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Leitlinie „Management of recreational opioid overdose in the Emergency Department“ der IAEM

veröffentlichende Fachgesellschaft: Irish Association for Emergency Medicine (IAEM)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 07.03.2025
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://iaem.ie/professional/clinical-guidelines/

Grundsätzliches

  • Intoxikation ist die häufigste Todesursache bei drogenkonsumierenden Menschen
  • Opioide sind in den meisten Fällen einer tödlichen Überdosierung in Irland die Ursache (weltweit etwa 69.000 Todesfällen pro Jahr)
  • Opiate, die aus der Mohnpflanze (Papaver somniferum) gewonnen werden, werden seit Jahrtausenden weltweit sowohl Medikament, aber auch als Freizeitdroge verwendet
  • Opiate gehören zur größeren Gruppe der Opioide, zu der auch synthetische und halbsynthetische Drogen gehören
  • Opioide sind starke Agonisten an μ-Opioidrezeptoren, die Euphorie, Schmerzlosigkeit, Abhängigkeit, Sedierung, Atemdepression und sogar den Tod verursachen können
  • Naloxon ist ein Opioid-Antagonist ohne Rausch- oder Missbrauchspotenzial (verdrängt Opioide vorübergehend vom Opioidrezeptoren im ZNS und hebt die durch Opioidüberdosis verursachte Atemdepression rasch auf

Kennzahlen relevanter Opiate/Opioide

Medikamentorale Dosis (mg) äquianalgetisch zu Morphin (10 mg)parenterale Dosis (mg) äquianalgetisch zu Morphin (10 mg)Wirkdauer (Stunden)HWZ (Stunden)
Codein200120 4 – 62,5 – 4
Morphin30103 – 4 2 – 4
Buprenorphin4 (sublingual)0,36 – 24 20 – 44
Hydrocodon30nicht verfügbar4 – 68
Hydromorphon7,51,52 – 42 – 3
Oxycodon20nicht verfügbar3 – 63 – 4
Oxymorphon61,54 – 67 – 11
Diphenoxylat2,5nicht verfügbar2 h für Diphnoxylat, 12 – 14 h für Difenoxin
Fentanyl0,1250,10013 – 4
Meperidin3001001 – 3 3 – 4 h für Meperidin, 15 – 30 h für Normeperidin
Methadon20108 – 1212 – 18
Tapentadol75nicht verfügbar4 – 64 – 5
Tramadol1001004 – 65 – 7

Symptomatik

  • im Allgemeinen basiert die Diagnosestelung auf dem Vorhandensein eines Opioidtoxydroms, dem Konsum verschreibungspflichtiger Opioide, Drogenkonsum in der Vorgeschichte, gefundenen Utensilien und Reaktion auf Naloxon
  • auch wenn klassischer Trias aus Atemstillstand, Stupor/Bewusstseinsveränderung und Miosis stark auf Opioidintoxikation hindeutet, sind diese Befunde nicht immer vorhanden
  • Möglichkeit einer Mischintoxikation mit Alkohol, Benzodiazepine, Stimulanzien, Cannabis, Paracetamol, Salicylate etc. berücksichtigen und deren Auswirkungen auf die klinischen Untersuchungsergebnisse und die anschließende Behandlungsstrategie
  • klassische Symptome einer Opioidintoxikation
    • Koma
    • Miosis (verengte Pupillen)
    • verringertes Atemzugvolumen
    • Atemdepression
    • Blutdruckabfall
    • verringerte Darmgeräusche
    • Atemstillstand/Herzstillstand
  • Atemdepression ist in der Praxis das am leichtesten zu erkennende und zuverlässigste Zeichen einer Opioidüberdosierung, die schließlich in der Apnoe gipfelt (AF < 12 kann auf akute Intoxikation hindeuten, v.a. wenn begleitet von stecknadelgroßen Pupillen und/oder Koma)

Diagnostik

  • Blut, venöses BGA: Elektrolyt-/BGA-Anomalien, Hypoglykämie, Paracetamol- und Salicylatspiegel
  • EKG: Arrythmien, verlängertes QT-Intervall, verbreiterte QRS-Komplexe
  • Thorax-Röntgen: Aspirationspneumonie, ARDS
  • Urin-Toxikologie: Opioid
  • Kopf-CT: Notwendigkeit eines Kopf-CTs im klinischen Kontext erwägen, da Ohnmacht aufgrund SHT fälschlicherweise als Medikamentenintoxikation erkannt werden kann
  • Monitoring: EKG, RR, etCO2 (AF und effektive Atmung), SpO2

Therapie

  • Atemwegssicherung & Beatmung
  • zusätzlichen O2-Gabe, Anlage pVK und Transport in monitorisierten Bereich
  • Entfernung aller Opioidpflaster, falls vorhanden
  • bei Hypotonie Gabe von Kristalloiden erwägen; ggf. Arrythmien behandeln
  • BZ überwachen und Normoglykämie aufrechterhalten
  • Behandlung von Krampfanfällen gemäß lokalen Protokollen

