veröffentlichende Fachgesellschaft: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin
Klassifikation gemäß AWMF: S2k
Datum der Veröffentlichung: 30.04.2023
Ablaufdatum: 29.04.2028
Quelle/Quelllink: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/001-043
Grundsätzliches
- „Katastrophenmedizin ist die medizinische Versorgung in Katastrophen oder Großschadensereignissen mit Mangel an Ressourcen (personell und/oder materiell) und nicht nutzbarer Infrastruktur, bei der von der Individualmedizin abgewichen wird, um das bestmögliche Behandlungsziel für die größtmögliche Anzahl von Patient*innen zu erreichen.“ (DIN 13050:2021-10 – „Begriffe im Rettungswesen“)
- Katastrophenmedizin kommt in Situationen zur Anwendung, in denen aufgrund von Einflüssen z.B. durch Naturereignisse, technische Defekte über einen längeren Zeitraum oder durch Bedrohungen (z.B. Terror, kriegsähnliche Ereignisse) die medizinische Versorgung nicht mehr auf üblichem Niveau der akutmedizinischen Behandlung stattfinden kann
- zeitliche Ressourcen sind in Katastrophenlagen ebenfalls sehr eingeschränkt, da viele Bedarfe und Notwendigkeiten zeitgleich auftreten
- Katastrophenmedizin kommt Situationen von eingeschränkter oder nicht nutzbarer Infrastruktur, limitierten Ressourcen an medizinischem Material (sowohl Verbandstoffe und Medikamente, aber auch Betten, Monitore für die Überwachung, diagnostische Geräte etc.) sowie Personal- & Zeitmangel zum Einsatz
- Abgrenzung Katastrophe zum „kleineren“ Massenanfall: Mangel an Ressourcen hält nicht nur für Zeit bis zum Eintreffen von weiteren Einsatzkräften, Material, Transportmitteln und Behandlungsmöglichkeiten in den weiterführenden Strukturen (z.B. nach Aktivieren der Alarm- & Einsatzpläne) an, sondern über längere Zeit (bis zu Wochen oder auch Monaten)
- Übergang vom Massenanfall zur Katastrophe ist fließend und von vielen Faktoren abhängig, v.a. von der nicht mehr funktionierenden Infrastruktur
Charakteristika von Katastrophenmedizin
- Ausnahmesituation
- Umgebungsfaktoren
- Freisetzung größerer Mengen an Energie
- zerstörte oder nicht nutzbare Infrastruktur
- unter Umständen Wetterextreme
- viele exponierte Menschen gleichzeitig (Patient:innen und Betroffene)
- Ressourcenmangel
- personell
- materiell
- zeitlich
- Abkehr von Individualmedizin
- bestmögliche Behandlung
- Notwendigkeit von Strukturen und (besonderen) Organisationsformen für die Hilfe
beteiligte Einsatzkräfte/Personen
- medizinische Einsatz-/Sanitätskräfte
- Ärzt*innen im Bevölkerungsschutz und Rettungsdienst
- Notfallsanitäter*innen, Rettungsassistent*innen, Rettungssanitäter*innen sowie Rettungshelfer*innen und Sanitätshelfer*innen/Sanitäter*innen im Bevölkerungsschutz und Rettungsdienst
- Betreuungskräfte inklusive psychosozialer Notfallversorgung
- andere Einsatzkräfte, zu denen Schnittstellen bestehen
- operative PSNV-Akteure
- Feuerwehrkräfte
- Polizeikräfte
- Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks
- Beschäftigte des Öffentlichen Gesundheitswesens, sowie ggf. anderer Behörden
- Bundeswehr, v.a. Sanitätsdienst der Bundeswehr
- weitere Helfer:innen der Hilfsorganisationen
- ergänzende medizinische Helfer*innen im Bevölkerungsschutz
Fähigkeiten, die alle Einsatzkräfte (auch Führungskräfte) benötigen
- Situative Aufmerksamkeit („Situation awareness“)
- Kommunikationstraining (geschlossene, eindeutige Kommunikation)
- Empathie (Einfühlungsvermögen, interpersonelle Dynamik)
- Strategien zur Entscheidungsfindung (z. B. die FOR-DEC Methode)
- Regenerationsfähigkeit
wichtige Fähigkeiten, die medizinische Führungskräfte benötigen
- klare Kommunikation
- Lageeinschätzung und -bewertung
- vorausschauende Planung
- Treffen von schwierigen Entscheidungen in Extremsituationen
- Formulieren von übergeordneten Aufträgen/Befehlen, Rückmeldungen einholen, Aufträge nachhalten
- Training im Führen von Großschadensereignissen
mögliche Schadensereignisse, die zu katastrophenmedizinischer Lage (bei großer zeitlicher & regionaler Ausdehnung) führen können:
- Naturereignisse
- Hochwasser
- Starkregen/Erdrutsch
- Sturm/Sturmflut
- Extreme Trockenheit/Dürreperiode
- Erdbeben
- technische Ereignisse
- Großbrände
- großflächiger Infrastrukturausfall (z. B. Strom-, Wasserversorgung, andere Energieträger)
- große Unfälle mit großflächigem Infrastrukturschaden
- Störfall Industrie oder Labor inkl. CBRN-Betrieb
- Explosionen
- Gefahrgut-Unfälle (Straße, Schiene, Wasserwege) (CBRN-Gefahren)
- gesellschaftliche Ereignisse
- Anschlag (terroristische und extremistische Aktivitäten) (z. B. chemische Kampfstoffe oder „dirty bomb“)
- Cyber-Angriffe (auch in Kombination mit anderen Ereignissen)
- Pandemie
- Asymmetrische Bedrohung
- Verteidigungsfall, Bündnisfall
- Tierseuche
- Flüchtlingswelle
CAVE: auch Mischformen dieser Ereignisse können als potenzielle Gefahrenlagen zu katastrophenmedizinischen Gefahrenlagen werden
Verletzungsmuster bzw. Behandlungsgründe
- muskuloskelletale sowie Weichteil-, Gefäß- & Hautverletzungen (Gesamtprävalenz der Gefäßverletzungen bei Terroropfern 10 % versus 1,1 – 7 % bei nicht-terrorassoziiertem Trauma)
- Frakturen
- Haut-/Wundinfektionen
- Herz-/Kreislaufprobleme
- pulmonale Beschwerdebilder
- neurologische Beschwerdebilder
- Kopf-/Hals-/Gesichtsverletzungen
- Magen-Darm-Problem
- psychische und mentale Erkrankungen oder Symptome
- thermomechanische Kombinationsverletzungen (z.B. durch Explosionen)
Selbstorganisation („Chaosphase“)
- „Chaosphase“ = Phase bis zum Aufbau und Funktionieren einer Einsatzstruktur
- vor Eintreffen von Rettungskräften findet Selbstorganisation durch exponierte Personen, Laien- und Spontanhelfende oder zufällig anwesende, teils selbst betroffene Rettungskräfte und medizinische Fachkräfte statt
