Intoxikation ist die häufigste Todesursache bei drogenkonsumierenden Menschen
Opioide sind in den meisten Fällen einer tödlichen Überdosierung in Irland die Ursache (weltweit etwa 69.000 Todesfällen pro Jahr)
Opiate, die aus der Mohnpflanze (Papaver somniferum) gewonnen werden, werden seit Jahrtausenden weltweit sowohl Medikament, aber auch als Freizeitdroge verwendet
Opiate gehören zur größeren Gruppe der Opioide, zu der auch synthetische und halbsynthetische Drogen gehören
Opioide sind starke Agonisten an μ-Opioidrezeptoren, die Euphorie, Schmerzlosigkeit, Abhängigkeit, Sedierung, Atemdepression und sogar den Tod verursachen können
Naloxon ist ein Opioid-Antagonist ohne Rausch- oder Missbrauchspotenzial (verdrängt Opioide vorübergehend vom Opioidrezeptoren im ZNS und hebt die durch Opioidüberdosis verursachte Atemdepression rasch auf
Kennzahlen relevanter Opiate/Opioide
Medikament
orale Dosis (mg) äquianalgetisch zu Morphin (10 mg)
parenterale Dosis (mg) äquianalgetisch zu Morphin (10 mg)
Wirkdauer (Stunden)
HWZ (Stunden)
Codein
200
120
4 – 6
2,5 – 4
Morphin
30
10
3 – 4
2 – 4
Buprenorphin
4 (sublingual)
0,3
6 – 24
20 – 44
Hydrocodon
30
nicht verfügbar
4 – 6
8
Hydromorphon
7,5
1,5
2 – 4
2 – 3
Oxycodon
20
nicht verfügbar
3 – 6
3 – 4
Oxymorphon
6
1,5
4 – 6
7 – 11
Diphenoxylat
2,5
nicht verfügbar
2 h für Diphnoxylat, 12 – 14 h für Difenoxin
Fentanyl
0,125
0,100
1
3 – 4
Meperidin
300
100
1 – 3
3 – 4 h für Meperidin, 15 – 30 h für Normeperidin
Methadon
20
10
8 – 12
12 – 18
Tapentadol
75
nicht verfügbar
4 – 6
4 – 5
Tramadol
100
100
4 – 6
5 – 7
Symptomatik
im Allgemeinen basiert die Diagnosestelung auf dem Vorhandensein eines Opioidtoxydroms, dem Konsum verschreibungspflichtiger Opioide, Drogenkonsum in der Vorgeschichte, gefundenen Utensilien und Reaktion auf Naloxon
auch wenn klassischer Trias aus Atemstillstand, Stupor/Bewusstseinsveränderung und Miosis stark auf Opioidintoxikation hindeutet, sind diese Befunde nicht immer vorhanden
Möglichkeit einer Mischintoxikation mit Alkohol, Benzodiazepine, Stimulanzien, Cannabis, Paracetamol, Salicylate etc. berücksichtigen und deren Auswirkungen auf die klinischen Untersuchungsergebnisse und die anschließende Behandlungsstrategie
klassische Symptome einer Opioidintoxikation
Koma
Miosis (verengte Pupillen)
verringertes Atemzugvolumen
Atemdepression
Blutdruckabfall
verringerte Darmgeräusche
Atemstillstand/Herzstillstand
Atemdepression ist in der Praxis das am leichtesten zu erkennende und zuverlässigste Zeichen einer Opioidüberdosierung, die schließlich in der Apnoe gipfelt (AF < 12 kann auf akute Intoxikation hindeuten, v.a. wenn begleitet von stecknadelgroßen Pupillen und/oder Koma)
Diagnostik
Blut, venöses BGA: Elektrolyt-/BGA-Anomalien, Hypoglykämie, Paracetamol- und Salicylatspiegel
Kopf-CT: Notwendigkeit eines Kopf-CTs im klinischen Kontext erwägen, da Ohnmacht aufgrund SHT fälschlicherweise als Medikamentenintoxikation erkannt werden kann
Monitoring: EKG, RR, etCO2 (AF und effektive Atmung), SpO2
Therapie
Atemwegssicherung & Beatmung
zusätzlichen O2-Gabe, Anlage pVK und Transport in monitorisierten Bereich
Entfernung aller Opioidpflaster, falls vorhanden
bei Hypotonie Gabe von Kristalloiden erwägen; ggf. Arrythmien behandeln
BZ überwachen und Normoglykämie aufrechterhalten
Behandlung von Krampfanfällen gemäß lokalen Protokollen
Antidot-Therapie
Naloxon ist nicht-selektiver Antagonist für alle Klassen von Opioidrezeptoren
Naloxon kann i.m., i.n., i.o. oder i.v. als Bolus bei Atemdepression infolge einer schweren Opioid-Überdosis verabreicht werden
Umkehrung der Opiatwirkung ist für die Patienten sehr unangenehm
Ziel der Antidot-Thrapie ist die Aufhebung der Atemdepression und Aufrechterhaltung der Schutzreflexe und nicht die vollständige Aufhebung der Bewusstlosigkeit
Wirkungsdauer von Naloxon (HWZ von 30 – 80 min) ist kürzer als die aller Opioid-Analgetika und hängt von Dosis & Applikationsweg ab
ggf. Naloxon-Gabe erst erwägen, wenn die Atmung nicht mehr beeinträchtigt ist
Schritt-für-Schritt-Anleitung für Naloxon-Gabe
initiale Gabe von 400 μg (0,4 mg) i.v./i.o.