Antidot-Therapie

  • Naloxon ist nicht-selektiver Antagonist für alle Klassen von Opioidrezeptoren
  • Naloxon kann i.m., i.n., i.o. oder i.v. als Bolus bei Atemdepression infolge einer schweren Opioid-Überdosis verabreicht werden
  • Umkehrung der Opiatwirkung ist für die Patienten sehr unangenehm
  • Ziel der Antidot-Thrapie ist die Aufhebung der Atemdepression und Aufrechterhaltung der Schutzreflexe und nicht die vollständige Aufhebung der Bewusstlosigkeit
  • Wirkungsdauer von Naloxon (HWZ von 30 – 80 min) ist kürzer als die aller Opioid-Analgetika und hängt von Dosis & Applikationsweg ab
  • ggf. Naloxon-Gabe erst erwägen, wenn die Atmung nicht mehr beeinträchtigt ist
  • Schritt-für-Schritt-Anleitung für Naloxon-Gabe
    • initiale Gabe von 400 μg (0,4 mg) i.v./i.o.
    • wenn nach 1 min keine Reaktion, erneute Gabe in Dosierung von 800 μg (0,8 mg) i.v./i.o.
    • wenn nach 1 min keine Reaktion, weitere Gabe in Dosierung von 800 μg (0,8 mg) i.v./i.o.
    • wenn nach insg. 2 mg Naloxon keine Reaktion, erneute Gabe in Dosierung von 2000 μg (2 mg) i.v./i.o. –> ggf. bis zu 4 mg Naloxon notwendig bei Intoxikation mit hochpotenten Opioiden
    • bei Nichtansprechen auf Naloxon andere Diagnosen in Betracht ziehen
    • sobald angemessene Reaktion auf Naloxon-Gabe vorhanden ist, sind AF, SpO2 und Bewusstseinszustand in der ersten Stunde alle 15 min und in den folgenden 3 h nach der Naloxongabe alle 30 min zu überwachen (CAVE: auch Blutgase überwachen)
    • Naloxon i.n./i.m. erwägen, wenn i.v.-Zugang nicht oder nur verzögert möglich (Wdh. alle 2 – 3 min möglich) –> Patient*innen sorgfältig auf Wiederauftreten von ZNS- & Atemdepression überwachen
  • Naloxon-Infusionstherapie
    • Naloxon-Infusion kann erforderlich sein, wenn wiederholte Dosen erforderlich sind
    • initiale stündliche Infusionsrate sollte etwa 60 % der Gesamtdosis entsprechen, die für angemessene Umkehrung der Atemdepression erforderlich ist (z.B. wenn 800 μg erforderlich als Einzel- oder Zweifachdosis mit jeweils 400 μg, mit Infusionsrate von 480 μg/h und dann nach klinischer Wirkung titrieren
    • 4 mg Naloxon (10 mL 400 μg/mL) in 30 mL NaCl 0,9 % oder Glucose 5 % verdünnen –> 100 μg/mL-Lösung
    • empfohlene initiale Infusionsraten für Naloxon-Infusion
erforderlicher Gesamtbolus für Ansprechen (μg)initiale Infusionsdosis (μg/h)initiale Infusionsrate (mL/h)
200 μg120 μg/h1,2 mL/h
400 μg240 μg/h2,4 mL/h
600 μg360 μg/h3,6 mL/h
800 μg480 μg/h4,8 mL/h
1000 μg600 μg/h6,0 mL/h
1200 μg720 μg/h7,2 mL/h
1400 μg840 μg/h8,4 mL/h
1600 μg960 μg/h9,6 mL/h
1800 μg1080 μg/h10,8 mL/h
2000 μg1200 μg/h12,0 mL/h

Algorithmus

Entlassungs-/Einweisungskriterien

  • Kriterien für sichere Entlassung nach Hause
    • Symptome vollständig abgeklungen
    • Patient*in kann selbst ausreichend atmen, ohne das min. 6 h Naloxon als Bolus/Infusion benötigt
    • Patient sollte wach und reaktionsfähig sein
    • normale Vitalzeichen, v.a. SpO2 bei Raumluft
    • Entlasshinweise wie z.B. nochmalige Vorstellung bei rezivierenden Symptomen o.Ä.
  • Einweisungskriterien
    • Anzeichen einer akuten Atemproblematik, die schlecht auf ersten Naloxon-Bolus anspricht und eine Naloxon-Infusion benötigt
    • Beobachtung in der Notaufnahme kann in Abhängigkeit der Darreichungsform erforderlich sein: bei nicht-retardierten Medikamenten mind. 6 h und bei retardierten Medikamenten mind. 12 h (CAVE: keine Entlassung in den Nachtstunden)
Published inLeitlinien kompakt

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