- mit Eintreffen der ersten Rettungskräfte beginnt i.d.R. Strukturierung der Einsatzstelle(n)
- je nach Umfang und räumlicher Ausdehnung sowie verfügbarer Infrastruktur, Einsatzkräften, Material und weiterer Fähigkeiten nimmt Strukturierung Zeit in Anspruch
Einsatzstruktur & -grundsätze
- für bedarfsgerechte Verteilung von Einsatzmitteln (Personal, Material, Transportmittel, Behandlungs- und Betreuungskapazitäten etc.) bedarf es klaren Informationsflusses von den verschiedenen Einsatzstellen (Unterabschnitten) über die Einsatzabschnittsleitungen in die Abschnittsleitung Gesundheit und die Medizinische Fachberatung im operativ-taktischen Führungsstab und zurück (bilateraler Informationsfluss)
- regelmäßig kurze Lageberichte sowie aufwachsende medizinische Infrastruktur und Prozessabläufe (z.B. zur Transportorganisation) in geschlossener Kommunikation (am besten schriftlich und auf Lageplänen verdeutlicht) an Führungskräfte übermitteln
- weitere erfolgsentscheidend Charakteristika/Prozesse
- klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten
- Erkennbarkeit von Personen mit besonderen Aufgaben oder Verantwortlichkeiten
- Kommunikation (sowohl Funk, Mobilfunk, als auch Sprache und eindeutige Aufträge/Befehle mit Rückmeldungen)
- Spontanhelfendenkonzepte zur Einbindung „ungebundener“ Freiwilliger (mit Registrierungsmöglichkeiten inkl. Kompetenzen und Einsatzoptionen)
- Kennzeichnung im Sichtungsprozess gemäß BBK
- X-ABCDE-Schema als Merkhilfe für Untersuchung der lebenswichtigen Funktionen
eXtreme Bleeding | lebensbedrohliche/unstillbare Blutung |
Airway | obere Atemwege, Schutz der Halswirbelsäule |
Breathing | Atmung und Sauerstoffversorgung |
Circulation | Kreislaufsituation, Blutungskontrolle |
Disability | Neurologie/neurologisches Defizit |
Exposure | komplette körperliche Untersuchung auf weitere Verletzungen, akute Beschwerden, Kontrolle einer möglichen Hypothermie |
Definitionen bei Kontaminationseinsätzen
- Dekontamination: Entfernung von schädigenden Stoffen und Mikroorganismen durch geeignete hygienische, technische und strukturelle Maßnahmen
- Dekon: Bezeichnung für Dekontamination durch Einsatzkräfte (Dekon-P: Grobreinigung zur Reduzierung einer Kontamination bei Einsatzkräften; Dekon-G: Grobreinigung zur Reduzierung einer Kontamination bei anderen [exponierten] Personen sowie von Geräten)
- Pat – Dekon (Dekontamination Patient:innen; früher „Dekon-V“): Dekontamination aller Patient:innen aus dem Gefahrenbereich, unabhängig von der jeweiligen Gehfähigkeit oder „sichtbaren Verletzungen“
- Gefahrenbereich: Bereich, in dem CBRN-Gefahren für Leben, Gesundheit, Umwelt und Sachen erkennbar sind oder aufgrund fachlicher Erfahrung vermutet werden
- Übergangszone: Sammelpunkt und die Patientenablage vor Dekontamination, sowie Dekontaminationsplatz
- Dekon-Platz: festgelegter Ort zur Durchführung der Dekontamination (Einteilung in Schwarzbereich“ (kontaminierte Seite) und „Weißbereich“ (nicht kontaminierte Seite)
- Kontaminiertenablage: Patientenablage in der Übergangszone
- Absperrbereich: unmittelbar an den Gefahrenbereich angrenzende Teil der Einsatzstelle, wo keine Gefahren durch CBRN-Gefahrstoffe vermutet werden (Aufstellungs-, Bewegungs- und Bereitstellungsfläche für Einsatzkräfte)
- Behandlungsplatz (BHP): Ort im Absperrbereich, außerhalb des Gefahrenbereichs & der Übergangszone (Ort der Betreuung der Betroffenen, also Nicht-Patient*innen nach Dekontamination)
- Dekon-Sichtung: Priorisierung für Dekontaminationsreihenfolge durch Sichtung mit den Zielen Dringlichkeit der Maßnahmen vor Dekontamination und Reihenfolge der Zuführung von Personen zur Dekontamination
- Spotdekontamination: vorgezogene punktuelle Dekontamination von Körperstellen oder –teilen, um Inkorporation während Notfallversorgung zu verhindern
- Toxidrom: Symptome, die in ihrer Zusammenschau für verschiedene Gifte (Toxine) oder toxische Substanzgruppen charakteristisch sind
- Dekontaminationsmittel (auch Dekontaminantien): Mittel, die die Dekontamination verbessern
Definitionen zur Psychosoziale Notfallversorgung
- Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV): Gesamtstruktur und Maßnahmen der Prävention sowie der kurz-, mittel- und langfristigen Versorgung im Kontext von belastenden Notfällen beziehungsweise Einsatzsituationen
- Psychische Erste Hilfe (PEH): „psychologisch angemessenes Verhalten“ gegenüber direkten und indirekten Notfallopfern, das von sämtlichen Einsatzkräften parallel zur medizinischen Versorgung geleistet werden soll
- exponierte Personen: Person, auf die ein Ereignis direkt (unmittelbar) oder indirekt (mittelbar) wirkt und die hierdurch beeinträchtigt sein kann
Empfehlungen
taktische Empfehlungen
- Patientenversorgung in der Katastrophenmedizin soll sich grundsätzlich an den in der Notfallmedizin trainierten Vorgehen/Algorithmen orientieren
- alle in Deutschland auftretenden katastrophenmedizinische Schadenslagen sollen wissenschaftlich untersucht, ausgewertet und die Ergebnisse veröffentlicht werden, um daraus Verbesserungen für die Zukunft abzuleiten
- einheitliche medizinische Dokumentation soll die sichere medizinische Behandlung, auch in der weiteren Versorgung, sicherstellen
- Ergebnis der Lagefeststellung mit gesundheitlichem Fokus soll medizinisches Lagebild sein, das Schwerpunkte der Lage in Bezug auf Personenzahlen & -verteilung (Alter, spezielle Bedürftigkeit), Art & Umfang von Verletzungen, Erkrankungen, gesundheitlicher Beeinträchtigung, sowie Prognose auf weitere Entwicklung (medizinisch, örtlich, zeitlich, Ressourcen) umfasst
