Gefahr abzuwenden ist. In diesen Situationen hat das Einholen der Zustimmung höchste Priorität.

Die Unterbringung von Kindern und Jugend erfolgt wie bei Erwachsenen nach den Regelungen der jeweiligen Psychisch-Kranken-Gesetzen (PsychKG), Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzen (PsychKHG) oder Unterbringungsgesetzen der Bundesländer. Jedoch bieten sich bei Minderjährigen auch zusätzliche Möglichkeit bei der Einweisung gegen den eigenen Willen:

  • Bei kooperativen Eltern, welche dringende Behandlungsbedürftigkeit des eigenen Kindes sehen, welches nicht mit einer Unterbringung einverstanden ist, können einen Antrag gemäß § 1631b BGB beim Familiengericht stellen; im Akutfall auch direkt aus der Klinik, auch unter Zuhilfenahme von Zwang, wenn ein Aufschub eine Gefahr für die Unversehrtheit des/der Betroffenen darstellen würde. Hier muss der Antrag von den Sorgeberechtigten gestellt werden, der Behandelnde kann eine kurze schriftliche Stellungnahme verfassen.
  • Bei guter Kooperation mit Jugendhilfe sowie 24/7 besetzter Stelle für Inobhutnahmen, ist ggf. auch eine Inobhutnahme in der Klinik gemäß § 42 KJHG bei akuter Selbstgefährdung in Betracht ziehen. Diese Lösung ist vor allem sinnvoll, da hier das Jugendamt infolge des hoheitlichen Aktes für die Einbindung des Familiengerichts und die Einholung des Einverständnisses der Kindeseltern verantwortlich ist, und somit die Angehörigen entlastet werden.
    • Diese Lösung ist auch zu präferieren bei Jugendlichen, die nicht in Begleitung der Eltern vorstellig werden oder bei denen sich die Eltern gegen Behandlung aussprechen.

medikamentöse Therapie

Ein medikamentöses Eingreifen ist ggf. bei starker Agitation oder Anspannung als Ultima ratio in Betracht zu ziehen. Vorher sind immer alle kommunikativen und nicht-invasiven Mittel auszuschöpfen. In den meisten Rettungsdienstbereichen stehen hier nur Benzodiazepine wie Lorazepam oder Midazolam oder Haldol sowie in wenigen Rettungsdienstbereichen Promethazin als Neuroleptikum zur Verfügung. Die Dosierung erfolgt hierbei entsprechend den üblichen Standards in titrierender Art und Weise. Vor der Gabe ist eine Abklärung Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenintoxikation zwingend erforderlich. Die regelmäßige Überwachung der wichtigsten Vitalparameter ist obligat.

Exkurs „Ketamin-Therapie bei akuter Suizidalität“
Neuere Studien zeigen bei der Nutzung von Ketamin relevante Rückgänge der Suizidgedanken nach 90 – 180 min (Sistieren der Suizidgedanken nach 90 min in 88 % in der Ketamingruppe; vgl. 33 % in der Placebogruppe). Die antisuizidale Wirkung abhängig von der Art des Ketamins ((R)-Ketamin, (S)-Ketamin/Esketamin) und der Dosierung.
Der Applikationsweg (i.m., i.v., i.n., p.o., p.i., s.l.) ist wie so oft abhängig von Darreichungsform, Situation und klinischer Zweckmäßigkeit.
Dosierung: 0,2 – 0,5 mg/kg Ketamin über 5 min.; niedrigere Dosen sind aufgrund dosisabhängiger psychoaktiver Nebenwirkungen vorzuziehen. Hohe Dosen sind meist nur notwendig bei schwerer Behandlungsresistenz und Chronifizierung.

