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Leitlinie „Tauchunfall“ der GTÜM (UPDATE 2023)

veröffentlichende Fachgesellschaft: Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin
Datum der Veröffentlichung: 01.12.2022
Ablaufdatum: 30.11.2027
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/072-001

Grundsätzliches

  • Definition „Tauchunfall“: potenziell lebensbedrohliches oder gesundheitsschädigendes Ereignis, hervorgerufen durch Abfall des Umgebungsdruckes beim Tauchen oder aus sonstiger hyperbarer Atmosphäre mit und ohne Tauchgerät
    • Definition der Leitlinienersteller; national noch international keine eindeutige Definition für Begriff „Tauchunfall“
  • Tauchunfall ist gekennzeichnet durch Bildung/Einschleppung von Gasblasen in Blut & Gewebe
  • Leitlinie gilt auch für Apnoetaucher, wenn diese nach Tauchgang Symptome eines Tauchunfalls entwickeln
  • Taucherärztliche Telefonberatung
    • Nationale DAN-Hotline für Deutschland und Österreich: 00800 326 668 783
    • Nationale DAN-Hotline für die Schweiz: +41 333 333 333 (1414 innerhalb der Schweiz)
    • Internationale DAN-Hotline: +39 06 4211 8685 oder 5685

Unterteilung & Pathophysiologie

Dekompressionskrankheit („Decompression Sickness“, „DCS“)

  • primäre Verletzungsmechanismus: vermutlich Blasenbildung
  • Absorbtion von Inertgas (Stickstoff beim Luftatmen) ins Gewebe beim Einatmen komprimierter Gase
  • bei Aufstieg Überschreitung Partialdruck des gelösten Gases im Vergleich zu Umgebungsdruck (Übersättigung) –> Bildung von Blasen im Gewebe oder im sie durchströmenden Blut
  • Übergang der venösen Gasblasen in arteriellen Kreislauf mit den Folgen
    • mechanische Störungen und fokale Blutungen in der weißen Substanz des Rückenmarks
    • entzündliche und thrombogene Reaktionen
    • beeinträchtigte Regulierung des Gefäßtonus, Plasmalecks und Hypovolämie
    • Lungenödem durch Verletzung der Lungenkapillaren durch Vielzahl venöser Gasblasen

arterielle Gasembolie („Arterial Gas Embolism“, „AGE“)

  • Einschluss komprimierter Gase in der Lunge bei gleichzeitigem Sinken des Umgebungsdruck bei Aufstieg
  • Gasausdehnung –> Bruch der Alveolarkapillarmembranen –> Eintritt von Gas in das Lungengefäßsystem –> Arterienverschluss durch große intraarterielle Blasen
  • Ursachen sind meist, auch bei geringen Druckdifferenzen (z.B. Tiefe: 1 m)
    • unzureichende Abatmung des sich expandierenden Gases aus gesamter Lunge
    • lokale Erkrankungen wie Bronchialobstruktion oder Bullae
  • nachfolgend ggf. sekundäre Wirkungen im Gehirn durch blaseninduzierten Ischämie wie bei Schlaganfall –> Freisetzung von exzitatorischen Neurotransmittern, oxidativer Stress, Entzündungen und Immunantwort

Symptomatik

alle nach Tauchgang neu aufgetretene Symptome als möglichen Tauchunfall, sofern keine anderen Entstehungsmechanismen offensichtlich sind

  • CAVE: schnelle Symptomveränderungen nach Ende des Tauchgangs vor und nach Behandlungsbeginn möglich
  • milde Symptome
    • auffällige Müdigkeit
    • „Hautjucken“ ohne sichtbare Hautveränderungen (Taucherflöhe)
  • schwere Symptome
    • sichtbare Hautflecken und -veränderungen
    • Missempfindungen (z.B. „Ameisenlaufen“)
    • Taubheitsgefühle
    • subkutane Schwellung (lymphatische Symptome)
    • Gliederschmerzen („Bends“)
    • gürtelförmige Schmerzen
    • Lähmungen
    • Blasenentleerungsstörungen
    • Koordinations- und Gangstörungen
    • Seh-, Hör- und Sprachstörungen
    • Schwindel
    • Übelkeit
    • Bewusstseinsstörungen
    • körperliche Schwäche
    • Atembeschwerden
    • Herz-Kreislauf Probleme (Brustenge, Schock)

weitere tauchbezogene Erkrankungen

  • Barotrauma der Nasennebenhöhlen, des Mittel-, Außen- oder Innenohres
  • Barotrauma anderer luftgefüllter Höhlen im, bzw. am Körper des Tauchers (z.B. Maske)
  • (Spannungs-)Pneumothorax
  • Mediastinalemphysem
  • immersionsbedingtes Lungenödem
  • Druckdifferenzschwindel
  • Ertrinkungsunfall
  • Unterkühlung

Diagnostik

  • Diagnosestellung aufgrund präsentierter Symptome, bei Berücksichtigung des Tauchgangs und vorbestehenden Problemen/Erkrankungen
  • engmaschig hinsichtlich nachfolgender Symptome oder Verschlechterung beobachten
  • orientierende neurologische Untersuchung
  • Verdachtsdiagnose „Tauchunfall“ wahrscheinlich bei Vorliegen von milden und/oder schweren Symptome konsekutiv zu
    • Atmung aus Tauchgerät unter Wasser, unabhängig von dem verwendeten Atemgas / der Atemgas-Mischung
      oder
    • Atmung aus Luftansammlung unter Wasser (z.B. in Höhle oder Wrack)
      oder
    • Apnoe-Tauchgängen (i.d.R. mehrere tiefe Tauchgänge)

