veröffentlichende Fachgesellschaft: Wilderness Medical Society (WMS)
Klassifikation gemäß AWMF:
Datum der Veröffentlichung: 01.03.2024
Ablaufdatum:
Quelle/Quelllink: https://doi.org/10.1177/10806032241227924
Grundsätzliches
- Hitzewelle in Europa im Jahr 2003 führte zu min. 70.000 Todesfällen
- zw. 2008 & 2014 starben in den USA durchschnittlich über 700 Menschen pro Jahr im Zusammenhang mit übermäßiger Hitzeexposition
- Hitzeerkrankungen sind die Haupttodes-/erkrankungsursache bei US-amerikanischen High-School-Sportler*innen
- Hitzeerkrankungen führen zu einer übermäßigen Anzahl von Todes-fällen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Personen > 65 Jahren
- Gesamtsterblichkeitsrate des Hitzeschlags liegt bei rund 5 % (bei Patient*innen mit Hypotonie bei rund 33 %)
- Überlebende eines Hitzeschlags haben ein 16-prozentiges Risiko für ein schlechtes neurologisches Outcome (modifizierter Rankin-Score ≥ 4)
Definitionen
- Hyperthermie: Anstieg der Körpertemperatur über physiologischen Sollwert des Hypothalamus hinaus bei beeinträchtigenden wärmeableitenden Mechanismen (durch Kleidung oder Isolierung, Medikamente oder Krankheiten) oder durch externe oder interne Wärmeproduktion
- Hitzeödem: gutartige, selbstlimitierende Schwellungen der Extremitäten aufgrund von Flüssigkeitsansammlungen durch hydrostatischen Druck, Gefäßleckagen und kutane Vasodilatation im Interstitium
- Hitzekrämpfe: anstrengungsbedingte, schmerzhafte, unwillkürliche und diffuse Muskelkontraktionen während oder unmittelbar nach Anstrengung in heißer Umgebung (Ursache nicht eindeutig geklärt)
- Hitzesynkope: vorübergehender Bewusstseinsverlust mit spontaner Rückkehr zur normalen Bewusstseinslage im Zusammenhang mit einer Hitzeexposition
- Hitzeerschöpfung: leichte bis mittelschwere Hitzeerkrankung aufgrund von großer Umgebungshitze oder anstrengender körperlicher Betätigung (Symptome: starker Durst, Schwäche, Unbehagen, Angst, Schwindel, Synkope, normale oder leicht erhöhte Kerntemperatur, also > 37 °C, aber < 40 °C)
- Hitzschlag: schwere Hitzeerkrankung, die durch eine Kerntemperatur von > 40 °C und ZNS-Störungen gekennzeichnet ist, wie z.B. veränderter Bewusstsein (Enzephalopathie), Krampfanfall oder Koma infolge passiver Exposition ggü. Umgebungshitze (klassischer Hitzschlag) oder anstrengender körperlicher Betätigung (Belastungshitzschlag)
- variable Symptomatik mit Schwäche, Müdigkeit, Durst, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und Muskelschmerzen
physiologische Temperaturregulation
- Der Körper und die Umgebung tauschen Wärme durch vier grundlegende Mechanismen aus:
- Leitung (Wärmeübertragung vom Körper auf die Umgebung entlang eines Temperaturgradienten durch direkten Kontakt)
- Verdunstung (Wärmeübertragung vom Körper auf Feuchtigkeit, die zu flüssigem Wasser im Schweiß und in den Atemsekreten führt, das in die Dampfphase übergeht)
- Wärmestrahlung (Strahlung im Infrarotspektrum zwischen zwei Objekten mit unterschiedlichen Temperaturen, z. B. von der Sonne auf die Haut)
- Konvektion (Übertragung von Wärme vom Körper auf freie Flüssigkeiten oder Gase, die sich über die Hautoberfläche bewegen)
- genauer Wert der Normaltemperatur liegt nach allgemeiner Auffassung zwischen 36 – 38 °C
Pathophysiologie
- Wärmeverlust wird über zwei Mechanismen gesteuert
- durch periphere Mechanismen in der Haut und anderen Organen
- ZNS über den Hypothalamus (Hauptsteuermechanismus)
