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Was sind eigentlich… Katatonie & Stupor?

Wahrscheinlich fast jeder kennt vor allem den Begriff „Stupor“ dank der Harry Potter-Romane. Der Schock-Zauber mit dem Zauberspruch „Stupor“ sorgt wie allseits bekannt dafür, dass der/die getroffene Person schlagartig bewusstwerden und erstarren lässt und so außer Gefecht setzt.

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Harry_Potter_wordmark.svg#/media/Datei:Harry_Potter_wordmark.svg

J.K. Rowling beschreibt damit, bis auf die Bewusstlosigkeit, ganz gut, was wahrscheinlich auch der geübte Leser mit kleinem oder großem Latinum weiß, nämlich dass der Begriff „Stupor“ aus dem Lateinischen stammt und „Erstarrung“ oder „Starrheit“ bedeutet.

Den Begriff „Katatonie“ und vor allem die Herkunft kennen wahrscheinlich erheblich weniger, weil wir doch selten auf katatone Zustände, v.a. in der Notfallmedizin treffen. Der Begriff „Katatonie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „von oben bis unten angespannt“ oder wie medizinisch syndromal anzutreffen „Anspannung/Spannung von Kopf bis Fuß„. Die Katatonie ist erstmals im Jahr 1874 durch den Psychiater Karl Ludwig Kahlbaum erwähnt worden. Er beschrieb ein Syndrom aus motorischen, verhaltensbezogenen und affektiven Symptomen.

Einleitend lässt sich also feststellen, dass beiden Begriffen vor allem ein psychomotorisch gehemmter Zustand gemeinsam ist, aber beide nicht das Selbe/Gleiche sind. Ein Stupor stellt ist kein eigenes Krankheitsbild, sondern stellt nur ein Symptom dar. Ein Stupor kann also Symptom einer Katatonie sein, aber im Endeffekt sind beide Zustände schwer zu unterscheiden und eher unspezifisch in Bezug auf die Ätiologie sind, aber beide können lebensbedrohlich sein.

Epidemiologisch gibt es keine aktuellen, verlässlichen Zahlen zur Häufigkeit von Stupor und Katatonie in der Notfallmedizin, egal ob prä- oder innerklinisch. Die Zahlen sind aber wahrscheinlich eher gering, vor allem auch weil das Auftreten eher schwer zu erkennen ist. Die einzig verlässlichen Zahlen stammen aus den 90er Jahren und aus dem amerikanischen Bereich. Dort war in einer klinischen Studie bei 9 % aller Aufnahmen auf eine psychiatrische Station eine Katatonie ursächlich.

Ursachen/Ätiologie

Ätiologisch gibt es beim Stupor und der Katatonie viele Überschneidungen, v.a. im psychiatrischen, internistischen und cerebralen Bereich, es kann aber auch zu Stupor und Katatonie durch pharmakogene Ursachen wie Intoxikationen oder das maligne neuroleptische Syndrom kommen.

Die typischsten Ursachen des Stupors sind…

  • … psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenien, Depressionen, dissoziative Störungen, Intoxikationen sowie durch akute Belastungsreaktionen oder eine PTBS.
  • … internistisch vor allem metabolische oder endokrine Verschiebungen (entgleister Diabetes mellitus, Urämie, Infektionskrankheiten etc.).
  • … cerebrale Pathologien wie Meningitis, Enzephalitis, Epilepsien, Schlaganfälle oder raumfordernde Prozesse.

Die typischsten Ursachen der Katatonie sind…

  • … psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenien, Manien, Autismus oder Intoxikationen.
  • … internistisch vor allem Neoplasien, CO-Intoxikationen, diabetische Ketoazidose, Morbus Addison, Elektrolytstörungen, Hyperparathyreoidismus, Thyreotoxikose, Vitamin B12-Mangel sowie Infektionen wie Typhus oder Tuberkulose.
  • … cerebrale Pathologien wie eine Meningoenzephalitis, Tumore, Epilepsien, eine Wernicke-Enzephalopathie, hepatische und renale Enzephalopathien und Autoimmunenzephalitiden.

Symptomatik/syndromale Ausprägung

Stupor

Zuerst gilt zu betonen, dass ein Stupor keine Störung des Bewusstseins darstellt, sondern hier sind Expression und Kommunikation gestört. Stuporöse Patient*innen nehmen ihre Umwelt komplett wahr und hören, sehen und verstehen alles, was um sie herum geschieht, und das ggf. auch über mehrere Tage.