- vulnerable Gruppen in Vorplanungen, Vorbereitungen und Abstimmungen über Zuständigkeiten (u.a. öffentlicher Gesundheitsdienst, Gefahrenabwehr, Sozialsystem und Leistungserbringende) besonders berücksichtigen
- auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen sowie deren Angehörige präventiv und vorbereitend in Notfallplanungen einbeziehen und auf eigene Vorsorgeoptionen aufmerksam machen
- für Evakuierungen sollten umsetzbare Notfallpläne über den Ablauf der Evakuierung, mögliche Ziele, sowie greifbare, transportable Unterlagen (z.B. auf Papier) mit den wichtigsten Informationen zu Angehörigen, gesundheitlichen Daten, Vorsorgevollmachten und besonderen Bedürfnissen vorbereitet sein
- folgende vier ethische Grundprinzipien auch in Katastrophenlagen berücksichtigen:
- Respekt vor Autonomie
- Non-Malefizienz (Nicht-Schadens-Gebot)
- Benefizienz (Gebot des Wohltuns)
- Gerechtigkeit
- aus Respekt vor Autonomie von Patient*innen dann, wenn Patient*innen auch mit Einschränkungen in der Lage sind, ihren Willen zu bilden und zu äußern, über folgende Punkte aufklären, um Patient*innen selbstbestimmte Entscheidung über Behandlung zu ermöglichen:
- Kriterien der Sichtungs(Triage)-Entscheidung
- zur Verfügung stehende Ressourcen und Möglichkeiten
- angestrebte Behandlungsziele
- prognostische Unsicherheit oder Zweifel
- Ablehnung einer indizierten angebotenen Therapie sollte dokumentiert werden
- Behandlung auch dann ohne ausdrückliche Zustimmung im Sinne des mutmaßlichen Patientenwillen, wenn gemäß Sichtungsprozess Behandlungsindikation besteht und Patient*innen
- sich in psychischer, physischer oder sozialer Ausnahmesituation befinden und nicht in der Lage sind, reflexhafte (spontane) Ablehnung einer Behandlung rational oder durch Bezug auf übergeordnete Werte zu begründen.
- nicht bei Bewusstsein oder stark bewusstseinsgetrübt sind.
- Indikationsstellung für einzelne Maßnahmen soll im Verhältnis zu vorhandenen Ressourcen erfolgen bei sichergestelltem notwendigen Informationsfluss (Je mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, desto höher kann das Versorgungsniveau sein!)
- Behandlungen ohne eindeutige Indikation mit Folge einer möglichen Übertherapie sollen in Katastrophenmedizin verhindert werden
- Ziele der Ressourcen-Verteilung in katastrophenmedizinischer Einsatzlage: patientenbezogene Zuteilung vorhandener Ressourcen im Sinne des „the best for the most“
- „The best for the most“ ist zu verstehen als:
- Minimieren der Anzahl vermeidbarer Todesfälle in der Katastrophenlage
- Lebensrettung mit bestmöglichem Behandlungsergebnis
- Abwendung von ereignisbezogenen Folgeschäden für die exponierten Personen
- Behandlung derjenigen Patient:innen priorisieren, die am dringlichsten ist und gleichzeitig die größten Erfolgsaussichten besitzt
- Rückkehr zur Individualmedizin so früh und effektiv wie möglich
- „The best for the most“ ist zu verstehen als:
- bei Allokation von Ressourcen (Personal, Material, Transportkapazitäten) Patient*innen nicht aufgrund Gruppenzugehörigkeit (z.B. Alter, Geschlecht, Behinderung, Religion, Nationalität) bevorzugen, zurückstufen oder von Behandlung ausschließen (Diskriminierungsverbot)
- Patientenversorgung lage- & ressourcenabhängig gemäß dem Prinzip des Sichtungsprozesses
- Zuordnung zur Sichtungskategorie SK IV (blau) ist ärztliche Aufgabe und sollte möglichst durch ein Vier-Augen-Prinzip aus min. einer notärztlichen Einsatzkraft vor Ort, noch besser mit Qualifikation LNA, und einer weiteren erfahrenen medizinischen Einsatzkraft entschieden werden
- palliative Symptomkontrolle für Patient*innen ohne Überlebenschance:
- Linderung von Atemnot (u. a. Lagerung möglichst nach Wunsch, Abschirmung)
- Linderung von Schmerzen
- Ermöglichung von Nähe, möglichst durch Angehörige
- Zuhören
- Linderung von Angst
- CAVE: zusätzlich Abschirmung (Wahrung der Privatsphäre, Vermeidung von belastenden Eindrücken anderer Verletzter) ohne Isolierung der einzelnen Person sowie Sterbebegleitung ermöglichen
- unter Bedingungen der Katastrophenmedizin keine kardiopulmonale Reanimation
- Qualifizierung der Einsatzkräfte für adäquate Patientenversorgung in Katastrophenmedizin durch Schulungen und praktisches Training in regelmäßigen Abständen (Frequenz & Inhalte der Schulungen/Trainings angepasst an Verantwortungsbereich der Personen mit besonderer Beachtung von Kompetenzen, die zum Abstrahieren aus „Standardlage“ in Ausnahmelage befähigen
- Qualifizierung im Bereich Katastrophenmedizin für alle im Bevölkerungsschutz Tätigen sollte gemeinsam stattfinden, da auch im Einsatz zusammenarbeiten werden muss und so Synergieeffekte genutzt werden können
- Behandlungszelt/Behandlungsraum bei kühlen Witterungsbedingungen heizen
Empfehlungen zur Einsatzdurchführung bei Kontamination
- Eigenschutz der Einsatzkräfte ist vorrangig zu beachten
- maßgeblich zur Einschätzung der chemischen Gefahrenlage ist med. Lagebeurteilung unter besonderer Beachtung von Toxidromen
- jede Person, die sich geschützt oder ungeschützt im Gefahrenbereich aufhält, vor Übergang in Absperrbereich über Übergangszone schnellstmöglich Dekontamination zuführen
- Aufbau Pat-Dekon in unmittelbarer Nähe zur Dekon-P (Personal/Personen)
- Sicherstellung medizinisch fachkundiger Beratung, bevorzugt durch Ärzt*innen, in operativ-taktischer Einsatzleitung
- Nachforderung spezialisierter Einheiten für chemische Gefahrenlage, v.a. für Dekontamination von Patient*innen
- Sicherstellung von Logistikkette zur Nachführung von Spezialmaterial (z.B. Antidota, Dekontaminationsmittel, Abfallmanagement)
- verständliche Anleitungen zum Verhalten und Verlassen des Gefahrenbereichs für exponierte Personen (Hinweise/Ausschilderung auf Versorgungsstrukturen wie Dekon-Plätze mit Selbsthilfestation, Kontaminiertenablagen etc.