- Anstieg der Bluttemperatur um < 1 °C löst die Thermoregulation des Hypothalamus aus und so wird Blutfluss zur Haut durch Vasodilatation um bis zu 8 L/min erhöht (gleichzeitig Reduktion der Perfusion der inneren Organe um rund 30 % –> Ursache für GI-Symptome wie Krämpfe, Übelkeit und Durchfall)
- Pathomechanismus: gestörte Wärmeabgabe durch körperl. Belastung, Umgebungsbedingungen oder Kleidung –> verminderte Kühlung des Körpers –> Ansteigen der Hauttemperaturen –> Erwärmung des Körpers
- Pathomechanismus des Hitzschlags
- metabolische Hitzerraktion: Körperkerntemperatur übersteigt kritischen Wert –> Kaskade von zellulären und systemischen Reaktionen wie Störung der Thermoregulation, sepsisähnliche Entzündungsreaktion durch Interleukinen, Zytokinen & Proteine sowie eine Hitzeschockproteinreaktion –> Hypoperfusion des Gastrointestinaltrakts + erhöhte Permeabilität der Darmschleimhäute durch Entzündungsmediatoren –> Transfer von Endotoxine aus dem Darm in den Blutkreislauf –> Tod durch Apoptose oder Nekrose
- Reaktion der Skelettmuskulatur durch Hitze und körperliche Anstrengung: vermehrt Freisetzung von Myokinen und anderen Entzündungsmediatoren –> Endotoxämie –> weitere Endothel- & Gewebeschäden + gestörte Thermoregulation –> Tod durch Apoptose oder Nekrose
- Pathomechanismus des Hitzschlags
- weitere Fakten
- drei Hitzeexpositionen von 90 min Dauer im Laufe einer Woche können die physiologische Belastung um ca. 20 % reduzieren (CAVE: individuelle Faktoren berücksichtigen)
- Akklimatisierung im Durchschnitt nach 7 Tagen moderater Belastung in der Hitze zu 75 – 80 % abgeschlossen
- Anpassungsmechanismen können bis zu einem Monat anhalten, selbst wenn die Person nicht mehr in der heißen Umgebung sind
- wichtigste Anpassungmechanismen an wiederholte Hitzeexposition scheinen die Ausdehnung des Plasmavolumens und die daraus resultierende erhöhte Schweißkapazität zu sein
- Ausdauersportler*innen tolerieren Gewichtsverluste von 3 – 4 % während eines Wettkampfs ohne Probleme
- Dehydrierung erhöht die physiologische Belastung, verringert die Schweißrate, erhöht die empfundene Anstrengung und erhöht die Kerntemperaturen
- Anstieg der Plasmaosmolarität um 2 % löst sowohl das Durstgefühl als auch die renale Wasserretention über ADH-Ausschüttung aus
- Medikamente, wie die nachfolgenden können Hitzeerkrankungen begünstigen, indem sie die Wärmeproduktion erhöhen oder die Thermoregulationsmechanismen beeinträchtigen
- Alpha-Adrenergika
- Amphetamine
- Anticholinergika
- Antihistaminika
- Antipsychotika
- Benzodiazepine
- Betablocker
- Kalziumkanalblocker
- Clopidogrel
- Kokain
- Diuretika
- Abführmittel
- Neuroleptika
- Phenothiazine
- Schilddrüsen-Agonisten
- Trizyklische Antidepressiva
Therapie
- Therapie i.d.R aufgrund begrenzter Ressourcen und extremer Umweltanforderungen eine Herausforderung
- unabhängig von der zugrundeliegenden Ursache sind das Verbringen aus der Hitze und eine rasche Abkühlung von entscheidender Bedeutung
- Erstbehandlung vor Ort zielt zunächst auf die Stabilisierung gemäß ABCDE vor etwaigen Kühlmaßnahmen ab
- wenn keine lebensbedrohlichen Komplikationen vorliegen, ist die Kühlung vor Ort potenziell lebensrettend und sollte, wenn logistisch möglich, sofort vor dem Abtransport durchgeführt werden
Schweregrad der hitzebedingten Erkrankung | Diagnose | Behandlung |
---|---|---|