wenn nach 1 min keine Reaktion, erneute Gabe in Dosierung von 800 μg (0,8 mg) i.v./i.o.
wenn nach 1 min keine Reaktion, weitere Gabe in Dosierung von 800 μg (0,8 mg) i.v./i.o.
wenn nach insg. 2 mg Naloxon keine Reaktion, erneute Gabe in Dosierung von 2000 μg (2 mg) i.v./i.o. –> ggf. bis zu 4 mg Naloxon notwendig bei Intoxikation mit hochpotenten Opioiden
bei Nichtansprechen auf Naloxon andere Diagnosen in Betracht ziehen
sobald angemessene Reaktion auf Naloxon-Gabe vorhanden ist, sind AF, SpO2 und Bewusstseinszustand in der ersten Stunde alle 15 min und in den folgenden 3 h nach der Naloxongabe alle 30 min zu überwachen (CAVE: auch Blutgase überwachen)
Naloxon i.n./i.m. erwägen, wenn i.v.-Zugang nicht oder nur verzögert möglich (Wdh. alle 2 – 3 min möglich) –> Patient*innen sorgfältig auf Wiederauftreten von ZNS- & Atemdepression überwachen
Naloxon-Infusionstherapie
Naloxon-Infusion kann erforderlich sein, wenn wiederholte Dosen erforderlich sind
initiale stündliche Infusionsrate sollte etwa 60 % der Gesamtdosis entsprechen, die für angemessene Umkehrung der Atemdepression erforderlich ist (z.B. wenn 800 μg erforderlich als Einzel- oder Zweifachdosis mit jeweils 400 μg, mit Infusionsrate von 480 μg/h und dann nach klinischer Wirkung titrieren
4 mg Naloxon (10 mL 400 μg/mL) in 30 mL NaCl 0,9 % oder Glucose 5 % verdünnen –> 100 μg/mL-Lösung
empfohlene initiale Infusionsraten für Naloxon-Infusion
erforderlicher Gesamtbolus für Ansprechen (μg)
initiale Infusionsdosis (μg/h)
initiale Infusionsrate (mL/h)
200 μg
120 μg/h
1,2 mL/h
400 μg
240 μg/h
2,4 mL/h
600 μg
360 μg/h
3,6 mL/h
800 μg
480 μg/h
4,8 mL/h
1000 μg
600 μg/h
6,0 mL/h
1200 μg
720 μg/h
7,2 mL/h
1400 μg
840 μg/h
8,4 mL/h
1600 μg
960 μg/h
9,6 mL/h
1800 μg
1080 μg/h
10,8 mL/h
2000 μg
1200 μg/h
12,0 mL/h
Algorithmus
Entlassungs-/Einweisungskriterien
Kriterien für sichere Entlassung nach Hause
Symptome vollständig abgeklungen
Patient*in kann selbst ausreichend atmen, ohne das min. 6 h Naloxon als Bolus/Infusion benötigt
Patient sollte wach und reaktionsfähig sein
normale Vitalzeichen, v.a. SpO2 bei Raumluft
Entlasshinweise wie z.B. nochmalige Vorstellung bei rezivierenden Symptomen o.Ä.
Einweisungskriterien
Anzeichen einer akuten Atemproblematik, die schlecht auf ersten Naloxon-Bolus anspricht und eine Naloxon-Infusion benötigt
Beobachtung in der Notaufnahme kann in Abhängigkeit der Darreichungsform erforderlich sein: bei nicht-retardierten Medikamenten mind. 6 h und bei retardierten Medikamenten mind. 12 h (CAVE: keine Entlassung in den Nachtstunden)
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