- vor und nach Dekontamination Wärmeerhalt (CAVE: Materialressourcen sicherstellen)
- Dekontamination so zeitnah und ortsnah (in der Übergangszone) wie möglich, um Kontaminationsverschleppung zu reduzieren
- Dekontamination nicht nur durch Abspülen, sondern unterstützt durch mechanische Reinigung
- zur Qualitätssicherung Aushänge mit detaillierten Abläufen sowie Zuständigkeiten inklusive Schnittstellen
- im Anschluss an Dekontamination und Wiederbekleidung sichergestellte Übergänge in weitere Versorgungsstrukturen wie Behandlung und Betreuung (jeweils mit PSNV)
Empfehlungen zur Einbindung der PSNV
- Psychosoziale Notfallversorgung als Teileinheit wie Rettung, Sanitätsdienst und Betreuung in den gesundheitlichen/medizinischen Bevölkerungsschutz in Deutschland integrieren
- Bildung eines Unterabschnitt „PSNV-B“ als operativ-taktische Einheit Gesundheit im Einsatzabschnitt
- Alarmierung von operativen PSNV-Akteuren bereits in Einsatzvorplanungen für Großschadensereignisse und Katastrophenlagen sowie in den Alarm- und Einsatzplänen eingebinden, einplanen und hinterlegen
- Ergänzung der Lageeinschätzung im Einsatzabschnitt Gesundheit durch Psychosoziales Lagebild zur Einschätzung des Bedarfes und der (verfügbaren) Ressourcen für die PSNV
- Fortbildung aller Einsatzkräfte im Bevölkerungsschutz im Rahmen der Psychischen Ersten Hilfe (Erkennen von belasteten Personen, Sensibilisierung für deren Bedürfnisse, sowie ein geeignetes Methodentraining zur Unterstützung)
- Schulung von in katastrophenmedizinischen Schadenslagen eingesetzten Personen im Sinne der Selbstfürsorge zur akuten Stressbewältigung und Prävention einer sekundären Traumatisierung
Empfehlungen zu Medikamenten und deren Bevorratung
- Konzept für Versorgung der Bevölkerung mit notwendigen Medikamenten im Rahmen der Vorplanungen im medizinischen Bevölkerungsschutz erstellen
- Pulsoxymeter in einfacher Ausführung in größerer Anzahl für Behandlungsuntereinheiten bevorraten
- mindestens ein portables EKG-Gerät und Sonographiegerät für jede Behandlungseinheit (z.B. Behandlungsplatz, Behandlungsbereitschaft, länger betriebene strukturierte Patientenablage)
medizinische Empfehlungen
Ersteinschätzung & -versorgung
- bei erster Einschätzung (primary survey) von Patient*innen auch auf Hinweise auf Infektionskrankheiten oder Kontaminationen mit potentiell gesundheitsschädigenden Substanzen sowie gefährliche Gegenstände achten und entsprechend notwendige Schutzmaßnahmen (Eigenschutz, Hinzuziehen weiterer Fachdienste/BOS, Separierung, Isolation, Dekontamination) einleiten
- primäre und sekundäre Beurteilung von Patient*innen (Beurteilung im Verlauf nach initialer Sichtung) gemäß X-ABCDE-Schema (CAVE: bei längerer Behandlungszeit sind mehrere Verlaufs-Untersuchungen bzw. Re-Evaluationen zum Erkennen von behandlungsbedürftigen Zustandsveränderungen notwendig)
- schwerste Verletzung/Symptomatik primär gemäß XABCDE-Schema behandeln, selbige ist entscheidend für Behandlungsstrategie und Reihenfolge der Behandlung
- sofern Erstversorgung sichergestellt und Transportkapazitäten verfügbar SK I-Patient*innen gemäß Transportpriorität in klinische Behandlungsstrukturen verlegen
X des X-ABCDE-Schema
- stark blutende Verletzungen, welche Vitalfunktionen beeinträchtigen können, mit Priorität versorgen (X-ABCDE), z.B. bereits im Rahmen der Vor-/Sichtung
- lebensbedrohliche/kritische Extremitätenblutung unverzüglich stoppen (primär Tourniquet verwenden)
- Tourniquet-Anlage als Erstmaßnahme bei lebensbedrohlicher Blutung auch unter aktuell bestehenden Gefährdungslage/Arbeiten im Gefahrenbereich durch entsprechend ausgebildete Kräfte durchführen
- Empfehlungen der Wissenschaftlichen Fachgesellschaften sind Grundlage für die korrekte Verwendung des Tourniquets
- Tourniquets auch bei Kindern mit lebensbedrohlicher Blutung unverzüglich anwenden (handelsübliche Produkte sind sicher anwendbar)
- so früh wie möglich ausreichende Schmerztherapie, Verletzung an sich und korrekt angelegtes Tourniquet gehen oft mit erheblichen Schmerzen einher)
- angelegtes Tourniquet regelmäßig auf Effektivität und korrekte Lage sowie Notwendigkeit kontrollieren
- lebensbedrohliche Blutungen, die nicht mit Hilfe eines Tourniquet behandelt werden kann, mit manueller Kompression und durch Wundtamponade (wound packing) mit Verbandgaze versorgen
A (Airway) des X-ABCDE-Schema
- bei Atemwegsverlegung zunächst Freimachen und Freihalten der Atemwege, danach Atmung gemäß X-ABCDE-Schema erneut überprüfen und bewerten
- (stabile) Seitenlage zur Atemwegssicherung und Aspirationsprophylaxe bei Patient*innen ohne Bewusstsein und mit vorhandener Atmung (CAVE: engmaschige Vitalzeichen-Überprüfung zur zeitnahen Detektion von Patientenzustandsveränderungen)
- Vorhaltung oropharyngealer und nasopharygealer Hilfsmittel, Beatmungsmasken und -beutel, supraglottischer Atemwegshilfen und Endotrachealtuben in gängigen Größen für Erwachsene und Kinder für die Sicherung der Atemwege in der prähospitalen Katastrophenmedizin
- wenn Atemwegssicherung in Katastrophenmedizin indiziert, trainierte und beherrschte Maßnahme bevorzugt anwenden
- bei vermuteter Wirbelsäulenverletzung auf schonende, achsengerechte Lagerung achten (keine generelle Empfehlung zur Durchführung der Wirbelsäulenimmobilisation in katastrophenmedizinischen Schadenslagen)
B (Breathing) des X-ABCDE-Schema