mild | Hitzekrämpfe | – isotone/hypertone Flüssigkeitsgabe oral bei generalisierten Hitzekrämpfen – passive Dehnung bei trainingsassoziierten Muskelkrämpfen durch repetitive Bewegungen und neuromuskuläre Ermüdung |
Hitzeödeme | – Hochlagerung der Extremitäten – Kompressionsstrümpfe – CAVE: keine Diuretika –> Gefahr für Verschlimmerung des Volumenverlusts | |
moderat | Hitzesynkope | – i.d.R. selbstlimitierend – Verbringen in kühle Umgebung – passive Kühlung – isotone/hypertone Flüssigkeitsgabe oral – bei fragwürdiger Genese oder Trauma nach Sturz Transport ins KH |
Hitzeerschöpfung | – Verbringen in kühle Umgebung – Kühlung durch Verdunstungs, Konvektion oder Konduktion – isotone/hypertone Flüssigkeitsgabe oral (alternativ i.v. mit isotoner Infusion)a – CAVE: Gefahr von EKG-Veränderungen, symptomatischen Herzrhythmusstörungen und Herzstillstand mit Merkmalen eines zugrunde liegenden Brugada-Syndroms | |
schwer | Hitzschlag | – Verbringen in kühle Umgebung – unterstützende ABC-Maßnahmen – vollständige Immersion in Eiswasser (alternativ auch in kaltes Wasser) – konduktive Ganzkörperkühlung – Flüssigkeitstherapie i.v.a – rascher Transport ins KH |
Temperaturmessung
- rektale Temperatur als bevorzugtes Methode zur Bestimmung der Körperkerntemperatur (genauer als Stirn-, axillare, orale oder tympanale Messung)
- bei hyperthermen Patient*innen mit Hinweisen auf Hitzschlag akute Kühlung auch wenn Temperaturmessung nicht möglich ist oder < 40 °C (diagnostischer Schwellenwert) ist
Methoden zur Kühlung
- passive Kühlung
- Anwendung passiver Kühlmaßnahmen, um thermische Belastung zu minimieren und Wärmeverlust zu maximieren (Verbringen in Schatten, Senkung Umgebungstemperatur, Isolierung zu warmen Boden hin, Lockern/Entfernen eng anliegender Kleidung sowie Optimierung der Luftzirkulation)
- Immersion in Eiswasser/kaltes Wasser
- First-Line-Therapie zur Temperatursenkung beim Hitzschlag (sofern Eiswasser nicht möglich, das kälteste verfügbare Wasser für Immersionstherapie verwenden)
- Ablauf: Entfernung isolierender Kleidung/Ausrüstung –> Eintauchen von Rumpf und Extremitäten in Bad aus Eiswasser (alternativ Patient*in auf Plastikfolie oder Plane legen, dann mit Eis bedecken und mit Wasser auffüllen, z.B. Leichensack, oder Nutzung eines natürlichen Gewässer wie Bach, Teich, Fluss oder See zur Kühlung)
- Eis-Wasser-Kühlung senkt Körperkerntemperatur doppelt so schnell wie das Abdecken des Körpers mit in kaltes Wasser getränkten Handtüchern
- bei gesunden Patient*innen mit Überlastungshitzschlag kann nach ausreichender Kühlung und normalisierten Bewusstseins- & Gesamtzustand Verbleib vor Ort erwogen werden
- bei klassischem Hitzschlag oder Komorbiditäten Transport in KH, auch bei normalisiertem Bewusstseins- & Gesamtzustand
- CAVE: theoretische Befürchtung, dass das Eintauchen in kaltes Wasser eine periphere Vasokonstriktion und Zittern verursacht, was die Abkühlung verlangsamen oder sogar die Kerntemperatur erhöhen könnte, ist ein weit verbreiteter Irrglaube
- Verdunstungskühlung
- Verdunstungs- oder Konvektionskühlung als Second-Line-Therapies, sofern Immersion nicht möglich
- Ablauf Verdunstungskühlung: Entfernen/Lockern von Kleidung –> Patient*in mit kaltem Wasser übergießen (gesamte Hautoberfläche sollte nass sein) –> Konvektion durch Luftbewegung dank Fächern mit Handtuch o.Ä. (durchschnittliche Kühlzeit 40 – 68 min bei klassischem Hitzschlag)
- Coolpacks o.Ä. (chemische Kühlelement etc.)