Ein Stupor ist ein durch gehemmte/fehlende körperliche Aktivität geprägter Zustand. Die Möglichkeit Mimik zu äußern und auf Außenreize zu reagieren, ggf. auch auf Schmerzreize, fehlt. Aspontanität und fehlende Antworten bis hin zum Mutismus bestimmen diesen Zustand.

Auch wenn ein Stupor vermuten lässt, dass die Patient*innen nichts wahrnehmen und empfinden, ist sehr wahrscheinlich das Gegenteil der Fall und die Patient*innen sind stark erregt, angespannt und ängstlich.

Kurz und knapp lässt sich sagen, dass ein Stupor ein Zustand psychomotorischer Starre mit mäßigem oder ganz fehlendem Antrieb bei erhaltendem Bewusstsein ist und einen Hinweis auf die Schwere/Ausprägung der meist schizophrenen oder affektiven Grunderkrankung darstellt. Als Indiz für einen Stupor kann das nur sehr selten auftretende Blinzeln der Patient*innen dienen.

affektiver Stupor

Eine nicht seltene Form des Stupor stellt der affektive Stupor dar, welcher während depressiven oder manischen Episode auftreten kann. Hier besteht die Gefahr, dass eine ggf. bestehende, aber nicht kommunizierbare Suizidalität besteht, an welche insbesondere in diesem Fall zu denken ist.

dissoziativer Stupor

Der dissoziative Stupor wirkt wie ein Trancezustand mit dem Erleben stärkster Ängste. Er tritt vor allem bei Persönlichkeitsstörungen (insb. Borderline-Persönlichkeitsstörung) sowie in Folge erlebter Traumata/Belastungen auf.

Katatonie

Die Katatonie ist wie oben beschrieben ein Syndrom mit motorischen, verhaltensbezogenen und affektiven Symptomen. Sie ist vor allem durch die folgenden Hyper- und Hypophänomene charakterisiert:

Hyperphänomene
– psychomotorische Erregung
– Bewegungs- und Sprachstereotypien
– Manierismen (spezielle Bewegungsabläufe oder Artikulationsvariationen)
– Befehlsautomatie (stures Befolgen von äußeren Befehlen)
– Fratzen oder Grimassen ziehen
– Echolalie & Echopraxie (automatische, zwanghafte Imitation von Gesprochenem oder Bewegungen/Handlungen)

Hypophänomene
– Stupor
– plötzlichen Abreißen von Gedanken-gängen mit resultierenden Pausen
– Mutismus
– Negativismus (Durchführung des Gegenteils des Aufgetragenen)
– Katalepsie/Haltungsstereotypien (Verharren in starrer Körperhaltung)
– Flexibilitas cerea („wächserne Biegsamkeit“

Beherrschendes Symptom ist das Verharren in Haltungen, ggf. auch in sehr bizarren Positionen, über Stunden bis Tage hinweg, wobei zeitgleich trotzdem die Möglichkeit der Durchführung von (komplexen) Handlungen möglich bleibt. So wie beim Stupor können affektive Symptomatiken wie übermäßige Angst bestehen, aber auch nicht mehr kontrollierbare Freude/Begeisterung.

Eine Besonderheit der Katatonie stellt der „Raptus“, auch Erregungssturm, dar. Dies sind plötzliche und schnelle Wechsel zwischen Negativismus und einer starken psychomotorischen Erregung, welche zu massiver, unkontrollierbarer Impulsivität/Aggression führt.

katatone Schizophrenie

Die katatone Schizophrenie ist vordergründig geprägt durch psychomotorischen Störungen, die zwischen Extremen wie Erregung und Stupor sowie Befehlsautomatismus und Negativismus alternieren können. Sie präsentiert sich vor allem durch einen Trias aus Flexibilitas cerea, Katalepsie, Katatonie. Weitere Symptome sind:

  • Mutismus
  • ggf. angstvolles oder misstrauisches Starren

Insbesondere bei der katatonen Schizophrenie gilt, dass es zu einer fluktuierenden Symptomatik mit raptusartigen Erregungszuständen kommen kann.

perniziöse Katatonie

Die perniziöse oder auch febrile/maligne Katatonie stellt meist eine Komplikation der katatoner Schizophrenien dar und ist ein meist lebensbedrohlicher Zustand, welcher unbehandelt mit einer hohen Letalität vergesellschaftet ist. Die maligne Katatonie ist vor allem durch das lebensgefährliche Fieber > 38 °C bei fehlendem Infektionsnachweis sowie durch die weiteren nachfolgenden Symptomkomplex gekennzeichnet:

  • Rigor (gesteigerte skelettmuskuläre Grundspannung)
  • Verlangsamung/Verminderung/Fehlen spontaner Willkürbewegungen (Akinese)
  • sympathikotone vegetative Entgleisungen mit Hypertonie und Tachykardie
  • autonome Entgleisung, Akrozyanose, Petechien und weitere Hämorrhagien
  • Elektrolytentgleisung, Exsikkose
  • Bewusstseinstrübung
  • Rhabdomyolyse (CAVE: konsekutiv Gefahr akutes Nierenversagen)

Differenzialdiagnostisch ist hier auf ein klares Ausschließen eines malignen neuroleptischen Syndroms (MNS) zu achten, welches als Folge einer Antipsychotika-Therapie entsteht. Beide Syndrome sind sehr ähnlich, jedoch darf die Katatonie mit Antipsychotika behandelt werden und beim MNS ist dies klar kontraindiziert.

Differentialdiagnostik

Die wichtigsten Differenzialdiagnosen stellen der Sopor und das Koma in der Übergangsphase von Sopor zu selbigem dar. Beim Ausschluss des Sopors sind vor allem folgende Symptome relevant:

  • Paresen bzw. fehlender Muskeltonus
  • fehlende periphere Reflexe
  • Hirnstammsymptomatik mit kornealem und Pupillen-Reflex und Puppenkopfphänomen sowie pathologische Atemmuster
  • Einklemmungszeichen

Diagnostik & Anamnestik

Katatone Zustände kommen in der Akutmedizin häufiger als gedacht vor, werden jedoch aufgrund fehlender Bekanntheit nicht ausreichend oder gar nicht diagnostiziert. Durch die nicht ausreichende Diagnostik resultiert das Risiko des Fortschreitens verbunden mit einer erhöhten Mortalität.

Basisdiagnostisch sollte eine genaue körperliche und neurologische Untersuchung zum Ausschluss/zur Suche nach möglichen organischen Ursachen erfolgen, denn alle stuporartigen Zustände können auch Folge organischer Ursachen sein (organisch bedingter Stupor). Hier stehen die Überwachung von Atmung, Puls, Blutdruck, Vigilanz, GCS sowie SpO2 im Vordergrund und es ist unbedingt an das Messen der Körpertemperatur zu denken, um eine perniziöse Katatonie auszuschließen. Ziel der Diagnostik ist vor allem die Evaluation der Eigen- und/oder Fremdgefährdung.

Anamnestisch, in diesem Falle insbesondere fremdanamnestisch, ist die Abklärung der Einnahme von Antipsychotika, um ein MNS auszuschließen, sowie weiterer psychiatrischer Grunderkrankungen wie einer Schizophrenie, welche mit einem erhöhten Risiko für Komplikationen und Sterblichkeit vergesellschaftet ist, wichtig. Aufgrund der fehlenden Kommunikationsfähigkeit steht die Verhaltensbeobachtung, wie z.B. auch minimalste Reaktionen auf Ansprache. Es ist abzuklären, ob in der Vorgeschichte vor allem im Rahmen katatoner Zustände zu raptusartigen Episoden kam oder ob es im Rahmen einer ggf. bestehenden Schizophrenie zu wahnhaften oder halluzinatorischen Situationen kam, welche ebenfalls ein erhöhtes Risiko für starke Erregungszustände darstellen. Es sollte immer berücksichtigt werden, dass das anwesende notfallmedizinische Personal als Bedrohung empfunden werden könnte und ggf. der eigene, von Angst geprägte Kommunikationsmodus zu eskalativen Situationen führen kann.

Die weitere Diagnostik und Anamnestik erfolgt nach den gängigen Standards gemäß ABCDE und SAMPLERS.

Therapie

Das wichtigste und vorrangigste Therapieziel stellt die Behandlung von Erregung, Anspannung, Unruhe sowie Angst dar. Von Beginn an ist vor allem auf eine reizarme Umgebung zu achten.

Kommunikativ sollte die Behandlung wie in allen, v.a. aber in psychiatrischen, Notfällen empathisch, beruhigend und klar strukturiert sein. Alles vor allem in Abhängigkeit der Ausprägung der motorischen und affektiven Symptomatik. Es sollte darauf geachtet werden, dass das Vorgehen den Patient*innen, ggf. auch wiederholend, erklärt wird, v.a. auch wenn der stuporöse Zustand einen initial eher dazu verleitet anzunehmen, dass der/die Patient*in aufgrund fehlender Wahrnehmung sowieso „nichts mitbekommt“. Auch hier gilt es bei allen Maßnahmen, sofern möglich, eine Zustimmung einzuholen.