- bei Atemnot nach klinischen Zeichen der Sauerstoffunterversorgung (Hypoxie) suchen und Vitalzeichen bestimmen
- initial Basismaßnahmen wie Beruhigen, atmungserleichternde Lagerung zur Aktivierung der Atemhilfsmuskulatur, Atemanweisung/-anleitung sowie Luftzufuhr, bevor invasivere Maßnahmen zum Einsatz kommen
- zugrundeliegende Ursachen einer Sauerstoffunterversorgung (Hypoxie) feststellen und behandeln
- bei klinischen Hypoxiezeichen Sauerstofftherapie bis zum Erreichen einer Linderung oder der Zielsättigung (Ziel ist Sicherstellung einer lebensnotwendigen Sauerstoffversorgung; Sauerstoffbedarf reevaluieren und Sauerstofftherapie beenden, nicht mehr indiziert; CAVE: Übertherapie, also Hyperoxie, vermeiden)
- bestmögliche Sauerstofftherapie bei folgenden Anzeichen für Inhalationstrauma bzw. Rauchgasinhalation (falls technisch möglich, inspiratorische Sauerstoffkonz. von 100 %)
- Verbrennungen und Ruß im Gesicht
- versengte Gesichts- und Nasenbehaarung
- Ruß im Sputum
- Zeichen für Obstruktion der oberen Atemwege (Stridor, oropharyngeale Ödeme, Schleimhautläsionen)
- Spannungspneumothorax ist lebensbedrohlicher Notfall und erfordert sofortige Entlastung
- Verdachtsdiagnose „Spannungspneumothorax“ auf rein klinischer Grundlage stellen
- beim Spannungspneumothorax in Katastrophenlagen Durchführung Minithorakotomie, aufgrund etwas schnellerer Umsetzbarkeit ggf. initial Nadeldekompression mit langer, stabiler, großlumiger Kanüle (CAVE: im Anschluss an Minithorakotomie Thoraxdrainage)
- offene Thoraxverletzung mit Ventil-Verband versorgen
- analgetische Therapie bei Patient*innen mit Thoraxverletzungen
- min. 8 h Überwachung bei Patient*innen mit V.a. Explosionstrauma (z.B. mit Trommelfellperforation) und bisher fehlenden respiratorischen Symptomen (Dyspnoe, Tachypnoe, Hypoxie)
- Patient*innen mit isolierter Blast Lung injury profitieren von Beatmungstherapie bzw. nei Blast Lung injury mit respiratorischer Insuffizienz Beatmungstherapie einleiten
- Untersuchung des Trommelfells mit Otoskopie zur besseren Differenzierung von Explosionstraumata
- bei Asthmaanfall oder Atembeschwerden durch COPD in der Katastrophenmedizin initial Basismaßnahmen wie Beruhigen, Lippenbremse, Atemanweisungen, Luftzufuhr schaffen, atmungserleichternde Lagerung zur Aktivierung der Atemhilfsmuskulatur, bevor invasivere Maßnahmen zum Einsatz kommen
- bei Exazerbation von Asthma bronchiale oder COPD 2 – 4 Hübe eines kurzwirksamen Beta-2-Sympathomimetikums (SABA) sauerstoffunabhängig applizieren (ggf. bei unzureichender Wirkung Wdh. nach 15 – 30 min; vorbestehende inhalative Dauertherapie fortsetzen, sofern vefügbar) sowie zusätzlich 50 mg Prednisolon per os (ggf. Wiederholungsdosis am gleichen Tag)
- Mitgabe von 2 Dosen Prednisolon oral (50 mg) für Folgetage als Option bedenken
- wenn o.g. Basistherapie bei Asthmaanfall nicht ausreicht, zusätzliche O2-Therapie über Nasenbrillemit 2 – 4 l O₂ mit Ziel-SpO₂ von 93 – 95 %
- wenn o.g. Basistherapie bei COPD nicht ausreicht, ergänzend und vorübergehend niedrigdosierter Sauerstoff (Ziel-SpO₂ 88 – 92 %)
- keine Intubation bei Patient*innen mit exacerbierter COPD in Katastrophenmedizin
- bei Exazerbation von Asthma bronchiale oder COPD 2 – 4 Hübe eines kurzwirksamen Beta-2-Sympathomimetikums (SABA) sauerstoffunabhängig applizieren (ggf. bei unzureichender Wirkung Wdh. nach 15 – 30 min; vorbestehende inhalative Dauertherapie fortsetzen, sofern vefügbar) sowie zusätzlich 50 mg Prednisolon per os (ggf. Wiederholungsdosis am gleichen Tag)
- Diagnose „Pneumonie“ klinisch stellen (klinische Symptome sind Husten mit/ohne Auswurf, Dyspnoe, erhöhte AF, atemabhängige thorakale Schmerzen, Hyper-/Hypothermie, Desorientiertheit, Tachykardie, Hypotonie, abgeschwächter Klopfschall und inspiratorische Rasselgeräusche bzw. Bronchialatmen)
- Pneumonie antibiotisch behandeln
C (Circulation) des X-ABCDE-Schema
- Hinweise für hämorrhagischen Schock („Blutungsschock“)
- Bewusstseinsstörungen (auch Agitation, Verwirrtheit) ohne SHT-Zeichen
- Tachypnoe/Hyperventilation
- Blässe oder Zyanose
- Schwache oder fehlende periphere Pulse
- RRsys < 90mmHg
- Schockindex (HF/systolischer RR) > 1
- Verbringen in Schocklage bei V.a. hypovolämischen oder distributiven Schock
- Volumentherapie bei Patient*innen im hämorrhagischem Schock
- Volumentherapie unter kritischer Indikationsstellung (Überlebenschancen vs. Ressourcen) bei unkontrollierbaren Blutungen, z.B. V.a. abdominale Blutung (kontrollierte Hypotension mit RRsys um 90 mmHg)
- bei distributiven Schock (z.B. Anaphylaxie) bei Erwachsenen 0,5 mg (500 µg) bzw. Kleinkindern & Kindergartenkindern 0,15 mg (150 µg) Adrenalin pur i.m. in den anterolateralen mittleren Oberschenkel (ggf. Wdh.; sofern nach Wdh. nach 5 – 10 min keine Besserung erzielt, Differentialdiagnosen abklären)
- Flüssigkeitstherapie
- wenn Flüssigkeitstherapie erforderlich und keine alternative Applikationsform verfügbar ist, Anlage venöser Zugang (falls i.v.-Zugang nicht möglich Ausweichen auf i.o.-Zugang)
- bei Kreislaufinstabilität und, wenn absoluter/relativer Volumenmangel wahrscheinlich, initialer Volumenbolus von 500 mL VEL i.v. (danach Re-Evaluation bzgl. weiterer Gaben)
- Ziele der Flüssigkeitstherapie
- RR-Stabilisierung
- Wiederherstellung Gewebsperfusion und Organfunktionen
- Ersatz verlorenes Blutvolumen