- wenn ausreichend Coolpacks zur Verfügung, Nutzung der gesamten Körperoberfläche
- wenn nur wenige Coolpacks verfügbar, eher auf Wangen, Handflächen und Fußsohlen legen
- Antipyretika
- keine Verwendung von Dantrolen oder fiebersenkenden Mitteln wie Ibuprofen und Aspirin zur Behandlung des Hitzschlags
- ergänzende, kombinierte oder alternative Kühlungsmethoden
- keine kalte Infusionen i.v. als Primärtherapie zur Kühlung beim Hitzschlag, ggf. ergänzend erwägen (Bolus von 30 mL/kg auf 4 °C gekühlter isotonischer Flüssigkeit über 30 Minuten senkte die KKT um 1 °C im Vergleich zu 0,5 °C durch VEL bei Raumtemperatur)
- keine Nutzung von Körperhöhlenspülung, nicht-invasiver externer Kühlsysteme, endovaskulärer Kühlgeräte oder Kühldecken als Primärtherapie beim Hitzschlag
- Zieltemperatur
- aktive Kühlung auf Zieltemperatur von 38,3 – 38,8 °C
Flüssigkeitstherapie
- Dehydratation bei Hitzeerkrankungen minimieren
- orale Flüssigkeitszufuhr als First-Line-Therapie bei Dehydratation im Rahmen leichter und mittelschwerer Hitzeerkrankungen
- Flüssigkeitstherapie i.v. zur Rehydrierung bei Hitzschlag (initial 1 – 2 L isotonischer VEL bei Erwachsenen oder 20 mL/kg geschätztes KG bei Kindern) mit Monitoring von RR, HF bzw. bzgl. Aufhellung des Urins und erhöhter Urinausscheidung (CAVE: Gefahr von Lungenödem bei Patient*innen mit kardialen Begleiterkrankungen)
- symptomatische belastungsassoziierte Hyponatriämie (exercise-associated hyponatremia (EAH)) kann Hitzschlag ähneln und bei starken klinischem V.a. EAH ohne Möglichkeit der PoC-Testung Gabe von bis zu drei Boli von je 100 mL 3 %iger NaCl im Abstand von 10 min bzw. bis zum Abklingen der Symptome/Bewusstseinsstörung
innerklinische Therapie
- Eiswasser-Immersion als First-Line-Therapie für Überlastungshitzschlag im KH (alternativ Bedecken des ganzen Körpers mit zerstoßenem Eis oder Eiswürfeln unter Zugabe von kaltem Wasser, um die Oberfläche für die leitende Kühlung zu vergrößern)
- Eiswasser-Immersion der Verdunstungs- & Konvektionskühlung als Therapie für den klassischen Hitzschlag vorziehen
- kein Platzieren von Coolpacks an Hals, Achselhöhlen und Leisten sowie keine Nutzung von (eiskalten) nassen Handtüchern
- Anlage Blasenkatheter zur Überwachung der Urinausscheidung und der Temperatur
- ggf. bei Zittern, Unruhe oder Kampfbereitschaft Gabe von Benzodiazepinen oder Opiaten
- ggf. Gabe von Vasopressoren zur Kreislaufunterstützung
- CAVE: Gefahr von bakterieller Translokation in den Blutkreislauf mit daraus resultierender Sepsis durch multiples Organversagen mit Schock, Atemversagen, akuter Nieren- & Leberschädigung, Rhabdomyolyse und DIC
Schritt-für-Schritt-Anleitung für innerklinische Eiswasser-Immersion
- Leichensack o.Ä. mit fünf Eimern Eis befüllen
- Patient*in von Trage des RD direkt in den Beutel legen und mit Monitor verkabeln
- nochmals 1 – 2 Eimer Eis auf Patient*in schütten
- Leitungswasser auf das Eis bis zur Höhe der mittleren Axillarlinie gießen
- ggf. weitere Maßnahmen (Zuganganlage etc.) durchführen
- Beutel bis zum Hals der/des Patient*in schließen und bis zur Abkühlung auf < 39 °C warten (i.d.R. ca. 10 min Wartezeit)
- Patient*in aus Beutel auf ein trockenes Bett legen und kaltes Wasser mit trockenen Handtüchern entfernen
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