Therapie

  • therapeutische Vorgehen abhängig von der Symptomschwere

Maßnahmen Ersthelfer

  • Maßnahmen bei milden Symptomen
    • Gabe 100 % O2 oder Atemgas mit dem höchsten verfügbaren Sauerstoffanteil bis zur taucherärztlichen Untersuchung (auch wenn symptomfrei nach < 30 min)
    • Überprüfung von Bewusstsein, Bewegungsfähigkeit und Wahrnehmung (siehe „NeuroCheck„)
    • sofern Patient*in trinken kann, orale Zufuhr von 0,5 – 1 L Flüssigkeit/Stunde (isotonische, kohlensäurefreie Getränke; kein Alkohol)
    • Temperaturmanagement (kein Auskühlen, keine Überhitzung)
    • keine „nasse Rekompression“
    • Behandlung wie bei schweren Symptomen, wenn Symptome unverändert nach 30 min fortbestehen oder wieder auftreten
  • Maßnahmen bei schweren Symptomen
    • falls notwendig Reanimation (BLS)
    • Gabe 100 % O2 oder Atemgas mit dem höchsten verfügbaren Sauerstoffanteil bis zur taucherärztlichen Untersuchung (auch wenn symptomfrei nach < 30 min)
    • Überprüfung von Bewusstsein, Bewegungsfähigkeit und Wahrnehmung (siehe „NeuroCheck„)
    • Lagerung
      • Seitenlage bei Bewusstseinsstörung
      • Ruhiglagerung/keine unnötige Bewegung
      • keine Kopftieflagerung

Maßnahmen medizinisches Fachpersonal

  • Erstuntersuchung und Maßnahmen nach ABCDE-Schema
  • falls notwendig Reanimation (ALS) und/oder Ausschluss/Behandlung Spannungspneumothorax
  • Ertrinkungsunfälle spezifisch behandeln, auch wenn Folge eines Tauchunfalls
  • Maßnahmen bei milden Symptomen
    • SIEHE MASSNAHMEN ERSTHELFER – Maßnahmen bei milden Symptomen
  • Maßnahmen bei schweren Symptomen
    • Gabe 100 % O2 oder Atemgas mit dem höchsten verfügbaren Sauerstoffanteil bis zur taucherärztlichen Untersuchung (auch wenn symptomfrei nach < 30 min)
    • Atemwegssicherung (Masken-CPAP/NIV oder High-Flow-O2 bei insuffizienter Oxygenierung und ausreichender Vigilanz Intubation vorziehen; Grund: fortlaufende neurologische Beurteilung)
    • Volumentherapie (0,5 – 1 L VEL/h i.v.
    • Lagerung
      • Lagerung nach notfallmedizinischen Standards
      • Ruhiglagerung/keine unnötige Bewegung
    • etwaige Medikamente haben keine wissenschaftlich eindeutig nachgewiesene Wirksamkeit
    • keine „nasse Rekompression“
    • klinische und neurologische Untersuchungen frühestmöglich und im Verlauf
    • ggf. Anlage Blasenkatheter
    • Temperaturmanagement (kein Auskühlen, keine Überhitzung)
  • Dokumentation Tauchgangsdaten (Tauchcomputer), Symptomverlauf und durchgeführte Behandlungsmaßnahmen

Sauerstofftherapie (normobare Oxygenation)

  • Wahl der Applikationsform, die den höchsten verfügbaren Sauerstoffanteil bei Atmung bzw. Beatmung ermöglicht
  • bei ausreichender Eigenatmung: Atmung von 100 % mit
    • Demand-Ventil
    • Masken-CPAP/NIV (Risiko bei V.a. Pneumothorax beachten)
    • nasale High-Flow-Sauerstofftherapie (NHF/HFOT/HFNC)
    • Konstantdosierung mit Reservoirbeutel, wenn kein bessere Alternative vorhanden (min. 15 L/min)
  • bei unzureichender Eigenatmung: Atemwegsicherung und Beatmung (assistiert/kontrolliert)
    • CPAP/BiPAP (Risiko bei V.a. Pneumothorax beachten)
    • Beatmungsbeutel mit Demand-Ventil oder Reservoirbeutel und Konstantdosierung (min. 15 L/min)
  • 100 % O2-Gabe ohne Pause bis zum Erreichen der Druckkammer

Transport

  • Transportziel bei schweren Symptomen: therapeutische Druckkammer
  • Indikationen Druckkammer
    • milden Symptome (auch nach 30 min O2-Atmung nicht rückläufig)
    • schwere Symptome
  • keine prinzipielle Präferenz für ein bestimmtes Transportmittel
    • Hubschrauber (niedrigste fliegerisch vertretbare Flughöhe beachten)
    • bodengebundene Rettungsfahrzeuge (Risiko weiterer Druckreduktion bei Fahrten über Bergpässe)

Behandlung von Kindern & Jugendlichen

  • Behandlung unterscheidet sich von Therapie für Erwachsene
    • Flüssigkeit und ggf. Medikamente alters- und gewichtsadaptiert

Behandlungsalgorithmen

Quelle: https://register.awmf.org/assets/guidelines/072-001l_S2k_Tauchunfall_2023-03.pdf
Published inLeitlinien kompakt

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