- Volumentherapie (bei Traumapatient:innen) mit balancierten, kristalloiden, isotonen VEL
- Verzicht auf Volumentherapie bei fehlendem Hinweis auf Volumenmangel
- keine prähospitale Transfusion von Blutprodukten, weil hohen Sicherheitsvorkehrungen (z.B. Kühlung, Lagerung, Blutgruppenkontrolle, Dokumentation) zur Komplikationsvermeidung in katastrophenmedizinischen Schadenslagen nicht leistbar
- initial, wenn möglich Flüssigkeitssubstitution in der Katastrophenmedizin oral mit Trinkwasser oder ungesüßtem Tee (Ausnahmen: Patient*innen mit Somnolenz, Schluckstörungen/Aspirationsgefährdung oder vitaler Gefährdung)
- medikamentöse Therapie bei Blutungen
- falls verfügbar, Hämostyptika zur direkten Blutungskontrolle (Hämostyptika in Form von Verbandstoffen bevorzugen, v.a. zum Woundpacking)
- CAVE: nicht jede Blutung benötigt Hämostyptikum, sauberes Woundpacking meistens mit gleichem Erfolg
- 1 g TXA i.v. so früh wie möglich bei Patient*innen mit unkontrollierbarer Blutung
- akutes kardiales Ereignis
- bei V.a. akutes kardiales Ereignis, Untersuchung auf akutes kardiales Ereignis und/oder eines kardiogenen Schocks, weitere Therapie dann entsprechend dem vorliegenden Befund
- Oberkörper-Hochlagerung bei Patient*innen mit akutem kardialen Ereignis
- 12-Kanal-EKG so zeitnah wie möglich bei V.a. Herzinfarkt
- initial 200 – 300 mg ASS p.o. bei V.a. Akutes Koronarsyndrom (Symptome) und ohne Trauma/ohne Hinweis auf kritische Blutungen
- bei Bedarf titrierte Opioid-Gabe (z.B. Morphin 5 mg s. c.) bis zur Symptomkontrolle bei V.a. Herzinfarkt, starken Schmerzen und Hypertension sowie Tachykardie
- Fibrinolysetherapie i.v. bei STEMI, der in < 6 h nach Symptombeginn eindeutig diagnostiziert ist (ggf. ergänzend Ableitungen V7 – V9 und rV3, rV4), fehlenden Kontraindikationen im Katastrophenfall und wenn Katheter basierte Therapie nicht in < 2 h möglich
- bei V.a. akutes kardiales Ereignis intial Untersuchung bzgl. Schock oder ARI sowie Therapie selbiger (danach zur Abklärung typischer Ursachen eines akuten kardialen Ereignisses 12-Kanal-EKG und nachfolgende Therapie)
- bei Zeichen der Herzinsuffizienz mit Dyspnoe O2-Therapie mit 1 – 2 L/min (Ziel-SpO2: 94 %)
- bei akut dekompensierter Herzinsuffizienz und Zeichen der Volumenbelastung initial Schleifendiuretika (bevorzugt i. v., alternativ p. o.)
absolute KI Fibrinolyse | relative KI Fibrinolyse |
---|---|
– vorherige intrakranielle Blutung oder Schlaganfall – unbekannter Ursache – kurz zurückliegendes Trauma/Kopfverletzungen (im Vormonat) – ischämischer Schlaganfall in den vorangegangenen 6 Monaten – bekannte Blutungsstörung – Magen-Darm-Blutung im letzten Monat – Verletzung des Zentralnervensystems oder Neoplasien oder arteriovenöse Gefäßmissbildung – Aortendissektion – nicht komprimierbare Punktion in letzten 24 h | – transitorische ischämische Attacke in den vorangegangenen 6 Monaten – orale Antikoagulation – Schwangerschaft oder Entbindung innerhalb der letzten Woche – refraktäre Hypertonie (Systole 180 mmHg und/oder Diastole 110 mmHg) – fortgeschrittene Lebererkrankung |
D (Diasability) des X-ABCDE-Schema
- Bewusstseinsstörungen und Bewusstlosigkeit
- Ausschluss Hypoglykämie bei Bewusstseinstrübung/Bewusstlosigkeit
- bei niedrigem BZ (< 60 mg/dL) oder klinischen Bild einer Hypoglykämie, wenn orale Selbsttherapie nicht mehr möglich, Glucose als Gel oder flüssig primär in kleinen Mengen s.l. oder buccal
- bei Hypoxie-Zeichen als Ursache für Bewusstseinsstörung O2-Gabe (Ziel-SpO2: 94 – 96 %)
- Hypotonie und Hypovolämie behandeln, um adäquaten cerebralen Perfusionsdruck zu erreichen
- bei Hyperglykämie (BZ > 250 mg/dL) und gutem Schluckvermögen viel Flüssigkeit (Trinkwasser, ungesüßter Tee) oral verabreichen
- Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
- bei Hypotension mit SHT arterielle Normotonie und RR-Abfall < 90 mmHg sys. vermeiden (altersadaptiert bei Kindern)
- 1 – 2 g Tranexamsäure i.v. bei SHT mit Bewusstseinsstörung (GCS 9 – 13), 2. Gramm TXA als Kurzinfusion zeitversetzt
- bei SHT mit Bewusstlosigkeit (GCS unter 8), Hypotonie, Hypoxie, Anisokorie oder beidseitiger Pupillenstarre nach ärztlicher Re-Evaluation in katastrophenmedizinischer Schadenslage palliative Symptomkontrolle
- neurologische Störungen
- Lagerungsmaßnahmen (Oberkörper hoch, Beine herunter) und Betreuungsmaßnahmen (emotional beeinflusster Hypertonus) bei hypertensivem Notfall mit RRsys > 220 mmHg in Kombination mit Endorganstörung (med. RR-Senkung, wenn regelmäßige Kontrolle möglich)
- Überwachung und symptomorientierte Behandlung bei V.a. Schlaganfall
- Benzodiazepin buccal/i.n. bei epileptischen Anfall (> 2 min) oder Status epilepticus (z.B. 2 mg Lorazepam oder 5 mg Midazolam i.n.; ggf. Wdh. nach ca. 5 min) sowie Überwachung min. bis zum Aufklaren nach postikataler Phase oder Sedierung
- keine aktive Erwärmung bei hypothermie-bedingten Bewusstseinsstörungen in Katastrophenlagen
- aktive Kühlung bei hyperthermie-bedingten Bewusstseinsstörungen in Katastrophenlagen
E (Exposure) des X-ABCDE-Schema
- Training im Erkennen und Behandeln von Verletzungen, die die Funktion und Vitalität einer Extremität bedrohen für medizinisches Personal (v.a. Ärzt:innen), z.B. Kompartment, Ischämie, offene Frakturen sowie Wundversorgung
- für Behandlung von Verletzungen in Großschadenslagen mit zerstörter Infrastruktur Pakete zur Wundversorgung vorbereiten und verteilen
