veröffentlichende Fachgesellschaft: Faculty of Forensic & Legal Medicine (FFLM)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 14.01.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://fflm.ac.uk/resources/publications/recommendations-irritant-sprays-clinical-effects-and-management/
Grundsätzliches
- Reizstoffsprays (auch „Tränengas“, „Pfefferspray“) erweitern Palette der „weniger tödlichen“ taktischen Optionen, die Polizeibeamt*innen zur Verfügung stehen, wenn sie mit potenziell aggressiven oder gewalttätigen Personen oder solchen mit akuten Verhaltensstörungen konfrontiert werden
- Begriff „Reizstoffsprays“ ist Bezeichnung für CS- (Ochlorbenzylidennemalononitril) und PAVA- (Nonivamid) Sprays
- Einsatz wird nicht absolut einheitlich geregelt, aber grundsätzliches Ziel ist: Gesicht einer Person aus einer Entfernung von bis zu 3 – 4 m zu besprühen, wodurch die aktive Chemikalie in die Augen, die Nase, den Mund und die Haut gelang
- Symptome i.d.R. nur von kurzer Dauer und erfordern nur wenig oder gar keine medizinische Intervention, obwohl bei einigen Personen die Auswirkungen 2,5 h oder länger anhalten können
- CAVE: chemische Reizstoffe können schwere Verletzungen, dauerhafte Behinderungen und in seltenen Fällen auch den Tod verursachen, jedoch ist die tatsächliche Inzidenz der Morbidität nicht bekannt
- CS & PAVA wirken bei etwa 10 % der Personen, die dem Spray ausgesetzt sind, nicht (Gründe hierfür sind vielfältig, z.B. Intoxikation, psychische Probleme oder andere Ursachen für akute Verhaltensstörungen)
allgemeine Ansätze
- Betroffenen versichern, dass die Auswirkungen nach erster Exposition abklingen werden
- allgemeinen Grundsätze zur Minimierung des Risikos von Morbidität & Mortalität berücksichtigen (z.B. keine Positionierung in der Bauchlage nach Exposition, dauerhafte Überwachung der Atmung nach Festnahme; CAVE: Spuckschutz kann Morbiditäts- & Mortalitätsrisiko erhöhen, v.a. wenn Spuckschutz kontaminiert ist)
- wichtigste Maßnahme besteht darin, weitere Exposition zu verhindern (Betroffene aus kontaminierter Umgebung in gut belüfteten Bereich mit freier Luftzirkulation bringen und kontaminierte Kleidung entfernen)
- Patient*in anweisen, sich nicht die Augen zu reiben (in den ersten 2 – 3 h kein Wasser verwenden, um Rückstände zu entfernen, da dies die Symptome verschlimmern)
- wenn Augenöffnung nach 30 min nicht möglich, Vorstellung in Notaufnahme für augenärztliche Untersuchung
- wenn Symptome nach 6 h noch bestehen, Vorstellung in Notaufnahme
- durch normales Waschen in Waschmaschine wird Kleidung dekontaminiert (ggf. mehrere Waschgänge notwendig)
Symptomatik
- Auge
- Tränenfluss (< 15 min)
- Schmerz (< 30 min)
- Blepharospasmus (geschlossene Augenlider) (< 30 min)
- Bindehauterythem (Rötung) (< 30 min)
- verminderte Sehschärfe (verschwommenes Sehen) (< 30 min)
- Photophobie (Lichtempfindlichkeit) (< 60 min)
- periorbitales Ödem (Schwellung um das Auge)
- Schädigung der Augenoberfläche durch direktes Trauma eines Hochdruckstrahls
- Iritis kann sich als unspezifische Reaktion entwickeln
- Bindehautentzündung
- Hornhautabschürfungen durch Reiben der Augen
- Mund
- stechendes oder brennendes Gefühl
- Übelkeit und Erbrechen (selten)
- Atemweg
- Nasenbeschwerden, Schmerzen und Rhinorrhoe (<30 Min.)
