veröffentlichende Fachgesellschaft: World Allergy Organization
Datum der Veröffentlichung: 30.10.2020
Ablaufdatum: 30.10.2025
Quelle/Quelllink: https://www.worldallergy.org/disease-focus/anaphylaxis
Definition
- schwere, lebensbedrohliche systemische meist IgE-vermittelte Überempfindlichkeitsreaktion, die durch schnellen Eintritt mit potenziell lebensbedrohlich Atemwegs-, Atmungs- oder Kreislaufproblemen und meist auch mit Haut- und Schleimhautveränderungen einhergeht
- Ende des Spektrums der allergischen Reaktionen
- meist Beteiligung mehrerer Organe, doch können schwere Symptome auch nur ein Organsystem betreffen
Symptomatik & Diagnostik
- einige Reaktionen treten zunächst mit isolierten respiratorischen oder kardiovaskulären Symptomen auf
- Anaphylaxie ist sehr wahrscheinlich, wenn eines der folgenden 2 Kriterien erfüllt ist:
- akuter Krankheitsbeginn (Minuten bis mehrere Stunden) mit gleichzeitiger Beteiligung von Haut und/oder Schleimhäuten (z. B. generalisierte Nesselsucht, Juckreiz oder Hautrötungen, geschwollene Lippen, Zunge und Schleimhäute) und mindestens einer der folgenden Punkte:Beeinträchtigung der Atmung (z. B. Dyspnoe, Bronchospasmus, Stridor, Hypoxämie)
- verminderter Blutdruck oder damit verbundene Symptome einer Dysfunktion der Endorgane (z. B. Hypotonie (Kollaps), Synkope, Inkontinenz)
- schwere gastrointestinale Symptome (z. B. starke krampfartige Bauchschmerzen, wiederholtes Erbrechen)
- akutes Auftreten von Hypotonie oder Bronchospasmus oder Kehlkopfbeteiligung nach Exposition gegenüber eines bekannten oder hoch wahrscheinlichen Allergens (Minuten bis mehrere Stunden), auch ohne typischen Hautbeteiligung
Grad 1 | Grad 2 | Grad 3 | Grad 4 | Grad 5 |
---|---|---|---|---|
Symptome min. eines Organsystems | Symptome min. zwei Organsystem | untere Atemwege | untere Atemwege | untere und obere Atemwege |
Urtikaria, warme Haut, Juckreiz | leichter Bronchospasmus (Husten, Keuchen, Kurzatmigkeit), Ansprechen auf Behandlung | schwerer Bronchospasmus, kein Ansprechen oder Verschlimmerung trotz Behandlung | respiratorisches Versagen | |
Kribbeln oder Jucken der Lippen oder Angioödem (nicht laryngeal) | abdominelle Krämpfe, Übelkeit, Erbrechen | Larynxödeme mit Stridor | Kollaps/Hypotension | |
nasale Symptome (Niesen, Rhinorrhöe, Juckreiz in der Nase und/oder verstopfte Nase | uterine Krämpfe | weitere Symptome von Grad 1 oder 3 | Bewusstseinsverlust | |
juckender Hals/ Rachen | weitere Symptome von Grad 1 | weitere Symptome von Grad 1, 3 oder 4 | ||
Husten ohne Bronchospasmus | ||||
Erytheme, Pruitus | ||||
Übelkeit | ||||
metallischer Geschmack | ||||
keine Anaphylaxie | keine Anaphylaxie | Anaphylaxie | Anaphylaxie | Anaphylaxie |
Differentialdiagnosen
- häufige Differentialdiagnosen
- akutes Asthma, Synkope (Ohnmacht), Angst-/Panikattacken, akute generalisierte Urtikaria, Aspiration eines Fremdkörpers, kardiovaskuläre Erkrankungen (Myokardinfarkt, Lungenembolie), neurologische Ereignisse (Krampfanfall, zerebrovaskuläre Ereignisse)
- postprandiale Syndrome
- Pollen-/Nahrungsmittel-Allergie, Mononatriumglutamat, Sulfite, Lebensmittelvergiftung
- überschüssiges endogenes Histamin
- Mastozytose/klonale Mastzellstörung, basophile Leukämie
- Flush-Syndrome
- Peri-Menopause, Karzinoid-Syndrom, autonome Epilepsie, Karzinom der Schilddrüse
- nichtorganische Ursachen
- Stimmbanddysfunktion, Hyperventilation, psychosomatische Vorfälle
- Schock
- hypovolämisch, kardiogen, distributiv, septisch
- andere
- Nicht-allergisches Angioödem, hereditäres Angioödem Typ I, II und III, ACE -Hemmer-assoziiertes Angioödem, systemisches Kapillarlecksyndrom (Clarkson-Syndrom), Rotmann-Syndrom, Phäochromozytom
Therapie
- ggf. Beseitigung des Allergens
- Atemwege, Atmung, Kreislauf, Neurologie sowie Haut beurteilen
- Lagerung entsprechend den vorliegenden Befunden (meist Rückenlage, ggf. sitzende Position bei Patienten mit Atemanstrengung; bei Schwangeren: halbliegende Position hin zur linken Seite; bei Bewusstlosigkeit: stabile Seitenlage)
- Trendelenburg-Lagerung umstritten!!!