- unsterile Handschuhe
- Hautdesinfektionsmittel
- Wundreinigungsmittel (Trinkwasser) und gebrauchsfertige Wundspüllösungen
- sterile Kompressen
- kleine chirurgische Wundversorgungssets steril
- chirurgische und anatomische Pinzette
- Schere
- Kompressen
- Tupfer
- verschiedene Skalpelle
- Nahtmaterial verschiedener Stärken
- sterile Handschuhe
- Abdecktücher steril und unsteril
- Wundauflagen und Verbände in verschiedenen Größen
- Verbandpäckchen
- Hämostyptika
- antiseptische Wundpflege für oberflächliche Hautwunden
- Wundschnellverbände in verschiedenen Größen
- DMS-Kontrolle vor/nach Manipulation bei Extremitätenverletzungen (CAVE: Dokumentation)
- frühzeitige achsengerechte Reposition möglichst unter Analgesie und anschließender Ruhigstellung bei Fehlstellungen von Extremitätenfrakturen mit Gefahr weiterer Gewebeschädigung
- unverzüglich nach ersten Symptomen chirurgische Beurteilung bei V.a. Kompartmentsyndrom, wenn Transportkapazitäten vorhanden oder Chirurg*in vor Ort (für Intervention Abwägung Infektion bei Eröffnung vs. Funktionseinschränkung durch Muskelnekrose)
- erworbene Weichteilverletzungen in Großschadens-, Terrorlage, Katastrophen- oder Gefechtssituation als verunreinigt/verschmutzt, also infektionsgefährdet, ansehen
- Wundreinigung mit Wasser in Trinkwasser-Qualität
- ausgedehnte Weichteilverletzungen ausgiebig spülen (ggf. alternativ mit isotoner Lösung)
- möglichst „Spüldruck“ über 20 mL oder 50 mL Spritze aufbauen
- Wundreinigung bei angemessener Analgesie
- Antibiotikatherapie ersetzt keine adäquate Wundreinigung
- Verletzung in Katastrophen–/Gefechtssituation nicht primär nähen (Ausnahme: kleine, saubere Verletzungen an Gesicht, Skalp und Perineum)
- verschmutzte Wunde nach Reinigen nicht primär nähen (sek. Wundverschluss am 2. – 5. Tag nach Trauma)
- Weichteilverletzung mit saugfähigen Wundverband, möglichst mit antiseptischer Lösung befeuchtet, versorgen
- bei kritischer Weichteilverletzung (z.B. Crush-Verletzung nach Einklemmung/Explosion etc.) Patient*in in Bezug auf Vitalparameter und Lokalbefund reevaluieren und behandeln
- bei auskunftsfähigen Patient*innen Tetanus-Immunprophylaxe/-Impfung angepasst an Ausmaß der bereits stattgehabten Immunisierung (Auffrischung, wenn min. 3 Impfungen erfolgt und letzte Impfung > 5 Jahre zurückliegend)
- Tetanus-Schutzimpfung und Tetanus-Immunglobulin bei großflächigen und/oder stark verschmutzten Wunden sowie unklarem Impfstatus
- Priorität bei Tetanus-Impfung für sicher ungeimpfte Personen
- frühestmögliche Antibiotikatherapie ist indiziert bei freiliegenden Leitungsbahnen, Beteiligung von Gelenken/Periost/Knochen oder bei klinischen Hinweisen auf systemische bakterielle Infektion (unabhängig vom zusätzlich erforderlichen chirurgischen Debridement)
- Antibiotika-Gabe im Katastrophenfall in jeweils zugelassenen Höchstdosis
- frühestmögliche, fachkundige Versorgung in spezialisierter Versorgungsstruktur bei offenen Frakturen (mit Durchtrennung der Haut) und penetrierenden Traumen
- Diagnosestellung „Sepsis“ gemäß Sepsis-3 unter Anwendung des qSOFA-Scores
- Brandverletzungen, Verbrennungen
- Handflächen-Regel zur initialen Abschätzung der verbrannten Körperoberfläche (CAVE: Erythem also Verbrennung 1° zählt nicht dazu)
- VKOF zusammen mit weiteren Verletzungen/Erkrankungen zur Einschätzung der Überlebenswahrscheinlichkeit heranziehen
- VKOF vor der Festlegung eines Therapieziels reevaluieren zur Vermeidung falsch hoher Schätzung
- Flüssigkeitssubstitution oral mit Elektrolytlösung bei Brandverletzten mit bis zu 40 % VKOF ohne Hypotension sowie erhaltener Vigilanz und erhaltenen Schutzreflexen (wenn kein WHO ORS zu Verfügung Elektrolytlösung aus je 1 L Trinkwasser, 1 Teelöffel Salz und 6 Teelöffeln Zucker)
- i.v.-/i.o.-Zugang und Gabe isotoner Kristalloide bei Brandverletzten mit > 40 % VKOF (CAVE: Organperfusion sichern sowie Flüssigkeitsmenge kontrollieren und angepassen zur Vermeidung einer Überinfusion)
- Temperaturmanagement
- nasse Kleidung entfernen
- Patient*innen mit trockenen Decken zur Erhaltung der Eigenwärme umhüllen
- Verwendung passiver Wärmefolien (Rettungsdecken) zur Hypothermieprophylaxe
- zur Hypothermieprophylaxe (v.a. bei Kindern) der Kopf bedecken
- Normothermie (> 36 °C) anstreben
- nichtinvasive Temperaturkontrolle im Secondary Survey
- Kontrolle der Körpertemperatur min. bei V.a. Unterkühlung oder bei Entzündungszeichen und/oder Anzeichen auf Sepsis sowie bei rascher Verschlechterung des Patientenzustands
- vorgewärmte i.v.-applizierte Flüssigkeit und Flüssigkeiten zur Wundreinigung bei großflächigem Wärmeverlust oder hypothermen Patient*innen (möglichst 38 – 41 °C)
- Analgesie
- Schmerzen mittels NRS, VRS oder Gesichter-Skala für Kinder beurteilen & dokumentieren
- adäquate Lagerung (z.B. Unterpolsterung, Reposition, Schienung) zur nicht-medikamentösen Analgesie
- eskalierende medikamentöse Analgesie
- Nicht-Opioid-Analgetika p.o. bei leichten Schmerzen
- Nicht-Opioid-Analgetika + zusätzlich Ketamin und/oder Opioide bei mittelstarken bis starken Schmerzen (nach ärztlicher Anordnung oder durch eingewiesenes, trainiertes Personal)
- starke Opioide bei starken Schmerzen
- bei Ketamingabe oder Opioidgabe Überwachung der Vitalfunktionen
- Esketamin: 0,25 – 0,5 mg/kgKG i.n./i.m. oder 0,125 – 0,25 mg/kgKG i.v.