Das Transportziel von Patient*innen ist abhängig von der syndromalen Ausprägung. Primär sollte der Transport in eine psychiatrische Klinik erfolgen, im besten Fall eine mit der Möglichkeit der Elektrokrampftherapie (EKT). Bei einer perniziösen Katatonie ist ggf. der direkte Transport auf eine Intensivstation notwendig. Sollte dies der Fall sein, ist der Transport auf eine Intensivstation anzuraten, welche sich in örtlicher Nähe zu einer psychiatrischen Klinik mit EKT-Möglichkeit befindet.

Pharmakotherapie

Zur medikamentösen Behandlung der Erregungs-/Anspannungszustände sollte primär das Benzodiazepin Lorazepam p.o./i.v./i.m. eingesetzt werden.

1 – 2,5 mg p.o. als Schmelztablette
0,5 – 1 mg i.v./i.m.

(Die DGPPN-Leitlinie „Notfallpsychiatrie“ empfiehlt bis zu 2,5 (- 5) mg p.o./i.m./i.v.)

Die Wirkung anderer Benzodiazepine ist ebenfalls belegt, jedoch weist die Datenlage auf klare Vorteile für Lorazepam hin.

Bei einem affektiven Stupor sollte sich zeitnah eine weitere Therapie mit Antidepressiva oder antimanischer Medikamenten anschließen. Bei einem katatonen Stupor sollte sich ebenfalls zeitnah eine Antipsychotika-Therapie (5 (- 10) mg Haloperidol p.o./i.m./i.v.) anschließen; vor der i.v.-Gabe sollte ein Monitoring mit min. 4-Kanal-EKG etabliert sein.

Sonderfall „perniziöse Katatonie“

Bei vorliegender perniziöser Katatonie sollte eine rasche pVK-Anlage zur Volumentherapie erfolgen. Des Weiteren stellt vor allem die Kühlung der Patient*innen mit die wichtigste therapeutische Maßnahme dar.

Eine perniziöse Katatonie stellt in fast allen Fällen einen hochakuten Notfall dar, welcher einer sofortigen intensivmedizinischen Behandlung bedarf. Vor allem bei der perniziösen Katatonie stellt die EKT neben der Therapie auf ITS das Mittel der Wahl dar. Zusätzlich wird eine Gabe von Lorazepam empfohlen (4x 1 mg, ggf. im weiteren Verlauf steigern).

Sobald ein MNS ausgeschlossen ist, kann/sollte eine Antipsychotika-Applikation erfolgen.

Anwendung von Zwang

Initial ist zu betonen, dass ein Stupor oder die Katatonie die Absprachefähigkeit nicht grundsätzlich und vollumfänglich ausschließt. Auch hier sollten vor der Anwendung von Zwang primär alle wenig invasiven Maßnahmen ausgeschöpft sein und vor jeder Maßnahme, auch denen bzgl. der Zwangsanwendung gegen den Willen der Patient*innen, der Versuch des Einholens einer Zustimmung versucht werden. Sollten Zwangsmaßnahmen notwendig sein, an die ggf. notwendige Nachforderung von Spezialkräften (Notarzt, Polizei etc.) denken.

Die Notwendigkeit der Anwendung von Maßnahmen gegen den eigenen Willen der Patient*innen resultiert primär aus der großen Eigengefährdung, vor allem durch fehlende Nahrungs-/Flüssigkeitszufuhr, die aus beiden Krankheitsbilder besteht. Bei der Katatonie besteht zusätzlich noch die Gefahr einer Fremdgefährdung durch den oben unter Symptomatik beschriebenen „Raptus“.

Wie bei allen Zwangsmaßnahmen ist zu bedenken, dass selbige sich für die Patient*innen sehr traumatisierend anfühlen und daher immer nur im notwendigen Einzelfall und so mild und kurz wie nötig angewandt werden. Vor allem bei der Fixierung ist ein dauerhaftes Monitoring obligat.

PsychFacts – Katatonie & Stupor

Hier findest Du die PsychFacts zur Schizophrenie mit allen wichtigen Informationen auf einen Blick: PsychFacts – Katatonie & Stupor

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