- Gabe von von Adrenalin i.m. in den Vastus lateralis des Quadrizeps (anterolateraler Oberschenkel) in einer Dosierung von 0,01 mg/kgKG (max. 0,5 mg); ggf. alle 5-15 min wiederholen
- Kleinkinder < 10 kg: 0.01 mg/kg = 0.01 mL/kg von 1 mg/mL (1:1000)
- Kinder zw. 1 – 5 Jahren: 0.15 mg = 0.15 mL von 1 mg/mL (1:1000)
- Kinder zw. 6-12 Jahren: 0.3 mg = 1 mg/mL (1:1000)
- Jugendliche und Erwachsene: 0.5 mg = 1 mg/mL (1:1000)
- keine Empfehlung für Adrenalin i.v. als Maßnahme in der initialen Phase
- CAVE bei Adrenalin i.v.: ggf. Herzrhythmusstörungen wenn dann am besten über Perfusor
- Sauerstoff-Gabe (15 L/min 100%iger Sauerstoff) für alle Patienten mit Atemnot und weiteren Gaben von Adrenalin
- pVK-Anlage (min. 14G oder 16G bei Erwachsenen
- intravenöse Flüssigkeitszufuhr bei Patienten mit kardiovaskulärer Instabilität (20 ml/kg Bolus mit kristalloiden Flüssigkeiten)
- falls erforderlich, Durchführung der kardiopulmonalen Reanimation gemäß internationalen Standards
- bei Bronchokonstriktion ggf. Gabe kurzwirksamer Beta-2-Agonisten (z. B. Salbutamol)
- CAVE: keine Alternative zur repetitiven Gabe von Adrenalin i.m. bei anhaltenden Symptomen
- bei Obstruktion der oberen Atemwege ggf. Vernebelung von Epinephrin
- Monitoring von Blutdruck, Herzfrequenz und Rekap-Zeit, Atemfrequenz sowie Bewusstseinszustand
- nachfolgend Gabe von Beta-2-adrenergen Agonisten, Glukokortikoide und (H1-)Antihistaminika wie Chlorpheniramin, Diphenhydramin, Clemastin
- ggf. Gabe von Hydrocortison oder Methylprednisolon i.v. im Verlauf
- ggf. Gabe von Glukagon bei Patienten, die nicht optimal auf Adrenalin ansprechen (Patienten mit Betablocker in Prämed.)
Einstufung des Schweregrades der Anaphylaxie (Aussage der WAO)
- „Es kann schwierig sein, den Schweregrad von Anaphylaxie-Reaktionen zu bestimmen. Es besteht kein allgemeiner Konsens darüber, welches der verschiedenen veröffentlichten Systeme am besten geeignet ist. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass einige zur Einstufung von Reaktionen aufgrund eines bestimmten Auslösers entwickelt wurden, z. B. wird bei einer Anaphylaxie im Zusammenhang mit Narkosemitteln oder Giften möglicherweise Erbrechen als ein besorgniserregenderes Symptom eingestuft, im Gegensatz zu den Systemen, die für lebensmittelbedingte Anaphylaxien verwendet werden. Weitere Unterschiede lassen sich je nach den beteiligten Systemen oder der Intensität der Symptome feststellen. In einem kürzlich erschienenen Artikel wurde die Leistung von 23 verschiedenen Systemen verglichen, wobei die Unterschiede zwischen diesen Systemen hervorgehoben wurden (obwohl ihre Validierung noch aussteht). Eines dieser Systeme ist die Modifikation des WAO-Klassifikationssystems, das ursprünglich für die Klassifizierung systemischer Reaktionen aufgrund einer Allergenimmuntherapie entwickelt wurde, das aber für die Verwendung bei systemischen Reaktionen jeglicher Ursache angepasst wurde. In dieser Klassifizierung würden nur einige Grade 3 oder 4 – 5 mit der Definition der Anaphylaxie übereinstimmen, während die Grade 1 – 2 eine Nicht-Anaphylaxie darstellen. Einige zusätzliche Symptome, wie Sabbern oder neurologische Symptome, können in der Pädiatrie zutreffen. Die Möglichkeit, dass sich der Schweregrad der Schweregrad der Reaktionen ändern kann, muss erkannt werden.“
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