PsychFacts – Suizidalität

Hier findest Du die PsychFacts zur Schizophrenie mit allen wichtigen Informationen auf einen Blick: PsychFacts – Suizidalität

Quellen

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) et al.: Leitlinie Suizidalität im Kindes- und Jugendalter, 4. überarb. Version, 31.05.2016, verfügbar unter http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-031.html
  2. Todesursachen – Suizide, Statistisches Bundesamt (Destatis), 2022.
    In https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html
  3. Balt, Elias, Saskia Mérelle, Diana van Bergen, Renske Gilissen, Pommeline van der Post, Milou Looijmans, Daan Creemers, u. a. „Gender Differences in Suicide-Related Communication of Young Suicide Victims“. Herausgegeben von Vincenzo De Luca. PLOS ONE 16, Nr. 5 (21. Mai 2021): e0252028. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0252028.
  4. Baumann-Hötzle, Ruth, Toni Fäh, Martin Fluder, Bernadette Stöckli, Thomas J. Amstad, Johanna Bayer, Annette Reuter, Gregor Schubinger, und Julius Kurmann. „Die SGPP-Behandlungsempfehlungen für den Umgang mit chronisch suizidalen Patienten – Version März 2018“, 16. März 2018. https://www.psychiatrie.ch/securedl/sdl-eyJ0eXAiOiJKV1QiLCJhbGciOiJIUzI1NiJ9.eyJpYXQiOjE2NjY4MTI4MDksImV4cCI6MTY2NjkwMjgwOCwidXNlciI6MCwiZ3JvdXBzIjpbMCwtMV0sImZpbGUiOiJmaWxlYWRtaW5cL1NHUFBcL3VzZXJfdXBsb2FkXC9GYWNobGV1dGVcL1NHUFAtQmVoYW5kbHVuZ3NlbXBmZWhsdW5nZW4tZnVlci1kZW4tVW1nYW5nLW1pdC1zdWl6aWRhbGVuLVBhdGllbnRlbl9NYWVyel8yMDE4Xy1fZGVmLnBkZiIsInBhZ2UiOjQ0M30.Te0fkIFBPJz886nshvIwnr3mVj8UySvbK7B4sux3tYY/SGPP-Behandlungsempfehlungen-fuer-den-Umgang-mit-suizidalen-Patienten_Maerz_2018_-_def.pdf.
  5. Berzewski, H., und F.G.B. Pajonk. „Suizid – Suizidversuch – Suizidalität“. Notfall + Rettungsmedizin 15, Nr. 7 (Oktober 2012): 586–92. https://doi.org/10.1007/s10049-012-1580-y.
  6. Domany, Yoav, Richard C. Shelton, und Cheryl B. McCullumsmith. „Ketamine for Acute Suicidal Ideation. An Emergency Department Intervention: A Randomized, Double‐blind, Placebo‐controlled, Proof‐of‐concept Trial“. Depression and Anxiety 37, Nr. 3 (März 2020): 224–33. https://doi.org/10.1002/da.22975.
  7. Farooq, Saeed, Jessica Tunmore, Malik Wajid Ali, und Muhammed Ayub. „Suicide, Self-Harm and Suicidal Ideation during COVID-19: A Systematic Review“. Psychiatry Research 306 (Dezember 2021): 114228. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2021.114228.
  8. Jacobs, Douglas. „Practice Guideline for the Assessment and Treatment of Patients With Suicidal Behaviors“. Herausgegeben von American Psychiatric Association. Psychiatric Annals, 2010. https://psychiatryonline.org/pb/assets/raw/sitewide/practice_guidelines/guidelines/suicide.pdf.
  9. Koch-Institut, Robert. „Wie steht es um unsere Gesundheit?“, 2015. https://doi.org/10.17886/RKIPUBL-2015-003-2.
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  11. Schäfer, Markus. „Kommunikation über Suizide“. In Handbuch der Gesundheitskommunikation, herausgegeben von Constanze Rossmann und Matthias R. Hastall, 591–601. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2019. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10727-7_47.
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Published inIm Notfall Psychiatrie

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