- Niesen, Husten, Halsschmerzen
- Halsschmerzen
- Kurzatmigkeit
- Bronchospasmus (selten)
- Laryngospasmus (selten)
- Luftröhrenentzündung
- Bronchitis (selten)
- Lungenödem kann sich 12 – 24 h nach übermäßiger Exposition entwickeln (selten)
- höheres Risiko für schwere Folgen bei Patient*innen mit vorbestehenden Atemwegserkrankungen, wie Asthma oder Bronchitis
- Haut
- brennendes Gefühl und Erythem (< 24 h)
- chemische Verätzungen, Blasenbildung
- allergische Kontaktdermatitis (selten)
- Leukodermie (selten)
- Ausbruch oder Verschlimmerung einer seborrhoischen Dermatitis (selten)
- Verschlimmerung von Rosazea (selten)
- kardiovaskuläre Effekte
- vorbestehende Herzprobleme können durch Exposition verschlimmert werden
- Angina pectoris kann bei Personen mit vorbestehenden Herzproblemen beschleunigt werden
- psychologische Auswirkungen
- Studien haben gezeigt, dass bei einigen Patient*innen mit Exposition anschließend eine PTBS diagnostiziert wurde
Therapie
- Auge
- Exposition gegenüber Außenluft/Wind
- Luft kann mit Ventilator direkt auf Augen geblasen werden, um die Verdunstung zu fördern
- wenn die Augensymptome länger als 1 h andauern, Augen mit steriler NaCl 0,9%-Lösung spülen, bevor ein Augenarzt aufgesucht wird (CAVE: kann Symptome vorübergehend verschlimmern, da Dämpfe in die Lösung übergehen)
- Kontaktlinsen so bald wie möglich entfernen (CAVE: ggf. mehrere Wochen notwendig bis sich das Auge soweit beruhigt hat, dass das Tragen von Kontaktlinsen wieder möglich ist)
- wenn Augensymptome nach 6 h nicht abklingen oder Hornhautabschürfung festgestellt wird, Vorstellung für augenärztliche Untersuchung
- Mund
- symptomatisch, basierend auf klinischen Befunden
- Atemweg
- meiste Symptome (z. B. Husten, Atemnot & Engegefühl in der Brust) klingen innerhalb von 15 – 30 min nach Exposition ab
- KH-Einweisung bei Anzeichen für Bronchospasmen, die nicht auf einfache Bronchodilatation ansprechen
- Haut
- Exposition gegenüber Luft und Ventilator
- Aufenthalt an frischer Luft führt i.d.R. innerhalb von 15 – 20 min zu deutlicher Besserung
- wenn Reaktionen über diesen Zeitraum hinaus andauern, große Mengen kaltes Leitungswasser verwenden, um verbleibenden Reizstoff aus Gesicht und Haut zu spülen
- KEIN warmes Wasser verwenden (Gefahr der Reizstoffreaktivierung)
- chemische Verbrennungen wie thermische Verbrennungen behandeln
- bei Kontaktdermatitis ggf. topische Steroide verwenden
- verzögerte Hautreizung, die 8 – 16 h nach Exposition auftritt, wird bei beträchtlicher Anzahl Betroffener beobachtet (Anhalten von bis zu einer Woche möglich, bis Symptome abklingen)
- ärztliche Vorstellung bei Fortbestehen neuer Hauterscheinungen oder Verschlimmerung chronischer Zustände über 48 h hinaus
- kardiovaskuläre Effekte
- symptomatische Behandlung (z. B. Glyceryltrinitrat)
- KH-Einweisung, wenn bei der Untersuchung Bedenken bestehen (z. B. anhaltende Tachykardie, anhaltende Brustschmerzen, Herzrhythmusstörungen, Hyper-/Hypotonie)
- psychologische Auswirkungen
- psychologische Maßnahmen erwägen, wenn Person als gefährdet eingeschätzt wird
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