- Fentanyl: 0,05 – 0,2 mg als Initialdosis langsam i.v./i.m., 0,05 mg als Nachinjektion (bei Alter 2 – 11 Jahre: 1 – 3 µg/kgKG als Initialdosis, 1 µg/kgKG als Nachinjektion)
- Lokalanästhetika für verlängerte prähospitale Behandlung (Vorhaltung bzw. Zuführung innerhalb von Stunden)
- zur effektiven Analgesie und Einsparung von Opioiden Einsatz peripheren Regionalanalgesieverfahren (Nervenblockaden wie FICB), wenn beherrscht
weitere Besonderheiten
- Versorgung von Kindern bei Großschadensereignissen und Katastrophen in Einsatzkonzepte integrieren und trainieren
Behandlung chemischer Kontamination
- Zeichen möglicher(CBRN-) Gefahren
- Zusammentreffen nicht passender Eindrücke (z.B. Nebel an untpyischer Stelle etc.)
- unerwartete oder starke Gerüchte oder Geschmacksempfindungen
- tote Tiere
- unerklärliche Symptome bei mehreren Menschen
- Kopf- & Augenschmerzen, Sehstörungen, Tränenfluss, trockenen Augen, enge/weite Pupillen
- starkeer Speichelfluss, Atemnot, Mundtrockenheit, AP-Beschwerden, Husten
- Hautrötung, ggf. Blasenbildung ohne Verbrennung
- neu aufgetretenes Muskelzitten (ohne Kälteempfinden oder nicht aufregungsbedingt)
- Erbrechen, Durch oder Fieber (z.B. unspezifisches zeichen bei Strahlenfrühsymptomen)
- Empfehlungen zur medizinischen Versorgung bei Kontamination
- Rettung aus Gefahrenbereich unter bestmöglichem Eigenschutz
- unverzügliche, lebensrettende Sofortmaßnahmen in Auffindesituation als Voraussetzung zur Rettung aus dem Gefahrenbereich und unter Beachtung des Eigenschutzes
- Entfernen der Oberbekleidung spätestens bei (Vor-)Sichtung (anschließend mit einfachen Mitteln ein Wärmeerhalt sicherstellen)
- an Kontaminiertenablage Festlegung der Reihenfolge der Versorgung und Dekontamination durch qualifizierte medizinische Kräfte
- Einschätzung der Kreislauf- und Atemfunktion mit Pulsoxymetrie bei Dekon-Sichtung
- Toxidrome sollen in med. Beurteilung/Dekon-Sichtung zur Entscheidung über med. Versorgung einfließen (Verfügbarkeit der Toxidrome als Taschenkarten)
- sichtbare Körperreaktion (z. B. Haut-, Schleimhautreaktion, hohes Fieber, starkes Erbrechen) ist Hinweis auf Intoxikation bei vermuteter Gefahrstoffexposition (SK II „dringliche Behandlung“; im Verlauf Re-Evaluationen)
- exponierte Personen frühstmöglich über Maßnahmen und weiteren Ablauf der Versorgung (inkl. Dekontamination) informieren
- Maßnahmen, die zur Stabilisierung der Vitalfunktionen vor den Dekontaminationsstrecke erfolgen sollen
- lebensrettende Sofortmaßnahme (Stillen lebensbedrohlicher Blutung, Atemweg freimachen und freihalten sowie Lagerung)
- ergänzende lebensrettende Sofortmaßnahmen (Antidotgabe, Ablegen der Oberbekleidung, Entfernen sichtbar kontaminierter Kleidung, Reduzierung erkennbarer Kontamination durch schnelle Spülung mit Wasser oder durch trockenes Abtupfen)
- erweiterte Maßnahmen (z.B. Schockbekämpfung, Wärmeerhalt, Medikation, Lagerung nach med. Notwendigkeit)
- Spotdekontamination frühestmöglich mit geeignetem Dekon-Mittel zur Dekontamination besonders belasteter und potentiell kontaminierter Körperbereiche oder besonders sensibler Bereiche (wenn kein geeignetes Dekon-Mittel vefügbar, Trink- oder sauberes Leitungswasser verwenden)
- Verzicht auf invasive Atemwegssicherung auch bei Kontamination
- bedarfsweise Analgesie starker Schmerzen vor Dekontamination mit i.m./i.n./buccaler Gabe
- schnellstmöglich Atropin und Obidoxim zur Therapie des cholinergen Syndroms (z.B. Nervenkampfstoffen oder Organophosphatintoxikation)
- frühzeitig Benzodiazepine bei Krampfanfällen unter Organophosphatintoxikation
- 4-DMAP bei schwerer Cyanid-Intoxikation (anschließend Natriumthiosulfat-Gabe)
- Naloxon bei Vergiftungen durch hochpotente Opiate
- gespülte Wunden nach Dekontamination mit Folie (Folienverband, Frischhaltefolie) abdecken
- angelegtes Tourniquets durch oberhalb platziertes sauberes Tourniquet ersetzen
- Fortführung verfügbarer spezifischer Therapien und symptomorientierter Therapien nach Dekontamination
- CAVE: Dokumentation aus Schwarzbereich auf saubere Unterlagen übertragen und Patient*innen mitgegeben
- Gewährleistung der Weiterführung der Antidottherapie nach Dekontamination (Informationsweitergabe über bisherige Therapie, auslösende chemische Substanz und Antidotnachführung)
Einbindung von Psychosozialer Notfallversorgung
- bei exponierten Personen bei Untersuchung & Anamneseerhebung auf psychosoziale Beeinträchtigung achten und ggf. bedarfsgerechte Unterstützung durch PSNV anbieten (CAVE: keine Verzögerung der Behandlung von bedrohten Vitalfunktionen oder dringlichen medizinischen Therapien)
- Grundlage der PEH und PSNV ist Vermittlung von Sicherheit, Förderung der Selbstwirksamkeit, Förderung sozialer Kontakte und Vermittlung von Perspektive und Hoffnung
- medikamentöse Sedierung und Anxiolyse zur Krisenintervention in Großschadenslagen sollte Ausnahme bleiben (kurzzeitige medikamentöse Krisenintervention auf ärztliche Anordnung im Sinne einer „rapid tranquilisation“ erwägen, wenn sich psychischer Zustand exponierter Personen durch Techniken der Gesprächsführung nicht verbessert und die medizinische Versorgung dadurch erschwert/behindert wird; orale Benzodiazepin-Gabe, z.B. Lorazepam)
- Informationsvermittlung über mögliche Reaktionen auf das Erlebte und Hilfsangebote
- Schnittstellen und Zuständigkeiten im Übergang von psychosozialer Akuthilfe zu weiterführenden Versorgungsstrukturen in Vorplanungen mit einschließen, um lückenlose und geordnete Versorgung im Katastrophenfall zu gewährleisten
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